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Stimmung zur III. Parteikonferenz der SED (7)

29. März 1956
III. Parteikonferenz der SED (7. Bericht) [Information Nr. M76/56]

Die zunehmenden Diskussionen zur III. Parteikonferenz1 beschäftigen sich auch weiterhin noch vorwiegend nur mit den Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht über die Verbesserung der Lebenslage.2 Vereinzelt wurden auch Diskussionen zu angesprochenen politischen Fragen, besonders der Frage der Vermeidbarkeit der Kriege bekannt.3 Die Diskussionen sind in der Mehrzahl positiv. In den Diskussionen über die Verkürzung der Arbeitszeit4 und die Erhöhung der Renten5 kommt zum Ausdruck, dass die Arbeiter erkennen, dass diese Fragen Erfolge ihrer bisherigen Arbeit sind und die Realisierung nur möglich ist, wenn in den Betrieben die Arbeitsproduktivität gesteigert wird. Weiterhin zeigen sich aber auch Unklarheiten, indem man die Vorschläge wohl begrüßt, aber nicht erkennt, dass man sich dafür auch einsetzen muss. Die Verpflichtungen zur III. Parteikonferenz, als ein Ausdruck der überwiegend positiven Einstellung der Bevölkerung, halten weiterhin an.

Negative und feindliche Äußerungen wurden nur vereinzelt, besonders zur Frage über die Vermeidbarkeit der Kriege und über Genossen Walter Ulbricht bekannt. In stärkerem Maße zeigten sich besonders wieder Unklarheiten bei den verschiedensten Fragen, die z. T. darauf zurückzuführen sind, dass die Kreisleitungen der SED, des FDGB sowie die anderen Massenorganisationen bisher eine ungenügende Initiative in der Aufklärung zeigten. Sehr verbreitet in allen Bevölkerungsschichten ist immer noch das Argument, dass es sich nur um leere Versprechungen handele, wobei man sich immer wieder auf den ersten Fünfjahrplan bezieht.6 Diskussionen dieser Art wurden wiederum bekannt aus den Bezirken Erfurt, Magdeburg, Suhl, Wismut, Berlin, Gera und Potsdam.

In mehreren Fällen wurden wieder Diskussionen bekannt, in denen Walter Ulbricht mit dem Genossen Stalin in der Frage des Personenkults gleichgestellt bzw. in anderer Form negativ zur Person des Genossen Walter Ulbricht Stellung genommen wurde. Diese Diskussionen wurden bekannt in den Bezirken Erfurt, Magdeburg, Schwerin, Wismut, Halle, Potsdam und Berlin.

In den einzelnen Bevölkerungsschichten wurden folgende Argumente bekannt, deren größter Teil auf Unklarheiten beruht.

Industrie- und Verkehrsbetriebe

Immer wieder werden besonders Zweifel laut, ob der 7-Stunden-Tag bei uns schon eingeführt werden könnte, da die Voraussetzungen dazu fehlten. Zur Begründung werden weiterhin Materialschwierigkeiten, Wartestunden und Ähnliches angeführt. Vereinzelt nehmen feindliche Elemente diese Zweifel zum Anlass, von einem »Abklatsch« des XX. Parteitages zu sprechen.7 Charakteristisch dafür sind folgende Beispiele:

  • Im VEB Bergmann-Borsig (Generatoren und Turbinenbau Halle 10) äußerten die Arbeiter, »dass zwar Walter Ulbricht davon gesprochen hat, dass die Steigerung der Arbeitsproduktivität die Voraussetzung für die Verbesserung des Lebensstandards sei, dass aber in ihrem Betrieb in einigen Abteilungen monatlich bis zu 4 000 Wartestunden geschrieben werden«.

  • Im VEB »Ernst-Thälmann«-Werk Suhl (Abteilung Weiß und Funk) werden von einem Teil der Arbeiter die angestrebten Maßnahmen bezweifelt, weil man nicht glaubt, dass es möglich sein wird, bei den jetzigen Arbeitsverhältnissen den 7-Stunden-Tag einführen zu können.

  • Im VEB KEFAMA, [Kreis] Neuhaus, [Bezirk] Suhl, stehen die Beschäftigten der Abteilung Versand den Maßnahmen zweifelnd gegenüber. Sie vertreten die Meinung, »dass sie, wenn eine siebenstündige Arbeitszeit eingeführt würde, dies nur durch ihre Hände Arbeit wieder herausholen müssten«.

  • Einige Kraftfahrer im Kraftverkehr Gera äußerten: »Es wird viel vom 7-Stunden-Tag gesprochen und wir müssen noch heute viele Überstunden leisten, um den Berufsverkehr und den Warentransport zu gewährleisten. Wird es uns überhaupt möglich sein, dass große Ziel zu erreichen? Außerdem fehlt es ständig an Ersatzteilen, sodass der Arbeitsablauf gehemmt wird.«

  • Im VEB Plauener Spitze Auerbach, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, sagte eine Arbeiterin: »Die Einführung des 7-Stunden-Tages ist sehr schön. Jedoch weiß ich nicht, ob ich in sieben Stunden das schaffen kann, was sich jetzt in acht Stunden leiste, denn ich habe jetzt meine Arbeit schon so eingerichtet, dass ich das Höchstmögliche erreiche.«

  • Der Leiter der Abteilung Forschung im VEB Maxhütte Unterwellenborn, [Bezirk] Gera, erklärte: »Der 7-Stunden-Tag ist doch für uns nichts Neues. Das haben wir erwartet, dass die III. Parteikonferenz zu diesem Problem Stellung nimmt. Was Neues kann diese Konferenz ja auch gar nicht bringen, denn sie ist ja ein Abklatsch des XX. Parteitages.« Ähnlich äußerten sich Beschäftigte im Mercedes-Werk Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl.

Zur Rentenerhöhung haben sich die verächtlichen Stimmen in allen Bezirken nicht geändert. Ein Teil der Arbeiter vertritt immer noch die Meinung, dass eine Erhöhung der Renten im Jahre 1957 zu spät sei und man lieber das Gehalt der Angestellten kürzen sollte, um den Rentnern eher bereits mehr geben zu können. In diesem Zusammenhang wurden vereinzelt auch Diskussionen bekannt, »dass man lieber die Preise senken sollte« (Bezirk Magdeburg und Berlin).

Zur Frage der Abschaffung der Lebensmittelkarten häufen sich in allen Bezirken die Meinungen unter allen Bevölkerungsschichten, dass dies nur wieder leere Versprechungen wären und dass wir nicht die Voraussetzungen dafür hätten.8 Charakteristisch dafür ist die Stellungnahme einiger Arbeiter im VEB KEFAMA, [Kreis] Neuhaus, [Bezirk] Suhl, die erklärten: »Bereits vor zwei bis drei Jahren wurde auch davon gesprochen, dass bis Ende 1955 ein nie gekannter Lebensstandard erreicht sein würde, was aber bis heute noch nicht der Fall ist. Man brauche in dieser Beziehung nur die HO-Geschäfte anschauen, dort bekäme man nicht einmal immer Eier, Fisch und Fleisch.«

Wie bereits erwähnt wurden wiederum einige Diskussionen über den Genossen Walter Ulbricht geführt, die ausgesprochen negativ sind. So äußerte ein Hausobmann in Güstrow, [Bezirk] Neubrandenburg, gegenüber dem 2. Sekretär der SED, »ob er schon gehört habe, dass gestern die Sitzung abgebrochen wurde, da eine Vertrauensfrage zur Person des Genossen Walter Ulbricht gestellt worden wäre«. Das gleiche Argument wurde auch in der Kreiskonsumgenossenschaft Güstrow geführt, wobei noch gesagt wurde, »dass der Genosse Walter Ulbricht bei einem größeren Teil der Mitglieder kein Vertrauen mehr besäße«.

In der Gemeinde Herzberg, [Bezirk] Cottbus, diskutierten Groß- und Mittelbauern in der Form, »dass das ZK eine personelle Umbesetzung erfahren müsse, da die Politik des Genossen Stalin in der heutigen Periode nicht mehr bindend wäre«. Die Mitglieder der LPG Wulfsahl, [Kreis] Parchim, [Bezirk] Neubrandenburg,9 diskutierten, »weshalb der Genosse Walter Ulbricht, der als großer Anhänger Stalins gilt, nicht zu seinen Lebzeiten eine Kritik an ihm ansetzte«.

In der Gemeinde Ballerstedt,10 [Kreis] Osterburg, [Bezirk] Magdeburg, erklärte ein Lehrer: »Von der III. Parteikonferenz hatte ich erwartet, dass aufgrund der geübten Kritik an Stalin Walter Ulbricht abtreten müsste.« In Oberschlema, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, erklärte ein Friseur, »dass sie das Maul nicht so voll stopfen sollen, Walter Ulbricht hat schon einmal die Menschen an der Nase herumgeführt«.

Ähnliche Diskussionen wurden noch aus den Bezirken Halle, Potsdam, Erfurt, Cottbus sowie aus der Forschungsanstalt für Schifffahrt Berlin-Karlshorst bekannt.

Die Stärke des sozialistischen und des Weltfriedens-Lagers und die damit verbundene Möglichkeit der Vermeidbarkeit von Kriegen wird in einigen Bezirken besonders von negativen Elementen und Umsiedlern ausgenutzt, eine Revision der Oder-Neiße-Grenze zu fordern bzw. in Betracht zu ziehen. In der Bau-Union Stalinstadt erklärten Arbeiter einer Brigade, »dass mit der Revidierung der Oder-Neiße-Grenze die Gefahr eines Dritten Weltkrieges gebannt werden kann«. Ein werktätiger Bauer aus Alt Rosenthal, [Kreis] Seelow, [Bezirk] Frankfurt/O., brachte zum Ausdruck: »Hoffentlich hat Stalin keine Fehler bei der Festlegung der Oder-Neiße-Grenze gemacht, denn Deutschland hat fünf Provinzen verloren.« In der Garage der Wismut in Freital, [Bezirk] Dresden, erklärten Umsiedler: »Das Friedenslager soll doch Schlesien wieder an uns zurückgeben. Es wäre eine gute Tat, die Menschen wieder in ihre Heimat zu lassen. Dann wäre auch die Einstellung zum Friedenslager besser. Auch würden die Menschen in Westdeutschland die Kapitalisten verjagen und zum Friedenslager stehen. Die Sowjetunion wäre so reich und brauche das Land von Polen und unser Schlesien nicht.«

Aus Kreisen der Berliner SPD wurden einige Diskussionen von Funktionären bekannt, die einmal auf Zweifel an den Vorschlägen an die SPD zurückzuführen und zum anderen direkt ablehnend sind.11 So erklärten einige Funktionäre der SPD aus Berlin-Weißensee: »Die SPD im Osten wird jetzt eine Zeitlang Ruhe vor den Anfeindungen haben, da das nicht ins Konzept der III. Parteikonferenz passt.«12 Weiter wurde erklärt: »Man hat wohl der SPD in Westdeutschland ein Angebot gemacht, für uns wird aber ganz bestimmt keine Änderung der Taktik eintreten. Vielmehr wird man jetzt versuchen, bei uns diese komische Aktionseinheit zu propagieren und uns bei jeder Gelegenheit belästigen.« Ein anderer Funktionär erklärte: »Ich glaube an keinen Wandel in der sowjetischen Politik, genauso wenig an einen in der SED-Politik. Erst wenn man unsere Gefangenen freilässt und freie Wahlen zulässt, dann zeichnet sich etwas anderes ab. So aber ist mir das ein Sand in die Augen streuen für Leichtgläubige. Jede Diskussion mit diesen Leuten sollten wir ablehnen, solange nicht alle politischen Gefangenen frei sind.«

Aus der Landwirtschaft und dem Mittelstand sind die Diskussionen sehr gering und in der Mehrzahl positiv. Bekannt wurden Stellungnahmen von Groß- und Mittelbauern, in denen sie die Erkenntnis zum Ausdruck bringen, in Arbeitsgemeinschaften zu arbeiten.13 Diskussionen dieser Art wurden bekannt in den Bezirken Cottbus und Leipzig.

Feindtätigkeit

  • In Luckenwalde wurden am 26.3.1956 von bisher unbekannten Tätern zwei Fahnen (rot und schwarz-rot-gold)14 entwendet. Ermittlungen führt die Abteilung K.15

  • In der Nacht zum 29.3.1956 haben bisher unbekannte Täter an die Anschlagtafel der Gemeinde Stöffin, Kreis Neuruppin, an der ein Plakat, welches auf die III. Parteikonferenz hinwies, angebracht war, eine Hetzschrift »Steckbrief« geklebt.16

  • Am 26.3.1956 haben bisher unbekannte Täter an die Tür des Rates der Gemeinde in Bornstedt, Kreis Potsdam-Land,17 eine Hetzschrift in deutscher und russischer Schrift (Zope)18 geklebt. Ermittlungen führt die Abteilung K.

  • Verschiedene Genossen aus Zeulenroda/Ronneburg19 teilen mit, dass die Sendungen über die III. Parteikonferenz am 25.3.1956 sehr gestört wurden. Am Sonntag war in Thonhausen bei Schmölln20 von Anfang bis Ende der Übertragung der Konferenz der Strom abgeschaltet.

  • Am 25.3.1956 wurde durch unbekannte Täter eine schwarz-rot-goldene Fahne, welche am HO-Textilgeschäft in Berlin NO 55,21 Prenzlauer Allee/Ecke Wörther Straße, in ca. 2,5 m Höhe angebracht war, abgerissen.

  • Am 25.3.1956, gegen 7.00 Uhr, wurde in der öffentlichen Bedürfnisanstalt Schönhauser Allee/Ecke Metzer Straße eine schwarz-rot-goldene Fahne gefunden, welche vollkommen beschmutzt war.

  • Am 25.3.1956 wurde durch einen Lehrer, wohnhaft in Berlin-Niederschönhausen, mitgeteilt, dass seine schwarz-rot-goldene Fahne, welche er Hochparterre am Balkon befestigt hatte, durch unbekannte Täter in den Müllkasten geworfen wurde.

  • Am 26.3.1956 erkrankten zehn Küchenangehörige des VEB Groß-Berliner Vieh- und Schlachthöfe22 an Durchfall. In dieser Küche wird das Essen für das technische Personal der III. Parteikonferenz zubereitet. Vom diensthabenden Arzt der Parteikonferenz wurde eine Essenprobe und Stuhlprobe der erkrankten Personen entnommen.

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    29. März 1956
    Feindpropaganda zur III. Parteikonferenz [2. Bericht] [Information Nr. M75/56]

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    28. März 1956
    III. Parteikonferenz der SED (6. Bericht) [Information Nr. M74/56]