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Belästigung einer Kandidatin des SED-Zentralkomitees

5. Dezember 1961
Einzel-Information Nr. 757/61 über die Belästigungsversuche gegenüber der Genossin Deutschmann, stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Kommission für staatliche Kontrolle und Kandidatin des ZK der SED, wohnhaft in Berlin-Kaulsdorf, [Straße, Nr.]

In der Nacht vom 10. zum 11.11.1961 drang der Kraftfahrer [Name 1], geboren [Tag, Monat] 1924 in Berlin, wohnhaft: Berlin-Mahlsdorf, [Straße, Nr.], beschäftigt beim [Handelsbetrieb], Außenstelle Bln.-Köpenick, in stark betrunkenem Zustand durch die unverschlossene Gartenpforte in das Grundstück der zu diesem Zeitpunkt abwesenden Genossin Deutschmann1 ein und versuchte durch heftiges Klopfen an die Türe und durch Werfen von Sand und Grasnarben in ein offenstehendes Fenster in das Haus eingelassen zu werden. Als ihm nicht geöffnet wurde, ging er in seine Wohnung und holte sich Geld. Anschließend begab er sich abermals in die Ulmenstraße, angeblich um von der dortigen Bushaltestelle aus mit dem Bus nach Köpenick zu fahren und dort in einer Gaststätte weiter zu zechen. Dabei bemerkte er vor dem Hause der Genossin Deutschmann ein Fahrzeug der VP. Es handelte sich um den inzwischen von der Mutter der Genossin Deutschmann und – nach der Rückkehr der Genossin Deutschmann – auch von ihr alarmierten Funkstreifenwagen 63.

[Name 1] erkundigte sich bei dem Fahrer des Funkstreifenwagens, ob sie sich seinetwegen dort befänden; denn er wäre auf dem Grundstück gewesen. [Name 1] wurde daraufhin von der Funkwagenstreife festgenommen (siehe auch das in der Anlage beigefügte Protokoll.)

Eine ausführliche Befragung der Genossin Deutschmann durch die VP war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, weil sie die Vertreter der Kripo stehen ließ und schlafen ging. Bei den Angehörigen der VP löste diese »Handlungsweise eines führenden Funktionärs« eine negative Reaktion und starke Verbitterung aus.

In den Vernehmungen erklärte [Name 1], dass er die Genossin Deutschmann nur vom Sehen her kennt und weder ihren Namen noch ihre Tätigkeit weiß. Er habe lediglich beabsichtigt, mit ihr etwas zu trinken und evtl. intime Beziehungen aufzunehmen. Er hatte vorher bei seinem gegenüber der Genossin Deutschmann wohnenden Kollegen [Name 2] zusammen mit ihm, dessen Frau und dessen Bruder bereits größere Mengen Alkohol getrunken und beim Verlassen der Familie [Name 2] noch Licht im Hause der Genossin Deutschmann brennen sehen.

Zur Art des Kennenlernens der Genossin Deutschmann sagte [Name 1] aus:

Er habe die Genossin Deutschmann im Sommer 1961 während eines Besuches bei dem ihm bekannten Klempner [Name 3], der in unmittelbarer Nachbarschaft der Genossin Deutschmann wohnt, in ihrem Grundstück im Liegestuhl gesehen und Gefallen an ihr gefunden. Auf seine Frage, wer diese Dame sei, habe ihm [Name 3] erklärt, dass es sich um eine alleinstehende Frau handle, die dort mit ihrer Mutter wohnt. [Name 1] habe dann noch öfters gesehen, wie Genossin Deutschmann mit einem Pkw »Pobjeda« nach Hause gebracht wurde. Er vermutet deshalb, dass sie in irgendeinem Büro beschäftigt sein könnte.

Bereits vor ca. drei Monaten kam es zu einem kurzen Wortwechsel zwischen [Name 1] und der Genossin Deutschmann, als [Name 1] angetrunken an dem Grundstück der Genossin Deutschmann vorbei lief und dabei von ihr gefragt wurde, »ob es geschmeckt« hätte. Dabei deutete [Name 1] an, dass er mit ihr auch einmal zusammen trinken würde, was aber die Genossin Deutschmann ablehnte, während ihre Mutter scherzhaft zustimmte.

Aufgrund der Funktion der Genossin Deutschmann wurde der Vorgang vom MfS weiter untersucht. Dabei könnten aber keinerlei andere Momente erarbeitet oder bewiesen werden und alle Überprüfungen und die Aussagen des [Name 1] stimmen vollinhaltlich mit dem oben geschilderten Sachverhalt überein. In der Untersuchung konnte auch kein Beweis dafür erbracht werden, dass die bei der Tatortbesichtigung gefundenen Gegenstände (1 Hobeleisen und 1 Schraubenschlüssel) mit der Tat in Zusammenhang stehen.

[Name 1] trug diese Gegenstände in seiner schon beschädigten Aktentasche. Während der Schraubenschlüssel sein Eigentum ist, gehört das Hobeleisen zusammen mit einem weiteren Hobeleisen, das sich noch in der Tasche befand, dem [Name 4], der zusammen mit [Name 1] in einem Haus wohnt. [Name 1] erklärte, dass er die Hobeleisen auf seiner Arbeitsstelle für [Name 4] schleifen wollte. Eines davon und den Schraubenschlüssel habe er wahrscheinlich beim Abstellen der Tasche im Grundstück der Genossin Deutschmann verloren.

Da die Untersuchungen des MfS nicht den Beweis erbrachten, dass die vorgenannten Handlungen des [Name 1] staatsfeindlichen Charakter trugen oder auf seine politische Haltung zurückzuführen sind, er aber andererseits höchstens wegen groben Unfugs und ruhestörenden Lärms zu Belangen gewesen wäre und, da es sich strafrechtlich lediglich um eine Übertretung handelt, nur eine geringfügige Strafe erhalten hätte, wurde der Vorgang von der VP nach Rücksprache mit dem MfS eingestellt und [Name 1] entlassen. Die Überprüfungen durch das MfS hatten weiterhin ergeben, dass es sich bei [Name 1] um einen arbeitsamen und unbescholtenen Bürger handelt.

[Name 1] wird vom MfS weiter unter operativer Kontrolle gehalten, um auch aufzuklären, ob evtl. noch andere Gründe oder Umstände bei der Beurteilung seiner Handlungen in Betracht gezogen werden müssen.

Anlage zur Information Nr. 757/61

– Abschrift –

VPI Lichtenberg | Abteilung K Dauerdienst | Bln.-Lichtenberg, den 11.11.1961

Protokoll

Am 11.11.1961, gegen 0.15 Uhr, erschien der Einsatzleiter des FStW 63 beim Unterzeichnenden und teilte mit, dass sie einen Einsatz in Berlin Kaulsdorf, [Straße, Nr.] im Auftrage des Operativstabs Lichtenberg hatten, wonach eine unbekannte männliche Person auf dem Grundstück der Genossin Deutschmann mit Gewalt Einlass erzwingen wollte. Beim Eintreffen am Ort war keine männliche Person in der Umgegend zu erblicken. Sie sahen sich den Tatort an und stellten hier fest, was in der Anzeige festgehalten wurde. Plötzlich erschien bei dem Fahrer des Funkwagens eine unbekannte männliche Person und erklärte diesem, dass er auf dem Grundstück war und die Frau die dort wohnt, er meinte hiermit die Genossin Deutschmann, beim »ficken« stören wollte. Da dem Genossen Kraftfahrer bekannt war, dass dort eine unbekannte männliche Person gesucht wurde, setzte er seine anderen beiden Genossen in Kenntnis, und von diesen wurde der Unbekannte festgenommen. Nach Feststellung der Personalien handelt es sich um den Kraftfahrer [Name 1], wohnhaft: Berlin-Mahlsdorf, [Straße, Nr.], geboren am [Tag, Monat] 1924 in Berlin.

Der [Name 1] wurde bei der VPI Lichtenberg inhaftiert. [Name 1] wurde vom Unterzeichnenden kurz gehört und stritt entschieden ab, auf dem Grundstück der Genossin Deutschmann gewesen zu sein. Er gab auch an, dass er die Genossin Deutschmann nicht kennt. Der Tatort wurde vom Unterzeichnenden aufgesucht und hier die Feststellungen getroffen, die im Tatortbefundsbericht protokolliert sind. Demnach wurden auf dem Grundstück eine Zigarette Marke Club, eine Zigarettenkippe Marke Club, ein Fahrradschlüssel und ein Hobeleisen gefunden.

KT vom PdVP Berlin wurde hinzugezogen und hier die Schuhabdrücke abgemessen. Sie hatten die Maße wie die Schuhe des [Name 1]. Nach der Tatortbesichtigung wurde der [Name 1] gegen 4.00 Uhr erneut gehört, und hier wurde ihm bewiesen, dass er doch auf dem Grundstück der Genossin Deutschmann war. Er gab dann Folgendes zu: Er kennt die Genossin Deutschmann vom Sehen her. Er weiß, dass sie des Öfteren mit einem Pkw nach Hause gefahren wird. Sie würde ihm auch gefallen und er sprach sie ca. drei bis fünf Wochen zurück an mit dem Bemerken, dass sie eine Flasche Wein trinken gehen wollen. Sie soll daraufhin zu dem [Name 1] gesagt haben, dass dies in nächster Zeit geschehen könnte.

Am 10.11.1961, gegen abends [sic!], ging er nach seiner Arbeit in die Gaststätte Nitz (Sängerheim) in Berlin-Kaulsdorf. Hier trank er mit einem Kollegen einige Glas Bier und Schnäpse. Danach will er zu seiner Frau nach Hause gegangen sein und holte sich 20,00 DM. Hiernach wollte er nach Berlin-Köpenick fahren um dort weiter zu zechen. Da er nach Köpenick mit dem Autobus fahren wollte, ging er zur [Straße]. Im Hause der Genossin Deutschmann sah er Licht und wollte mit dieser noch ein Bier trinken gehen. Aus diesem Grunde betrat der [Name 1] das Grundstück der Genossin Deutschmann und schlug gegen die Tür, damit geöffnet werden sollte. Er nahm dann auch Sand und Grasnarben und warf sie in das oben offen stehende Fenster. Da aber doch niemand öffnete, hat er dann das Grundstück wieder verlassen. Er gab auch zu, dass er an diesem Abend Zigaretten der Marke »Club« geraucht hat. Die Vernehmung, bzw. informatorische Vernehmung musste wegen anderer Dauerdienstarbeiten abgebrochen werden. Aus diesem Grunde kam es auch nicht mehr zu den Vorhalten, dass an dieser Stelle, wo er im Garten stand, noch das Hobeleisen und der Fahrradschlüssel gefunden wurde.

Die im Garten gefundenen Schuhabdrücke werden vom KT der VPI Lichtenberg gesichert. Weiterhin wird vom KT Lichtenberg eine Gesamtaufnahme des Tatortes vorgenommen. Kreisdienststelle wurde in Kenntnis gesetzt, und in der Nacht erschienen noch zwei Genossen des MfS. Von dort wird weiter an dem Vorgang gearbeitet.

Der OvD vom PdVP Berlin hat telefonisch Kenntnis erhalten.

F.d.R.d.A. | gez. Beetz, Ltn. der VP

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    6. Dezember 1961
    Einzel-Information Nr. 758/61 über einen schweren Grenzdurchbruch mittels eines Personenzuges am Bahnhof Albrechtshof im Bezirk Potsdam

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    5. Dezember 1961
    Bericht Nr. 710/61 über Mängel in der Leitungstätigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen