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Stand des Offenstallbauprogramms

4. März 1961
[Bericht] Nr. 123/61 über die Situation im Offenstallbauprogramm der DDR und über Auswirkungen des Ministerratsbeschlusses vom 5.1.1961 sowie seiner Ergänzung vom 26.1.1961

Aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse im In- und Ausland wurde 1957 in der DDR mit der breiten Propagierung des Offenstalles begonnen.1 Die vorgesehene Erhöhung der Viehbestände in der DDR und die fortschreitende Vergenossenschaftlichung auf dem Lande erforderten den schnellen Bau von billigen, geräumigen und vor allem betriebswirtschaftlich vorteilhaften Rinderställen.

In den Jahren 1958 bis 1960 wurde im breiten Maße das Offenstallbauprogramm durchgeführt. Dabei zeigte sich jedoch besonders im Jahre 1960 mit der immer größer werdenden Anzahl von Offenställen in der Praxis, dass einige wesentliche Faktoren, die unbedingte Voraussetzungen für eine gesunde Viehhaltung darstellen, bei den ökonomischen Untersuchungen nicht beachtet wurden. Dadurch entstand im Offenstallbauprogramm der DDR eine ernste Situation, auf deren Ursachen und Auswirkungen in diesem Bericht näher eingegangen wird.

Die Ursachen für die teilweise katastrophale Lage in den Offenstallanlagen sind nach vorliegenden zentralen und bezirklichen Hinweisen:

  • 1.

    Bei der Erarbeitung verschiedener Typen mit entsprechender Technologie wurde keine systematische wissenschaftliche Arbeit geleistet, sondern Mitarbeiter des zentralen Staatsapparates ließen sich oft von Vorstellungen und Ideen einzelner Personen leiten, die sie sofort in großem Umfang in der Praxis anwendeten. Versuchsbauten, die intensiv geprüft waren, gab es fast nicht.

  • 2.

    Vonseiten des zentralen Staatsapparates wurde zu stark auf niedrigste Platzkosten orientiert. Die Offenstallhaltung wurde so teilweise zur Primitivstallhaltung mit dem Ergebnis, dass fast alle in der Praxis stehenden Anlagen halbfertig sind.

  • 3.

    Die oft schlechte Bauausführung der Baubetriebe, die noch durch verzögerte Planung und Nichtdurchführung von Eigen- und NAW-Leistungen in den Bezirken gefördert wurde.

  • 4.

    Die ungenügende Beachtung des Verhältnisses – steigende Viehbestände einerseits und Verringerung der Getreideanbaufläche andererseits. Dadurch verschärfte sich das Streustrohproblem; denn es wurde nicht intensiv an der Erarbeitung der einstreulosen Haltung gearbeitet.

  • 5.

    Es wurde oft ohne Perspektive gebaut und in Fragen der Projekt- und Standortwahl gegenüber den Mitgliedern der LPG administriert. Die Arbeit des Staatsapparates war von der Praxis völlig losgelöst. Der zentrale Baustab, der die Hinweise der Praktiker bearbeiten sollte, wurde durch den ehemaligen Staatssekretär Wilke und den Sekretär des Baustabes, Griepentrog, 1958 aufgelöst. Die Verbindung zwischen Staatsapparat und Praxis wurde zerrissen und erst durch die Schaffung der Bezirksbeauftragten wieder hergestellt, jedoch teilweise sehr ungenügend.

  • 6.

    Gute Vorschläge der Praktiker wurden meist ignoriert und die Praktiker sogar öfter unberechtigt von einigen Mitarbeitern des zentralen Staatsapparates als Gegner des Offenstalles hingestellt.

  • 7.

    Die Koordinierung der Arbeit zwischen den Organen des Bauwesens und der Landwirtschaft auf zentraler und örtlicher Ebene war völlig unzureichend. Viele Planänderungen im ländlichen Bauwesen, z. B. im Kreis Parchim 30 Änderungen für den Plan 1961, sind das Ergebnis.

  • 8.

    Die Mechanisierung als einer der wichtigsten Faktoren zur Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Rinderhaltung war völlig ungenügend. So gab es z. B. bei der Auslieferung der RS09/15 an die Bezirke keine Differenzierung zwischen Schleppern für die Feld- und Pflegearbeiten und Hofschleppern, bzw. die Hofschlepper wurden für die Feldarbeiten von den LPG selbsttätig umgebaut, z. B. im Kreis Neubrandenburg.

  • 9.

    Der Qualifizierung des Melkpersonals wurde nur in sehr geringem Maße Rechnung getragen. So konnte es vorkommen, dass z. B. im Kreis Demmin in fünf Melkhäusern, die betriebsfertig sind, nicht gearbeitet wird, da keine qualifizierten Melker vorhanden sind.

  • 10.

    Insgesamt wurde das ländliche Bauwesen von vielen Staats- und Wirtschaftsfunktionären, ja teilweise sogar von Mitarbeitern der Partei in der Gesamtheit und Bedeutung unterschätzt.

Daraus resultiert, dass gegenwärtig die Mehrzahl der Offenställe unvollständig und nicht funktionsfähig ist. Die Offenstallanlagen entsprechen vielfach nicht den baulichen, veterinär-hygienischen und veterinär-medizinischen Anforderungen, neben den z. T. arbeitsmäßig unmöglichen Verhältnissen. Die gemachten Fehler führten zu einer verhältnismäßig breiten Ablehnung des Offenstalles in der Praxis.

Es muss jedoch klar festgestellt werden, dass es sich um Fehler des zentralen Staatsapparates, Fehler der örtlichen Organe der Staatsmacht sowie der für das ländliche Bauwesen zuständigen Organe handelt, die häufig die Prinzipien der innergenossenschaftlichen Demokratie und des demokratischen Zentralismus verletzten.

Die LPG wurden praktisch als Bauherren ignoriert, obwohl sie für die zukünftige Produktion in den Ställen verantwortlich sind. Durch die Vielzahl der nicht funktionsfähigen Ställe entstand nach Meinung von Experten der Wirtschaft der DDR ein ökonomischer Schaden in dreierlei Hinsicht:

  • a)

    Die geplante Milchmenge wurde nicht erreicht.

  • b)

    Durch ständige Umbauten an neuen Ställen bzw. deren Nichtbenutzung wurden nicht geplante Mittel verbraucht.

  • c)

    Die geplante Arbeitskräfteeinsparung wurde aufgrund unzureichender Mechanisierung nicht realisiert.

Nach vorsichtigen Schätzungen beträgt die relative Schadenssumme etwa 115 Mio. DM.

Im Einzelnen wurden dieser Schätzung u. a. folgende Faktoren zugrunde gelegt:

  • 40 % der Projekte »Brandenburg« werden nur noch zweckentfremdet verwendet. Das entspricht einem Schaden von ca. 20 Mio. DM.

  • Zur Mängelbeseitigung werden in der Praxis pro Kuhplatz ca. 100 DM zusätzlich benötigt. Bei 5 000 Offenställen – à 60 Plätze – sind das ca. 30 Mio. DM.

  • Die unvollkommene Mechanisierung der Offenställe erfordert eine Arbeitskraft mehr als geplant. Bei einem durchschnittlich erarbeiteten Wert von 10 TDM je Arbeitskraft wären das ca. 35 Mio. DM.

  • Durch unzureichende Projekte und Nicht-Fertigstellung der Anlagen muss in den Wintermonaten mit einem Milchabfall von ca. 2–3 kg je Tier und Tag gerechnet werden. Das bedeutet etwa 30 Mio. DM Schaden.

Neben dem ökonomischen Schaden muss der eingetretene große politische Schaden gesehen werden. Durch die falsche Orientierung, besonders hinsichtlich der Kosten, der Technologie usw., wurde das Vertrauen der Praxis zum Staatsapparat stark verletzt.

Die gesamte Situation entstand und verschlechterte sich vor allem dadurch, als die in den Offenstall gesetzten Erwartungen zum Teil ausblieben, die vorhandene Skepsis gegenüber diesem Stall nicht überwunden wurde und ein ganzer Teil der Mitarbeiter des zentralen und örtlichen Staatsapparates begann, an den selbst gefassten Beschlüssen zu zweifeln. Dabei wurden diese Zweifel jedoch nicht vor oder während der Beschlussfassung, sondern oft nur in Diskussionen gegenüber Praktikern geäußert.

Neben dem unmittelbaren Schaden für die DDR, der aus der bisherigen Praxis des Offenstallbaues entstanden ist, muss auf die evtl. internationalen Auswirkungen hingewiesen werden. Ein Teil der sozialistischen Länder baut die gleichen Offenstalltypen wie die DDR, besonders Bulgarien, Rumänien und Ungarn.

Der DDR erwächst damit eine große Verantwortung für den Offenstallbau im gesamten sozialistischen Lager. Es wäre deshalb notwendig, die ausländischen Freunde rechtzeitig von den Ergebnissen der Offenstallhaltung in der DDR und den dabei gesammelten Erfahrungen in Kenntnis zu setzen, um ähnliche Auswirkungen wie in der DDR zu vermeiden.

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass es für die entstandenen verschiedenen Fehler und Mängel in den vergangenen Jahren mehrere Hinweise aus der Praxis, von Mitarbeitern des Staatsapparates und auch vom MfS gab, die vielfach von leitenden Funktionären des zentralen Staatsapparates ignoriert wurden.

Die gegenwärtige Situation erfordert unbedingt sämtliche vorhandenen Offenstallanlagen aus den Jahren 1958 bis 1960 zu komplettieren und den LPG mehr Rechte bei der Entscheidung in einzelnen Baufragen einzuräumen.

Für die Komplettierung werden nach vorliegenden Hinweisen etwa 70 % der geplanten Mittel, die zum Bau neuer Ställe im Jahre 1961 vorgesehen waren, benötigt. Dadurch können aber eine große Anzahl Plätze, die im Jahre 1961 vorgesehen waren, nicht geschaffen werden und es verringern sich auch die im Siebenjahrplan2 vorgesehenen Stallplätze.

Aus einigen Kreisen gibt es solche Hinweise, dass die Mittel für das Jahr 1961 restlos zur Komplettierung aufgebraucht werden, ja teilweise sogar nicht ausreichen.

Es sind z. B. in einigen Kreisen des Bezirks Frankfurt/O. für das Jahr 1961 folgende Komplettierungskosten geplant, die von zuständigen Stellen als real eingeschätzt werden:

  • Angermünde: 27,7 TDM je bisher gebautem Offenstall,

  • Bernau: 21,1 [TDM je bisher gebautem Offenstall],

  • Seelow: 55,8 [TDM je bisher gebautem Offenstall].

Insgesamt werden die Komplettierungskosten für die DDR von Praktikern auf ca. 150 Mio. DM geschätzt.

Nach Ansicht von Experten stellt die Komplettierung zum jetzigen Zeitpunkt ein staatlich fixiertes Vertuschen der jahrelangen fehlerhaften Entscheidungen des zentralen Staatsapparates, insbesondere es Ministeriums für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft, des Ministeriums für Bauwesen und der Staatlichen Plankommission in Fragen des Offenstallbaues dar. (Kosten – Technologie). Sie hätte müssen bedeutend früher einsetzen, zumal Hinweise über Mängel in der Kostengestaltung, der Technologie u. a. vorgelegen haben.

Berichte besagen, dass der Ministerratsbeschluss vom 5.1.1961 und seine Ergänzung vom 26.1.1961 von den Werktätigen der Landwirtschaft, soweit er ihnen bekannt ist, anerkannt und begrüßt wird.3

Von Bedeutung ist jedoch, dass sich bereits jetzt schon wieder bei einer Reihe von Personen aus den LPG und dem Staatsapparat verschiedene Tendenzen in der Auslegung des Beschlusses abzeichnen. Dazu sollen auch einige Artikel, u. a. in der »Neuen Deutschen Bauernzeitung« Nr. 7 und 8, der »Bauzeitung« 2/61 und im ND vom 22.2.19614 mit beigetragen haben, die zu keiner völligen Klarstellung führten, sondern teilweise noch Verwirrung in der Praxis hervorriefen.

So gibt es in allen Bezirken der Republik Hinweise, dass der weitere Bau von Offenställen abgelehnt und der Bau von Anbindeställen verlangt wird. Vor allem zum Ergänzungsbeschluss vom 26.1.1961 gibt es verschiedene Meldungen und Tendenzen, die unserer Entwicklung entgegenstehen. Z. B. werden zu der Formulierung im Punkt 1 des Ergänzungsbeschlusses: »Für die Unterbringung des Viehes, insbesondere der Rinder und Kühe, sind die LPG selbst voll verantwortlich. Alle staatlichen Organe des Bauwesens, der Landwirtschaft, Wasserwirtschaft und Hygiene werden verpflichtet, den LPG nach deren Entscheidung über die zweckmäßigste Form des Um-, Aus- und Neubaues von Ställen jegliche Unterstützung zu gewähren« … in der Praxis zum Teil solche Diskussionen geführt, wie »Die Karre, die der zentrale Staatsapparat in den Dreck gefahren hat, sollen wir nun in eigener Verantwortung wieder herausziehen.«

Außerdem liegen mehrere Hinweise dafür vor, dass die genannte Formulierung des Ergänzungsbeschlusses vom 26.1.1961 sehr willkürlich ausgelegt wird und damit die Gefahr einer Anarchie im ländlichen Bauwesen in sich birgt. Diese Meinung wird damit begründet, dass die Komplettierung bzw. der Neubau von Stallanlagen in der vorgeschlagenen Form der Standardisierung des Bauprogramms der Landwirtschaft vom bautechnischen Standpunkt bzw. von Seiten der Innenmechanisierung entgegenwirkt.

Mit dem restlosen Zumauern der Offenställe bzw. dem Bau von Anbindeställen sinkt die Arbeitsproduktivität aufgrund der geringeren Mechanisierungsmöglichkeit nach bisherigen Schätzungen gegenüber dem Offenstall um ca. 30 %.

Aus Kreisen des Bauwesens und der Landwirtschaft wurden dahingehende Meinungen bekannt, dass dieser Beschluss den Fragen der Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht genügend Rechnung tragen würde.

Weiterhin heißt es im 1. Punkt des Ergänzungsbeschlusses vom 26.1.1961:

»Die durch die LPG vorgenommenen Veränderungen und Umbauten an Offenställen dürfen durch Auflagen staatlicher Organe nicht rückgängig gemacht werden« …

Damit können auch die LPG, die ihre Offenställe zugemauert haben, diese Veränderung belassen. In vorliegenden Hinweisen wird jedoch festgestellt, dass diese Maßnahme keinesfalls zu einem besseren und gesunden Zustand der Tiere beitrage, weil die Ställe dadurch feucht und die Luft äußerst nasskalt werden würden.

Außerdem würde mit dieser Maßnahme die Schimmelbildung stark gefördert und die Haltbarkeit der Offenställe gefährdet.

In einem großen Teil der Baubetriebe, besonders der Mastenbaubetriebe aller Bezirke, die sich einen hohen Plan in der Pro-Kopf-Leistung der Bauarbeiter gestellt haben, wird negativ diskutiert und erklärt, dass sie mit den Ausbesserungs- und Komplettierungsarbeiten usw. die gestellten Ziele nicht erreichen könnten. Außerdem gibt es Bestrebungen, die Bauleistungen im ländlichen Bauwesen mehr und mehr den Baubrigaden der sozialistischen Landwirtschaft mit deren bisher ungenügenden technischen Voraussetzungen zu übertragen.

Von den Bezirken wird sehr stark bemängelt, dass die Maßnahmen der Komplettierung usw. nicht bereits vor einem halben Jahr beschlossen wurden. Hinweise in dieser Richtung hätte es doch sehr viele gegeben. Jetzt hat die größte Anzahl der Bezirke die Planung schon abgeschlossen, die Projektierungsarbeiten waren fast durchgeführt und es wurden schon die ersten zum Plananlauf 1961 vollzogen. So wurde z. B. der VEB Bau Suhl-West im September 1960 mit dem Aufbau einer Taktstraße beauftragt und sollte 40 Offenställe, 35 Silos und 24 Melkhäuser im Jahre 1961 bauen. Das Material wurde schon an die einzelnen Baustellen transportiert und der erste Takt des Takt- oder Fließverfahrens durchgeführt. Jetzt wird nicht weitergebaut. Die Baubetriebe schließen keine Verträge mehr ab. Auch die Arbeit an den im Bau befindlichen Objekten im ländlichen Bauwesen wurde eingestellt, da die Bauernbank eine Finanzierung ablehnt. In vielen Fällen leisten die Baubetriebe im Rahmen des Bauprogramms des ländlichen Bauwesens keinerlei Arbeit. Sie behaupten, sie stehen zwischen zwei Feuern: die Landwirtschaft verlange neue Produktionsbauten und wenn sie sich für bestimmte entschieden haben, werden sie von den zentralen Organen des Bauwesens bzw. der Landwirtschaft für evtl. Falschbauten zur Rechenschaft gezogen. Die Baubetriebe verlangen deshalb eine klare Orientierung. Der Bezirk Suhl schätzt z. B. ein, dass die Plandurchführung seitens der Baubetriebe äußerst gefährdet ist. Es wurden schon Lieferverträge für Dachkonstruktionen, Tore, Fressgitter usw. abgeschlossen, die kurzfristig wieder storniert werden mussten. Eine derartige Situation trat auch in anderen Bezirken auf.

Bei den Bezirken, die mit derartigen Schwierigkeiten nicht zu kämpfen haben, handelt es sich oft um solche, bei denen der Plananlauf und die Vorbereitungen für 1961 äußerst schlecht waren. In den Berichten wird es für zweckmäßig erachtet, die Durchführung des Ministerratsbeschlusses einer straffen Kontrolle aller Organe zu unterziehen, um jede schädigende Tätigkeit auf diesem Gebiet zu verhindern.

Um die Mitglieder der LPG schnell für die Komplettierung der Offenställe zu gewinnen, wäre es notwendig, die bei der Verwirklichung der Beschlüsse in den Bezirken zutage getretenen Fehler durch den zentralen Staatsapparat in Presse und Funk kritisch anzusprechen und den LPG eine klare Orientierung zu geben, um damit den verschiedenen abweichenden Tendenzen entgegenzuwirken. Dies wird außerdem für erforderlich gehalten, weil der Ergänzungsbeschluss vom 26.1.1961 selbst einem großen Teil der zuständigen Mitarbeiter des Staatsapparates vor der Beschlussfassung nicht bekannt war.

Auch auf der Offenstall-Tagung der DAL in Leipzig am 27. und 28.1.1961, die nach vorliegenden Einschätzungen insgesamt keinesfalls befriedigen konnte, wurde z. B. nicht klar herausgestellt, wie die Praxis unter den gegenwärtigen Bedingungen Veränderungen treffen soll, um eine Verbesserung zu erreichen. Es wurden zwei Möglichkeiten aufgezeigt. Diese lösten jedoch nur Teilprobleme. Eine größere Anzahl von Praktikern sowie Fachexperten der Landwirtschaft und des Bauwesens vertritt die Meinung, dass mit dem unbefriedigenden Ausgang der Tagung der Offenstall abgelehnt wurde, was eine Reihe Tendenzen in der Praxis bereits zeigen.

Eine solche extreme Änderung würde jedoch Schaden bringen, da sich bisher zeigte, dass der Offenstall viele positive Seiten hat und die Mängel meist subjektive Ursachen haben. Folgende in der Praxis teilweise einen sehr großen Umfang einnehmende Tendenzen gibt es bei der Auslegung des Ergänzungsbeschlusses vom 26.1.1961:

  • 1.

    Es werden nicht mehr Offenställe sondern Anbindeställe gebaut. Das Ergebnis ist, dass die Arbeitsproduktivität um ca. 30 % sinkt. Mitarbeiter des Rates des Kreises Langensalza, Abteilung Landwirtschaft, äußerten z. B. dazu: »Jetzt haben wir endlich die Möglichkeit erhalten, unsere Offenställe in Anbindeställe umzubauen.«

  • 2.

    Die Offenställe werden zugemauert. Dadurch entstehen sog. »Tropfsteinhöhlen«, gedeiht nur ungesundes Vieh und wird das Zusammenbrechen der Ställe beschleunigt. Beispiele dafür gibt es in den Bezirken Potsdam, Frankfurt/O. und Cottbus.

  • 3.

    Die Offenställe werden verbunden mit Umbau zweckentfremdet als Bergeräume, Feldscheunen, Unterstellmöglichkeiten für Maschinen usw. verwendet. Durch diese Handlungsweise wird die Unterbringung des Viehs zu einem immer größer werdenden Schwerpunkt. Solche Hinweise gibt es aus den Bezirken Gera und Cottbus. Hier gibt es solche Vorstellungen, die bisher gebauten Offenställe um drei Meter zu erhöhen und als Bergeräume zu verwenden.

  • 4.

    Nach der Meinung »1961 wird nicht komplettiert, wir lassen die Anlagen unfertig und bauen Anbindeställe« werden die Offenställe dem restlosen Verfall überlassen. So vertraten z. B. der Mitarbeiter Normann des Kreisbauamtes Arnstadt und Pitsch, Mitarbeiter des Rates des Kreises, Abteilung Landwirtschaft, folgende Meinung: »Gebt uns nur das notwendige Material für die Komplettierung der Ställe. Wir bauen keine Wegebefestigungen, sondern Produktionsbauten. Sind wir solange durch den Dreck gegangen, geht es auch noch weiter so.«

Auch hierzu gibt es weitere Beispiele.

In den Berichten und Mitteilungen wird darauf hingewiesen, dass der Ergänzungsbeschluss vom 26.1.1961 aufgrund der kurzen Terminstellung zur Planung schon wieder ein administratives Handeln gegenüber der Basis in sich birgt. So gibt es bereits mehrere Beispiele, wo vom grünen Tisch aus entschieden wurde und die Vorschläge der LPG-Mitglieder keine Berücksichtigung fanden, bzw. wo der Beschluss so ausgelegt wurde, dass die daraus abgeleiteten Maßnahmen teilweise einer Standardisierung sowie Innenmechanisierung entgegenwirken. Weiterhin gibt es vielseitige Hinweise, dass die von der Landwirtschaft in Form von NAW- und LPG-Baubrigaden zu bringenden Leistungen von 38 % = 30,5 Mio. DM als unreal eingeschätzt werden.

Im Jahre 1960 z. B. wurden die insgesamt geplanten 10 % Eigenleistung der LPG beim Bau der Offenställe bei weitem nicht erfüllt. Der Bezirk Frankfurt/O. hatte z. B. 12 % Eigenleistung eingeplant, brachte jedoch nur 0,9 %. Daraus ist mit zu entnehmen, dass auch im Jahre 1961 die Aufgaben im ländlichen Bauwesen von vornherein unter diesen Bedingungen nicht zu erfüllen sind.

Aufgrund der im Bericht aufgezeigten Mängel und Schwächen im Offenstallbauprogramm sowie bei der Verwirklichung der Ministerratsbeschlüsse vom 5.1.1961 und 26.1.1961 sollten folgende Vorschläge auf ihre Verwirklichung hin überprüft werden:

  • 1.

    Das MfLEu.F sollte beauftragt werden, mit den Landwirtschaftsministerien Bulgariens, Rumäniens und Ungarns einen Erfahrungsaustausch zu organisieren, um zu vermeiden, dass diesen Ländern im Offenstallprogramm ähnliche Fehler unterlaufen, zumal der RGW 1960 diesen Ländern empfahl, sich im Offenstallbau auf die Erfahrungen der DDR zu orientieren.

  • 2.

    Durch zentrale Organe sollten die Verwirklichung der Ministerratsbeschlüsse vom 5. und 26.1.1961 in den Bezirken Potsdam, Frankfurt, Cottbus und Gera überprüft und die dabei festgestellten Fehler beseitigt und in der Presse ausgewertet werden, um Klarheit über die Verwirklichung der Beschlüsse zu schaffen.

  • 3.

    Um die zweckentfremdete Verwendung von Geräten zur Mechanisierung der Offenställe zu verhindern, sollte die Übergabe dieser technischen Ausrüstungen zweckgebunden erfolgen.

  • 4.

    Baufachleute und Praktiker des Offenstalles sollten beauftragt werden, innerhalb eines festzusetzenden realen Termins im Rahmen einer sozialistischen Arbeitsgemeinschaft ein praktisches, mit allen Vorzügen ausgestattetes Typenprojekt eines Offenstalles zu entwerfen.

  • 5.

    Die für 1961 vorgesehenen NAW- und Eigenleistungen der Landwirtschaft sollten vor Beschlussfassung des Volkswirtschaftsplanes nochmals auf ihre Realität überprüft werden.

  • 6.

    Außerdem müsste die Planungskennziffer der Pro-Kopf-Leistung der Bauwirtschaft für die Landwirtschaft (Mastanbaubetriebe mit 100 000 DM pro Arbeitskraft) auf ihre Realität überprüft werden. Die teilweise vorgesehene Umstellung der Serientaktfertigung auf Komplettierungsarbeiten ermöglicht diesen Baubetrieben nicht, die geplante Arbeitsproduktivität pro Produktionsarbeiter zu erreichen.

  1. Zum nächsten Dokument Meinungen von Funktionären zum Offenstallbauprogramm

    4. März 1961
    [Einzel-Information] Nr. 124/61 über die Haltung verantwortlicher Funktionäre des zentralen Staats- und Parteiapparates zum Offenstallbauprogramm

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    28. Februar 1961
    [Bericht] Nr. 98/61 über Mängel und Hemmnisse bei der Verwirklichung der Maßnahmen zur Vorbereitung und Sicherung der Frühjahrsbestellung 1961 und bei der Verwirklichung der Beschlüsse der 7. und 8. Tagung des ZK der SED