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Tagesbericht

14. August 1953
Information Nr. 1040

Stimmung der Bevölkerung

Wie aus vorliegenden Stimmungsberichten zu ersehen ist, wird unter der Bevölkerung in verstärktem Maße über die Stromabschaltungen diskutiert. In allen Diskussionsbeispielen ist zu ersehen, dass man sich auf die Regierungsbeschlüsse beruft und in diesem Zusammenhang Zweifel an der Durchführung der Regierungsbeschlüsse äußert.1 So z. B. wurde in der LPG Zettemin, Kreis Malchin, am 12.8.1953 in einer Versammlung beschlossen: »Der Regierung vorzuschlagen, dass sie die Ministerratsbeschlüsse einhalten soll.«

Der Arbeiter [Name 1] aus Weimar sagte: »Ich bin froh, dass ich nicht mehr Mitglied der SED bin, denn ich müsste mich jetzt in der Öffentlichkeit zu Tode schämen, da der neue Kurs verkündet, aber nicht eingehalten wird. Mir sollen die da oben mit ihren Versprechungen gestohlen bleiben.«

Aus Arnstadt wird bekannt, dass in der zzt. laufenden Wochenschau Ausschnitte aus der Sitzung der Volkskammer gezeigt werden, wo Genosse Grotewohl sagte: »Wir werden einen Lebensstandard erreichen, besser wie er heute in Westdeutschland ist.«2 In jeder Vorstellung brach bei diesen Worten ein lautes und höhnisches Gelächter aus.

Starke Diskussionen werden von der Bevölkerung auch darüber geführt, dass man zzt. wohl eine Menge Waren herangeschafft hat, sie aber nicht in der Lage sind, diese zu kaufen. Im Allgemeinen erwartet man eine Preissenkung für Lebensmittel in der HO. In diesem Zusammenhang werden auch Zweifel an der Durchführung der Regierungsbeschlüsse geäußert und die Frage gestellt: »Was soll werden, wenn die Volksdemokratien und die Sowjetunion ihre Lieferungen einstellen bzw. wie lange wird man uns Lebensmittel liefern?«

So wird z. B. im Kreis Anklam hauptsächlich darüber diskutiert, ob die Verbesserung der Lebenslage bestehen bleibt oder ob es nur ein Lockmittel der Regierung war. Was soll werden, wenn die Lieferungen aus der Sowjetunion und den Volksdemokratien aufhören? Oder der Arbeiter [Name 2] aus Wernigerode: »Die eingeführten Waren dürften nicht für HO-Preise verkauft werden. Der Arbeiter ist doch am übelsten dran, den trifft’s am meisten. Diejenigen, die die hohen Gehälter haben, können sich’s ja leisten.«

Zur sogenannten »USA-Hilfsaktion«3 wird bekannt, dass in nachfolgend aufgeführten Betrieben die negativen Stimmen überwiegend in Erscheinung treten:

Am 7.8.1953 fand bei der Reichsbahn Bützow, Abteilung Oberbaustoffe, eine Versammlung statt, in welcher dem Referenten der Bezirksleitung der SED in provokatorischer Weise entgegengetreten wurde. Als er über die in Westberlin organisierte »Paketaktion« sprach, brach ein großes Gejohle unter den 98 Arbeitern aus. Einige erklärten: »Die Regierung haben wir nicht gewählt und wollen sie auch nicht.« Zwei Arbeiter traten besonders hervor und hetzten fortwährend gegen die Regierung, so z. B.: »Wir wollen Brot und Geld, Arbeit haben wir genug« usw. Die BGL wurde in dieser Versammlung als »Schweinehunde« bezeichnet. Im VEB Karl-Marx-Werk Pößneck wird besonders stark negativ über die Fahrkartensperre4 nach Berlin diskutiert. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass die Fahrkartensperre einer Freiheitsberaubung gleichkomme. Die 2. BGL-Vorsitzende Baumung bringt zum Ausdruck, dass sie in einer Sitzung der Gewerkschaftsorganisatoren nicht in der Lage gewesen ist, die gegnerischen Argumente zu zerschlagen.

Aus Schwerin wird bekannt, dass von Funktionären und Mitgliedern der NDPD in verstärktem Maße provokatorische Angriffe und verleumderische Hetze gegen unsere Partei und Regierung geübt wird. Dies kommt besonders in einer Kreisausschusstagung der NDPD am 26.7.1953 in Perleberg zum Ausdruck. Von allen 32 Kreisausschussmitgliedern wurde der neue Kurs der Regierung nicht anerkannt. Auf die Feststellung, dass die Sowjetarmee am 17.6.1953 den Frieden bewahrt hat, wurde gelacht. 25 Diskussionsredner sprachen von der Schuld der Regierung und forderten Neuwahl derselben. Gleichzeitig forderten sie eine Listenwahl und prophezeiten in diesem Zusammenhang die Niederlage der SED.

So äußerte sich z. B. das Kreisausschussmitglied Dr. Balliziska: »Erst freie Wahlen, vorher kein neuer Kurs. Die NDPD hat keine Fehler gemacht, sondern unehrliche Politik. Es wird erst anders werden, wenn die politische Atmosphäre des Lügens befreit wird. Die Jugend wird belogen, die FDJ müsste heißen: ›Leninistisch-marxistische Jugend‹, der FDGB ›Leninistisch-marxistische Gewerkschaft‹.«

In einer Mitgliederversammlung der NDPD in Wittenberge äußerte sich der Handwerksmeister [Name 3]: »In der Regierung sind Halunken und Strolche und die müssen verschwinden. Da wagen es noch Burschen vom Bezirksvorstand der NDPD Schwerin hierherzukommen und zu sprechen, dass wir zur Regierung Vertrauen haben sollen.«

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