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Stimmungsberichte zum »Neuen Kurs«

[Ohne Datum]
Stimmungsberichte zum Kommuniqué des ZK der SED [Meldung Nr. 4/53]

[Name 1, Vorname], Tischlermeister aus [Ort], ca. 37 Jahre alt, Mitglied der NDPD,1 brachte Folgendes zum Ausdruck: »Ich bin überrascht von den Beschlüssen des Ministerrates,2 dass unsere Regierung ihre Fehler offen zugibt. Ich selbst begrüße diese Beschlüsse auf das Freudigste. Vor allem begrüße ich die Aussprache Otto Grotewohls mit den Vertretern der Kirche.3 Hierin sehe ich als Christ, dass die Regierung bemüht ist, mit der Kirche ein gutes Verhältnis herzustellen.«

[Name 2], wohnhaft Glauchau-Gesau, 40 Jahre alt, beschäftigt in der Planung im Spinnstoffwerk Glauchau, Mitglied der SED, sagte: »Nachdem ich die Erklärung im ›Neuen Deutschland‹ gelesen habe, muss ich mich restlos zu den bekannt gegebenen Maßnahmen unseres Politbüros bekennen, welche ausschließlich der Herstellung der Einheit Deutschlands dienen und wobei es gilt, den Weg zur gegenseitigen Annäherung zu ebnen.«

[Name 3], wohnhaft Callenberg, beschäftigt in der Personalabteilung im Spinnstoffwerk Glauchau, führte Folgendes aus: »Es trägt dazu bei, die von den Gegnern des Sozialismus benötigten Argumente zur Führung des kalten Krieges zu zerschlagen. Es ist eines der größten Beiträge zur Wiedervereinigung Deutschlands.«

Die FDJ-lerin [Name 4, Vorname], aus Glauchau, beschäftigt als Schülerin in der [Bereich] im Spinnstoffwerk Glauchau sagte:»Ich als FDJ-lerin begrüße es voll und ganz, dass das Politbüro der SED ihre in letzter Zeit gemachten Fehler an die Öffentlichkeit bringt und dies nicht mit leichten Ausreden verschleiert. Diese Offenheit stärkt noch weiter mein Vertrauen. In vielen Gesprächen kommt zum Ausdruck, dass Gerüchte im Umlauf sind über den Gesundheitszustand unseres Präsidenten.4 Es wird vorgeschlagen, ein Kommuniqué über den Gesundheitszustand unseres Präsidenten herauszugeben, damit diesen Gerüchten entgegengetreten werden kann.«

[Name 5, Vorname], Hauptgeologe bei der Wismut AG, 27 Jahre alt, Mitglied der SED, wohnhaft in [Ort Nr.], brachte Folgendes zum Ausdruck: »Ich begrüße die Beschlüsse des ZK der SED. Hierbei ist besonders zu unterstreichen, dass die Partei sowie die Regierung die Fehler, welche in der Vergangenheit gemacht worden sind, eingesteht. Es müsste nun Aufgabe der von dieser Verordnung Betroffenen sein, sich stärker als bisher am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.«

[Name 6, Vorname], 39 Jahre alt, parteilos, Oberbuchhalter im Walz- und Gravierwerk Frankenberg VEB, wohnhaft in Frankenberg, [Straße Nr.], äußerte Folgendes: »Endlich eine Änderung. Wir sind Deutsche und bleiben Deutsche. Die Moskauer Einflüsse sind eben falsch. So geht es nicht mehr weiter. Der Londoner Rundfunk hat diese Angelegenheit schon vor zwei Tagen gebracht, bevor das Kommuniqué veröffentlicht wurde. Alles in allem sei dies ein Rückzug der Regierung und eine Pleite auf der ganzen Linie.«

[Name 7, Vorname], Bergarbeiter der Wismut AG, wohnhaft in Hammerunterwiesenthal, sagte: »Man wüsste überhaupt nicht mehr, wie man [es] halten soll. Was heute beschlossen und als gut befunden wird, kann morgen schon wieder schlecht sein und über den Haufen geworfen werden. Wahrscheinlich pfeifen die da oben auch schon auf dem letzten Loch.«

[Name 8, Vorname], ca. 50 Jahre alt, Sanitäter im Karl-Marx-Werk in Zwickau, parteilos, äußerte sich folgendermaßen: »Das haben sie nun davon, die dummen Schweine, mit ihren Maßnahmen der 10%igen Normerhöhung.5 Die sind doch zu dumm und zu feige. Jetzt, wo sie sich zeigen sollen vor der Bevölkerung, wie es gestern Abend war, da sind sie nicht auf dem Balkon erschienen, da hat sich Grotewohl und Ulbricht durch andere vertreten lassen. Als Matern die Bevölkerung ansprach mit ›Kollegen‹, da haben sie gerufen: ›Halt die Gusche mit Kollegen, der Zug ist raus.‹«6

[Name 9, Vorname], ca. 22 Jahre alt, parteilos, VP-Angehöriger der Vollzugsanstalt Zwickau, sagte: »An all diesem Schwindel ist die SED schuld. Nun können wir uns fertig machen.«

[Name 10, Vorname], ca. 40 Jahre alt, Grubenarbeiter aus dem Karl-Marx-Werk Zwickau, parteilos, sagte Folgendes: »Das ist für uns als Arbeiterklasse beschämend, dass wir nach dem Kommuniqué zu derartigen Handlungen schreiten, wie es in Ostberlin geschehen ist. Ich bin parteilos, aber so etwas verstehe ich nicht, dass man unsere Regierung nach der Bekanntgabe dieser Beschlüsse unserer Regierung so belohnt.«

[Name 11, Vorname], ca. 50 Jahre alt, Mitglied der SED, Abteilungsleiter des VEB Klingenthaler Harmonika, Werk III, sagte: »Dieses Kommuniqué sei keine Schwäche unserer Partei, sondern eine Stärke, dass wir zwar Fehler gemacht haben, dass unsere Partei aber stark und ehrlich genug ist, diese Fehler einzugestehen und sie der Öffentlichkeit bekannt zu geben und dass dies bisher noch keine Partei und auch kein Staat wagen konnte.«

[Name 12, Vorname], ca. 33 Jahre alt, Mitglied der LDP, Lehrer der Goethe-Schule Klingenthal, sagte: »Ich begrüße das Kommuniqué und bin der Meinung, dass dies auf alle Fälle ein Schritt zur Verwirklichung der Einheit Deutschland ist.«

Meisel, Albrecht, Dr. med., Kreisarzt, ca. 60 Jahre alt, parteilos, Klingenthal II, Leninstraße: »Als Arzt begrüße ich die Maßnahmen unserer Regierung, dass man erkannte Fehler sofort abgestellt hat, um eine weitere Verbesserung der Lebenslage zu bringen. Die vorherigen Anordnungen waren etwas zu schnell hintereinander erfolgt.«

[Name 13, Vorname], ca. 35 Jahre alt, Bauer, 19 ha, Mitglied der LPG »Fortschritt«, Nassau, Mitglied der VdgB, Brigadier: Er erklärte nach dem Beschluss des Politbüros seinen Austritt aus der LPG. Er hat sich in das Lager des Klassengegners begeben und arbeitet nicht mehr im Sinne der LPG. Er verweigert die Verleihung sämtlicher Maschinen, die sein Eigentum sind.

[Name 14, Vorname], ca. 43 Jahre alt, parteilos, beschäftigt Karl-Marx-Werk Zwickau als Schmied, äußerte gegenüber einem Genossen Folgendes: »In Berlin war wieder etwas los. Man hat den Grotewohl und den mit dem Spitzbart verlangt und zugerufen: ›Weg mit dem Grotewohl und dem mit dem Spitzbart, wir wollen eine Wahl haben.‹ Du als Funktionär kannst so etwas nicht hören, sonst fassen sie dich am Arsch. Ja so sieht es aus mit euch.«

[Name 15, Vorname] aus Geyer, ca. 35 Jahre alt, parteilos. Er freut sich über die Streiks und Provokationen und bringt zum Ausdruck, dass er auf ein baldiges Ende des ganzen »Schwindels« wartet.

[Name 16, Vorname], ca. 38 Jahre alt, wohnhaft in Tannenberg, Angestellter, drückt sich wie folgt aus: »Der Untergang für die DDR hat begonnen, in Kürze wird von unserer Regierung keiner mehr da sein. Ein acht Jahre geknechtetes Volk will seine Freiheit wieder. Wilhelm Pieck ist schon etliche Tage tot laut Meldung von Radio London.«

Bochmann, Guido, ca. 62 Jahre alt, ehemaliger Prokurist bei der Fa. Höffer in Tannenberg,7 wohnhaft in Tannenberg, Mitglied der CDU, äußerte sich wie folgt: »Der Tag der Abrechnung ist nicht mehr fern, es ist alles notiert und wird zurückgezahlt werden.«

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    [Ohne Datum]
    Situationsbericht von Groß-Berlin und der Republik vom 18.6.1953 von 0.00 bis 12.00 Uhr [Meldung Nr. 5/53]

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    Über die Lage am 17. Juni 1953 in Groß-Berlin und der DDR [Meldung Nr. 3/53]