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Tagesbericht

23. Oktober 1953
Informationsdienst Nr. 2001 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

a) Industrie und Verkehr

Die Diskussionen über die Steuersenkung1 werden in den Betrieben weiterhin geführt. Dabei werden in größerem Maße aufgrund dieses Beschlusses von den Arbeitern Selbstverpflichtungen zur Steigerung der Produktion übernommen. Die Kollegen des Kraftwerkes Finkenherd/Frankfurt verpflichteten sich, bis zum IV. Parteitag der SED2 180 000 kW Strom innerbetrieblich einzusparen, um somit die Stromversorgung der Bevölkerung zu verbessern. Fünf Kollegen des VEB RFT Bautzen erhöhten freiwillig ihre Norm um 20 %. Demgegenüber bringt der 1. Sekretär der BPO der SED im Halbzeugwerk Auerhammer zum Ausdruck, dass die 450 Mio. DM besser für eine Preissenkung hätten verwendet werden müssen, da hätte sich der Arbeiter mehr leisten können. Ähnliche Meldungen werden auch in verschiedenen anderen Betrieben, jedoch oft von Arbeitern geäußert, die selbst von der Steuersenkung nur geringe Vergünstigungen haben.

Ein Ansteigen der Produktion in einigen Zweigen der Industrie ist weiterhin zu verzeichnen. Im Otto-Brosowski-Schacht im Bezirk Halle stieg aufgrund eines Massenwettbewerbes die Produktion im Vergleich zum Monat August von 84 % auf 109 %.

Die Ursachen für Produktionsschwierigkeiten in einigen Betrieben sind immer noch Material-, Kohlen-, Ersatzteil- und Waggonmangel. Aus dem RAW Cottbus ist bekannt, dass zur Erfüllung des Planes im Oktober die angeforderten Materialien unbedingt benötigt werden. Bis jetzt gelangten jedoch zur Auslieferung an das RAW: 5 t Blech (5 mm) von 17,6 t angeforderten, 8,5 t Blech (6 mm) von 35,4 t, 17 t Blech (8 mm) von 27,1 t.

Im VEB »Plasta« Erkner bei Berlin ist seit acht Tagen die laufende Kohlenlieferung ins Stocken gekommen. Ein vollkommener Stillstand des Betriebes konnte augenblicklich durch die Hilfe eines anderen VEB verhindert werden. Der VEB Braunkohlenwerk Nachterstedt, Kreis Aschersleben, konnte trotz vieler Bemühungen die dringend benötigten Ersatzteile nicht bekommen. Von der Maxhütte Unterwellenborn wird mitgeteilt, dass aufgrund großer Kürzungen des Wagengestellungsplanes durch die RBD Erfurt die Ziegelei in der Maxhütte bereits einen Produktionsausfall von 75 000 Steinen in den letzten Tagen hat. Es besteht ebenfalls große Gefahr, dass bei Nichtveränderung des Zustandes in der Wagengestellung ein Hochofen ausfällt, da auch zur Schlackenabfuhr keine Waggons zur Verfügung stehen.

Unter den Arbeitern wird über die verstärkten Stromabschaltungen, in einzelnen Betrieben über die freiwilligen Ernteeinsätze, die durchgeführte Bettelpaketaktion3 und in der Wismut AG über die gemischte Gesellschaft Wismut4 in verschiedenen Formen diskutiert. Zur Stromabschaltung sagte ein Arbeiter des August-Bebel-Werkes/Karl-Marx-Stadt: »Die Stromabschaltungen sind eine große Schweinerei, man verspricht dauernd und hält nichts.«5

Durch Einsatz von freiwilligen Helfern aus einigen Betrieben wird den LPG eine gute Unterstützung bei der Ernteeinbringung gegeben. So arbeiten beispielsweise 511 Betriebsagenhörige des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg im Ernteeinsatz des Kreises Pritzwalk. Durch die guten Leistungen der Erntehelfer wurde jeder mit 5,00 DM von der LPG Brügge prämiert. Im Kreis Ilmenau/Suhl besteht Unzufriedenheit unter den freiwilligen Erntehelfern darüber, dass sie in der Zeit des Ernteeinsatzes nur 0,83 DM je Stunde erhalten sollen, obwohl ihnen durch ein Rundschreiben des Kreisrates der volle Lohn, den sie im Betrieb erhalten, garantiert wurde. Darüber hinaus sind die Helfer schon fünf Wochen im Einsatz, ohne dass sie Lohn erhielten.

In einer Betriebsversammlung am 16.10.1953 auf dem Bahnhof Neubrandenburg, wo zu zwei Paketabholern6 (Rangierer) Stellung genommen wurde, forderte die Mehrheit der Angestellten, die bevorstehende Entlassung dieser beiden rückgängig zu machen. Ein Angestellter sagte in der Diskussion: »Die Not zwang die Kollegen dazu, nach Berlin zu fahren.« Ein Mitglied der SED zeigte das schädliche Verhalten der beiden Arbeiter auf, wurde aber von den Anwesenden nicht unterstützt. Anschließend sprach wieder ein Angestellter: »Wenn ihr Freunde der Arbeiterklasse seid, dann kann man die Kollegen nicht entlassen.« Eine beantragte Abstimmung über die Entlassung wurde von der Versammlungsleitung abgelehnt. Daraufhin verließen die Anwesenden den Saal.

Vereinzelte Diskussionen werden über die gemischte Gesellschaft in den Wismut AG Betrieben geführt. Ein Telefonmeister (Objekt Annaberg) sagte: »Am 1.1.1954 werden wir bestimmt einen Lohnabbau bekommen.«

Von einer verbesserten FDGB-Beitragszahlung wird aus dem Bezirk Gera berichtet. Dort sind die Einnahmen von 881 330 DM im September höher als im Monat Mai, wo 807 564 DM Beiträge eingenommen wurden. Ähnliche Beispiele liegen auch aus anderen Bezirken vor. Im VEB Sekura, VEB Anlagenbau und VEB Aufzug, Berlin, werden ebenfalls sämtliche Beitragsrückstände nachgezahlt.

Zu einer größeren Betriebsstörung kam es am 21.10.1953, gegen 15.10 Uhr, in der Brikett-Fabrik Großkayna, Kreis Merseburg. Im Kühlhaus der Brikett-Fabrik wurden durch eine heftige Verpuffung zehn Personen durch Verbrennungen verletzt. Der Sachschaden beträgt ca. 50 000 DM. Seit dem 22.10.1953, 12.00 Uhr, ist die Produktion wieder angelaufen, jedoch ohne Kühlanlage.

b) Handel und Versorgung

Schwierigkeiten in der Versorgung der Bevölkerung mit Einkellerungskartoffeln wurden heute aus den Bezirken Potsdam, Karl-Marx-Stadt, Suhl und Berlin gemeldet. Die Ursachen sind in den überwiegenden Fällen auf das Fehlen von Transportraum zurückzuführen. In Berlin liegt der Stand der Kartoffelversorgung für die Bevölkerung bei 44,4 %, für Großverbraucher bei 34,9 %. Die Lieferrückstände der VEAB aus der DDR haben sich auf 14 500 t erhöht. Die dem Bezirk Karl-Marx-Stadt gelieferten Kartoffeln (aus Mecklenburg) weisen nicht immer eine gute Qualität auf. Trotzdem sich der Stand des Bezirks Suhl von 10 % am 15.10.1953 auf 50 % am 20.10.1953 erhöht hat, besteht noch immer die Gefahr, dass die Kartoffelversorgung nicht rechtzeitig (vor Einsetzen des Frostes) abgeschlossen werden kann. Der Stand der aus anderen Bezirken gelieferten Kartoffeln beträgt 30,9 %.

Weiterhin macht sich ein Mangel in der Versorgung mit Arbeitskleidung (besonders auf dem Lande), Winterkleidung und Haushaltsgegenständen in den Bezirken Neubrandenburg, Cottbus, Gera und Berlin bemerkbar. Werktätiger Bauer aus Ramin/Neubrandenburg: »Warum bekommen wir keine Bezugsscheine für Arbeitskleidung mehr, die wir täglich dringend benötigen.« Im Berliner Handel fehlt es an Wintermänteln in den Preislagen von 140 bis 180 DM. In verschiedenen Verkaufsstellen des Bezirkes Gera fehlt es an Eimern, Einweckgläsern, Bestecks usw.

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt ist in der Fleischversorgung eine ernste Situation eingetreten. So musste bereits in den Kreisen Aue und Reichenbach der Verkauf von HO-Fleisch eingestellt werden. Die Ursache ist das Fehlen von Schlachtvieh. In Berlin führte schlechte Arbeit bei Verwaltungsstellen in der Organisation, Planung und Preisbildung zum Stau bzw. zum Verderb von Waren. Bei der HO Berlin lagern ca. 100 000 Dosen und Gläser Fleischkonserven, die nicht abgesetzt werden können. Anfang August 1953 mussten 7 697 Dosen à 900 gr. rumänisches Schweinefleisch der Freibank zugeführt werden, da das Fleisch nicht mehr in einwandfreiem Zustand war. Ende August 1953 wurden 1 000 Gläser Rindergulasch der DHZ (L) zurückgegeben, da bereits ein Teil des Fleisches in Verwesung übergegangen war. Ebenfalls lagern 2 000 t Konserven bei der DHZ (L), bei denen die Garantiefristen abgelaufen sind. Das Gleiche ist bei 209 000 Dosen Fischkonserven (72 t) im Werte von 500 000 DM der Fall. Beim Einzelhandel können 240 000 Dosen Fischkonserven, die einen HO-Preis von 3,00 DM haben, nicht abgesetzt werden. In Berlin können infolge mangelhafter Qualität für 20 Mio. DM Zellwollprodukte nicht abgesetzt bzw. verarbeitet werden. Das Ministerium für Handel und Versorgung wurde am 24.8. und am 25.9.1953 von diesen Tatsachen verständigt, ohne dass etwas darauf veranlasst wurde.

c) Landwirtschaft

Bei politischen Fragen verhält sich die Landbevölkerung weiterhin zurückhaltend.

Bei Ablieferung von Kartoffeln und Rüben treten Schwierigkeiten in Waggongestellung ein, besonders in den Bezirken Neubrandenburg, Potsdam und Halle. Dies führt zu starken Verärgerungen der Bauern, da sie oft mehrmals die Kartoffeln zur Ablieferungsstelle fahren müssen. Die LPG Lütkendorf/Potsdam lagert 4 000 Ztr. Kartoffeln, da sie nicht verladen werden können. Grund: keine Waggons vorhanden. Ein Genossenschaftsbauer dieser LPG erklärte: »Wir können die Kartoffeln nicht spazieren fahren, dazu haben wir keine Zeit.« Ein werktätiger Bauer aus Rollwitz/Neubrandenburg: »Bei der Rübenverladung müssen wir oft drei Stunden und länger warten, weil keine Waggons vorhanden sind. Warum soviel Zeit vergeuden, wir haben noch andere Arbeit.«

Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde von der LPG Karlsfeld eine Rekordernte (315 dz pro ha) an Kartoffeln erzielt. Andere bäuerliche Betriebe im Kreis ernteten durchschnittlich 180 dz pro ha.

Großbäuerliche Elemente im Bezirk Magdeburg und Gera versuchen immer wieder, die Ablieferung zu hintertreiben. Sie haben folgende Gründe: zu hohes Ablieferungssoll, schlechte Ernte, keine Futtergrundlage, keine Arbeitskräfte. Großbauer aus Schönbrunn/Gera: »Ich habe jetzt keine Zeit zur Ablieferung, mir fehlen Arbeitskräfte. Ihr bekommt schon euer Zeug. Die Ölfrucht, die ich im Herbst angebaut habe, könnt ihr sowieso nicht mehr bekommen, da im Frühjahr der Ami da ist.«

Unter der Landbevölkerung (Bezirk Rostock, Frankfurt und Gera) wird zum größten Teil positiv über die Steuersenkung gesprochen. Vereinzelt werden aus diesem Anlass Verpflichtungen eingegangen. Landarbeiterfrau aus Reinberg/Rostock: »Durch die Lohnsteuersenkung kann ich monatlich 32,00 DM mehr ausgeben.« Die Kollegen der MTS Großkochberg/Gera verpflichteten sich aus Anlass der Steuersenkung, in einem Wettbewerb, das Zwei-Schichten-System einzuführen. In beiden Schichten wollen sie 20–30 Maschinen (90 % des Maschinenparks) einsetzen.

Starke negative Diskussionen unter der Landbevölkerung werden über die Stromversorgung geführt sowie über die unzureichende Düngemittelzufuhr. Werktätiger Bauer aus Wolfshagen: »Mit den dauernden Stromsperren geht es nicht so weiter. Unsere ganze Arbeit wird dadurch erschwert, da wir gerade in dieser Zeit füttern müssen.« Bauer aus Ebersbach/Karl-Marx-Stadt: »Es soll doch endlich einmal genügend Düngemittel zur richtigen Zeit zur Verfügung gestellt werden. Wie wir düngen, so wird auch die neue Ernte.«

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Ein Zurückhalten bei politischen Fragen ist weiterhin vorherrschend. Diskussionen über die Steuersenkung wurden heute aus den Bezirken Rostock, Dresden und Suhl bekannt. Der Inhalt ist in der Mehrzahl positiv. Dabei bringt man zum Ausdruck, dass hier die Regierung einen entscheidenden Schritt zur Verwirklichung des neuen Kurses getan hat. Schlosser der Boots- und Reparaturwerft Greifswald: »Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Früher zahlte ich 25,00 DM Lohnsteuer und jetzt nur noch 3,00 DM. Was ich jetzt mehr bekomme macht gerade die Miete aus. Die Regierung beweist damit, dass sie sich für den Arbeiter einsetzt, wo es nur geht.«

Verärgerung bzw. negative Diskussionen unter der Bevölkerung werden durch verschiedene Ursachen hervorgerufen. Die größte Unzufriedenheit wird durch Stromabschaltungen, die sich teilweise erhöht haben, verursacht (Eilenburg/Leipzig). Dabei beruft man sich auf den Beschluss der Regierung, dass ab 3. Quartal 1953 keine Abschaltungen mehr vorgenommen werden sollten. Da dies nicht eingetreten ist, zeigt man eine skeptische Haltung zum neuen Kurs. Weitere Ursachen sind die Preise in der HO, welche als zu hoch angesehen werden (Bezirk Suhl) und die diesjährige »geringe« Rückvergütung des Konsums (statt 3 % nur 1–2 %). Aufgrund dessen kam es bereits zu Austritten (Bezirk Cottbus, Leipzig, Dresden).

Friseur aus Zwickau: »So eine Schweinerei, abends den Strom abzuschalten. Das ist also der neue Kurs der SED. Die Herrschaften machen doch was sie wollen.« Hausfrau aus Ilmenau/Suhl: »Die Preise in der HO sind für die Arbeiter zu hoch. Jetzt muss man für eine Unterhose statt 8,00 wieder 15,00 bis 21,00 DM zahlen und für Herrenhosen 40,00 bis 70,00 DM statt 28,00 DM. Dies versucht man damit zu begründen, dass es bessere Qualität sei. Was hat das noch mit dem neuen Kurs zu tun.« Hausfrau aus Liebenwerda/Cottbus: »Was wollen wir noch im Konsum, Rückvergütung erhalten wir dieses Jahr nur 1,5 % und nächstes Jahr vielleicht überhaupt nichts.« In der Konsumverkaufsstelle Mühlberg/Cottbus wurden an einem Tage 15 Kündigungen abgegeben.

Die Bevölkerung des Bezirkes Potsdam ist durch die nächtlichen Schießereien, die im Zuge der Großfahndung nach faschistischen Banditen entstanden, beunruhigt worden.7 Am 21.10.1953 fand in Treuenbrietzen/Potsdam die Beisetzung eines von Banditen ermordeten VP-Angehörigen statt. Die Bevölkerung, mehrere Delegationen von Betrieben, Parteien und Massenorganisationen, nahmen an der Beisetzung zahlreich teil. Es wurden ca. 100 Kränze mitgeführt. Störungen und Zwischenfälle wurden nicht bekannt.

Organisierte Feindtätigkeit

Verstärkte Verbreitung von Flugblättern der NTS8 in den Bezirken Potsdam, Schwerin, vereinzelt in Berlin, Cottbus, Karl-Marx-Stadt, Neubrandenburg, Gera. In Karl-Marx-Stadt außerdem noch einzelne Flugblätter der KgU9 mit der Überschrift »Die Kampfgruppe«.

Am 23.10.1953, gegen 4.00 Uhr, wurde der VP-Unterwachtmeister Naumann bei der Streife an der Sektorengrenze Kiefholzstraße (Treptow) vom Westsektor aus durch Banditen erschossen.

Am 21.10.1953, gegen 7.25 Uhr, wurde an der Bahnstrecke Rostock–Ribnitz, ca. 1 km vor dem Bahnhof, die Leiche des Kleinbauern Otto Hoffmann, wohnhaft in Kuhlrade, Kreis Ribnitz, aufgefunden. H. ist Mitglied der SED, VVN und VdgB. Nach Feststellungen des Arztes wurde H. mit einem Hosenträger gewürgt und auf die Schienen gelegt. Die ermittelten Täter, [Name 1, Vorname], 20 Jahre alt, und der Arbeiter [Name 2, Vorname], 19 Jahre alt, beide in Ribnitz wohnhaft, sind flüchtig.

Am 21.10.1953, gegen 16.00 Uhr, sprach ein ČSR-Angehöriger verschiedene Waldarbeiter im Hinterhermsdorfer Forstgebiet (Bezirk Dresden) an. Er bot ein neues Fahrrad gegen 50 Zigaretten an. Ein Waldarbeiter, dem die Sache verdächtig vorkam, verlangte den Ausweis. Daraufhin zog der ČSR-Angehörige die Pistole. Geistesgegenwärtig wurde von dem Waldarbeiter dem ČSR-Angehörigen die Pistole abgenommen, wobei er vorher drei Schüsse abgab und den Waldarbeiter leicht verletzte. Der ČSR-Angehörige wurde der Grenzbereitschaft übergeben.

In Hohenwalde/Fürstenberg wurden in einer Scheune eines devastierten Betriebes drei Keilriemen von einem Dreschkasten, der Eigentum der MTS ist, durchgeschnitten. Die Täter sind unbekannt.

Im Kreis Greiz/Gera und in der Gemeinde Bahro/Frankfurt arbeiten die »Zeugen Jehovas«10 wieder aktiv. Im Kreis Schleiz/Gera wurde die Bevölkerung durch zwei Klebezettel zum Gottesdienst am 23.10.1953, 18.30 Uhr, der dem »Gedenken der noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen gewidmet ist«, eingeladen. In Saalburg/Gera wurden dieselben Einladungen bekannt.

An die DHZ Textil Luckenwalde/Potsdam wurden am 21.10.1953 drei Zeitungen »Die Wirtschaft«, deren Inhalt Hetze gegen die DDR und die SU ist, geschickt. Im Kreis Eilenburg/Leipzig ist das Gerücht im Umlauf, dass am 7. November 1953 neue Unruhen in der DDR erwartet werden.

In der Westberliner Zeitung »Der Tag« vom 21.10.1953 ist folgende Meldung veröffentlicht: »Stuttgart, 20.10.: Die Forderung nach einem ›monatlichen deutschen Päckchentag‹ wird von der Stuttgarter Wochenzeitung ›Christ und Welt‹ erhoben. Der Paketversand in die Zone, heißt es in dem Aufruf, ›muss zu einer festen Einrichtung in unserem Leben werden‹. Der Strom von Paketen sollte unvergleichlich stärker und regelmäßiger fließen als bisher.«11

Einschätzung der Situation

Die durch die Steuersenkung besonders in den Betrieben verbesserte Stimmung findet jetzt in Selbstverpflichtungen zur Steigerung der Produktion in größerem Maße ihren Ausdruck. Der Transportraummangel wirkt sich weiterhin oft hemmend auf die Produktion und die von der Bevölkerung viel kritisierte Kartoffelversorgung aus. Die in breiten Kreisen der Bevölkerung bestehende Unzufriedenheit über die Stromabschaltungen hält weiter an.

Anlage vom 22.10.1953 zum Informationsdienst Nr. 2001

Stimmung von Rückkehrern in das Gebiet der DDR

Wie aus vorliegenden Berichten zu ersehen ist, äußern sich Personen, die aus Westdeutschland in die DDR zurückgekehrt sind, positiv zu dem Regierungsbeschluss vom 11.6.1953.12 Allgemein wird zum Ausdruck gebracht, dass es ihnen nur dadurch ermöglicht wurde wieder in die DDR zurückzukehren und ein normales Leben zu führen. Freude wird über die unbürokratische Durchführung dieses Beschlusses geäußert. Besonders aber darüber, dass jeder sein ehemaliges Eigentum ohne Schwierigkeiten zurückerhält.

So äußerte sich z. B. Frau [Name 1], wohnhaft in Rakow, [Straße] (Bäuerin): »Ich bin glücklich, dass die Behörden Wort gehalten haben, so wie es die Regierung versprochen hat. Vor dem RIAS möchte ich jeden warnen, mich kriegen keine zehn Pferde mehr von meiner Wirtschaft, lieber will ich trockenes Brot essen, als drüben in elenden Massenquartieren zu leben.«

Frau [Name 2], Ehefrau eines selbstständigen Handwerkers (Autoreparaturwerkstatt in [Ort]): »Als wir im Rundfunk die Nachricht vernahmen, dass wir wieder zurückkehren können und in alle Rechte wieder eingesetzt werden, gab es für uns kein Halten mehr in Westberlin. Beim Grenzübertritt wurden wir sehr höflich und freundlich behandelt, auch in Verwaltungsstellen, wie z. B. beim Rat des Kreises, wurden wir sehr schnell und anständig abgefertigt. Ich bin der Meinung, dass, wenn die Regierung der DDR den von ihr beschlossenen Kurs weiterführt, sie die Zustimmung aller ehrlichen Menschen finden wird.«

[Name 3, Vorname], wohnhaft: Rudolstadt/Gera, [Straße Nr.], (Malermeister): »Meine Frau hat mich vor einigen Wochen drüben besucht und von den Maßnahmen unserer Regierung erzählt. Für mich stand fest, dass ich wieder in die DDR zurückkehre, obwohl ich dort als Meister gearbeitet hatte. Ich hoffe, dass ich mein Malergeschäft bald wieder eröffnen kann und werde alles daran setzen, den neuen Kurs unserer Regierung mit verwirklichen zu helfen.«

[Name 4, Vorname], Großbreitenbach, [Straße Nr.] (Arbeiter): »Ich bin froh, dass ich wieder in der DDR bin; in Westdeutschland habe ich keine Arbeit gefunden, wodurch es mir immer an Geld und dem Notwendigsten gefehlt hat. Hier habe ich wenigstens eine gesicherte Existenz und komme einigermaßen aus.«

Der Großbauer [Vorname Name 5] aus Heudeber/Magdeburg: »Über die Beschlüsse unserer Regierung bin ich angenehm überrascht. Bis jetzt bin ich überall anständig und höflich behandelt worden und habe meinen Hof in gutem Zustand zurückbekommen.« Zur Verordnung der Regierung über die Rückkehr der Bauern bis zum 15.10.195313 äußerte er: »Es geht auch nicht an, dass die Felder schließlich brachliegen bleiben oder durch die LPG bearbeitet werden und im Frühjahr kommt der Besitzer evtl. zurück und verlangt sein Besitztum.«

Der Landwirt [Name 6, Vorname] aus Wildberg/Potdam: »Die Maßnahmen, die von der Regierung eingeleitet wurden, waren uns nicht bekannt. Wenn Kollegen mir nicht mitgeteilt hätten, dass der Besitz Republikflüchtiger, welche bis zum 15.10.1953 nicht in die DDR zurückkehren, in staatliches Eigentum übergeht,14 hätten wir nichts gewusst. Ich mache deshalb den Vorschlag, den Beschluss zu verlängern, da diese Maßnahmen unserer Regierung den meisten Flüchtigen in Westdeutschland nicht bekannt sind.«

Der Bauer [Name 7, Vorname] aus [Ort], Kreis Großenhain, Nr. […] (Mühlenbesitzer und 14 ha große Landwirtschaft) äußerte: »Viele Bauern würden zurückkehren, wenn sie von irgendeiner amtlichen Stelle ein Schreiben bekämen, worin sie aufgefordert werden, ihre Betriebe wieder zu übernehmen.« Er sagte weiter: »Viele geflüchtete Bauern, die sich in Westdeutschland befinden, haben von dem neuen Kurs und der Möglichkeit einer Rückkehr in die DDR noch gar keine Ahnung.«

Nur vereinzelt wird in Äußerungen von Rückkehrern eine gewisse Missstimmung festgestellt. So äußerte sich z. B. der Großbauer [Name 8] aus Schönefeld/Halle: »Die Beschlüsse der Partei und Regierung sind sehr gut. In der Verordnung heißt es, dass jeder sein Eigentum zurückerhält. Bisher habe ich aber meine Wohnung noch nicht bekommen und meine Maschinen und landwirtschaftlichen Geräte sind zum größten Teil kaputt. Die Verwaltungsstellen aber anzusprechen, dass mein Betrieb wieder instand gesetzt wird, traue ich nicht.«

[Vorname Name 9] Havelberg, [Straße Nr.], Arbeiterin: »Aufgrund der Beschlüsse unserer Regierung bin ich zurückgekehrt. Bei den Behörden bin ich zuvorkommend behandelt worden. Da aber die Stadt nicht in der Lage ist, mir eine Wohnung zuzuweisen, wohne ich zzt. bei einer Arbeitskollegin. Wir sind jetzt in 1½ Zimmern drei Erwachsene und drei Kinder. Der Betrieb, in dem ich vorher gearbeitet hatte, verweigert meine Einstellung, da ich im 7. Monat schwanger bin. Man lässt mich sehr oft merken, dass ich Rückkehrer bin und behandelt mich nicht so, wie es die Gesetze vorsehen.«

Die Stimmung in den Flüchtlingslagern wird zum überwiegenden Teil als schlecht bezeichnet. Trotz dieser gedrückten und trostlosen Stimmung macht sich der Einfluss der westdeutschen Propaganda bemerkbar. In Zeitung, Rundfunk sowie Wochenschau im Kino, was den flüchtigen Personen zugänglich gemacht ist, wird eine wüste Hetze gegen die DDR getrieben. So wurden besonders die Ereignisse am 17.6.1953 groß aufgebauscht. Dazu kommt die ständige Beeinflussung durch die Lagerleitung, die versucht, durch ihre hetzerische Propaganda Personen von der Rückkehr abzuhalten.

So äußert sich der Großbauer [Name 10, Vorname] aus Nerchau-Würschwitz/Leipzig: »Die Zustände in den Lagern in Westberlin sind nicht zu beschreiben. Jeder ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Diebstahl ist an der Tagesordnung. Besonderes Interesse hatte der Amerikaner an solchen Bauern, die Spezialisten auf dem Gebiet des Zuckerrübenanbaues sind. Diesen wurden alle möglichen Versprechungen gemacht, um sich zur Auswanderung nach Kanada zu melden. Ein großer Teil ist diesem Angebot gefolgt.«

[Name 11, Vorname] aus Wesenberg/Neubrandenburg: »Mit dem Flugzeug wurden wir von Westberlin in das Lager Westerlimke15 nach Westdeutschland gebracht. Das Lagerleben ist schlecht. Ich darf gar nicht zurückdenken. Täglich kamen Personen, die unter den Flüchtlingen Propaganda gegen die Rückkehr in die DDR machten.«

Der Kraftfahrer [Name 12] aus Dessau-Ziebigk, [Straße]: »Die Stimmung in dem Spandauer Flüchtlingslager war sehr schlecht. Das Lager war in einem alten Fabrikgebäude untergebracht. Die Stimmung der Menschen dort war gegen den Westen gerichtet, weil man die Flüchtlinge betrogen hatte. Auf alle Fälle hatte sich der größte Teil etwas anderes vorgestellt. Durch Hetzpropaganda versucht man, Personen von einer Rückkehr in die DDR abzuhalten. Zum Beispiel: ›Du wirst bald sehen, wie du verreckst in der Hungerzone‹ und dgl.«

[Name 13, Vorname] aus Thale, Kreis Quedlinburg: »Die Stimmung in den Flüchtlingslagern in Westberlin und Westdeutschland ist nicht besonders. Man hat diesen Leuten viel versprochen, aber wenig gehalten. Eine große Unzufriedenheit ruft der Wohnungsmangel hervor. Wenn die meisten Flüchtlinge wüssten, wie leicht die Rückkehr in die DDR ist, würden sich zu diesem Schritt viel mehr Flüchtlinge entschließen. In Wirklichkeit sieht es so aus, dass die Flüchtlinge und die Bevölkerung in Westdeutschland durch Lügen in Rundfunk und Presse über die Situation in der DDR falsch unterrichtet werden.«

Der Baugeschäftsbesitzer [Name 14, Vorname] aus Barth/Rostock: »Wer in einem Lager ist, hat nicht gleich die Gelegenheit, wieder herauszukommen. Die jungen Menschen versucht der Amerikaner für seine Söldnerarmee zu gewinnen. Unter dem Deckmantel Auswanderer und Jungarbeiter für Kanada und Frankreich zieht man die jungen Menschen aus Deutschland heraus und presst sie in die Söldnerarmee.«

Die Stimmung in den Lagern ist so, dass viele zurückkehren würden, wenn sie wüssten, was in der DDR los ist.

Der Jugendliche [Name 15] aus Zeitz, [Straße Nr.] »Der Lagerleiter im Lager Bostel16 in Westdeutschland beeinflusste Jugendliche, nicht an ihre Eltern und Verwandte zu schreiben. Unter anderen wurde auch ich untersucht und in Pischnertal17 in ein Erholungslager gebracht. Hier versuchte man, Jugendliche betrunken zu machen und in diesem Zustand sollten sie einen Schein unterschreiben.«

Der Landwirt [Name 16, Vorname] aus Beesenlaublingen/Halle: »Die meisten Zeitungen schreiben schlecht von der armen Ostzone. Wochenschau im Kino und der Rundfunk beeinflussen die Menschen sehr stark. Dadurch werden viele schwankend, auch mir ging es so ähnlich.«

Der Musiker [Name 17, Vorname] aus Wittstock, [Straße Nr.]: »Die Ereignisse vom 17.6.1953 wurden im Lager durch Zeitungen und Diskussionen in hetzerischer Weise verbreitet. Von der Lagerleitung wurde eine starke Hetze gegen die Rückkehr in die DDR betrieben, so z. B., man würde nach der Rückkehr zur Verantwortung gezogen, alles würde einem abgenommen und dgl.«

Großbauer [Name 18, Vorname] aus Plötzkau/Halle: »Die ständige Beeinflussung geschieht nicht offiziell, jedoch nicht eine Zeitung bringt etwas über den Regierungsbeschluss und den neuen Kurs der Regierung. Der 17.6.1953 wurde dagegen sehr groß aufgebauscht, so als wenn in der DDR alles drunter und drüber ginge. Ich selbst habe nicht eine einzige Stelle gefunden, die gesagt hätte, ihr könnt mit ruhigem Gewissen wieder zurückfahren.«

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