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Lage in der DDR (48) 29.–30.11.

30. November 1956
Information Nr. 367/56 – Betrifft: Lage in der Deutschen Demokratischen Republik (vom 29.11.1956, 8.00 Uhr, bis 30.11.1956, 8.00 Uhr, eingegangenes Material)

I. Industrie und Verkehr

Dresden

  • Am 28.11.1956 sollte in der Schachtanlage Gittersee/Freital an einer reparaturbedürftigen Maschine ein Kabel abmontiert werden, welches jedoch mit einem anderen Kabel verwechselt wurde. Dadurch entstanden vier Stunden Produktionsausfall = 20 t Kohle = 800 DM.

  • In Deutsch Ossig, [Kreis] Görlitz, musste am 27.11.1956 mittags die Turbine des VEB Elma-Werkes wegen Hochwasser abgeschaltet werden.

  • Im VEB Linoleumwerk Kohlmühle, [Kreis] Sebnitz, entstand erheblicher Produktionsausfall durch Mangel an Igelitpulver vom VEB Chemische Werke Buna. Die Walzerei des Betriebes steht seit dem 26.11.1956 still. Dadurch sind die Exportlieferungen nach der Sowjetunion gefährdet.

  • Im VEB Hartpappen- und Fasergusswerk Polenz,1 [Kreis] Sebnitz, herrscht unter den Arbeitern Verärgerung über die Prämienzahlung für das III. Quartal 1956. Die Prämien für die Angestellten betragen insgesamt 22 000 DM und für die Arbeiter nur 2 000 DM. Die Summe wurde so aufgeschlüsselt, dass jeder 10,00 DM erhält. Die Kollegen wollen sonntags nicht mehr arbeiten, »wenn die Angestellten, die sowieso mehr Gehalt haben, noch die erarbeiteten Gelder der Arbeiter bekommen.«

  • In der Nacht zum 25.11.1956 wurde im VEB Eisengießerei Radeberg von einer unbekannten Person eine Wasserleitung aufgedreht. Dadurch wurde in einer Betriebshalle der Formsand durchnässt, wobei ein Schaden von ca. 500 DM entstand.

  • In Görlitz ist zzt. die Gasversorgung sehr schlecht. Die Bevölkerung ist verärgert, weil sie nicht mit Gas kochen kann, da der Gasdruck nur 20 mm beträgt.2 Auch im VEB Waggonbau entstehen durch die mangelhafte Gasversorgung Produktionsstörungen. Verhandlungen der HV Gas mit Warschau waren ohne Ergebnis. Versorgung erfolgt von Waldenburg (VR Polen).

Erfurt

  • Im VEB Schuhfabrik »Paul Schäfer« Erfurt kam es zu Unstimmigkeiten der Arbeiter wegen der Prämienzahlung an die Angestellten. Die Arbeiter forderten von der Werkleitung und der BGL darüber Rechenschaft, worauf diese jedoch nicht reagierten. Die Arbeiter äußerten: »Diejenigen, die die Werte schaffen, bekommen nichts und die anderen erhalten die Prämien.«

II. Landwirtschaft

Dresden

  • Im Volksgut3 Rennersdorf, [Kreis] Sebnitz, waren am 24.11.1956 noch 5 ha Pflanzkartoffeln im Boden. Diese sind jetzt als Pflanzgut unbrauchbar geworden und können nur noch als Futterkartoffeln verwendet werden. Außerdem verendeten im November 40 Schweine, was in der Umstellung von Getreide- auf Kartoffelfütterung begründet wird. [sic!]

  • Am 28.11.1956 brach bei einem Mittelbauern in Sacka, [Kreis] Großenhain, ein Scheunenbrand aus. Vorläufiger Gebäudeschaden ca. 25 000 DM. Sachschaden konnte noch nicht festgestellt werden.

Erfurt

  • Am 26.11.1956 wurden in der Scheune der LPG in Niedertopfstedt,4 [Kreis] Sondershausen, an einer Dreschmaschine durch Messerschnitte fünf Treibriemen beschädigt.

Leipzig

  • Das Handelskontor für Zucht- und Nutzvieh in Leipzig hat mit mehreren Bauern der Gemeinde Quesitz, [Kreis] Leipzig-Land, Aufzuchtverträge abgeschlossen, kann aber wegen Futtermangel der Leipziger Schweinemasterei kein Vieh abnehmen. Die Bauern sind darüber unzufrieden, da dadurch bei ihnen ebenfalls Futterschwierigkeiten eintreten.

  • Aus dem MTS-Bereich Rositz, [Kreis] Altenburg, und von der LPG Gerstenberg, [Kreis] Altenburg, wollen viele Landarbeiter in die Industrie überwechseln, da sie dort besser bezahlt werden.

  • Auf der LPG »Max Reimann« in Dölzig, [Kreis] Leipzig[-Land], brach infolge ungenügenden Abdämpfens des gesammelten Futters die Schweinepest aus. Bisher wurden auf Veranlassung des Kreistierarztes 19 Zuchtsauen mit 119 Ferkeln, 14 tragende Sauen, ein Eber, 13 Mastschweine und 40 Läufer geschlachtet. Das Gehöft der LPG wurde gesperrt.

III. Versorgung

Erfurt

  • Im gesamten Bezirk Erfurt gibt es keine HO-Butter zu kaufen. HO-Öl und Margarine fehlen im Kreis Sondershausen.

  • Langensalza klagt über schlechte Belieferung mit HO-Eiern.

  • Das Fehlen von Mandeln für die Weihnachtsbäckerei löst unter den Hausfrauen negative Diskussionen aus.

IV. Feindtätigkeit

Dresden

  • Am 26.11.1956 wurden in der Garderobe und in einem Klosett des Walzwerkes im VEB Edelstahlwerk Freital Schmierereien gegen die Regierung der DDR und gegen die SED angebracht.

  • Am 27. und 28.11.1956 wurde in der Toilette des VEB IFA Wilsdruff, [Kreis] Freital, eine Hetzlosung gegen die SU und gegen Regierungsmitglieder der DDR angeschmiert.

Halle

  • Am 25.11.1956 an zwei Hauswänden in Artern je eine Hetzlosung gegen die Kommunisten angeschmiert.

  • Am 25.11.1956 in der Filmfabrik Wolfen, [Kreis] Bitterfeld, eine Hetzlosung gegen die SU mit Teerfarbe angeschmiert.

  • Am 25.11.1956 im Fortschrittschacht II in Eisleben eine Hetzlosung gegen Walter Ulbricht angebracht.

  • Am 26.11.1956 wurden am Bahnhof in Dessau drei selbstgefertigte Flugblätter in Druckschrift gefunden.

Leipzig

  • Im Klosett des VEB BBG-Werk III in Leipzig wurden am 26., 27. und 28.11.1956 Hetzlosungen gegen die SU mit Bleistift angeschmiert.

V. Anonyme Briefe

Leipzig

  • Am 28.11.1956 erhielt die Grundschule Mölkau wiederholt einen Brief durch die Post zugestellt. Inhalt: Hetze im Zusammenhang mit Ungarn5 und provokatorische Forderungen, den »Stalinismus in den Schulbüchern abzuschaffen«. Absender: FDJ-Gruppe für gesamtdeutsche Fragen Leipzig C 1, Markgrafenstraße 25.

  • Der Rat der Stadt Leipzig erhielt durch die Post in einem Umschlag eine anonyme Karte mit Hetze gegen die SU.

Erfurt

  • Der Bürgermeister von Finsterbergen, [Kreis] Gotha, erhielt am 23.11.1956 einen anonymen Drohbrief mit zwei Hetzschriften »Die Wahrheit«.6

  • In Erfurt erhielten zwei Familien die Hetzschrift die »Einheit« durch die Post zugestellt.7

  • Am 27.11.1956 wurden auf der Autobahn bei Bechstedtstraß, [Kreis] Weimar, ca. 500 Hetzschriften des SPD-Ostbüros verstreut aufgefunden.8 Einschleusung erfolgte vermutlich durch Ballon.

VI. Besondere Vorkommnisse

Halle

  • Vom 13.11. bis 22.11.1956 erkrankten in drei Internaten der pädagogischen Schulen für Kindergärtnerinnen in Dessau 93 Schülerinnen. 54 wurden bis zum 24.11.1956 in das Krankenhaus eingeliefert. Die Untersuchungen ergaben in sechs Fällen Ruhr.

Potsdam

  • Am 25.11.1956 kam es in einer Gaststätte in Treskow, [Stadtteil von] Neuruppin, zu einer Schlägerei zwischen zwei Angehörigen der Nationalen Volksarmee in Zivil und Zivilisten. Die Angehörigen der NVA waren betrunken und hatten die Gäste belästigt. Einer von beiden wurde am Kopf verletzt.

  • Am 28.11.1956 rutschten am Damm durch den Templiner See beim Herausdrücken einer Schlammlinse durch Anspülen von Sand 4 000 m Bodenmasse vom Damm in den See. Beeinflussung des Verkehrs soll nicht erfolgt sein. Der Personen- und Güterverkehr soll am 15.12.1956 aufgenommen werden.

  • Durch einen schadhaften Rauchfang brach in der alten Schmiede des VEB Möbelbeschläge Werk 2 in Luckenwalde am 27.11.1956 ein Brand aus, der beim Abbrennen von Nitro-Sieben [sic!] entstand. Der Schaden beträgt ca. 50,00 DM.

Erfurt

  • In der Nacht zum 20.11.1956 kam es im VEB Flachswerk Ohrdruf,9 [Kreis] Gotha, zu einer Arbeitsniederlegung. Der BGL-Vorsitzende und ein Brigadier hatten im betrunkenen Zustand im Betrieb während der Nachtschicht die Frauen mit Schimpfworten und üblen Beleidigungen wie »Russenhure« usw. belegt, worauf diese ihren Arbeitsplatz von 23.45 Uhr bis gegen 2.00 Uhr verließen. Durch den herbeigeholten Werkleiter trat wieder Ruhe ein.

  • Am 26.11.1956 wurde im Sägewerk des VEB Möbelwerke Eisenach ein Metallkeil an einem Zahnrad befestigt. Vermutlich sollten dadurch Zähne ausbrechen, um Produktionsausfall zu verursachen. In der Nacht zum 28.11.1956 entstand in der Abteilung Arbeit der Energieversorgung Erfurt ein Zimmerbrand durch einen elektrischen Heizofen, der unter einem Schreibtisch stand. Der entstandene Schaden beträgt ca. 6 000 DM.

Anlage zur Information Nr. 367/56

Betrifft: Diskussionen zur Rentenerhöhung

Vom größten Teil der Bevölkerung wird zur Erhöhung der Renten positiv diskutiert.10 In vielen Diskussionen kommt zum Ausdruck, dass man nicht mit so einer umfangreichen Erhöhung gerechnet hat. Es wird vielfach erklärt, dass die Regierung sich um die Rentner sorgt und an sie denkt. Besonders erfreut sind die Rentner, dass diese Erhöhung vor Weihnachten kommt.

Die negativen Diskussionen sind nur gering. Sie besagen:

  • »dass die Rentenerhöhung durch die Abschaffung der Lebensmittelkarten11 und eine damit verbundene Erhöhung der Preise keine Verbesserung der Lebenslage der Rentner bringt«.

  • »dass es nur aus Angst vor ähnlichen Aktionen wie in Ungarn zur Rentenerhöhung kam«.

Zu beachten ist, dass die negativen Diskussionen von Industrie- und Landarbeitern – sehr selten von Rentnern – geführt werden. In einigen Diskussionen wird zum Ausdruck gebracht, dass die Waisen und Halbwaisen zu kurz gekommen sind.

Beispiele:

  • Eine 87-jährige Rentnerin aus Plauen sagte, »dass ich so etwas in meinen alten Tagen noch erleben darf, ist sehr schön. In meinem ganzen Leben musste ich mit meinen Kindern kümmerlich leben, weil mein Mann schon frühzeitig gestorben war.«

  • Eine 80-jährige Rentnerin, welche ebenfalls in Plauen wohnhaft ist, sagte: »Ich habe nicht gedacht, dass die Rente um 30,00 DM erhöht wird, ich habe auch nicht daran geglaubt, dass die Regierung für uns alten Rentner noch so sorgt. Das ist aber lobenswert.«

  • Ein Rentner aus Gelenau, [Kreis] Zschopau, sagte: »Ich hätte nie geglaubt, dass die Rente um 30,00 DM erhöht würde. Bei mir ist die Freude groß und das Vertrauen zum Staat und zur Regierung hat sich dadurch gefestigt.«

  • Ein Arbeiter aus der Tischlerei der medizinischen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig äußerte: »dass er sehr zufrieden ist, dass die Rentenerhöhung mehr ausmacht, als im Allgemeinen angenommen wurde«.

  • Der parteilose Rangierarbeiter vom Bahnhof Altenburg sagt: »Wenn die Rentner monatlich DM 30,00 mehr bekommen, dann wird es bestimmt auf einer anderen Seite wieder teurer. Das Geld muss doch wieder reinkommen. Die Regierung hat ja kein Geld, die pfeifen auf dem letzten Loch.«

  • Ein Rentner aus Altenburg, [Bezirk] Leipzig, ehemaliger SPD-Funktionär, aus der SED ausgeschlossen, äußerte: »Wenn die Regierung gewollt hätte, könnte die Rente auch um 50,00 DM erhöht werden. Das wäre aber nicht möglich, da Millionen in die kommunistischen Länder reingepumpt werden müssen, damit sie ruhig bleiben.«

  • In der Abteilung Forschung des RFT Kondensatorenwerk Gera diskutiert ein Mitglied der SED: »Es ist nur wieder mal ein Brocken, den man den Rentnern vorwirft, um ihn nach der Abschaffung der Lebensmittelkarten wieder durch erhöhte Preise zurückzuerhalten.«

  • Ein Brigadier, Mitglied der SED, von der MTS Tesdorf, [Kreis] Grevesmühlen, sagte: »Die Rentenerhöhung zu dieser Zeit soll nur eine Beruhigungspille für die Menschen in der DDR sein.«

  • Ein LPG-Mitglied aus Döbeln, [Bezirk] Leipzig, sagt: »Wenn die Sache in Ungarn nicht gewesen wäre, hätten unsere Rentner noch nichts bekommen. Unsere Regierung hat Angst und Bange, dass es bei uns wie in Ungarn kommt.«

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