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Tagesbericht

28. Dezember 1953
Informationsdienst Nr. 2056 zur Beurteilung der Situation

Infolge der Feiertage sind nur spärlich Berichte eingegangen, die wenig Meldungen zur Beurteilung der Lage enthalten.

Meldungen aus Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Ein Komitee zur friedlichen Regelung gesamtdeutscher Fragen wurde in den Rathenower Optischen Werken (Potsdam) gebildet. Das Komitee sammelte bereits über 1 000 Unterschriften für die Forderung auf Teilnahme von Vertretern aus Ost- und Westdeutschland an der Außenministerkonferenz. Außerdem wurden Unterschriften für eine Verständigung mit dem französischen Volke gesammelt.

Handel und Versorgung

Die Versorgung im Allgemeinen hat sich gebessert, welches sich besonders vor Weihnachten auf die Stimmung der Bevölkerung positiv auswirkte.

Mangel an Kartoffeln wurde aus der Gemeinde Falkensee/Potsdam berichtet. Ein Teil der Einwohner ist noch nicht im Besitz der Einkellerungskartoffeln. Dies führt oft zu negativen Diskussionen unter den Einwohnern.

Landwirtschaft

Schwierigkeiten in der Ablieferung mit Kartoffeln wurden aus dem Bezirk Rostock bekannt. Bei einer Überprüfung aufgrund des Ablieferungsrückstandes eines Kleinbauern in Koldevitz,1 Kreis Putbus, wurde eine versteckte Kartoffelmiete von ca. 65 Ztr. entdeckt. Dabei wurde der Erfassungsinspektor aus Putbus von der Ehefrau des Kleinbauern mit einer Schaufel tätlich angegriffen und verletzt.

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Über die Vollstreckung des Urteils an der Verrätergruppe Berija2 wurden vorerst nur Einzelstimmen bekannt. Von diesen Personen wurden die vollstreckten Urteile begrüßt.

Schriftsteller aus Zittau/Dresden: »Das Urteil, welches über die Bande gesprochen wurde, war das gerechteste, was man erwarten konnte. Diese Bande hat es verstanden, ihre schädliche Tätigkeit jahrzehntelang zu verbergen, solche Elemente werden sich nie bessern.«

Einwohner aus Sebnitz/Dresden: »Es ist richtig, dass man Berija zum Tode verurteilt hat. Ich hätte ihn aber erhängen lassen, denn davon merkt er noch mehr als beim Erschießen.«

Über die Räumung von Wohnungen für sowjetische Familien in Rudolstadt/Gera äußerte ein Angestellter des Wohnungsamtes, dass Hausbewohner dieser Wohnungen in der Schaalaer Straße3 Delegationen zum sowjetischen Kreiskommandanten schicken wollen. Es handelt sich um 80 Wohnungen, die bis zum 15.2.1954 geräumt werden sollen.

Anlage (»Fortsetzung der Beilage«)4 zum Informationsdienst Nr. 2056

Stimmung zur Viermächtekonferenz

In Westdeutschland zeigt sich im Allgemeinen Zustimmung zur Viermächtekonferenz,5 viele setzen ihre Hoffnung auf die Konferenz, weil sie eine Entspannung der Atmosphäre erwarten. Ein großer Teil zweifelt auch an einer Einigung über die Einheit Deutschlands, da dies den Interessen der Amerikaner und der Adenauer-Regierung widerspricht.

Eine Sängerin aus Westdeutschland erklärte, dass es die SU mit ihren Vorschlägen ehrlich meint und niemals, wie es die Westmächte hinzustellen wünschen, nur Ausweichmanöver vorhat. Die SU hat nicht erst heute, sondern schon immer bewiesen, dass sie bemüht ist, die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volke immer mehr zu festigen, um mit den deutschen Menschen den Frieden in Europa zu erkämpfen.

Eine Angestellte aus Hannover äußerte: »Hoffen wir, dass das Vierertreffen in Berlin uns etwas weiterbringt und uns gewisse Herren keinen Strich durch die Rechnung machen. Hier herrscht an allen Orten der Katholizismus und Amerikanismus, beides [ist] nicht gut in solcher Reinkultur. Die Straßen Hannovers haben nichts mehr gemein mit Straßen einer deutschen Stadt, schreiend bunte Lichtreklamen, in den Geschäften ist ein Prunk, doch es ist nur äußere Fassade. Alles kauft auf Kredit und lebt über seine Verhältnisse.«

Von einer Hausfrau aus Pyrmont wird gesagt: »Man hat den Eindruck, dass eine gewisse Auflockerung jetzt stattgefunden hat. Wir alle erhoffen viel von der Viererkonferenz. Natürlich darf man keine Wunder erwarten.«

Eine Familie aus München (streng katholisch) hat folgende Meinung: In Bayern sei man der Ansicht, dass Berlin als ganze Stadt der Verwaltung der DDR unterstellt werden müsste, um einen Gefahrenpunkt internationaler Spannungen zu beseitigen. Als Ergebnis der Konferenz erhofft man eine Übereinkunft in dieser Frage. Dagegen ist man der Auffassung, dass keine Einigung Gesamtdeutschlands zustande kommen wird, da Adenauer und die Amerikaner kein Interesse daran haben, weil sie damit den Bestand der Bonner Regierung gefährden. An die Verwirklichung der EVG glauben sie nicht, sondern sind der Meinung, dass ein Separatpakt zwischen USA und Westdeutschland geschlossen wird.

Ein Rentner aus Peine sagte: »Meint ihr, dass bei der Konferenz in Berlin demnächst was herauskommt? Schön wär’s ja, wenn Deutschland endlich zusammenkäme, dann würde sowieso alles einheitlich geregelt werden, auch mit der Beamtenpension. Aber wie lange sollen wir warten?«

Ein DGB-Funktionär bezeichnete die Politik der SU als äußerst geschickt. Er sei unbedingt für die Zurückstellung des EVG-Vertrages und für Verhandlungen, auch über die letzten Angebote Walter Ulbrichts.

Von einem FDP-Mitglied wurde erklärt, er persönlich sei nach der Rede Walter Ulbrichts für Verhandlungen. Seine Parteifreunde seien jedoch dagegen. Sie meinen, dass der EVG-Vertrag unter allen Umständen unter Dach und Fach gebracht werden müsste, dass sei der einzige Gegenwert, den man den »Russen« gegen das Zugeständnis, die »Ostzone« zu räumen, bieten könnte.

Diese Politik der Drohungen und Erpressungen befürworten oftmals die Gegner der Friedenspolitik. Vielmals sind die Menschen in Westdeutschland aber auch skeptisch in Bezug auf Verhandlungen, weil sie nicht daran glauben, dass die eine oder die andere Seite Zugeständnisse macht, oder sie meinen, von beiden Seiten keine ehrliche Verständigungsbereitschaft erwarten zu können. Die meisten sind völlig im Unklaren über die ehrlichen Bemühungen der SU um eine friedliche Lösung der deutschen Frage.

Zwei ehemalige höhere Nazi-Offiziere aus Düsseldorf erklärten, dass das Militärpotenzial Amerikas und des Westens der SU überlegen sei. Sie halten daher die Adenauer-Politik für richtig und sind der Meinung, dass Verhandlungen erst dann von »Erfolg« sein könnten, wenn man der SU die »Stärke des Westens« zum Bewusstsein gebracht habe.

Ein Arbeiter aus Hamburg: »Zwanzig Noten sind schon gewechselt mit der Regierung in Moskau wegen des Zusammenschlusses von Ost- und Westdeutschland. Aber zwanzig Mal hat Moskau bisher abgelehnt. Jetzt endlich haben sie sich mit einer Besprechung einverstanden erklärt. Ein Zusammenschluss von Ost und West kann nur auf der Grundlage erfolgen, dass zunächst freie Wahlen stattfinden. Ob aber Moskau damit einverstanden ist, vermag ich nicht zu sagen. Mir fehlt vorläufig der Glaube.«

Ein Angestellter aus Wiesbaden: »Hätte es nicht schon so viele zwecklose Verhandlungen gegeben, würde man nicht so skeptisch sein.«

Ein Angestellter aus Stuttgart äußerte sich: »Wenn beide Teile so schön verhandeln würden, wie sie schön reden, gebe es schon längst keine Zonengrenzen mehr. Die heutige Politik ist schlimmer als ein Kuhhandel. Ein schöner Frieden, den die uns beschert haben.«

Ein Angestellter aus Osterholz sagte: »Vielleicht hat sich doch schon etwas Neues angebahnt, nach meiner Meinung bedingen neue Männer auch immer einen neuen Kurs, der naturgemäß in einem Staate wie Russland und Berlin [sic!] sich aber nur langsam durchsetzen kann, wenn der neue Mann stark genug ist und der große Vorgänger mehr und mehr aus der Erinnerung geschwunden ist. Man könnte die in Kürze zu erwartende Viererkonferenz schon in diesem Aspekte denken. [sic!] Doch glaube ich nicht, dass schon jetzt entscheidende Dinge getan werden, denn es wird wohl [ohne] ein langes Feilschen um den Preis hüben wie drüben nicht gehen, sodass auch 1954 es noch nicht zu einer völligen Vereinigung der beiden Zonen kommen dürfte.«

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