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Stimmung zur Schaffung der NVA (5)

24. Januar 1956
Nationale Volksarmee (5. Bericht) [Information Nr. M21/56]

I. Gesamteinschätzung

Die Diskussionen über die Schaffung der Nationalen Volksarmee drängen weiterhin andere Stellungnahmen zu politischen Problemen unter allen Bevölkerungsschichten zurück.1 Vorwiegend wird auch weiterhin unter den Arbeitern der Industrie- und Verkehrsbetriebe sowie unter Angestellten und Angehörigen der Intelligenz diskutiert. In der Landwirtschaft wird in der Mehrzahl im sozialistischen Sektor, vereinzelt auch unter Groß- und Mittelbauern dazu Stellung genommen. Letztere sind meist negativ oder unklar. Die regen Diskussionen der übrigen Bevölkerung gleichen inhaltlich denen der Industrie.

Zur Stimmung ist zu sagen, dass sie sich in der Mehrzahl der Bezirke zum Positiven veränderte und mehr die Erkenntnis der Notwendigkeit der Schaffung der Volksarmee zum Ausdruck gebracht wird. Die gleiche Lage ist in der Landwirtschaft, wo die positiven Stellungnahmen weiterhin die negativen überwiegen. Der Inhalt der im Abnehmen begriffenen negativen Stellungnahmen hat sich nicht geändert. Zu verzeichnen ist jedoch, dass unter den Jugendlichen mehr pazifistische als wie2 bisher ablehnende und feindliche Diskussionen geführt werden, während Frauen weiterhin sich direkt ablehnend äußern. Feindliche Äußerungen wurden vereinzelt in der Industrie und Landwirtschaft, mehr in bürgerlichen Parteien und Kreisen bekannt. Die Feindtätigkeit erstreckt sich weiterhin auf das Anschmieren von Hetzlosungen.

II. Hauptargumente

Im stärkeren Maße als bisher wurden positive Argumente bekannt, deren Inhalt sich nicht geändert hat. Die wesentlichsten Argumente sind weiterhin:

  • »Wenn Deutschland aufrüstet,3 müssen wir auch was tun, um unsere Errungenschaften zu schützen.«

  • »Es ist notwendig eine Volksarmee aufzustellen, um unseren Familien die Möglichkeit zu geben, im Frieden leben zu können.«

  • »Der Ernst der Situation zeigt uns, dass wir uns selber einig sein müssen. Der Kapitalist hilft uns auf keinen Fall.«

  • »Es wurde höchste Zeit, dass eine Nationale Volksarmee gebildet wurde.«

Diese Argumente könnten noch beliebig erweitert werden.

Zu den ablehnenden und negativen Äußerungen wurden wiederum die schon bekannten Argumente bekannt, wie:

  • Dass die VP und KVP doch genügt, und dass man nicht noch eine Volksarmee braucht.

  • Dass sie kein Gewehr mehr anfassen.

  • Dass ein neuer Krieg bevorsteht.

  • Dass der Westen nicht angreift.

  • Dass alles »von oben« bestimmt wurde.

  • Dass die Vorbereitungen »wie bei Hitler« vorgenommen wurden.

  • Dass der Lebensstandard nunmehr sinken würde.

  • Dass 1945 gesagt wurde, »kein Deutscher soll mehr eine Waffe tragen«.

  • Dass sie die Gestellungsbefehle zerreißen werden.

  • Dass sich die DDR damit nicht an das Potsdamer Abkommen hält und die Schaffung der Volksarmee verfrüht durchgeführt würde.4

  • Dass dadurch die Wiedervereinigung beiseite gedrängt wird.

  • Dass sie Bekannte in Westdeutschland haben, gegen die sie keine Waffe erheben.

  • Dass es nach einem neuen 17. Juni aussehe.

  • Dass sie nicht zur Volksarmee gehen werden, da es nur 1,00 DM Sold geben würde.

  • Dass sie nicht freiwillig gehen werden, sondern erst wenn es zur Pflicht gemacht wird.

  • Dass sie »sich nicht für die Russen hergeben würden«.

  • Nicht in die Kampfgruppen einzutreten [sic!].

  • Dass sie als Frauen nicht dazu da sind, Kinder zu gebären, damit diese später als Kanonenfutter verwendet werden.

Als neue negative Argumente wurden Folgende bekannt:

  • a)

    Aus Unkenntnis über die politische Situation wird erklärt, dass es doch besser wäre, wenn die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wird.5 Diese Äußerung wird vielfach auch im Zusammenhang damit gebracht, dass auf freiwilliger Basis doch wieder nur Arbeiter- und Bauernsöhne gehen würden, während die »Spießbürger« ihre Ausbildung beenden würden.

  • b)

    Unter der Intelligenz wurde das Argument bekannt, dass durch die Schaffung von Truppen eine Erhöhung des Wohlstandes nicht mehr möglich sei. Dabei berufen sich die Intelligenzler auf die Ausführungen Stalins, dass man nicht den Wohlstand eines Volkes heben und gleichzeitig aufrüsten kann.6

  • c)

    Unter den Argumenten Jugendlicher wurde als neues Argument bekannt, dass es besser wäre, in der Volksarmee zu kämpfen, dann gerieten sie in amerikanische Gefangenschaft und nicht in russische, wo man sie nicht mit Handschuhen anfassen würde.

Zum Beschluss über die Einführung der neuen Uniform7 wurden wiederum die schon bekannten Argumente bekannt, die in der Mehrzahl von fortschrittlichen Personen geäußert werden.

  • Dass die Uniformen denen der faschistischen Wehrmacht sehr ähnlich sind.

  • Dass die alten Offiziere und Soldaten, die ihre Uniform noch zu Hause haben, diese wieder vorholen könnten.

  • Dass man neue schneidige Uniformen einführt, um die Jugendlichen dafür zu begeistern.

Als wesentliche neue negative Argumente wurden bekannt:

  • a)

    Aus Unkenntnis über den Charakter der Nationalen Volksarmee wird im Zusammenhang mit Vergleichen der faschistischen Wehrmacht argumentiert, dass mit dieser Uniform der Tod und Verderben über die Welt gebracht wurde und dass diese keine Achtung in der Welt besäße.

  • b)

    Ebenfalls aus gleichen, oben angeführten Gründen wird argumentiert, dass die Väter in den Röcken gefallen wären, und nun sollen die Kinder wieder denselben tragen.

III. Charakteristische Beispiele

a) Industrie

In der Industrie ist zu verzeichnen, dass die positiven Stellungnahmen weiterhin zunehmen und bereits in der Mehrzahl der Bezirke die negativen Stimmungen überwiegen, während in den anderen Bezirken sich positive und negative Stellungnahmen noch die Waage halten. Neben der Wismut8 sind es jetzt besonders die Bezirke Frankfurt/O., Leipzig, Potsdam, Erfurt, Dresden, Gera, Berlin, wo in der Mehrzahl positive Argumente bekannt wurden. Der größte Teil der Diskussionen wird weiterhin von Arbeitern, Angestellten, Frauen und Jugendlichen, weniger aber von Angehörigen der technischen Intelligenz geführt. Während unter den Arbeitern sowie Angestellten bereits die positiven Argumente stärker als bisher bekannt werden, kommen die Mehrzahl ablehnender und pazifistischer Argumente von den weiblichen Beschäftigten sowie den Jugendlichen der Industrie. Bei Letzteren sind es am meisten pazifistische Argumente, die geführt werden.

Für die Arbeiter und Angestellten sind im positiven Sinne folgende Stellungnahmen charakteristisch:

  • Im Fischkombinat Rostock äußerte der Arbeiter [Name 1]: »Ich bin bereit in die Volksarmee einzutreten. Ich begrüße den Beschluss der Volkskammer und werde so diskutieren, dass noch mehr Kollegen unserer Volksarmee beitreten. Man hätte jedoch in der Volkskammer gleich mit beschließen müssen, dass es die Pflicht ist, zwei Jahre in dieser Armee abzudienen.«

  • Im VEB »Carl von Ossietzky« Teltow,9 [Bezirk] Potsdam, wo fast alle Arbeiter dem Beschluss zustimmten, erklärte der Angehörige des Betriebsschutzes [Name 2]: »Ich sehe die Notwendigkeit der Schaffung einer Volksarmee ein. Jedes Land hat sein Heer, um sein Land zu schützen. Wir wollen uns nicht nehmen lassen, was wir uns geschaffen haben.«

  • Zustimmung erfuhr der Beschluss der Volkskammer auch durch die in den Schiefergruben des Bezirkes Gera beschäftigten bayrischen Arbeiter, die ihre Zustimmung damit begründeten, »dass sie hier sehen könnten, dass für die Arbeiter etwas getan würde und man im Westen die Arbeiter nicht befragt, ob sie mit der Aufstellung der Söldnerarmee einverstanden wären«. Sie äußerten im gegebenen Falle auch ihre Bereitschaft, die Errungenschaften mit zu verteidigen.

Für die negativen und ablehnenden Diskussionen sind folgende Beispiele charakteristisch:

  • Der Arbeiter [Name 3] vom Werk 1 der GUS Neubrandenburg10 sagte: »Ich will nicht Soldat spielen, ich habe die Schnauze voll, weil ich mit 17 Jahren zum Volkssturm eingezogen wurde.«11

  • Der Dreher [Name 4] im VEB Pumpenwerk Oschersleben, [Bezirk] Magdeburg,12 äußerte: »Wenn diejenigen, die die Forderung gestellt haben, von ihrem Gehalt einige Hundert Mark abgezogen bekommen, möchte ich sehen, ob die noch dafür sind.«

Es ist festzustellen, dass die negativen Diskussionen jetzt häufig mit Lohn- und Normenfragen auftauchen.

Im negativen Sinne ist für die Diskussionen der Angestellten folgendes Argument charakteristisch: In den Ketten- und Nagelwerken Weißenfels äußerte der Angestellte [Name 5]: »Nun ist mit der Bildung der neuen Armee die Einheit Deutschlands endgültig begraben. Nun ist keine Hoffnung mehr vorhanden … Der Gegensatz ist nun offensichtlich, Ost und West kommen nicht mehr friedlich zusammen, nur über Krieg und Aggressionen.« Für die ablehnenden Diskussionen weiblicher Beschäftigte sind weiterhin die schon bekannten Argumente von »einem neuen Krieg« und »dass sie ihre Kinder nicht hergeben« zutreffend.

Für die Intelligenz ist im positiven Sinne die Diskussion des Ingenieurs [Name 6] vom VEB Falz- und Heftmaschinenwerk Leipzig zutreffend, der sagte: »Ich begrüsse als Jungingenieur den Beschluss unserer Regierung, eine Volksarmee zu schaffen. Ich möchte nicht, dass unser Volk seine Errungenschaften, die es sich seit 1945 erkämpft hat, durch eine faschistische Aggression einbüßt, deshalb bin ich dafür, dass eine gut ausgerüstete Volksarmee den Schutz unseres jungen Staates übernimmt.« Im negativen Sinne ist für die Intelligenz die Diskussion des Ingenieurs [Name 7] vom optischen Büro des VEB Zeiss Jena charakteristisch, der ausführte: »Durch die Schaffung einer Wehrmacht wird die Verbesserung des Wohlstandes nicht mehr möglich sein. Stalin äußerte selbst einmal, dass man nicht den Wohlstand eines Volkes erhöhen und gleichzeitig aufrüsten kann.«

Im positiven Sinne unter der Jugend ist die Meinung von 24 Jugendlichen des VEB Kaolinwerk Kemmlitz,13 [Bezirk] Leipzig, charakteristisch, die erklärten: »Wir begrüßen es, dass in unserer Republik eine Volksarmee geschaffen wird, damit wir im Frieden lernen können. Stets werden wir treu an der Seite der Regierung und der Arbeiterklasse stehen.« Im negativen Sinne werden weiterhin die bereits bekannten Argumente, in der Mehrzahl aber pazifistische Diskussionen, wie, »der Westen greift nicht an«, »die KVP reicht doch aus, um uns zu schützen« und ähnliche angeführt.

b) Landwirtschaft

Die meisten Stimmen in der Landwirtschaft zeigen auch am heutigen Tage eine positive Stellungnahme zur Aufstellung einer Volksarmee. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass sich eine Reihe Jugendlicher freiwillig zur Volksarmee melden will.

Obwohl die Einzelbauern in den Diskussionen noch zurückhaltend sind, wird z. T. die Schaffung einer Volksarmee in Verbindung [mit] ihrer wirtschaftlichen Lage gebracht. Hier treten zusätzlich zu den negativen und ablehnenden Äußerungen wie in der Industrie noch die Argumente auf, – »die Schaffung einer Volksarmee wird den Arbeitskräftemangel noch vergrößern« – und – »durch die Schaffung neuer Uniformen müsste unser Wollsoll erhöht werden«. (Bezirk Potsdam und Schwerin.)

Ebenfalls kommen in den geführten Diskussionen unter der Landbevölkerung noch große Unklarheiten zum Ausdruck. z. B. wird im VEG Kemlitz,14 [Kreis] Luckau, [Bezirk] Cottbus, diskutiert: »Es wurde immer gesagt, den Stellungsbefehl soll man beim Empfang zerreißen und nicht folgen, und jetzt geben sie selber welche aus.« In der MTS Daskow, [Kreis] Ribnitz[-Damgarten], [Bezirk] Rostock, wird geäußert: »Im Jahre 1945 hat man gesagt, kein Deutscher wird mehr eine Waffe in die Hand nehmen, mit der Verkündigung des Wehrgesetzes hat sich die Regierung in Widersprüche gesetzt.«

Von Einzelbauern werden folgende Diskussionen geführt: In den Kreisen der werktätigen Bauern des Kreises Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wird diskutiert: »Wir haben jetzt schon nicht genug Arbeitskräfte, und wenn die Jugendlichen zur Wehrmacht eingezogen werden, kriegen wir unsere Arbeit überhaupt nicht mehr fertig.« Unter den werktätigen Bauern des Kreises Sternberg und Güstrow, [Bezirk] Potsdam, wird die höhere Hektarveranlagung von Schafwolle in Verbindung mit der Schaffung der Volksarmee diskutiert, indem es heißt, jetzt kann man es verstehen, warum wir Bauern so viel Wolle abgeben müssen, denn die KVP bekommt neue Uniformen.

Übrige Bevölkerung

Zum großen Teil treten in der Stimmung der übrigen Bevölkerung die gleichen Argumente auf wie in der Industrie. Jedoch sind die Diskussionen in den einzelnen Schichten verschiedenartig und haben sich in den letzten Tagen zum positiven Teil verändert. Auch in den bürgerlichen Parteien wird lebhaft über die Aufstellung der Volksarmee diskutiert. Ebenfalls überwiegen auch hier die positiven Stimmen die negativen.

Dabei sind nachgenannte positive Diskussionen charakteristisch für die Stellung der Mitglieder der NDPD. Von den Mitgliedern der NDPD in Putlitz,15 [Kreis] Pritzwalk, [Bezirk] Potsdam, wird zum Ausdruck gebracht: »In Westdeutschland sitzen wieder die alten Faschisten im Sattel und bauen eine Söldnerarmee auf. Diesem Treiben darf man nicht untätig zusehen, und deshalb wird die Aufstellung einer Volksarmee begrüßt.« Mitglieder der NDPD des Kreises Cottbus sind der Meinung, »wir können von unserem besten Freund nicht verlangen, dass er allein nur für unseren Schutz da ist. Wir haben die Pflicht, selbst zu dem Schutz unserer DDR was zu tun und erfüllen damit gleichzeitig auch unsere Verpflichtung nach dem § 5 des Warschauer Vertrages.«16

Der positiven Diskussion stehen im geringen Maße die negativen Diskussionen besonders feindlicher Elemente in der NDPD und der CDU gegenüber. Z. B. wurden in acht Orten des Kreises Eisenberg, [Bezirk] Gera, Versammlungen der CDU über die Schaffung einer Volksarmee durchgeführt, wobei sich folgende Diskussionspunkte ergaben: »Am Ende des ersten Fünfjahrplanes sollte ein nie gekannter Wohlstand erreicht werden, der noch nicht erreicht wurde.17 Wenn nun eine Volksarmee geschaffen wird, wird das viel Geld kosten und der Lebensstandard wird absinken.« oder »Warum keine allgemeine Wehrpflicht? Das wäre doch besser, denn dann gäbe es keinen moralischen Druck mehr in den Betrieben.«

In einer Mitgliederversammlung der NDPD in Gera-Mitte traten zwei Mitglieder (Brüder) negativ und provokatorisch auf. Ihre Äußerungen waren folgendermaßen: »Man soll sich im Fall eines Angriffes lieber überrollen lassen, da gibt es weniger Verluste. – Ich mit meinem Gehalt und meine Frau mit ihren lumpigen 200 DM haben nichts zu verteidigen.« Nach diesen Worten zitiert eine dieser Personen, in dem er sich auf einen Brief Anna Seghers18 stützte, Folgendes: »Brüder nehmt die Gewehre – aber richtet sie gegen die, welche sie auch gegeben haben.«19

Ebenfalls treten in den Kreisen der bürgerlichen Parteien noch Unklarheiten auf, die sich in Folgendem ausdrücken:

  • »Die Aufstellung der Volksarmee wird sich auf den Lebensstandard der Bevölkerung auswirken.«

  • »Was wird jetzt aus der KVP

  • »Wird die Wehrpflicht eingeführt werden?«

  • Ablehnung der Uniform.

  • »Nun wird es bald Krieg geben.«

Aus den Kreisen der Kirche wird über die Schaffung der Volksarmee Folgendes bekannt:

Der Pfarrer Schröder von der Luthergemeinde in Halle20 vertritt die Meinung, dass die oberste Kirchenleitung an die Regierung herantritt, um offiziell zu ersuchen, um Möglichkeiten für seelsorgerische Betreuung seitens der Kirche zu erhalten.

Aus den Kreisen der Angestellten der örtlichen Verwaltungen sowie aus dem staatlichen Handel wurden wenig Stimmen bekannt, die eine reale Einschätzung nicht ermöglichen. Die wenigen Diskussionen waren jedoch in der Mehrzahl positiv.

IV. Forderung nach Volksabstimmung

Aus folgenden Betrieben und Objekten wurden noch Forderungen nach einem Volksentscheid oder Volksabstimmung über die Schaffung der Volksarmee gestellt:

  • VEB »Ernst-Thälmann«-Werk Magdeburg, Abteilung Modelltischlerei;

  • VEB Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden, Abteilung Röntgenschlosserei;

  • Prüfamt Neubrandenburg sowie

  • unter Kunden in der Konsumverkaufsstelle in Potsdam.

V. Objekte mit negativen Erscheinungen

Die negativen Erscheinungen erstreckten sich wiederum auf Abstimmungen und Unterschriftenleistungen in folgenden Betrieben:

  • In der Hauptwerkstatt Brückfeld21 der Magdeburger Verkehrsbetriebe stimmten von 340 Kollegen 80 dafür, zwei dagegen, die anderen enthielten sich der Stimme.

  • Im VEB Gummiwerk Schönebeck, [Bezirk] Magdeburg, stimmten in der Schlosserei von 60 Arbeitern 22 dafür, einer dagegen, 37 enthielten sich der Stimme.

  • Im VEB Scher- und Spulenfabrik Burgstädt,22 [Kreis] Karl-Marx-Stadt[-Land], stimmten von 50 Arbeitern neun dafür, und 41, darunter vier Mitglieder der SED, dagegen.

  • Im VEB Bleierzgruben Halsbrücke, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, im Förderrevier, stimmten von 130 Anwesenden 110 dagegen.

  • In der MTS Lelkendorf, [Kreis] Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg, lehnen zwei Drittel der Jugendlichen die Schaffung der Volksarmee ab.

  • Im VEB Röhrenwerk Neuhaus, [Bezirk] Suhl, stimmten von 1 450 Belegschaftsmitgliedern 200 dafür, die anderen dagegen bzw. enthielten sich der Stimme.

  • Im Mercedes-Werk Zella-Mehlis, [Bezirk] Suhl, lehnten von 55 Arbeitern 50 die Unterschrift unter eine Resolution ab.

  • Im VEB Nagema Werk III, Bernburg,23 [Bezirk] Halle, erklärten sich von 250 Arbeitern 80 mit der Durchführung einer Sonderschicht bereit.

  • Im VEB Kyffhäuser-Hütte Artern, [Bezirk] Halle, stimmten von 80 Arbeitern acht dafür, drei dagegen, die anderen enthielten sich der Stimme.

  • Im VEB »Erich Weinert« Deuben,24 [Bezirk] Halle, gaben von zwölf Arbeitern in der Nachtschicht nur drei ihre Unterschrift für die Resolution.

  • In Erkner stimmten 90 % der Gemeinderatsmitglieder gegen die Aufstellung einer Volksarmee. Erst durch die Überzeugung konnte Einstimmigkeit erzielt werden.

VI. Republikflucht Jugendlicher

In der Zeit vom 21. bis 22.1.1956 wurden 70 Jugendliche wegen Verdachtes der Republikflucht von den VP-Organen festgenommen. Die meisten Jugendlichen kamen aus den Bezirken Dresden, Rostock (Greifswald) und Magdeburg.25

Feindtätigkeit

Gegenüber dem Vortage hat sich der Umfang der Feindtätigkeit nicht wesentlich verändert.

Republikflucht

Am 19.1.1956 sagten die Inhaberin einer Gaststätte in Guben, [Bezirk] Cottbus, und zwei andere Frauen zu drei Jugendlichen, sie sollen sich nach dem Westen absetzen, im Westen wüssten sie wenigstens, wofür sie kämpfen, aber hier würden sie mit »Russen, Polen und Chinesen« zusammengeworfen. Sie brauchten nicht zu glauben, dass ihre Ausbildung hier erfolgt, sie kommen nach Polen und dann nicht mehr zurück.

Ein Angestellter des Konsistoriums, Mitglied der Jungen Gemeinde, aus Magdeburg äußerte: »Ich werde schon früh genug Bescheid bekommen, wenn es los geht, dann werden wir abrücken. Für diese Idioten und für dieses System gibt sich die deutsche Jugend bestimmt nicht her.«

Anbringen von Hetzlosungen

  • Im BKW »Friedenswacht« Lauchammer, Brikettfabrik 5, wurden am 20.1.1956 im Pressehaus auf drei Produktionstafeln folgende Hetzlosungen mit Kreide angeschmiert: »Hinein ins Massengrab«, »Wir gehen nicht«, »Auf zur Volksarmee«.

  • Im Kombinat 362, Schacht 354 – Auerbach wurde an den Rahmen im Fahrtenturm die Hetzlosung: »Nie wieder Kommiss – Die SED ist unser Untergang« angeschmiert.

  • In der Nacht zum 20.1.1956 wurde in Oelsnitz/Vogtland in einer Tordurchfahrt mit Ölfarbe »Ohne uns« angeschmiert.

  • In Zittau, [Bezirk] Dresden, wurden in der Nacht zum 23.1.1956 Hetzlosungen angebracht: »Wir wollen keine Armee, sondern Butter statt Kanonen.«

  • Im Ernst-Thälmann-Werk Suhl, Produktionsbereich 1, wurde am 18.1.1956 die Hetzlosung »Volksarmee – Sch…« angeschmiert.

  • In Gößnitz, [Kreis] Schmölln,26 wurde an eine Anschlagtafel mit Farbstift die Schmiererei »Wählt Adenauer«27 angebracht.

Gerüchte

  • In der Gemeinde Gollma, Saalkreis, äußerte der Pfarrer Enders,28 dass jetzt alle männlichen Personen im Alter von 18 bis 30 Jahren eingezogen werden.

  • Von den Lehrlingen und einigen anderen Eisenbahnern des Bahnhofes Heudeber-Danstedt, Kreis Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, wird das Gerücht verbreitet, dass »seitens der Reichsbahn eine Aktion durchgeführt wird«, wonach alle Jugendlichen im Alter von 18 bis 22 Jahren dem Reichsbahnamt gemeldet werden müssten. Dieses wären die ersten Vorbereitungen zur Einberufung der Jugendlichen in die Volksarmee.

  • In der Schmiede des RAW Potsdam kursiert das Gerücht, das »Karl-Marx-Werk« in Potsdam-Babelsberg29 hätte die Schaffung der Nationalen Volksarmee geschlossen abgelehnt und der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED sei ausgepfiffen worden, als er dazu gesprochen hat.

  • In Freital, [Bezirk] Dresden, wird in der Straßenbahn das Gerücht verbreitet, dass die Studenten der technischen Hochschule in Dresden geschlossen die Schaffung der Volksarmee ablehnten.

  • Ein Malermeister aus Haldensleben, [Bezirk] Magdeburg, äußerte im angetrunkenen Zustand in einer Gaststätte, dass die Wehrmacht wohl ins Leben gerufen sei, aber ohne ihn. »Mein Schwager ist wegen dem Besitz eines Luftgewehres inhaftiert worden, und heute wird schon an schweren Waffen geübt. Wir müssen die Satansbrut ausrotten.«

  • Der Domprediger aus Magdeburg äußerte: »Der Westen weiß über den Aufbau einer Volksarmee in der DDR längst Bescheid. Er wird im gegebenen Augenblick alles wegblasen, wie am 17. Juni. Freiwillig wird sich sowieso niemand finden, der in diese Armee geht.«

  • Im Kreis Saalfeld, [Bezirk] Gera, versenden Personen das Gesetz über die Schaffung einer Volksarmee in Form von Zeitungsausschnitten, versehen mit negativen Bemerkungen, nach Westdeutschland.

  1. Zum nächsten Dokument Verdacht der Republikflucht bei Jugendlichen (5)

    24. Januar 1956
    Verdacht der Republikflucht bei Jugendlichen (22.–23.1.1956) [Information Nr. M22/56]

  2. Zum vorherigen Dokument Stimmung in den bewaffneten Einheiten zur Schaffung der NVA (2)

    24. Januar 1956
    Stellungnahme der Angehörigen der bewaffneten Einheiten zur Nationalen Volksarmee (2. Bericht) [Information Nr. M20/56]