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Festnahme zweier Ostberliner wegen des Verteilens von Flugblättern

[ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 375/63 über die Festnahme zweier Personen wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze

Am 15.6.1963 wurden in den Mittagsstunden im Volkspark Friedrichshain 13 Hetzflugblätter sowie in Berlin-Treptow, Plänterwald, 16 Hetzflugblätter (15 × 5 cm) gefunden.

Inhalt, Größe und Herstellungsart ließen auf den gleichen Täter schließen.

Aufgrund von auswertbaren Hinweisen aus der Bevölkerung führten die sofort eingeleiteten Maßnahmen noch am gleichen Tage zur Festnahme des [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1934 in Berlin, wohnhaft Berlin-Adlershof, [Straße, Nr.], beschäftigt als Bau-Ingenieur beim VEB Stuck und Naturstein Berlin, Mitglied der SED seit 1952.

Die Vernehmung des [Name 1] bestätigte den gegen ihn gehegten Verdacht und erbrachte Hinweise auf den Mittäter [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1936 in Schöneberg, wohnhaft Berlin NO 18, [Straße, Nr.], beschäftigt als Sachbearbeiter für Standardisierung im VEB Stuck und Naturstein Berlin (Fernstudent), der ebenfalls am 15.6.1963 noch festgenommen wurde.

Die Untersuchungen durch das MfS ergaben bisher:

Zwischen [Name 1], der seit ca. einem viertel Jahr im VEB Stuck und Naturstein beschäftigt ist, und dem [Name 2] bestand ein gutes persönliches Verhältnis. In einer ganzen Anzahl von Gesprächen stellten beide fest, dass sie mit den Sicherheitsmaßnahmen der DDR vom 13.8.19611 nicht einverstanden waren.

Die von beiden mehrmals geäußerte Unzufriedenheit darüber führte in der vergangenen Woche zu dem Entschluss, Hetzschriften herzustellen und darin ihre ablehnende Haltung offen zum Ausdruck zu bringen. [Name 1] kaufte sich zu diesem Zweck in Mirow/Mecklenburg anlässlich des Besuches bei seiner Schwester einen Druckkasten.

Mithilfe dieses Druckkastens fertigte [Name 1] zuerst drei Hetzflugblätter mit folgender Losung an:

»Berliner! Denkt an die Mauer! | Darum: Fordert die Einheit unserer Stadt. | Meidet alles, was das Unrecht stützt. | 80 % haben ihre Lügen satt! | Grenzer! – Mord bleibt Mord!«

Am 14.6.1963 legte [Name 1] dem [Name 2] diese Entwürfe vor. [Name 2] war mit dem Inhalt einverstanden. [Name 1] stellte daraufhin weitere 70 derartige Hetzschriften her, die er in seinem Pkw versteckte.

Da sich der [Name 2] aufgrund seines Studientages am 15.6.1963 in seiner Wohnung aufhielt, begab sich [Name 1] in den Mittagstunden zu [Name 2], wobei sie beschlossen, die selbstgefertigten Hetzschriften sofort zu verteilen.

Zur Verwirklichung ihrer Absicht, die Flugblätter einem möglichst großen Bevölkerungskreis zugänglich zu machen, kamen sie überein, diese im Volkspark Friedrichshain anlässlich des Pressefestes des ND zu verteilen.

Beide nahmen eine Anzahl der Hetzschriften an sich, die sie an einer Steineinfassung beim Aufgang zum »Großen Bunkerberg« zusammen ablegten, wobei sie insbesondere mit einer Weiterverbreitung durch Windeinwirkung rechneten.

Nach Ablage dieser Flugblätter im Friedrichshain brachte [Name 1] den [Name 2] in dessen Wohnung zurück, während er selbst den Rest seiner Hetzflugblätter im Plänterwald ablegen wollte. Da er bei Ausführung dieses Vorhabens beobachtet wurde, legte er nur an drei Stellen die bereits genannten 16 Schriften aus und floh mit seinem Pkw.

In den Abendstunden des 15.6.1963 konnte [Name 1] festgenommen werden.

Bei der Durchsuchung der Wohnung des [Name 1] wurde der für die Tat benutzte Handdruckkasten, der noch den zusammengesetzten Text des Hetzflugblattes enthielt, ein Hetzflugblatt sowie Stempelkissen und Papier gefunden.

Über die Motive der Tat sagten [Name 1] und [Name 2] bisher aus:

Beide seien mit den Sicherheitsmaßnahmen der Regierung der DDR vom 13.8.1961 nicht einverstanden, da sie dadurch nicht mehr nach Westberlin fahren könnten. Diese Einstellung wollten sie anderen Menschen bekanntgeben mit dem Ziel, sie zu einer gleichen oder ähnlichen Haltung zu bewegen und ein Rückgängigmachen einiger Maßnahmen des 13.8.1961 zu fordern.

Dieses Ziel wollten sie auch mit Mitteln der »Passivität«, der Ablehnung jeglicher politischer und gesellschaftlicher Betätigung erreichen (weitere Untersuchungen dazu werden geführt).

Die notwendigen Maßnahmen zur Feststellung eventueller Verbindungen zu volksfeindlichen Organisationen in Westberlin bzw. Westdeutschland wurden eingeleitet.

  1. Zum nächsten Dokument Vorkommnisse am Berliner Grenzübergang Waltersdorfer Chaussee

    18. Juni 1963
    Einzelinformation Nr. 377/63 über Vorkommnisse auf Westberliner Seite des neu eingerichteten Passierpunktes Waltersdorfer Chaussee (KPP Flughafen Schönefeld)

  2. Zum vorherigen Dokument Sprengstoffanschlag und geplante Sprengstoffanschläge in Ostberlin

    17. Juni 1963
    Einzelinformation Nr. 374/63 über einen Sprengstoffanschlag in der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1963 und über zwei weitere geplante Sprengstoffanschläge in der gleichen Nacht