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Schusswechsel bei einer Fluchtaktion in Berlin

5. Oktober 1961
Einzel-Information Nr. 619/61 über eine Provokation der Westberliner Stumm-Polizei1 unter Anwendung von Schusswaffen an der Staatsgrenze nach Westberlin

Am 4.10.1961, gegen 20.20 Uhr wurde von den in der Swinemünder Str. 24 eingesetzten Beobachtern des Aufklärungszuges, Wm. [Name 1] und Wm. Peter, Gerhard nach verdächtigen Geräuschen auf dem Dach des genannten Hauses eine männliche Zivilperson festgestellt.2 Diese Person trug eine Wäscheleine und bewegte sich auf den Laufstegen am Dachfirst von Richtung Rheinsberger Str. nach den Dächern der Wolliner Str., parallel zur Bernauer Str., in der eindeutigen Absicht, republikflüchtig zu werden.

Wm. Peter rief diese Person an und forderte sie auf, stehen zu bleiben. Die Person ließ daraufhin die Wäscheleine fallen, lief im Laufschritt auf den Dächern weiter entlang und schrie dabei laut um Hilfe, ohne auf weitere Anrufe des Wachtmeisters Peter zu reagieren. Daraufhin nahm Wm. Peter die Verfolgung dieser Person auf, ohne im Besitz einer Waffe zu sein.

Auch der 2. Posten, Wm. [Name 1], konnte von seiner Schusswaffe keinen Gebrauch machen, weil Wm. Peter den Flüchtigen nach kurzer Zeit erreicht hatte und mit ihm in ein Handgemenge geriet. Aufgrund der Hilferufe des Flüchtigen wurde ihm von den an der Bernauer Str. eingesetzten Stummpolizisten Unterstützung zugesagt und Verstärkungskräfte der Westberliner Bereitschaftspolizei herangeholt.

Zu diesem Zeitpunkt erschien der Ultn. der VP, Hille, Dietmar, Polit-Stellvertreter der 1. Komp. der 2. Abt. (1. Grenzbrigade), der telefonisch von diesem Vorkommnis Kenntnis erhielt, und begab sich in eine Wohnung des Hauses Bernauer Str. 43, unmittelbar unter dem Dach, von wo aus er das Handgemenge zwischen dem Flüchtigen und Wm. Peter beobachten konnte.

Ultn. Hille gab deshalb zwei senkrecht in die Luft gerichtete Warnschüsse aus seiner Pistole ab, die keinesfalls – wie in der »Ullstein-BZ« vom 5.10.1961 behauptet wurde – auf Westberliner Territorium eingeschlagen haben können.3 Nach diesen Warnschüssen eröffneten Westberliner Stupos das Feuer auf unsere auf dem Dach befindlichen Posten und gaben ca. zehn Schuss aus Pistolen ab, wodurch Wm. Peter einen Durchschuss am Oberschenkel erhielt. U. a. konnte beobachtet werden, wie hinter einer Litfaßsäule hervor ein Stummpolizist und unmittelbar neben ihm ein Zivilist in Richtung demokratisches Berlin schossen.

In der Zwischenzeit breitete die Westberliner Feuerwehr ein Sprungtuch aus und forderte den Flüchtigen auf, zu springen. Die flüchtige Person trennte sich deshalb von dem ihn verfolgenden VP-Wm. Peter und suchte nach einer Möglichkeit des Abspringens. Da der verwundete VP-Wm. Peter ihn nicht daran hindern konnte, gab Ultn. Hille drei gezielte Schüsse aus seiner Pistole ab, von denen vermutlich zwei den Flüchtigen trafen. Die flüchtige Person sprang daraufhin vom Dach auf die Bernauer Str., verfehlte jedoch das Sprungtuch der Westberliner Feuerwehr und blieb tot auf der Straße liegen. Nach vorläufigen Feststellungen handelt es sich bei der flüchtigen Person um den 22-jährigen Bernd Lünser.

Nachdem die Westberliner Stupo das Feuer auf unsere Posten eröffnete und um die Flucht des Lünser zu verhindern, gaben Owm. [Name 2] (2 Schuss MPi), Uwm. [Name 3] (1 Schuss MPi) und Ltn. Finster (2 Schuss Pistole) Feuerunterstützung.

Während dieses Vorfalls sammelten sich auf Westberliner Gebiet ca. 500 Personen an, die zum Teil unsere Posten beschimpften. Außerdem waren während der Provokation ca. 50 bis 60 uniformierte Stummpolizisten und Feuerwehrleute unmittelbar am Provokationsort auf Westberliner Gebiet anwesend.

  1. Zum nächsten Dokument Sicherung der DDR-Westgrenze (4)

    6. Oktober 1961
    Abschlussbericht Nr. 625/61 über den Verlauf der Aktion zur Festigung der Staatsgrenze nach Westdeutschland

  2. Zum vorherigen Dokument Import von nicht benötigten Nahrungsgütern

    4. Oktober 1961
    Einzel-Information Nr. 479/61 über den Einkauf verschiedener Nahrungsgüter in den Volksdemokratien, für die bei uns kein Bedarf vorhanden ist