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Tagesbericht

8. November 1953
Informationsdienst Nr. 2015 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Zum 36. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurden in den Betrieben Feierstunden und andere Veranstaltungen durchgeführt; Betriebsdelegationen nahmen an Demonstrationen und Kranzniederlegungen teil. Viele Arbeiter übernahmen Verpflichtungen und leisteten Sonderschichten (besonders in der Wismut AG). Die Beteiligung war teils gut, teils mangelhaft, auch die Stimmung und die Diskussionen während und nach den Veranstaltungen waren sehr unterschiedlich, sodass auch nicht eine vorläufige Einschätzung über das Ausmaß der positiven wie der negativen Stimmung möglich ist.

Beispiele: Eine gute Stimmung herrschte in einer Festveranstaltung des Kabelwerkes Oberspree Berlin, in der der Vorsitzende des FDGB, Genosse Herbert Warnke, und der Hohe Kommissar der SU in Deutschland, Genosse Semjonow, der dort unerwartet eintraf, sprachen. In der Wismut AG wurden Hunderte von Stoßschichten durchgeführt, die alle sehr gute Produktionserfolge zeigten, teilweise über 200 % Normenfüllung. Eine Brigade im Kunstseidenwerk »Siegfried Rädel« in Pirna/Dresden verpflichtete sich aus Dankbarkeit gegenüber der SU mit anderen Brigaden in einen Wettbewerb um den Titel »Brigade der ausgezeichneten Qualität« zu treten. Im VEB Umdruck Dippoldiswalde/Dresden verpflichteten sich die Arbeiter, ihren Jahresproduktionsplan bis zum 10.12.1953 zu erfüllen. An einer Festversammlung im Kaliwerk »Glückauf« Sondershausen/Erfurt nahmen 400 Arbeiter teil. Eine solch gute Beteiligung war bereits im Vorjahr zu verzeichnen.

In den Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerken Niederschöneweide fand eine Festveranstaltung statt, an der eine sowjetische Delegation, darunter vier Stalinpreisträger, teilnahm. Unter den Arbeitern herrschte eine gute Stimmung, sie empfingen ihre Gäste herzlich. Später machte die sowjetische Delegation einen Rundgang durch den Betrieb. Auch darüber waren die Arbeiter sehr erfreut, nur eines bemängelten sie. Sie sagten: »Es war ja sehr schön, dass die sowjetischen Freunde zu uns gekommen sind, aber eines hat uns nicht gefallen, dass da immer welche von der Werksleitung dabei sind, die uns Arbeiter gar nicht zu Wort kommen lassen. Es wäre sehr schön, wenn wir mit den sowjetischen Kollegen an die Drehbank gehen könnten und uns mit ihnen unterhalten könnten, was uns nicht gefällt und was besser gemacht werden muss.«

Aus dem VEB Sturmlaternenwerk Beierfeld/Karl-Marx-Stadt sagten viele Arbeiter: »Wir können nicht verstehen, dass bei uns die kirchlichen Feiertage streng eingehalten werden, während zum Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, der für die gesamte Menschheit von großer Bedeutung ist, gearbeitet wird.«

In der Peenewerft Wolgast/Rostock nahmen von 1 600 Beschäftigten ca. 850 an einer Feierstunde teil. In der Schiffsschlosserei brachten die Arbeiter zum Ausdruck: »Feiern ja, aber ohne uns. Wir werden lieber arbeiten, da gibt es mehr Geld.«

In Trünzig bei Gera äußerten einige Wismut-Kumpel: »Guckt euch mal die Illumination an, das sind bestimmt alles 60 Watt-Birnen, die Tag und Nacht brennen wegen der Oktoberrevolution. Dafür haben wir zu Hause jeden Abend zwei Stunden Stromsperre.«

Zur neuen Note der Sowjetregierung1 wurden wenig Stimmen bekannt. Folgende Meinungen werden in der Mehrzahl vertreten:

Ein Wismut-Kumpel: »Immer wieder ist es die SU, die die Initiative ergreift. Einmal müssen die anderen doch darauf eingehen.« Ein Arbeiter aus der Ostdeutschen Tuchfabrik Forst/Cottbus: »Schon wieder eine Note der SU, und anders wird es doch nicht. Die sollen endlich aufhören mit ihren Noten, es wird ja doch keine Einigung erzielt.«

Zur Liquidierung feindlicher Spionagegruppen2 werden noch immer nur vereinzelt Stimmen laut, die jedoch überwiegend positiv sind. Ein Arbeiter aus Hohenstein-Ernstthal: »Wer sich gegen den Staat der Arbeiter stellt, muss seine gerechte Strafe erhalten. Deshalb begrüße ich die Zerschlagung der Agentengruppen in der DDR durch die Organe der Staatssicherheit.«

Einem Bericht aus dem Betrieb Siemens-Plania Berlin-Lichtenberg zufolge hat das Referat des Genossen Staatssekretär Wollweber3 gut angesprochen, noch besser sein Schlusswort. Oft wird zum Ausdruck gebracht, man müsse solche Versammlungen öfter durchführen; vor allem solle man bei ähnlichen Schlägen der Sicherheitsorgane die Bevölkerung schneller über diese Dinge und ausführlich informieren, um damit dem RIAS den »Nimbus des besser Orientierten« zu nehmen. Wie weiter berichtet wird, sollen diejenigen Belegschaftsmitglieder, die sonst immer mit viel Stimmenaufwand den RIAS und die Westzeitungen gepriesen haben, sehr ruhig geworden sein. Trotzdem gibt es noch eine Reihe negativer Stimmungen. In der Abteilung Kohlestifte haben mehrere Arbeiter gesagt: »Die wahre Meinung darf man ja doch nicht sagen.«

Handel und Versorgung

Mängel in der Kartoffelbelieferung werden aus dem Bezirk Potsdam gemeldet, wodurch die Stimmung sich ständig verschlechtert.

Margarine, besonders Sorte I, fehlt in den Bezirken Gera und Erfurt. Die Bedarfsermittlung im Bezirk Erfurt ergab, dass hauptsächlich Sorte I gekauft wird. Die Planung im Ministerium für Handel und Versorgung sieht jedoch eine erhöhte Produktion der Sorte III vor, sodass bei Fortsetzen der erhöhten Produktion ein großer Überschuss entsteht und der Bedarf an Margarine Sorte I nicht gedeckt werden kann.

Gefahr des Verderbens von Schokoladen- und Dauerbackwaren besteht bei der DHZ Lebensmittel Eisenach/Erfurt. So wurden am 4.9.1953 der DHZ zwei Waggons (140 Ztr.) Schokoladenwaren II. Wahl aus der ČSR geliefert. Ein Teil der Ware war bei der Ankunft schon in schlechtem Zustand. Eine Kommission der ČSR vereinbarte die Abgabe dieser Waren zu einem billigeren Preis. Das Ministerium der Finanzen ließ diese Preisregelung nicht zu und forderte die Rücklieferung. Bis heute liegen aber diese Waren noch in Eisenach und sind dem völligen Verderb preisgegeben.

Ähnlich verhält es sich mit den seit Mai 1953 in Eisenach lagernden HO-Dauerbackwaren, in einem Werte von 40 000 DM. Wenn nicht ein sofortiger Verkauf erfolgt, sind diese Waren gleichfalls dem Verderb ausgesetzt.

Landwirtschaft

Zum 36. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurden auf dem Lande verschiedene kurze Feierstunden, Kranzniederlegungen und andere Veranstaltungen durchgeführt. Verschiedentlich waren Delegationen von sowjetischen Soldaten anwesend. Bei den Feierstunden, Veranstaltungen u. a. war eine unterschiedliche Beteiligung festzustellen. Verschiedene waren besser als im vorigen Jahre besucht, andere wieder schlechter. Verschiedentlich wurden von Genossenschaftsbauern und werktätigen Bauern Verpflichtungen anlässlich dieses Tages eingegangen.

Bei einem Empfang in der sowjetischen Kommandantur Gardelegen/Magdeburg wurde vom 1. Vorsitzenden der VdgB eine Liste mit 980 Selbstverpflichtungen anlässlich des 36. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution überreicht. In diesen Selbstverpflichtungen handelt es sich um Werbungen für die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Übernahme von 32 Patenschaften, Verpflichtungen über Anwendung von neuen Arbeitsmethoden in 78 Fällen, 703 Verpflichtungen zur Übererfüllung in der Pflichtablieferung (31 400 kg Schweinefleisch, 271 Stück Schweine, 3 150 kg Rindfleisch, 181 570 Ltr. Milch).

In der Gemeinde Blumberg4/Frankfurt/Oder war die Kundgebung mit Kranzniederlegung nur mäßig besucht. Es waren 60 Zivilpersonen anwesend, 80 Kinder, 80 Angehörige der Grenzpolizei und 160 sowjetische Soldaten.

Zur Note der SU wird unter der Landbevölkerung nur vereinzelt Stellung genommen. Die Argumente der bekannten Stimmen besagen im Allgemeinen, dass durch die Noten allein auch nichts erreicht wird. Ein Kollege der MTS Jarmen/Neubrandenburg: »Die Noten haben doch keinen Zweck, von der SU werden konkrete Vorschläge gemacht, wofür aber die Westmächte kein Interesse zeigen. Die Westmächte wollen ja gar nicht die Einheit Deutschlands, hoffentlich kommt bald die Zeit zu Verhandlungen, damit auch wir einen Friedensvertrag erhalten.«

Die Ablieferung von Getreide und Kartoffeln geht in den Bezirken Rostock, Potsdam und Suhl teilweise schleppend voran. Verschiedentlich verweigern Bauern die Ablieferung. In wiederholten Fällen bringen Bauern zum Ausdruck, dass sie nach dem Westen gehen wollen, wenn sie zur Ablieferung gezwungen werden.

Ein Mittelbauer aus Preede5/Rostock: »Ich habe wohl Getreide, aber ich bringe es nicht zur Ablieferung, ihr Erfasser seid diejenigen, die uns drücken. Wenn ihr so weitermacht, gehe ich nach dem Westen, wo ich bereits eine Wirtschaft gepachtet habe.«

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Zum 36. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurden zahlreiche Veranstaltungen, Feierstunden, Demonstrationen und Kranzniederlegungen durchgeführt. Teilweise wurden gemeinsame Veranstaltungen, Kranzniederlegungen usw. mit sowjetischen Soldaten durchgeführt sowie Delegationen zu sowjetischen Dienststellen entsandt. Die Beteiligung an diesen Veranstaltungen war sehr unterschiedlich. Während in verschiedenen Städten die Veranstaltungen besser besucht waren als im vorigen Jahr, zeigten andere wiederum eine schlechtere Beteiligung.

Die Ausschmückung ist teilweise mangelhaft und beschränkt sich in der Hauptsache auf öffentliche Gebäude, Verwaltungen, Betriebe, Partei und Massenorganisationen. Dazu einige Beispiele:

In Ilmenau/Suhl wurde am 7.11.1953 eine Kreistagssitzung anlässlich des 36. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution durchgeführt. Es waren aus Betrieben und LPG Delegationen eingeladen (ca. 1 000 Personen). Der sowjetische Kreiskommandant, welcher zu dieser Sitzung sprach, wurde durch stürmische Begrüßung und starken Beifall besonders geehrt. Nach den Feierlichkeiten begaben sich alle zur Kranzniederlegung zum sowjetischen Ehrenmal.

In Rochlitz/Karl-Marx-Stadt wurde eine Feierstunde mit kultureller Veranstaltung durchgeführt. Im Anschluss daran fand eine Demonstration statt, an der sich ca. 1 800 Personen beteiligten (Einwohnerzahl von Rochlitz: 7 500). Die Beteiligung war wesentlich höher als im Vorjahre. Eine in Teterow/Neubrandenburg durchgeführte Kundgebung zeigte eine gute Beteiligung (3 000 Personen).

In Leipzig fand anlässlich des 36. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eine Demonstration statt. Die Beteiligung wird auf ca. 100 000 Personen geschätzt, jedoch konnte man feststellen, dass bei einem großen Teil der Teilnehmer jede innere Anteilnahme fehlte, was durch eine Gleichgültigkeit während des Vorbeimarsches auf dem Karl-Marx-Platz zum Ausdruck kam. Ein organisatorischer Mangel bestand darin, dass zur gleichen Zeit das Oberliga-Fußballspiel Chemie Zwickau zur Durchführung kam.

In Senftenberg/Cottbus nahmen an der Demonstration 500 Personen teil. Die Beteiligung war schlechter als im Vorjahre. Die Stimmung jedoch war gut. Bei einem Fackelzug waren durch schlechte Organisierung nur 100 Personen anwesend.

Über die Note der SU sind noch wenige Stimmen bekannt. In den meisten bekannten Stimmen kommt zum Ausdruck, dass dies ein Friedensbeweis der SU ist. Andere meinen, dass aus diesem ganzen Notenwechsel nichts Positives herauskomme.

Einwohner aus Cottbus: »Die SU setzt sich stets für den Frieden ein und ist bereit alles zu tun, damit der Welt der Frieden erhalten wird. Mögen die westlichen Regierungen endlich einmal das Ihrige tun, damit wir die Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage erhalten.«

Hausfrau aus Sebnitz/Dresden: »Was nützen uns die ganzen Noten, davon wird auch nichts besser.«

Organisierte Feindtätigkeit

Geringere Flugblatttätigkeit in den Bezirken Rostock, Neubrandenburg, Potsdam, Frankfurt/Oder, Erfurt, Gera, Dresden und Karl-Marx-Stadt. In Berlin hat der Gegner seine Flugblatttätigkeit am 7. November erheblich verstärkt. Die meisten Flugblätter wurden mit Ballons eingeschleust, in einem Fall durch ein Flugzeug.

In der Nähe der Bahnlinie Annaberg-Buchholz/Süd nach Schwarzenberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt), 12 km von der Staatsgrenze entfernt, wurde ein Angehöriger der KVP von unbekannten Personen durch Schüsse aus einer Maschinenpistole verwundet. Im Kreis Marienberg/Karl-Marx-Stadt wurden in drei Fällen bewaffnete Zivilpersonen, die aus der ČSR kommend die Grenze überschritten, gesehen. Polizeiliche Maßnahmen sind eingeleitet worden.

In der Hanffabrik Bergerdamm, [Kreis] Nauen, [Bezirk] Potsdam, wurde ein Generator durch eine eingeworfene Eisenstange beschädigt und für acht Tage außer Betrieb gesetzt.

Einschätzung der Situation

Zum 36. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurden in den Betrieben, in den Städten und auf dem Lande zahlreiche Feierstunden, Demonstrationen und Kranzniederlegungen durchgeführt. Von vielen Arbeitern wurden zu Ehren des Tages Produktionsverpflichtungen eingegangen und Sonderschichten durchgeführt. Auch auf dem Lande wurden verschiedentlich Verpflichtungen eingegangen. Zu einem Teil waren die Veranstaltungen gut besucht und oft besser wie im Vorjahr und es herrschte eine gute Stimmung. Zum Teil war die Beteiligung mangelhaft und es machten sich gleichgültige und negative Stimmungen bemerkbar. Die Feindtätigkeit wurde gegenüber den Vortagen nicht verstärkt.

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    [Ohne Datum]
    Analyse vom 16. bis 31. Oktober 1953 [Nr. 4/53]

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