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Austritte aus den LPG 1960

11. Januar 1961
Einzel-Information Nr. 21/61 über Austritte aus den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften

Aufgrund vorliegender Hinweise über Austritte aus den LPG wurden der zahlenmäßige Umfang dieser Erscheinungen und ihre Gründe untersucht.

Die im Bericht und in der Anlage genannten Zahlen der im Jahre 1960 erfolgten Austritte aus den LPG wurden auf der Grundlage der beim MfS vorhandenen Unterlagen zusammengestellt. Da in vielen Kreisen beim Staatsapparat kein Überblick über die Austritte aus den LPG und deren Gründe besteht und deshalb statistisch Zahlen nicht zur Verfügung stehen, können auch diese Angaben keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Trotzdem geben sie jedoch einen annähernd richtigen Überblick, da der weitaus größte Teil der Austritte erfasst ist.

Die Analysierung der Gründe der Austritte zeigt, dass die reinen Zahlen der Austritte – ohne Beachtung der beteiligten Personenkreise und ihrer Begründungen – kein reales Bild über die Lage geben können, sondern den falschen Eindruck einer größeren Austrittsbewegung vermitteln.

Trotzdem verdienen aber einige Schwerpunkte ernste Beachtung. Das sind besonders die Bezirke Magdeburg mit 1 074, Schwerin mit 883, Halle mit 867, Frankfurt/O. mit 697 und Leipzig mit 681 Austritten. In diesen Bezirken sind es auch wieder einzelne Kreise, die als Schwerpunkte anzusehen sind: Parchim mit 193, Oschatz mit 175, Gadebusch mit 154, Bützow mit 131, Altenburg mit 116, Delitzsch mit 114 und Ludwigslust mit 113 Austritten. Nach den bisherigen Feststellungen handelt es sich bei einem großen Teil der Austritte um solche LPG-Mitglieder, die selbst in die LPG kein Land einbrachten und deshalb weniger fest mit der LPG verbunden waren.

Die für die Haltung der Bauern zur LPG wichtige Zahl der Bauern, die ihren Austritt aus der LPG erklärten, um zur individuellen Bewirtschaftung zurückzukehren, hat mit insgesamt 8,7 % der insgesamt festgestellten Austritte einen relativ geringen Umfang. Dies zeigt auch das Verhältnis von 655 Austritten zu den 700 000 LPG-Mitgliedern. Bei diesen Bauern, die ihren Austritt mit der Wiederaufnahme der individuellen Bewirtschaftung begründen, handelt es sich zum großen Teil um Mitglieder von LPG des Typ I,1 die sich bisher an der genossenschaftlichen Arbeit nicht oder wenig beteiligten. Sie kommen vorwiegend aus solchen Genossenschaften, in denen die politisch-ideologische und teilweise auch die arbeitsorganisatorische Arbeit schwach entwickelt ist.

Als Schwerpunkte dieser Austritte müssen die Bezirke Karl-Marx-Stadt (113), Schwerin (110), Leipzig (83) und Frankfurt/O. (70) betrachtet werden.

Zu den übrigen Austritten gibt es folgende Feststellungen:

Die Austritte ehemaliger Industrie-Arbeiter, die dem Rufe der Partei »Industriearbeiter aufs Land« gefolgt waren, haben ihre Ursache in den meisten Fällen in Verdienst- und Wohnraumfragen. Da diese ehemaligen Industriearbeiter oft keine individuellen Hauswirtschaften besitzen, liegt ihr Verdienst meist unter den in der Industrie erreichten Arbeitslöhnen. Dazu kommt, dass die Wohnraumfrage nicht immer zufriedenstellend gelöst wurde und vielfach keine Voraussetzungen zum Aufbau einer individuellen Wirtschaft vorhanden sind, sodass nach Ablauf der Verpflichtungszeit der Wunsch besteht, in die Industrie zurückzukehren.

Traktoristen begründen ihren Austritt aus den LPG bzw. ihr Bestreben, wieder in den MTS/RTS zu arbeiten, damit, dass ihnen beim Eintritt in die LPG von Seiten des Staatsapparates Versprechungen über ihre Entlohnung gemacht wurden, die aber nicht eingehalten werden.

Der Übertritt von einer LPG zu einer anderen hängt in den meisten Fällen damit zusammen, dass mehrere LPG im gleichen Ort bestehen, die jedoch einen unterschiedlichen Wert der Arbeitseinheit erreichen. Dadurch ist das Bestreben vorhanden, in solche LPG überzutreten, die wirtschaftlich bereits mehr gefestigt sind. Besonders Melker wechseln oft in solche LPG, in denen ein höherer Verdienst zugesichert wird. Dazu gehören auch solche Fälle, wo der Übertritt von einer LPG des Typ I in eine LPG des Typ III erfolgte. In einigen Fällen war der Grund des Übertritts auch die bessere Möglichkeit zur Zusammenlegung der Flächen mit der neuen Genossenschaft.

In einer großen Anzahl von Beispielen liegt der Austritt oder Übertritt in eine andere LPG in persönlichen Differenzen zwischen LPG-Mitgliedern, in gegensätzlichen Meinungen zur Arbeitsweise des Vorstandes bzw. Vorsitzenden oder in der Verletzung der innergenossenschaftlichen Demokratie und des beschlossenen Statuts begründet. Z. B. betrifft dies auch LPG-Mitglieder, die aus moralischen oder arbeitsmäßigen Gründen ausgeschlossen wurden und dann einer anderen LPG beitraten. Diese Austritte sind in den meisten Fällen aber auch die Folge fehlender politisch-ideologischer Auseinandersetzungen in den LPG.

Bei den Austritten, die aus persönlicher Verärgerung erfolgten, handelt es sich u. a. auch um solche Beispiele, dass ehem. Mittel- oder Großbauern bestimmte Funktionen in den LPG anstrebten, dafür jedoch nicht die Zustimmung der Vollversammlung erhalten konnten.

Der für die Begründung des Austritts angeführte Wohnungswechsel ist in vielen Fällen nur ein Vorwand. Oft sind schlechte Arbeitsorganisation oder niedriger Wert der Arbeitseinheit die wirklichen Ursachen.

Diese Feststellung trifft überwiegend auch bei den Personen zu, die von einer LPG in ein VEG überwechseln. Dabei handelt es sich zum großen Teil um spezialisierte Fachkräfte, Melker usw., aber auch um frühere Einzelbauern, die ihr Land an ein VEG übergeben.

Die Zahl der ausscheidenden arbeitsunfähigen Personen ist z. T. nur darauf zurückzuführen, dass ältere Einzelbauern im Beitritt zu einer LPG oft die einzige Möglichkeit zur Abgabe ihrer Landwirtschaft sahen und jetzt aus der genossenschaftlichen Arbeit ausscheiden.

Vorliegende Hinweise lassen auch bereits einige Schwerpunkte erkennen, wo mit der Jahres-Rechenschaftslegung und Endabrechnung Austritte zu erwarten sind. Eine genaue Einschätzung über den Umfang derartiger Erscheinungen ist jedoch gegenwärtig noch nicht möglich.

Im Bezirk Magdeburg sind bisher 261 LPG-Mitglieder bekannt, die aufgrund der Jahres-Endabrechnung ihren Austritt beabsichtigen. Im Bezirk Neubrandenburg sind es 108, im Bezirk Schwerin 93. Im Bezirk Frankfurt/O. liegen bereits 88 Austrittserklärungen zum Jahresabschluss vor und mit weiteren kann in diesem Bezirk in solchen LPG gerechnet werden, die den geplanten Wert der Arbeitseinheit nicht erreichen. Voraussichtlich wird in diesem Bezirk bei ⅓ der LPG der Wert der Arbeitseinheit unter DM 7,00 liegen.

In der LPG »Oderland« in Frankfurt/O. hat die Vollversammlung am 30.12.1960 den Beschluss angenommen, die LPG aufzulösen, nachdem vorher bereits acht der insgesamt zwölf Mitglieder Austrittserklärungen abgegeben hatten. Zurzeit werden ideologische Auseinandersetzungen geführt, um den Beschluss rückgängig zu machen.

Weitere Hinweise, dass Austritte erfolgen, wenn nicht wenigstens 7,00 DM je Arbeitseinheit ausgezahlt werden, gibt es im Bezirk Leipzig. Dabei handelt es sich zum Teil um Industriearbeiter, die aufs Land gegangen sind und deren Verpflichtung abgelaufen ist.

In der LPG »10. Jahrestag« in Machern-Gerichshain/Kreis Wurzen wollen fünf ehemalige MTS-Traktoristen die LPG verlassen, wenn ab 1.1.1961 der Differenzbetrag zum früheren in der MTS erreichten Verdienst nicht mehr gezahlt wird.

Die gleiche Erscheinung, dass Traktoristen die LPG wieder verlassen wollen, gibt es auch in einigen anderen Kreisen. In der LPG Friedland/Bezirk Neubrandenburg haben z. B. neun Traktoristen gekündigt, um in die MTS zurückzugehen.

Im Bezirk Dresden wird damit gerechnet, dass zum Jahresschluss aufs Land gekommene Industriearbeiter ihren Austritt erklären, da sie durch den Wegfall des Lohnausgleiches Verdienstausfälle bis zu 200 DM haben.

Außer diesen Hinweisen auf beabsichtigte Austritte gibt es Erscheinungen, dass Vorsitzende und andere leitende Funktionäre ihre Funktion niederlegen wollen. Im Kreis Teterow/Bezirk Neubrandenburg wollen z. B. 13 LPG-Vorsitzende sowie einige Buchhalter und Brigadiere ihre Funktion niederlegen. Im Kreis Fürstenberg/Frankfurt/O. sind es 15 Vorsitzende und Brigadiere, im Kreis Beeskow/Frankfurt/O. sind es sechs Vorsitzende. Vorwiegend handelt es sich um LPG-Funktionäre des Typ I.

Als Gründe werden u. a. angegeben,

  • dass sie den gestellten Aufgaben nicht gewachsen seien,

  • keine Unterstützung von den Vorstandsmitgliedern erhielten,

  • ihr Verdienst im Vergleich zu Mitgliedern ohne Funktion zu gering sei oder

  • angebliche gesundheitliche Gründe.

Bei genügender Beachtung dieser Hinweise durch die örtlichen Partei- und Staatsorgane und durch die Organisierung einer konkreten politisch-operativen Arbeit zur Überwindung vorhandener und entstehender Schwerpunkte müsste es möglich sein, weitere Austritte aus den LPG zu verhindern bzw. einzuschränken.

Anlage zur Information Nr. 21/61 (siehe auch Faksimile)

[Gründe für Austritte aus LPG im Jahr 1960]

Bezirk

Austrittserklärungen insgesamt

davon zurückgenommen

erfolgter Austritt oder noch nicht zurückgenommene Austrittserklärung

Grund: Rückkehr zur individuellen Wirtschaft

Grund: Rückkehr in die Industrie nach Ablauf der Verpflichtung

Grund: Werbung durch NVA bzw. VP

Grund: Beitritt zu einer anderen LPG

Grund: persönliche Verärgerung

Grund: Wohnungs-wechsel

Grund: Arbeitsaufnahme in VEG oder MTS

Grund:Rentner, Hausfrauen, Arbeitsunfähige

Arbeitsaufnahme in der Industrie

Sonstige bzw. unbekannte Gründe

Rostock

862

295

567

13

70

57

189

34

32

32

77

56

7

Schwerin

1 491

608

883

110

119

163

242

33

50

79

38

49

Neustrelitz

536

343

193

22

23

1

40

15

14

36

16

19

7

Potsdam

[leer]

[leer]

570

25

41

104

138

19

30

17

72

51

73

Cottbus

454

156

298

70

65

34

27

11

17

25

7

35

7

Frankfurt/O.

790

93

697

55

97

61

149

12

19

38

79

67

120

Dresden

684

216

468

37

54

16

131

53

51

19

45

41

22

Magdeburg

1 197

123

1 074

26

158

149

263

28

96

31

175

115

33

Halle

1 179

312

867

83

89

96

156

56

51

23

108

135

70

Leipzig

844

155

689

26

129

48

149

45

75

14

95

57

51

Gera

284

92

192

15

45

2

28

4

15

15

13

55

Karl-Marx-Stadt

588

255

333

133

50

2

61

43

4

6

13

9

12

Erfurt

640

200

440

17

62

42

120

55

20

50

40

30

4

Suhl

312

112

200

30

32

30

8

1

43

13

43

Berlin

82

14

68

[ ]2

14

2

4

1

1

2

15

2

24

insgesamt

[leer]

[leer]

7 539

6553

1 048

777

1 697

435

472

388

838

692

528

[ges. Prozent]

[leer]

[leer]

100

8,7

13,9

10,3

22,5

5,8

6,3

5,1

11,1

9,2

7,0

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    [ohne Datum]
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    11. Januar 1961
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