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Tagesbericht

3. Dezember 1953
Informationsdienst Nr. 2037 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

Industrie und Verkehr

Über die Note der SU1 sowie zur Regierungserklärung der DDR2 werden noch verschiedentlich Diskussionen, meist in positivem Sinne, darüber geführt. Teilweise wird an dem Erfolg des Notenwechsels gezweifelt. Die darüber negativ geführten Diskussionen sind nur in geringer Anzahl zu verzeichnen. Ein parteiloser Arbeiter aus dem Textilbetrieb Wilkau-Haßlau/Karl-Marx-Stadt: »Die Note der SU ist gut, sehr gut sogar. Wenn wir alle zusammenstehen, wird Adenauer gestürzt und die Einheit Deutschlands erreicht.«

Ein parteiloser Kumpel des Wismut-Objektes Gera: »Mit mir hat noch niemand über die neue Note der SU und die Regierungserklärung der DDR gesprochen, aber beide sind sehr gut. Da werden die Heinis da drüben endlich einmal gezwungen Farbe zu bekennen.«

Ein Arbeiter (Mitglied der SED) des Stahlwerkes Riesa: »Die schreiben immer Noten, aber in Wirklichkeit geht keiner von den Großmächten darauf ein und will keiner, dass wir einen Friedensvertrag bekommen.«

Zu Ehren des 78. Geburtstages unseres Präsidenten Wilhelm Pieck verpflichteten sich zwei Angehörige der technischen Intelligenz vom IFA-Werk »Ernst Grube« in Werdau/Karl-Marx-Stadt bis zum 3.1.1954 ein neues Arbeitsverfahren an der Brennschneidemaschine zu entwickeln, wodurch dem Betrieb jährlich 20 000 DM eingespart werden.

Über die Weihnachtszuwendungen wird noch in einzelnen Betrieben, besonders von den Betriebsangehörigen, die davon ausgeschlossen sind, negativ diskutiert.3 So sagte z. B. ein Dreher des Karl-Liebknecht-Werkes Buckau/Magdeburg: »Ich bin der Meinung, dass alle, auch die über 600 DM verdienen, das Weihnachtsgeld bekommen müssten, die, die mehr als 600 DM verdienen, leisten auch mehr.«

Absatzschwierigkeiten treten im VEB Venezia Berlin-Lichtenberg auf. So konnten bis jetzt für die Planauflage, 4. Quartal 1953, nur zwei Drittel bei Bonbons und 100 t weniger als bei Marmelade vorgesehen war, abgesetzt werden. Die 100%ige Planerfüllung für 1953 wird wahrscheinlich dadurch nicht erfolgen. Nicht verstanden wird dabei, dass trotzdem vom Ministerium für Handel und Versorgung eine Tonne Bonbons und Schokoladenerzeugnisse importiert wurden. Bei den meisten Sorten der Importware handelt es sich um Qualitäten, die der eigenen Produktion auf jeden Fall gleichzustellen sind. Desgleichen wurde Marmelade eingeführt, wo ebenfalls die eigene Qualität die der Importware überragt. Für das 1. Quartal 1954 konnte die Produktion aller Berliner Süß- und Dauerbackwarenbetriebe bisher mit 38–50 % ausgelastet werden. Dabei wird die Meinung vertreten, dass diese Situation einmal durch die Zuckerbewirtschaftung für Süßwaren und zu hohe Preise für Bonbons u. Ä. hervorgerufen wird. Der Betriebsleiter erhielt am 2.12.1953 vom Leiter der Abteilung örtliche Industrie und Handwerk Berlin einen Anruf, wobei ihm mitgeteilt wird, dass das Ministerium für Handel und Versorgung der Meinung ist, die Produktion in diesem Betrieb stillzulegen.

Über die Rückgabe der 33 SAG-Betriebe4 treten im Buna-Werk negative Diskussionen in Einzelfällen auf. So sagte z. B. ein Arbeiter der Abteilung B 22: »Ich bin der Meinung, dass durch die Rückgabe der 33 SAG-Betriebe in Volkseigentum bestimmt Erwerbslosigkeit auftreten wird.«

Über die Planauflage für 1954 sagte eine Angestellte der Papierfabrik Großenhain/Dresden: »Unsere Belegschaft ist mit der neuen Planauflage nicht ganz einverstanden. Alle sagen, wir haben unseren Produktionsplan für 1953 erfüllt und unsere Regierung fordert von uns noch zusätzliche Produktion von Papier. Auf der anderen Seite lagern bei uns noch Unmengen von Fertigwaren, die nicht abgeholt werden.«

Elf Arbeiterinnen von 25 der Bau-Union Brandenburg setzten sich nach Westberlin ab, als sie der Bau-Union Aue bei der Erfüllung ihres Planes zugeteilt wurden, beim Eintreffen am 25.11.1953 in Aue keine Unterkunft vorfanden und deshalb auf dem Bahnhof übernachten mussten und unter schwierigsten Bedingungen in einem Steinbruch arbeiten sollten. Von der Abteilung Arbeitskräfteverteilung der Bau-Union Aue wurde den Frauen gesagt: »Wenn sie die Arbeit nicht aufnehmen, wird Ihnen die Polizei auf den Hals geschickt.« Bis zum heutigen Tage kehrte außer eine Frau keine aus Westberlin wieder zurück.

Auch heute ist noch Hauptthema unter den Wismut-Kumpels die Umbildung der Wismut AG, wobei über evtl. Entlassungen und Lohnkürzungen gesprochen wird.5

Handel und Versorgung

Im Kreis Aue/Karl-Marx-Stadt lagern 10 t Schmalz, die nach dem Untersuchungsbericht des zuständigen Arztes für Lebensmittelkontrolle schnellstens verbraucht werden müssen. Im Schlachthof Waren lagern 7 t Schweineschmalz, die keinen Absatz finden.

Wie aus Oschersleben/Magdeburg berichtet wird, wird der private Handel besser mit Waren beliefert als die Konsumgenossenschaft. So hat z. B. die Konsumgenossenschaft schon zehn Tage keine Markenmargarine, auch mangelt es an Kleidung und Spielwaren. Die Auswirkungen sind, dass die privaten Händler einen größeren Umsatz haben als die Konsumverkaufsstellen. Auf einer Mitgliederversammlung der Konsumgenossenschaft beschwerten sich die Mitglieder, dass sie beim Privathändler kaufen müssen.

Immer wieder wird aus den Bezirken über die mangelhafte Warenstreuung, besonders in den ländlichen Kreisen, berichtet. Als Grund wird zum überwiegenden Teil Transportraumschwierigkeit angegeben.

Laut Mitteilung der Abteilung Verkehr beim Rat des Kreises Pritzwalk Potsdam werden dringend Ersatzteile für Kraftwagen aller Art benötigt. Fahrzeuge der HO sind bereits zum größten Teil ausgefallen, ähnlich verhält es sich mit Fahrzeugen von Konsum, Brauerei und dergleichen.

Zwölf Waggons angefrorene Kartoffeln trafen am 26. und 27.11.1953 in Karl-Marx-Stadt ein. Der größte Teil ist für den menschlichen Genuss nicht mehr zu gebrauchen. Sieben Waggons mussten einer Schweinemästerei zugeführt werden.

Landwirtschaft

Unter der Bevölkerung im landwirtschaftlichen Sektor wird im Verhältnis (Betriebe und übrige Bevölkerung) nur vereinzelt über die Note der SU an die Westmächte diskutiert. Auch hier ist die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen positiv. So sagte z. B. ein Neubauer aus Wülknitz/Halle: »Die SU hat durch ihre Note erneut bewiesen, dass sie sich für die Belange Deutschlands einsetzt und für einen baldigen Abschluss eines Friedensvertrages ist.«

Demgegenüber wird aus Cottbus berichtet, dass bei einer Versammlung in Priesen von Mittel- und Großbauern zum Ausdruck gebracht wurde, dass es bei dem Notenwechsel nur um die Weltherrschaft ginge. Es wäre Unsinn anzunehmen, dass es der SU oder der USA um die Interessen der Deutschen ginge.

Aus den Bezirken Potsdam und Schwerin werden Einzelbeispiele berichtet, die von einer Festigung der LPG zeugen. Die LPG in Görzke/Potsdam, die ihr Ablieferungssoll bereits erfüllt hat, verpflichtete sich, bis Jahresende die Fleischprodukte für das Jahr 1954 zu liefern. Die LPG in Gnemern/Schwerin beabsichtigt zum Typ III6 überzugehen, was jedoch durch das Fehlen eines Stalles für gemeinsame Viehhaltung erschwert wird.

Durch Ersatzteilschwierigkeiten, besonders Pflugscharen, ist es der MTS Berggießhübel/Dresden nicht möglich ihren Plan beim Ziehen der Winterfurche zu erfüllen.

Wie aus Rostock berichtet, herrscht teilweise unter den Bauern Missstimmung über die mangelnde Annahme von Zuckerrüben. In der Zuckerfabrik Tessin lagern bereits 2 500 t Zuckerrüben, die bereits zu faulen beginnen. Dazu äußert der Leiter der MTS Tessin: »Unsere Traktoristen stehen meist einen halben Tag vor der Zuckerfabrik, ehe die Zuckerrüben abgenommen werden. Man sollte versuchen Zuckerrüben nach Sachsen in die Zuckerfabriken zu schicken.«

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Über die Note der SU an die Westmächte wird weiterhin nur in geringem Maße diskutiert. Wie in den Vortagen ist die Mehrzahl der bekannt gewordenen Stimmen positiv. Negative Meinungsäußerungen treten nur vereinzelt auf. So äußerte ein parteiloser Angestellter aus Heidenau/Dresden: »Immer wieder ist festzustellen, dass die SU sich durch den Widerstand der Westmächte nicht abhalten lässt, für eine friedliche Lösung der Deutschlandfrage und den Weltfrieden einzutreten.«

Über die Weihnachtszuwendungen hält die negative Stimmung unter den Arbeitern und Angestellten staatlicher Verwaltungen und Institutionen, die davon ausgeschlossen sind, weiterhin an. In zahlreichen Diskussionen wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass besonders die Angestellten zu gesellschaftlicher Arbeit und Sondereinsätzen jeglicher Art herangezogen werden, bei derartigen Maßnahmen der Regierung aber werden sie ausgeschlossen und als Menschen 2. Klasse angesehen. Im Wesentlichen richtet sich diese negative Stimmung gegen den FDGB, was in Protestresolutionen und Abgabe von Mitgliedsbüchern zum Ausdruck kommt. Aus sieben Kreisen des Bezirkes Erfurt wurden z. B. 26 Protestschreiben an den Bundesvorstand der IG VBV7 gesandt. 120 Angestellte des Kreiskrankenhauses und der Poliklinik Waren/Neubrandenburg haben die Resolution an den FDGB-Bundesvorstand geschickt.

Im Kreis Sonneberg/Suhl (500-Meter-Zone) wird zum Teil Missstimmung darüber geäußert, dass wohl die I-Pässe8 nicht mehr benötigt werden, sie aber trotzdem ihre Verwandten aus Westdeutschland nicht zu Besuch einladen können, da sie keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.9

Organisierte Feindtätigkeit

Verstärkte Verbreitung von Flugblättern wird aus den Bezirken Frankfurt/Oder, Gera, Cottbus berichtet, vereinzelt aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Potsdam, Halle und Dresden. In der Mehrzahl handelt es sich um Flugblätter der KgU10 und SPD.11 In den Flugblättern der KgU, die im Bezirk Frankfurt/Oder gefunden wurden, wird die Bevölkerung aufgefordert, sich vor den »Wollweber-Schergen«12 in Acht zu nehmen. Aus den Bezirken Dresden, Gera und Potsdam und Frankfurt/Oder werden verstärkt Briefe der KgU und des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen13 an die Bevölkerung, besonders an Intellektuelle und Verwaltungsstellen, versandt. An die Grundschule in Niederoderwitz/Dresden wurde ein Brief des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen mit der Aufforderung »keine sinnestreuen [sic!] Mitglieder der SED in die Elternbeiräte zu wählen« geschickt.

Am 30.11.1953 wurden im Gaswerk Wismar in zwei Öfen die Lüftungsklappen der Generatoren zugedreht und die Fugen von unbekannten Tätern mit Lehm verschmiert. Das Nichtbemerken hätte den Ausfall der beiden Öfen am nächsten Tage zur Folge gehabt, wobei die Gasversorgung gefährdet worden wäre. Auf dem Bauobjekt Oranienburg-Leegebruch14 (Flugplatz) wurden auf der Rollbahn zwei Brandsätze gefunden, die nach Entzündung den neu angelegten Benzinbehälter in Brand gesetzt hätten. Durch diesen Diversionsakt wäre die Abnahme des Flugplatzes am 1.12.1953 gestört worden.

In Magdeburg werden immer noch von feindlichen Elementen Diskussionen wie: »In Berlin stimmt wohl wieder etwas nicht, vor Weihnachten wird bestimmt noch etwas los sein«, geführt.

Im Bezirk Suhl werden von der westdeutschen Fa. H. P. Bote & Co. Bremen Briefe an die Bürgermeister gesandt mit der Bitte, Verteiler von Kaffee, Tee, Schokolade u. a. zu benennen. Die genannten Personen müssten einen guten Ruf sowie die besten Beziehungen innerhalb der Gemeinde haben.

Am 30.11.1953 wurde ein Betriebsschutzangehöriger aus Velten/Potsdam von einer Person, die sich als Angehöriger des SfS ausgab, »verhaftet«. Bis heute kehrte der BS-Angehörige nicht zurück. Nach der »Verhaftung« forderte die unbekannte Person von der Frau desselben den Radioapparat und nahm diesen ebenfalls mit.

In den Kreisen Erfurt-Land, Sömmerda und Eisenach treten in den vorbereiteten Versammlungen zur Neuwahl der Elternbeiräte verschiedene Personen mit der Forderung auf: 1. Wiedereinführung der Prügelstrafe, 2. Abschaffung des Russischunterrichtes und Wiedereinführung des Religionsunterrichtes. Dabei versucht die Kirche, besonders in Weimar, ihre Vertreter in die Elternbeiräte hineinzubekommen.

Vermutlich organisierte Feindtätigkeit

Am 28.11.1953 brannte die Scheune der LPG »Otto Grotewohl« in Hessen/Magdeburg, vermutlich durch Brandstiftung, nieder. Gesamtschaden beträgt ca. 100 000 DM.

Einschätzung der Situation

Die Lage hat sich gegenüber dem Vortage nicht geändert.

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