Direkt zum Seiteninhalt springen

Tagesbericht

28. Oktober 1953
Informationsdienst Nr. 2005 zur Beurteilung der Situation

Die Lage in Industrie, Verkehr, Handel und Landwirtschaft

a) Industrie und Verkehr

Auch heute nimmt die durchgeführte Preissenkung1 den größten Raum der Diskussionen in den Betrieben ein. Dabei wird von den Arbeitern das Vertrauen zur Partei und Regierung weiterhin durch Normerhöhungen, Selbstverpflichtungen, Abschluss von Massenwettbewerben und teilweise durch Anträge zur Aufnahme als Kandidat in die SED verstärkt zum Ausdruck gebracht. Negative Stellungnahmen zur Preissenkung sind auch heute verhältnismäßig wenig vorhanden. Dazu sind jedoch Beispiele bekannt, wo die Betriebsarbeiter den Provokateuren die entsprechende Antwort erteilen. Nachfolgend einige Beispiele:

In der Reichsbahn-Bau-Union Dresden erhöhte eine Brigade bei der Mörtelzubereitung, in der Materialbe- und -entladung ihre Norm um 10 %. Die Kollegen der Schlosserei des Kreisbauhofes Prenzlau/Neubrandenburg erhöhten ihre Norm freiwillig um 10 %. Im Gummiwerk Heidenau, Kreis Pirna, verpflichteten sich 33 Kolleginnen, dem Beispiel von Frida Hockauf zu folgen.2 Das Ergebnis dieser Verpflichtung ist die zusätzliche Produktion von 2 000 Reifenrohlingen und 1 128 vulkanisierten Reifen. Die Belegschaft des Mühlenwerkes in Fürstenberg/Potsdam beschloss anlässlich der Preissenkung dem Aufruf des Kunstfaserwerkes »Wilhelm Pieck«3 zu folgen und sich im 4. Quartal am Massenwettbewerb zu beteiligen.

Ein Dreher der Mathias-Thesen-Werft Wismar bat aufgrund der letzten Maßnahmen von Partei und Regierung um Aufnahme als Kandidat in die SED. Im Schachtkombinat Annaberg, Schacht Auerbach, verpflichteten sich drei Jugendbrigaden Stoßschichten zu fahren. Im VEB Schultheiss Berlin haben sechs Abteilungen durchschnittlich ihre Norm um 5–8 % freiwillig erhöht. Im VEB Secura Berlin wurde ein Antrag auf generelle Normerhöhung um 1 % eingebracht. Dieser Antrag wurde jedoch sofort durch den Parteisekretär erklärt und mit der Begründung, dass es keine generellen Normerhöhungen gibt, abgelehnt. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Normerhöhungen nur auf freiwilliger Basis vorgenommen werden können.

Zur Bekanntgabe der Preissenkung durch den Genossen Otto Grotewohl sagte ein parteiloser Arbeiter des VEB Druckhaus Berlin: »Am Sonnabend habe ich die Rede von Grotewohl gehört und bin begeistert, wie humoristisch er diesmal gesprochen hat, bisher redete er immer so ›diktatorisch‹. Wenn er aber immer so spricht wie am Sonnabend, dann höre ich mir seine Reden immer an.«

Aus verschiedenen Berliner Betrieben wird gemeldet, dass sofort nach der beschlossenen Steuersenkung Steuerbescheide von der Kirche an die Arbeiter geschickt wurden. Daraufhin wollen mehrere Arbeiter und Angestellte des TRO »Karl Liebknecht« geschlossen zum Bezirksgericht fahren und aus der Kirche austreten.

Unter den wenigen negativen Diskussionen sind solche, wie die eines Arbeiters des Stahlwerkes Silbitz/Gera, der einen Monatsverdienst von 700 DM und außerdem eine kleine Landwirtschaft besitzt: »Die Fettpreise sind immer noch zu hoch und zu wenig Fett ist ebenfalls vorhanden. Mich kann niemand überzeugen, da kann kommen wer wolle.«

Ein Arbeiter des Braunkohlenwerkes »Glückauf« Hoyerswerda/Cottbus: »Was nützt das, wenn die Reifen der Lkws billiger sind. Wir Arbeiter haben keine Autos, sodass die Senkung nur für die Bonzen geschehen ist.«

Ein Beispiel, wie die Arbeiter den ewigen Meckerern und Provokateuren entgegentreten, aus der Neptunwerft Rostock: Der Angestellte [Name] der Abteilung Einkauf, der monatlich mit seiner Ehefrau ca. 850 DM verdient, sagte: »Was sind schon 540 Mio. DM bei 18 Mio. Menschen, das ist nicht mehr als ein Almosen.« In einer Kurzversammlung, die durch die BPO einberufen wurde, konnte dieser Angestellte durch das Auftreten der klassenbewussten Arbeiter entlarvt werden. Daraufhin wurde seine Entlassung gefordert. Anschließend brachten die Arbeiter den W. zum Werkstor und riefen ihm nach: »Lass dich bloß nicht wieder in einem VEB sehen.« W. war von 1935 bis 1945 im Wehrbezirkskommando tätig. Früher war er Leiter einer Stettiner Bank.

b) Handel und Versorgung

Missstimmung wurde teilweise bei den HO-Angestellten in den Bezirken Neubrandenburg, Leipzig, Potsdam und Halle festgestellt. Grund dafür war die zu spät erfolgte Anweisung des Ministeriums der Finanzen, wonach Haushaltsgeschirr aus der Preissenkung herauszunehmen ist. So z. B. war unter der Belegschaft der HO Industriewaren Belzig eine gute Stimmung zu verzeichnen. Als aber vom Rat des Kreises die Anweisung kam, dass Kochtöpfe, Emaillewaren und dgl. wieder in die alte Preisklasse einzusetzen sind, schlug diese Stimmung um. Die Angestellten hatten gerade ihre Arbeit beendet. Es konnten Diskussionen festgestellt werden wie z. B.: »Wenn eine Preissenkung bekannt gegeben wird, muss diese auch in vollem Umfange durchgeführt und nicht teilweise widerrufen werden.«

Schwierigkeiten in der Fleischversorgung werden aus den Kreisen Zwickau und Reichenbach/Karl-Marx-Stadt bekannt. Um den Bedarf der Bevölkerung mit Frischfleisch auf Karten zu decken, muss die Fleischverkaufssperre in der HO weiterhin aufrechterhalten werden. Dazu werden Diskussionen bekannt, dass die Preissenkung nichts nützen würde, wenn die erforderliche Ware nicht vorhanden sei. Schwierigkeiten in der Fleischversorgung werden auch aus den Kreisen Eisleben und Quedlinburg/Halle berichtet.

Eine Überprüfung durch den Abschnittsbevollmächtigten der VP in Neustrelitz ergab, dass in einem Konsumgeschäft für Industriewaren die Preise für Rundfunkempfänger nicht gesenkt wurden, desgleichen verkauften einige Gaststätten das Bier zum alten Preis.

c) Landwirtschaft

Die positiven Diskussionen und freudige Stimmung über die von Partei und Regierung beschlossene Preissenkung halten weiterhin an. Änderungen in der Argumentation gegenüber den Vortagen sind nicht zu verzeichnen. Um das Vertrauen zur Partei und Regierung zu beweisen, gingen teilweise Mitglieder der LPG und Arbeiter der MTS Selbstverpflichtungen ein. Negative Diskussionen sind weiterhin nur in geringem Maße festzustellen. Nachfolgend einige Beispiele:

Die Belegschaft der MTS Felgentreu4/Potsdam beschloss, dem Aufruf des Kunstfaserwerkes »Wilhelm Pieck« Folge zu leisten und ihren Jahresplan bis zum 7.11.1953 zu erfüllen.

Ein Traktorist der MTS Seelow/Frankfurt verpflichtete sich, seinen Jahresplan mit 120 % zu erfüllen. Ein anderer Traktorist verpflichtete sich, bis Jahresende seine rückständigen FDGB-Beiträge zu bezahlen.

Die Mitglieder der LPG Wolde/Neubrandenburg verpflichteten sich, zusätzlich 48 Schweine auf Mastvertrag und 42 Schweine auf freie Spitzen5 zu liefern.

Die LPG Staitz und Göhren/Gera, die in guter kollektiver Arbeit die Herbstbestellung bereits am 15.10.1953 abgeschlossen haben, verpflichteten sich, dem Beispiel von Frida Hockauf nachzueifern und je zwei Schweine über das Soll hinaus zu normalen Preisen sowie sechs Schweine auf freie Spitzen zu liefern.

Ein Landmaschinenschlosser der MTS-Spezialwerkstatt Neubrandenburg: »Ich bin über die Preissenkung sehr erfreut. Um noch besser mitarbeiten zu können, bitte ich um Aufnahme als Kandidat der SED

Ein Mittelbauer aus Heiligenhagen/Rostock: »Ich selbst habe an den Beschlüssen der Regierung gezweifelt. Aber alle Zweifel sind durch die Preissenkung zerstört. Meine Aufgabe wird es nun sein, aktiver an der Erfüllung aller Pläne mitzuarbeiten.«

Ein Kleinbauer aus Duckwitz6/Neubrandenburg: »Mit der neuen Preissenkung hat unsere Regierung einen weiteren Schritt zur Einheit Deutschlands getan. Der RIAS kann mit seinem Geschrei aufhören und Adenauer soll machen, dass er über den Teich kommt.«

Ein Großbauer aus Mahdel/Cottbus: »Was soll werden, wenn durch die Preissenkung vielleicht die freien Spitzen wegfallen, dann haben wir Bauern überhaupt keine Einnahme mehr.«

Ein werktätiger Bauer aus Gusow/Frankfurt: »Wenn man schon eine Preissenkung macht, dann soll man auch endlich die Stromsperren aufheben, wir sind viel zu ruhig, sonst hätten wir keine Stromsperren mehr.«

Stimmung der übrigen Bevölkerung

Auch unter der übrigen Bevölkerung hält die freudige Stimmung über die von Partei und Regierung beschlossene und durchgeführte Preissenkung an. Dies kommt besonders in positiven Diskussionen und Meinungsäußerungen zum Ausdruck. Negative Diskussionen sind verhältnismäßig nur gering festzustellen.

Ca. 100 Belegschaftsangehörige der VEAB Liebenwerda/Cottbus verpflichten sich aufgrund der Steuerermäßigung und Preissenkung, den Teil des Lohnes, der durch die Steuerermäßigung mehr ausgezahlt wird, dem Aufbauprogramm zur Verfügung zu stellen.

Eine Hausfrau aus Geithain/Leipzig: »Erst vor Kurzem sagte mir mein Mann, dass er durch die Lohnsteuersenkung 20,00 DM mehr verdient. Das war für mich schon eine große Freude. Über die Preissenkung aber freue ich mich doppelt. Da ich sehe, dass es in der DDR vorwärts geht, werde ich als Mitglied dem DFD und der DSF beitreten.«

Ein Rentner aus Gera: »Ich bin sehr erfreut und der Regierung dankbar über die Preissenkung. Ich sehe nun, dass es die Regierung ernst nimmt und alle Anstrengungen macht, den neuen Kurs zu verwirklichen.«

Hausfrau aus Ueckermünde: »Die Regierung hat die Lehren aus dem 17.6. gezogen und versucht nun, durch die Preissenkung das Volk wieder zu beruhigen.«

Eine Angestellte der Konsumverkaufsstelle Neubrandenburg: »In letzter Zeit sind verschiedene Sachen, wie z. B. Mäntel, im Preis derart gestiegen, sodass durch die Preissenkung noch nicht einmal der Preis vom vergangenen Jahr erreicht wird.«

Organisierte Feindtätigkeit

Aus dem Bezirk Gera wird verstärkte Verbreitung von Flugblättern gemeldet, vereinzelt aus den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Rostock, Dresden und Potsdam. In der Mehrzahl handelt es sich um Flugblätter der NTS,7 KgU8 und SPD.9

Am 24.10.1953, gegen 19.35 Uhr, wurde ein VP-Hauptwachmann auf der Autobahn Berlin-Dresden in Höhe des Ortes Bathow10/Cottbus angeschossen. Sachverhalt: Ein Krad aus Richtung Berlin, mit zwei Mann besetzt, fuhr auf den VP-Angehörigen, der auf einen Kameraden wartete, zu. Kurz vor dem Standort des VP-Angehörigen wurden vom Beisitzer des Krades drei Schüsse auf ihn abgefeuert. Trotz einer Verwundung des VP-Angehörigen am linken Unterarm gab er ebenfalls drei Schuss auf die Täter, die in Richtung Dresden davonfuhren, ab, die jedoch ohne Erfolg waren.11

Am 25.10.1953, gegen 23.00 Uhr, wurde ein Angehöriger der KVP auf einem Waldweg im Kreis Cottbus von einer unbekannten männlichen Person angehalten. Von dieser wurden dem KVP-Angehörigen die Schulterklappen abgerissen und das Feuer wahrscheinlich mit KK12 auf ihn eröffnet. Der KVP-Angehörige wurde nicht verletzt.

Aus dem Bezirk Schwerin wird bekannt, dass der Vorsitzende des Rates des Bezirkes ein gefälschtes Rundschreiben mit dem Absender »Neues Deutschland«, Bezirksredaktion Schwerin, erhielt. In diesem Schreiben wird der Bezirk Neubrandenburg als Musteragrarbezirk zur Auszeichnung vorgeschlagen und zu einer Festtagung am 30.10.1953 in Neubrandenburg eingeladen. Außerdem sollen aus jedem Bezirk acht Teilnehmer dazu entsandt werden. Der Poststempel ist Berlin N 4.

Am 24.10.1953, gegen 22.00 Uhr, wurde in Stralendorf/Schwerin der 2. Vorsitzende der dortigen LPG von zwei Genossenschaftsbauern niedergeschlagen.

In einer RIAS-Sendung vom 26.10.1953 wird die Jugend in der DDR aufgefordert, die Verlängerung der Lehrzeit zu fordern, um später im geeinten Deutschland im Konkurrenzkampf bestehen zu können. Des Weiteren werden die FDJ-ler zur Bildung russischer Sprachzirkel aufgefordert, um zu den russischen Soldaten Verbindungen aufnehmen zu können und ihnen zu zeigen, dass die FDJ-ler »nicht so linientreu sind wie ihre Blauhemden«. In einer anderen Sendung wird zur Preissenkung Stellung genommen und diese vom Kommentator begrüßt. Gleichzeitig wird betont, dass es jedoch eine andere Frage ist, ob genügend Waren vorhanden sind, wenn mehr Leute für das gleiche Geld mehr kaufen können.

Einschätzung der Situation

Erhöhte Produktionsleistungen, zahlreiche Wettbewerbsabschlüsse, freiwillige Normenerhöhung, Verpflichtungen zur Verbesserung und Erhöhung der Produktion und zur vorfristigen Planerfüllung kennzeichnen die Lage in vielen Betrieben. So unterstützen die Belegschaften den neuen Kurs von Partei und Regierung. Auch in den MTS und LPG entwickelt sich die Bereitschaft zur Unterstützung der Politik der Regierung. Das Vertrauen zur Regierung hat sich auch in der übrigen Bevölkerung gefestigt. Die negativen Diskussionen sind stark zurückgegangen. Die Versuche des Gegners, die positive Stimmung zunichte zu machen, haben keinen Erfolg.

  1. Zum nächsten Dokument Paratyphus-Ausbruch im Bezirk Cottbus

    28. Oktober 1953
    Sonderinformation [Information Nr. 6/53]

  2. Zum vorherigen Dokument Lage in der ersten Oktoberhälfte

    [Ohne Datum]
    Analyse vom 1. bis 15. Oktober 1953 [Nr. 3/53]