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Lage in der zweiten Septemberhälfte

[Ohne Datum]
Analyse vom 16. bis 30. September 1953 [Nr. 2/53]

Die Lage in Industrie und Verkehr

Die Diskussionen zu politischen Fragen wurden in der zweiten Septemberhälfte geringer. Im Mittelpunkt der wenigen Diskussionen stand die 16. Tagung des ZK. Die Stimmung dazu war unterschiedlich, in einem Teil der Betriebe vorherrschend positiv und im anderen Teil negativ. Meistens wurde zur Preissenkung Stellung genommen. Von fortschrittlichen Arbeitern und Angestellten wurden die Aufgaben aus dem Referat des Genossen W. Ulbricht verstanden und begrüßt.1 Z. B. ein Arbeiter der Kreisbaubetriebe Rudolstadt äußerte: »Ich begrüße, dass im nächsten Jahr die restliche Rationierung wegfällt und eine weitere Preissenkung kommt. Das ist dann der Beweis für die Richtigkeit des neuen Kurses. Wir müssen unsere Leistungen steigern, um schnell und sicher dem Wohlstand entgegenzugehen.« Auch im Kombinat Espenhain wurde von der zweiten Schicht der Abteilung C die 16. Tagung positiv aufgenommen und die Norm daraufhin freiwillig erhöht.

Dem größten Teil der Arbeiter war der Inhalt der Rede des Genossen W. Ulbricht nicht bekannt. Der andere Teil erkennt die Bedeutung nicht und ist misstrauisch, enttäuscht oder verhält sich ablehnend. Z. B. im EKM2 Görlitz äußerte man: »Wir Arbeiter sind doch immer die Leidtragenden. Man wird die Preise in der HO senken und dabei einen Teil der Lebensmittelmarken abschaffen, die Waren jedoch teurer wie bisher verkaufen. Dies nennt man dann Angleichung der Preise.« Ein Arbeiter im ABUS-Förderungsanlagen in Köthen sagte: »W. Ulbricht sprach von Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Die Arbeiter haben schon genug geleistet. Nun müsste erst die lang ersehnte Preissenkung kommen, dann wird auch der Arbeiter wieder mehr leisten.«

Die Verweigerung von FDGB-Beiträgen hält weiterhin an. In einigen Betrieben ist es durch gute Agitation gelungen, die Arbeiter wieder zur Zahlung der Beiträge zu bewegen. Z. B. in der Schuhfabrik Luckenwalde werden die Beiträge wieder bezahlt; auch in der Stalinallee auf Block 4c haben 45 Bauarbeiter ihre Beitragsrückstände beglichen. In den Bezirken Potsdam, Frankfurt/Oder und Halle ist die Beitragszahlung im September besser geworden.

Die Stimmung bei der Entlarvung von Provokateuren ist, bedingt durch die gute oder schlechte Überzeugungsarbeit der Betriebsparteiorganisationen, noch immer unterschiedlich. Z. B. im VEB Drahtwerk Finsterwalde wurden drei Agenten durch fast einstimmigen Beschluss der Belegschaft aus dem Werk entfernt. Ähnliche Beispiele gab es noch im Bezirk Leipzig, in Wismut-Betrieben und mit nicht so starker Mehrheit im Bezirk Dresden.3

Dagegen zeigt sich in einer Reihe Betriebe ein versöhnlerisches Verhalten zu Provokateuren und teilweise auch Ablehnung der Entlassungen, hauptsächlich bei Paketabholern. Versöhnlerisch verhält man sich besonders bei Zeiss Jena, [den] Leunawerken und im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld. Ungenügende Aufklärung und Vorbereitung führten auch zu Ablehnungen der Entlassungen. Z. B. im Stahlwerk Riesa, Abteilung Verkehr, stimmten von 70 Arbeitern 36 gegen die Entlassung eines Provokateurs. Bei BMHW Berlin-Niederschöneweide wurde ein Provokateur fristlos entlassen, ohne dass der Belegschaft dies bekannt gegeben wurde. Darauf stellte sich der größte Teil der Kollegen hinter den Provokateur.

In den Betrieben, wo eine gute Parteiarbeit geleistet wird, verstehen die Arbeiter unsere Politik und gewinnt die Partei an Einfluss. So konnte z. B. auf einem Schacht bei Schwarzenberg die Wettbewerbsbewegung verbreitert werden. Auf einem Schacht bei Auerbach wurden in 14 Tagen 278 Selbstverpflichtungen übernommen. Im Otto-Brosowski-Schacht in Eisleben fuhren 24 Brigaden zu Ehren einer Versammlung der Betriebsparteiorganisation eine Sonderschicht, bei der das bisher höchste Förderungsergebnis erreicht wurde.

In Betrieben mit schlechter Parteiarbeit wirkt der Gegner auf die Belegschaften ein und trägt schädliche Tendenzen manchmal bis in die Reihen der BPO. Z. B. im RAW Meiningen/Suhl erklärten 75 % der Arbeiter ihr Einverständnis mit der Adenauerpolitik. Verschiedene Genossen sind lustlos und wollen nicht mehr in der BPO mitarbeiten. Im VEB IKA/Suhl beteiligten sich nur 70 von 243 Mitgliedern an der Parteiversammlung. Die Genossen begründeten dies mit den hohen Preisen. Im Thälmann-Kombinat ist eine ähnliche Missstimmung, dazu wird von Mitgliedern und Funktionären der Partei, die in Westdeutschland waren, der Westen verherrlicht. Im Kaliwerk »Ernst Thälmann«/Suhl bezahlt ein großer Prozentsatz keine Parteibeiträge mehr wegen Verärgerung über das Prämiensystem. Genossen vom VEB Holzindustrie/Suhl äußerten: »Mit der Grundlinie der Partei sind sie einverstanden, aber sonst sehen sie nur Fehler von der Partei und Regierung, es fehlt ihnen das Vertrauen zur Parteiführung.«

Feindliche Einflüsse zeigen sich oft in Betrieben mit schlechter Parteiarbeit in den verschiedensten Formen, zzt. vielfach in der bewussten Zurückhaltung und im Ausweichen vor politischen Diskussionen und in der Ablehnung der Prämienvorschläge. Z. B. im IKA Elektrobau Annaberg, im VEB Gewosei/Gera und in den Feintuchwerken Forst wurden Aktivistenprämierungen zum 13. Oktober abgelehnt und erklärt, man solle die Prämien an alle Arbeiter verteilen. Die Bauarbeiter der Stalinallee, die Arbeiter im EAW Apparate und Kesselbau Berlin, im TRO »Karl Liebknecht«, KWO Berlin und bei der Bau-Union Potsdam, Baustelle Wünsdorf, sind zum großen Teil zurückhaltend in politischen Diskussionen, wenn Genossen oder Agitatoren auftreten, gehen sie diesen aus dem Wege.

In einer ganzen Reihe Betriebe wirkt sich der Mangel an Material, oft auch dessen schlechte Qualität und in letzter Zeit auch das Fehlen von Waggons sehr zum Nachteil für die planmäßige Produktion und damit auf den Lohn und die Stimmung der Arbeiter aus. Im ABUS Maschinenbau und im IFA Schlepperwerk in Nordhausen beklagen sich die Arbeiter über die mangelhafte Qualität des gelieferten Rohmaterials. Im Audi-Werk Zwickau sind durch ausbleibende Lieferungen verschiedener Zubringerbetriebe Produktionszweige eingeschränkt und teilweise eingestellt worden. Das Kali-Werk Staßfurt hat seine tägliche Produktion von 600 t auf 143 t eingeschränkt wegen Waggonmangel der Reichsbahn, welcher sich Ende September verstärkt bemerkbar macht.

Unzufriedenheit besteht in den Betrieben wegen den verschiedenen Mängeln in der Versorgung, wegen Stromabschaltungen und teilweise wegen der HO-Preise. In letzter Zeit macht sich verschiedentlich Unzufriedenheit wegen Prämienzahlungen und auch wegen Normenerhöhungen bemerkbar. Z. B. sind die Arbeiter im Kabelwerk Schönow/Frankfurt über das System der Prämienzahlung erbittert und äußern: »Wenn keine Änderung eintritt, wird am Tag der Aktivisten4 gestreikt.« Auch der Parteisekretär ist nicht einverstanden, da der Personalleiter 1 000 DM und ein Arbeiter höchstens 125 DM bekommen kann. Auch im VEB ELMO-Werk Dessau ist eine schlechte Stimmung. Viele Kollegen erhielten 5,00 DM als Prämie, die sie ablehnten mit den Worten: »Wir wollen kein Trinkgeld.«

Drei Brigaden des VEB Bergungsabteilung Berlin-Lichtenberg, Zweigstelle Fürstenberg, erhielten die Mitteilung, dass ihre Normen rückwirkend ab 1.9.1953 um 50–70 % erhöht werden, ohne Begründung und ohne Absprache. Dies führte zu großer Unzufriedenheit. Im VEB Sägewerk Grimmen/Schwerin erklärten die Arbeiter: »Im ganzen Betrieb gärt es schon wieder. Die haben uns die Normen wieder so hoch gesetzt.«

Die Lage in Handel und Versorgung

Die Verbesserung der Versorgungslage hält weiter an. Trotzdem bestehen noch eine Reihe ernster Mängel. Die Versorgung der Bevölkerung mit Hausbrandkohle hat sich in der Berichtszeit verbessert. Die Mehrzahl der Bezirke ist mit 80 % und mehr Hausbrand beliefert. Der Bezirk Erfurt wurde bereits mit 97 % beliefert. Berlin erst mit 77 %. Am schlechtesten ist es noch im Bezirk Cottbus, wo durchschnittlich erst 35 % Hausbrand an die Bevölkerung ausgegeben wurde. Vielfach ist nichtkartenpflichtige Rohbraunkohle ungenügend vorhanden.

Die Kartoffelversorgung wurde im Allgemeinen verbessert. In einigen Kreisen und Orten der Bezirke Karl-Marx-Stadt, Halle und Potsdam wurde zeitweise ein Mangel festgestellt. Örtliche Schwierigkeiten beim Kartoffeltransport bestanden teilweise in den Bezirken Schwerin, Erfurt, Halle und Potsdam durch fehlende Waggons.

In der Versorgung mit Butter hat sich noch nichts geändert. In den Bezirken Cottbus, Gera, Halle, Rostock, Karl-Marx-Stadt und Potsdam wurde wiederum ungenießbare Butter verkauft bzw. ausgeliefert.

Bei Industriewaren besteht weiterhin ein Mangel an Haushaltsgegenständen und vielfach an Arbeitskleidung. Teilweise geht der Umsatz bei HO-Industriewaren zurück wegen der zahlreichen Diskussionen und Gerüchte über eine bevorstehende Preissenkung, z. B. in den Bezirken Halle, Leipzig und Suhl. Im Bezirk Leipzig besteht ein Umsatzrückgang bei Industriewaren von 20 % (ohne Stadt- und Landkreis Leipzig).

Viele Mängel in der Versorgung haben ihre Ursache in der schlechten Organisation und Warenverteilung. Dadurch stauen sich die Waren, besonders Lebensmittel, an einigen Stellen besteht die Gefahr des Verderbens. Z. B. bei der DHZ Marienberg sind 19 t Margarine verdorben. In Berlin lagern 693 t und in Potsdam 9½ t Fleischkonserven mit beschränkter Haltbarkeit und finden nur geringen Absatz. Ähnliche Beispiele gibt es mit anderen Konserven, Weintrauben, Äpfeln usw. Bei Industriewaren ist die mangelhafte Verteilung, besonders auf dem Lande, spürbar, z. B. in den Bezirken Neubrandenburg, Cottbus, Magdeburg, Frankfurt, Dresden und Halle.

Die Lage in der Landwirtschaft

In der zweiten Septemberhälfte stand das Interesse für wirtschaftliche Fragen im Vordergrund. Zu politischen Fragen besteht bei großen Teilen der Landbevölkerung eine abwartende Haltung. Z. B. im Kreis Fürstenwalde ist folgende Meinung verbreitet: »Der neue Kurs ist sehr gut und schön, aber wir glauben nicht daran. Die SED sagt, den Sozialismus streichen wir nicht, also kommt die Zeit vor dem 9. Juni wieder.«

Bei einem Aufklärungseinsatz im MTS-Bereich Badrina5/Leipzig äußerte sich ein großer Teil der Bevölkerung: »Lasst uns in Ruhe, wenn alles da ist und wir leben können wie die im Westen, könnt ihr wieder mit uns sprechen.«

Die Ablieferung der landwirtschaftlichen Produkte wurde trotz Widerstand und Feindpropaganda weiter durchgeführt und besonders erfolgreich dort, wo eine gute Aufklärungsarbeit geleistet wurde. Z. B. im Kreis Auerbach im Vogtland wurde das Ablieferungssoll mit 100 % erfüllt. Auch im Bezirk Potsdam, wo das Soll erst zu 50–60 % erfüllt worden ist, wurde durch gute Überzeugungsarbeit des Bürgermeisters in Genshagen erreicht, dass sich die Bauern verpflichteten, alle Forderungen der Regierung zu erfüllen. Ein parteiloser Bauer erfüllte bereits sein Soll bis zum 20.9.1953 100%ig.

Verschiedentlich leisten Großbauern Widerstand oder sie und die unter ihrem Einfluss stehenden Einzelbauern kommen ihren Ablieferungspflichten nicht nach. Z. B. hat ein Großbauer aus Raakow/Frankfurt erst 20 % Getreide abgeliefert. Er verwendet es als Schweinefutter und verkaufte für 19 000 DM Schweine auf freie Spitzen.6 In Sewekow/Potsdam wurden die Erfasser durch Großbauern vom Hof gejagt, bedroht und beschimpft. Auch in Groß Garz/Magdeburg hatten 35 Bauern bis zum 19. September noch nichts abgeliefert, obwohl der Drusch beendet war.

Bauern, die ihr Soll nicht erfüllen, begründen dies oft damit, sie hätten keine Futtergrundlage für ihr Vieh oder das Ablieferungssoll müsste mit dem Viehhalteplan in Einklang gebracht werden, d. h. herabgesetzt werden. Z. B. äußerten einige Bauern in Cosa/Halle: »Wir sind mit der Sollfestsetzung nicht zufrieden. Entweder geben wir das ganze Getreide ab und das Vieh verhungert oder die Regierung beschafft Futtermittel.« Ähnliche Beispiele gibt es in den Bezirken Leipzig, Dresden, Erfurt, Frankfurt, Schwerin, Potsdam und Cottbus.

Im Bezirk Halle und im Kreis Weimar besteht eine ernste Lage in der Futterversorgung. Im Kreis Weimar äußerten die Bauern, die ihr Getreidesoll erfüllt haben, dass sie nicht wissen, wie sie ihr Vieh füttern sollen, die Futtermittelversorgung durch die BHG sei nicht gewährleistet.

Die Lage in den LPG ist noch sehr unterschiedlich, jedoch zeigt sich jetzt eine erhebliche Festigung gegenüber den stark zurückgegangenen Auflösungserscheinungen. Im Bezirk Erfurt zeigt sich bereits eine Rentabilität der LPG. Aus diesem Grund versuchen besonders in Sömmerda und Gotha Bauern, die ausgetreten waren, wieder einzutreten. Die LPG Goldenstädt/Schwerin ist von 14 auf 38 Mitglieder angewachsen. Immer mehr Bauern stellen Anträge auf Aufnahme in die LPG.

In einigen LPG sind Auflösungserscheinungen festzustellen, z. B. in Lubmin/Rostock und in den Kreisen Gransee und Kyritz/Potsdam. Die Ursache ist Uneinigkeit, verschiedene Vorsitzende sind den Aufgaben nicht gewachsen, weiterhin schlechte Arbeitsmoral und mangelnde Unterstützung durch die Kreisverwaltungen.

Bei vielen MTS ist weiterhin ein großer Mangel an Ersatzteilen und teilweise [sind] auch schlechte Maschinen die Ursache, dass sie nicht allen Anforderungen gerecht werden und oft Missstimmung entsteht. In den Bezirken Magdeburg, Rostock, Schwerin und Potsdam sind die Kartoffelroder »Schatzgräber« von schlechter Qualität. Sie werden oft schon nach 5–6 ha Rodungen unbrauchbar. So äußerte ein Traktorist der MTS Diesdorf/Magdeburg: »Es ist eine Schande, wenn bei der LPG Haselhorst 45 Personen aus der Stadt zum Kartoffelroden da sind und mein Schatzgräber kann nicht eingesetzt werden, da die Federn laufend brechen.« Wegen Fehlen der Ersatzteile sind z. B. in der MTS Semlow/Rostock 17 Traktoren »IFA-Pionier« bis 26. September ausgefallen.

Die Unzufriedenheit großer Teile der Bauern mit den Stromabschaltungen hat sich vermehrt.

In einer öffentlichen Gemeindevertretersitzung in Hardisleben/Erfurt wurde von den Anwesenden gefragt: »Wo bleibt der neue Kurs, wenn wir dreschen oder füttern wollen ist Stromsperre.« In einer Bauernversammlung in Stützengrün wurde geäußert: »Wenn die Stromabschaltungen nicht bald aufhören, werden wir eben keine Milch mehr abliefern, damit diese Zustände abgeändert werden.«

Übrige Bevölkerung

Wirtschaftliche Fragen standen im Vordergrund des Interesses. Über politische Fragen und besonders das 16. Plenum wurde wenig diskutiert, vielen ist das Material nicht bekannt. Von fortschrittlichen Kreisen wurde das 16. Plenum in seiner Bedeutung für den Kampf um die Einheit Deutschlands und die Besserung der Lebenslage erkannt.

Ein verdienter Lehrer aus Potsdam äußerte: »Auf dem 16. Plenum hat uns Genosse W. Ulbricht klar den Weg und die Aufgaben bei der Verwirklichung des neuen Kurses aufgezeigt. Besonders erfreut war ich über die Ausführung, wie wir uns die Einheit Deutschlands vorstellen, ohne Monopolkapital. Dass im Sommer 1954 die Rationierung aufgehoben werden soll, muss ein Ansporn zu noch besserer Arbeit sein.«

Anders verhält es sich mit dem Teil der Bevölkerung, die eine Preissenkung erwartet haben und nun enttäuscht, misstrauisch und zurückhaltend sind. Ein Straßenbahner aus Frankfurt äußerte: »Bei der Rede von Ulbricht muss man zwischen den Zeilen lesen. An eine Preissenkung ist demnach in diesem Jahr nicht mehr zu denken.«

Eine Buchhalterin aus Pouch/Halle äußerte: »Von der Aufhebung der Rationierung wurde schon einmal gesprochen. Als der Zeitpunkt jedoch herankam, hörte man davon kein Wort mehr.« Ein Gewerbetreibender, Mitglied der LDP, aus Dippoldiswalde erklärte: »Ich wurde schon mehrere Male aufgefordert, Versammlungen zu besuchen. Ich gehe aber nicht hin. Wenn man seine Meinung zum Ausdruck bringt, so können doch immer Personen anwesend sein, die sofort dem SSD melden, und dann wird man stillschweigend abgeholt.«

Viel Unzufriedenheit herrscht unter der Bevölkerung wegen den häufigen Stromabschaltungen und verstärkt die Zweifel an der Durchführung des neuen Kurses, besonders in den Bezirken Dresden, Leipzig, Magdeburg, Gera, Neubrandenburg, Frankfurt, Potsdam, Schwerin, Halle und Erfurt. Ein Glasschleifermeister aus Jena sagte: »Jetzt ist es noch schlimmer mit den Stromsperren als vor dem 17. Juni. Sogar sonntags ist der Strom weg, horcht nur einmal hinein in das Volk, dann wisst ihr alles.«

In den letzten Tagen wurden Diskussionen und Gerüchte über eine in Kürze erfolgende Preissenkung in den Bezirken Halle, Leipzig, Schwerin, Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Erfurt, Rostock, Frankfurt und Suhl immer noch verbreitet. Ein Postangestellter aus Grimmen/Rostock sagte: »Die heutigen Preise sind zu hoch, sie müssen den Löhnen angepasst werden, erst dann ist der Arbeiter zufrieden.«

In der Berichtszeit bzw. im gesamten Monat September sind die Zahlen der Republikflüchtigen teilweise gestiegen, z. B. im Bezirk Dresden um 25 %, Bezirk Potsdam 15 %, Bezirk Frankfurt 60 %. Das Verhältnis der Republikflüchtigen gegenüber den Rückkehrern und Zuzügen aus dem Westen ist recht unterschiedlich, z. B. im September in Leipzig 83 Republikflüchtige gegenüber 479 Rückkehrern und Zuzügen, in Karl-Marx-Stadt 484 Republikflüchtige gegenüber 190 Rückkehrern. Das Verhältnis zwischen Rückkehrern und Republikflüchtigen hat sich in der Berichtszeit verschlechtert. Die Gesamtzahl der Republikflüchtigen aus acht Bezirken ist 2 371, demgegenüber stehen nur 821 Rückkehrer.

Feindtätigkeit

Die Feindtätigkeit hält im Allgemeinen in der gleichen Stärke wie in der Woche nach dem 6. September an. Es wurden in allen Bezirken Flugblätter verbreitet. Besonders verstärkt in den Schwerpunkten Bezirk Frankfurt, Cottbus, Potsdam, Gera, Schwerin, Karl-Marx-Stadt und Halle. Der überwiegende Teil ist von der NTS,7 auch viele von der KgU,8 die übrigen von dem SPD-Ostbüro,9 FDP-Ostbüro,10 »Freiheitliche Juristen«11 u. a. Sie befassen sich im Wesentlichsten mit der Hetze gegen die Regierung der SU und DDR. Des Weiteren wird das »langsam arbeiten« und der »sinnvolle Widerstand« propagiert. Die Genossenschaftsbauern [werden] zum Austritt aus der LPG aufgerufen und die Bevölkerung aufgefordert, sich die Bettelpakete12 mit sogenannten »legalen Mitteln« zu erkämpfen.

In den Bezirken Magdeburg und Dresden versuchte der Gegner wieder durch die Parolen vom neuen Tag »X«13 Unruhe zu stiften. Vom RIAS wurde weiterhin propagiert: langsam zu arbeiten, in Versammlungen nicht zu diskutieren, FDGB-Beiträge nicht zu zahlen, die Bauern sollen devastierte Betriebe nicht wieder14 übernehmen. Der RIAS hetzte verstärkt gegen den neuen Kurs und auch gegen die Gesellschaft für Sport und Technik, wobei die Jugendlichen aufgefordert werden, das Kriegshandwerk zu erlernen, um das Gewehr zur geeigneten Zeit umdrehen zu können. Von der Westpresse wurde eine neue Provokation angekündigt, eine sogenannte »Spendenaktion mit Winterkleidung« soll in Kürze beginnen.

Der Gegner setzte seine Terrorfälle fort. Von sieben Fällen geschahen sechs auf dem Lande, meistens bei Erntefesten. Unter den Überfallenen und misshandelten Personen befinden sich zwei Parteifunktionäre, drei Volkspolizisten, ein MTS-Leiter, ein LPG-Vorsitzender und zwei Genossenschaftsbauern.

Durch verschiedene Diversionsakte in Industrie und Landwirtschaft versuchte der Gegner die Produktion zu schädigen. In den Betrieben wurden in acht Fällen Maschinen und Geräte beschädigt oder stillgelegt. Außerdem in zwei Fällen durch vermutliche Brandstiftungen Schäden an Betriebseinrichtungen hervorgerufen. In vier Fällen wurden Diversionsversuche durchgeführt. In der Landwirtschaft wurden in zwei Fällen vier Traktoren der MTS beschädigt und in einer LPG versucht, Maschinen zu beschädigen. In zwölf Fällen sind Brände in der Landwirtschaft erfolgt, bei denen der Verdacht der Brandstiftung besteht. Besondere Schwerpunkte sind die Bezirke Neubrandenburg, Potsdam und Magdeburg.

Einschätzung der Situation

Die mangelhafte politische Aktivität, die abwartende, misstrauische und gleichgültige Haltung eines großen Teils der Werktätigen verdient eine besondere Beachtung. Auf diese passive Masse rechnet der Gegner und versucht ständig, sie unter seinen Einfluss zu bekommen. Das ist eine große Gefahr. Demgegenüber haben wir durch gute Parteiarbeit, gute Aufklärung und viele Verbesserungen bei einem Teil der Werktätigen Vertrauen gewonnen, aber noch in zu geringem Umfang. Durch verbesserte Agitation und rasche Behebung der Mängel auf der Linie des neuen Kurses muss der Kampf um die Gewinnung des großen Teils der Werktätigen zur aktiven Mitarbeit geführt werden.

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