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Liquidierung jugendlicher Untergrundgruppen

29. März 1963
Einzelinformation Nr. 211/63 über bisherige Untersuchungsergebnisse gegen jugendliche Untergrundgruppen in der DDR

Ab Mitte des Jahres 1962 wurden von den Organen des MfS in mehreren Bezirken der DDR Untergrundgruppen liquidiert, die in der Regel etwa seit Anfang bzw. Mitte des Jahres 1962 tätig waren und sich in fast allen Fällen ausschließlich aus Jugendlichen zusammensetzten. Diese Gruppen hatten zum Teil sehr weitgehende und durchdachte Pläne zur Organisierung einer umfangreichen und systematischen Untergrundtätigkeit.

Die einzelnen Untergrundgruppen befassten sich hauptsächlich mit der Herstellung und Verbreitung von Hetzflugblättern und Schmieren von Hetzparolen. Teilweise waren auch bereits Terror und Diversionsakte vorgesehen, wozu einzelne Handfeuerwaffen und Sprengmittel beschafft wurden.

Charakteristisch für die meisten Gruppen sind deren ausgesprochen faschistische und nationalistische Tendenzen.

Folgende Gruppen wurden im genannten Zeitraum liquidiert:

1. Gruppe [Name 47] u. a. (»Organisation Freies Deutschland«), sechs Personen, Tätigkeitsgebiet Leipzig-Stadt, Ermittlungsverfahren seit 15.2.1963

2. Gruppe [Name 38] u. a.,1 fünf Personen, Tätigkeitsgebiet Jena, Ermittlungsverfahren seit 11.2.1963

3. Gruppe [Name 2] u. a. (»Deutsche Befreiungsfront«), vier Personen, Tätigkeitsgebiet Dessau, Rosslau und Bitterfeld, Ermittlungsverfahren seit 2.1.1963

4. Gruppe [Name 55] u. a., sechs Personen, Tätigkeitsgebiet Halle/Saale, Ermittlungsverfahren seit 16.3.1962, abgeschlossen im Juli 1962

5. Gruppe [Name 56] u. a. (»Großdeutscher Geheimbund«), fünf Personen, Tätigkeitsgebiet Oelsnitz, Lugau, Gersdorf, Bezirk Karl-Marx-Stadt, Ermittlungsverfahren ohne Haft seit 4.3.1963

6. Gruppe [Name 19] u. a., fünf Personen, Tätigkeitsgebiet 4. VP-Bereitschaft Magdeburg, Ermittlungsverfahren seit 22.12.1962

7. Gruppe [Name 57] u. a., zwei Personen, vorgesehenes Tätigkeitsgebiet Raum Berlin, Ermittlungsverfahren seit 31.10.1962

8. [Name 18, Vorname], fünf Personen im Aufnahmeheim Prietzier angesprochen, Ermittlungsverfahren seit 28.9.1962

Der überwiegende Teil der Täter ist unter 21 Jahre alt, zwölf der Täter haben das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht. In den meisten Fällen handelte es sich um Arbeiterkinder (24), 20 arbeiten als Lehrlinge bzw. Arbeiter in VEB. Unter den Tätern befinden sich zwei Mitglieder der SED und 19 FDJ-Angehörige.

Die Tätigkeit dieser Untergrundgruppen richtete sich von Anfang an gegen die gesellschaftliche Ordnung in der DDR. In der Regel bestanden klar umrissene und zum Teil auch schriftlich fixierte Vorstellungen über Ziel, Organisation und Methodik der durchzuführenden Feindtätigkeit. Diese gingen jedoch in vielen Punkten über die konkreten Möglichkeiten der einzelnen Gruppen hinaus.

So schreibt z. B. der 19-jährige [Name 47], Leipzig, in der von ihm verfassten Hetzschrift »Über die Bekämpfung einer Diktatur« u. a.:

»Es muss eine Untergrundorganisation geschaffen werden. Diese kann man erreichen, wenn einige fähige und fanatische Leute kleinere Widerstandsgruppen aus 100 % zuverlässigen Bürgern aufbauen. Diese Gruppen müssen sich vorsichtig tastend nähern und zusammenschließen. Es muss eine ungeheure Propagandawelle entfesselt werden. Die Voraussetzung dazu ist die Schaffung einer militärisch straffen Organisation. Unser Ziel ist es, Unruhe zu schaffen, eine starke Organisation aufzubauen, dem Gegner aus dem Hinterhalt Schläge zu versetzen und die Situation reif für einen bewaffneten Volksaufstand unter Einbeziehung der Armee zu machen …«

Im »Programm« der Gruppe [Name 2] heißt es:

  • »1.

    Aufbau einer schlagkräftigen Organisation, deren Mitgliedern bewusst ist, dass es um eine gerechte Sache an der deutschen Nation geht.

  • 2.

    Das deutsche Volk im Osten unserer geteilten Heimat wachzurütteln und durch kleine Hinweise aufmerksam zu machen.

  • 3.

    Ausbau der Befreiungsfront auf größere Gebiete.

  • 4.

    Völlige Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass es nur einen Weg zur Wiedervereinigung gibt: die Revolution.

  • 5.

    Verstärkte militärische Ausbildung und Ausstattung der Truppenteile der Befreiungsfront.«

Ausgehend von einer durch die Hetzpropaganda des Gegners hervorgerufenen falschen Einschätzung der Lage in der DDR glaubten die Täter, die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR könnten durch die Entfaltung einer systematischen Untergrundtätigkeit auf Gruppenbasis im Sinne der westdeutschen Ultras2 beseitigt werden.

Alle Gruppen waren bestrebt, sich zu vergrößern, um wirkungsvollere Untergrundoperationen durchführen zu können. Bei einigen (z. B. [Name 47], [Name 2] und [Name 18]) gingen diese Pläne so weit, eine über große Gebiete der DDR verzweigte Untergrundorganisation zu schaffen.

Ihre vordringlichste Aufgabe sahen die Untergrundgruppen in der Organisierung einer systematischen und wirkungsvollen Hetzpropaganda mit dem Ziel, die Bevölkerung der DDR gegen die Regierung aufzuwiegeln und fortschrittliche Kräfte einzuschüchtern.

Die Tätigkeit aller Gruppen trug organisierten Charakter. Die einzelnen Mitglieder hatten sich eng zusammengeschlossen und schirmten sich gegen Außenstehende ab. Auch die Namensgebung einiger Gruppen zeugt von einer teilweise stark ausgeprägten Organisiertheit.

Die Hauptmethode der staatsgefährdenden Propaganda und Hetze der Untergrundgruppen bestand im Verbreiten von Hetzflugblättern (fast ausschließlich selbst entworfen und hergestellt) und Schmieren von Hetzparolen.

Zur Herstellung der Hetzschriften wurden fast immer handelsübliche Kinderdruckkästen verwandt. So stellten die Gruppen [Name 38] ca. 3 500, [Name 47] ca. 900, [Name 56] ca. 75 Hetzschriften mit dieser Methode her. Die Gruppen [Name 55] und teilweise [Name 2] fertigten ihre Hetzflugblätter mit der Schreibmaschine ([Name 55] ca. 800). Die Gruppe [Name 2] stellte darüber hinaus handschriftlich Hetzflugblätter her oder verwendete aus Ballonabwürfen der sogenannten Arbeitsgemeinschaft Mitteldeutscher Demokraten oder der »Christlich-sozialen Gemeinschaft« stammende Hetzschriften. Teilweise wurden diese vor der Weiterverbreitung noch mit dem »Gruppenstempel« bzw. anderen hetzerischen Zusätzen versehen, in manchen Fällen diente der Inhalt zur Ausarbeitung eigener Hetzschriften.

Die Verbreitung der Hetzflugblätter erfolgte durch Ausstreuen auf Straßen und Plätzen, Einwerfen in Hausbriefkästen und Anheften an öffentlich zugänglichen Stellen.

Bei der Herstellung und Verbreitung der Hetzschriften arbeiteten die Täter meist mit Gummihandschuhen. Die Gruppe [Name 2] verbreitete die Hetzflugblätter zur besseren Tarnung in mehreren Städten.

Um den Anschein einer breiten, organisierten Untergrundbewegung zu erwecken, unterzeichneten einige Gruppen ihre Hetzschriften mit den Anfangsbuchstaben ihrer Gruppennamen (z. B. Gruppen [Name 47], [Name 2] und [Name 56]).

Der Inhalt der Hetze richtete sich hauptsächlich gegen die politischen Verhältnisse in der DDR, gegen die Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.19613 sowie gegen den Staatsratsvorsitzenden4 der DDR. Die westdeutschen Verhältnisse dagegen wurden in lügnerischer Weise verherrlicht.

Eine weitere Methode ihrer Feindtätigkeit war das Anschmieren von Hetzparolen und faschistischen Symbolen an Mauern oder auf feste Straßen unter Verwendung von Ölfarbe oder Kreide.

Faschistische Losungen und Symbole schmierten vor allem die Gruppen [Name 47] und [Name 56], Letztere hetzte mit ihren Parolen darüber hinaus besonders gegen die zeitweilig in der DDR stationierten Truppen der Sowjetunion.

Die Gruppe [Name 19] (4. VP-Bereitschaft) führte ihre staatsgefährdende Propaganda und Hetze fast ausschließlich in mündlicher Form durch. In ausgeprägter Weise wurden dabei die Zeit des Faschismus verherrlicht (die Gruppe verwandte z. B. den faschistischen Gruß), der Überfall auf die Sowjetunion durch Hitlerdeutschland sowie die in der Sowjetunion besonders durch die ehemalige SS verübten Gräueltaten als vollkommen gerechtfertigt angesehen. Eine wüste Hetze wurde auch gegen die Maßnahmen des 13.8.1961 sowie gegen den Staatsratsvorsitzenden betrieben. Teilweise wurde sogar der Politunterricht zur Verbreitung hetzerischer Ansichten benutzt.

Die Gruppe [Name 47] plante anlässlich des 13. Jahrestages der DDR, die Stadtfunkanlage in Leipzig anzuzapfen und eine bereits auf Tonband gesprochene Hetzrede zu übertragen. (Der Plan scheiterte an einer dazu notwendigen Energiequelle.) Die gleiche Gruppe besaß konkrete Pläne zur Durchführung von Terror- und Diversionsakten wie Sprengstoffanschläge, Brandstiftungen, Überfälle auf VP-Angehörige.

Zum Beispiel war vorgesehen, während der Feierlichkeiten anlässlich des 13. Jahrestages der DDR Sprengstoffanschläge und Brandstiftungen gegen Sichtagitationsmittel5 und Gebäude gesellschaftlicher Organisationen zu verüben. Zu diesem Zweck hatte sich die Gruppe aus Munitionsbeständen der faschistischen Wehrmacht schon Sprengmittel beschafft sowie Versuche zur Herstellung von Sprengstoff aus handelsüblichen Chemikalien unternommen.

Bei den anderen Gruppen waren die Vorstellungen über derartige Gewaltverbrechen nicht in der gleichen Weise ausgeprägt. Das Bestreben, sich zur Durchführung und Sicherung solcher Aktionen zu bewaffnen und in der Beherrschung der Waffen zu üben, war jedoch durchweg bei allen Gruppen vorhanden.

Die im Besitz einzelner Gruppen befindlichen Handfeuer- und Stichwaffen rührten zum großen Teil aus Waffenfunden. Dazu waren regelrechte »Suchaktionen« veranstaltet worden. Die dabei gefundenen Waffen wurden systematisch zusammengetragen. In einigen Fällen waren die Waffen von anderen Jugendlichen »abgekauft« worden, die den Gruppen als illegale Waffenbesitzer bekannt waren.

Zur Absprache und Vorbereitung feindlicher Handlungen wurden hauptsächlich in Wohnungen einzelner Gruppenmitglieder und teilweise in Gaststätten Zusammenkünfte durchgeführt. Diese »Besprechungen« dienten gleichzeitig der gegenseitigen Aufwiegelung auf der Basis westlicher Rundfunkmeldungen. Teilweise wurden Sendungen westlicher Radio- und Fernsehstationen gemeinschaftlich abgehört.

Unabhängig von der ideologischen Position aller Gruppen, die sich mit der der Zentren der psychologischen Kriegführung gegen die DDR und einzelnen Geheimdienst- und Agentenzentralen6 deckte, war von allen Gruppen beabsichtigt, auch organisatorische Verbindungen zu diesen aufzunehmen. Die Vorstellungen über die Art und Weise dieser Verbindungsaufnahmen hinsichtlich ihrer Konkretheit und Realisierbarkeit waren unterschiedlich.

Bezüglich der geplanten Verbindungsaufnahmen zu gegnerischen Organisationen bzw. Dienststellen war charakteristisch, in erster Linie mit solchen in Verbindung zu treten, die durch feindliche Propaganda und zum Teil auch durch Publikationen in der demokratischen Presse7 bekannt wurden (RIAS, Ostbüros,8 Geheimdienste, Militärmissionen9 in Potsdam). Es gab Gedanken dahingehend, zur Herstellung einer direkten Verbindung ein Gruppenmitglied nach Westdeutschland oder Westberlin auszuschleusen oder den postalischen Weg bzw. den Transitverkehr zu benutzen.

Die ausgeprägtesten Bestrebungen, mit feindlichen Dienststellen in Verbindung zu kommen, gab es bei den Gruppen [Name 2], [Name 47] und [Name 57]. Sie erhofften sich dadurch propagandistische und materielle Unterstützung. Diese Gruppen hatten zum Zeitpunkt der Liquidierung bereits konkrete Maßnahmen hierfür eingeleitet, während die Pläne der übrigen Gruppen noch sehr allgemeiner Natur waren.

Zum Beispiel versuchte die Gruppe [Name 2] zweimal auf postalischem Wege unter Verwendung eines fingierten Empfängers Verbindung zum RIAS zu bekommen. Diese Briefe enthielten neben Angaben über die Existenz und Tätigkeit der Gruppe Hinweise über stattgefundene Abwürfe von Hetzflugblättern durch eingeflogene Ballons und die Bitte um Anleitung und Unterstützung. Der Beschuldigte [Name 57] unternahm den Versuch mithilfe eines selbstgefertigten Funkgerätes.

Einige Gruppen bzw. Mitglieder derselben beabsichtigten, die DDR illegal – teilweise mit gewaltsamen Mitteln – zu verlassen.

Bei allen Gruppen wurde als entscheidende Ursache für die durchgeführte Feindtätigkeit die intensive Beeinflussung durch die politisch-ideologische Diversion10 festgestellt. Die Hauptrolle spielten Sendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen.

Alle Beschuldigten wurden durch das Beispiel des Elternhauses, durch Hinweise von Bekannten, durch Besuche in Westberlin oder Westdeutschland oder durch ihr Interesse an Sport- und Musiksendungen angeregt, die Programme der NATO-Sender11 ständig zu verfolgen. In ihrem Denken entstanden Widersprüche zur gesellschaftlichen Praxis in der DDR sowie zum gelehrten Unterrichtsstoff. Sie begannen, auf der Basis bestimmter Entwicklungsschwierigkeiten in der DDR Vergleiche mit westlichen Verhältnissen anzustellen. Die Maßnahmen des 13.8.1961 wurden als »Einschränkung« der persönlichen Freiheit betrachtet.

In bestimmten bei uns noch vorhandenen Mängeln und Schwächen (z. B. Materialversorgung der Betriebe) fanden sie nach ihrer Meinung die Bestätigung der Hetzmeldungen westlicher Sender. Auf diese Weise gerieten die Beschuldigten immer mehr unter deren Einfluss und verloren den Blick für eine sachliche Beurteilung unserer Verhältnisse. Die Entwicklung ihrer negativen, politischen Einfälle beeinflussten auch Aufenthalte bei Verwandten oder Bekannten in Westdeutschland und Westberlin vor dem 13.8.1961 und deren Besuche in der DDR nach dem 13.8.1961. Ständige briefliche Kontakte hatten eine ähnliche Wirkung.

Der Beschuldigte [Name 55] (Halle) stand z. B. mit einem katholischen Jugendlichen aus Westdeutschland in Briefverbindung, der ihn teils offen oder versteckt zu aktiven Handlungen gegen die Verhältnisse in der DDR aufforderte. Durch seine Tätigkeit in der katholischen Jugendgemeinde in Halle war [Name 55] mit dem in Westdeutschland lebenden katholischen Schriftsteller Joachim Zenker12 bekannt. Dieser erweckte bei der Gruppe [Name 55] das Gefühl, in einer feindlichen Umwelt zu leben, gegen die man sich wehren müsse.

Der katholische Pfarrer Wortmann13 (Jugendgemeinde Halle) hatte ebenfalls Anteil an der Herausbildung einer negativen Einstellung bei der Gruppe [Name 55], teilweise leistete er bei deren Straftaten Beistand.

Der 17-jährige Beschuldigte [Vorname Name 1] (Gruppe [Name 2]) wurde durch seinen Vetter, einen republikflüchtigen ehemaligen Grenzgänger,14 in der gleichen Richtung beeinflusst.

Eine ähnliche Wirkung bei den Beschuldigten erzielten gefundene Hetzflugblätter des Ostbüros der SPD sowie über Verwandte eingeschleuste faschistische und militaristische Bücher.

In einzelnen Fällen wurden die Beschuldigten durch die Tätigkeit anderer feindlicher Personen zu staatsfeindlichen Handlungen veranlasst (z. B. Gruppe [Name 38]).

Eine bedeutende Rolle spielte allerdings die gegenseitige Beeinflussung der Täter. Meistens traten in den Gruppen einzelne Mitglieder besonders aktiv auf, von denen sich die anderen Beschuldigten in der Regel stark beeindrucken ließen. Diese Personen waren es auch, die die anderen Gruppenmitglieder dazu verleiteten, Faschismus und Militarismus zu verherrlichen und im Laufe der Zeit alle Gruppenmitglieder mit derartigem Gedankengut zu verseuchen. Das ständige Einwirken solcher Gedanken auf die jugendlichen Täter, die den Faschismus selbst nie erlebten, hatte praktisch in allen Gruppen Erfolg.

Eine bedeutende Rolle spielten in dieser Richtung Programme von NATO-Sendern, die den deutschen Militarismus und Faschismus zu rechtfertigen versuchten.

Die Erzählungen ehemaliger Angehöriger der faschistischen Wehrmacht über bestimmte, den Beschuldigten interessant erscheinende Erlebnisse und Vorgänge während des Krieges, blieben ebenfalls nicht ohne Wirkung.

All diese Faktoren brachten die Beschuldigten in Widerspruch zu dem in der Schule vermittelten Stoff über den Faschismus, sie begannen an dessen Richtigkeit zu zweifeln.

Nährboden fanden diese Einflüsse in einer bei vielen Beschuldigten von Kindheit an vorhandenen Begeisterung für das Militärwesen, die – in falsche Bahnen gelenkt – in Begeisterung für die faschistische Wehrmacht umschlug.

So erklären sich auch die beispielsweise in den Gruppen [Name 19] (besonders ausgeprägt), [Name 56] und [Name 47] herrschenden Auffassungen, die deutsche Wehrmacht sei unschlagbar gewesen, nur durch Verrat und Fehler einzelner Personen wäre der Sieg verhindert worden. Bei der Gruppe [Name 19] kommt eine fast fanatische Verherrlichung der ehemaligen SS und deren Gräueltaten hinzu. Die Gruppe [Name 56] war der Meinung, der Faschismus habe dem deutschen Volke doch viel Gutes gebracht.

Die ablehnende Haltung zur DDR war bei den einzelnen Tätern unterschiedlich ausgeprägt. Bei einigen war sie gekennzeichnet durch Fanatismus und Hass gegenüber der DDR (z. B. [Name 19], [Name 47] und [Name 38]). Von ihnen ging in der Regel auch die Initiative zur Gruppenbildung aus. Sie besaßen die klarsten Vorstellungen über eventuell anwendbare Formen und Methoden der Feindtätigkeit und deren Durchführung.

Bei einem anderen Teil der Beschuldigten war diese Einstellung zur DDR nicht so ausgeprägt und durchdacht, der Rest besaß nur ziemlich verworrene und unklare politische Vorstellungen, »für die man kämpfen müsse«.

Die politischen Auffassungen der Letztgenannten stellen deshalb ein bloßes Nachreden dessen dar, was von Außen an sie herangetragen wurde. Eine selbstständige Begründung bestimmter Auffassungen oder eine Erläuterung von ihnen gebrauchter Begriffe der Politik konnten sie bei der Untersuchung kaum geben (am deutlichsten bei den Gruppen [Name 56] und teilweise [Name 2]).

Aufgrund bisheriger Untersuchungsergebnisse ist deshalb einzuschätzen, dass bei vielen Beschuldigten der Entschluss zu einer aktiven Feindtätigkeit praktisch nicht ihr eigener war. Oftmals spielten solche Erwägungen eine Rolle, sich von der Tätigkeit der anderen nicht auszuschließen, weil man nicht als feige gelten wollte. Trotz ablehnender Haltung gegenüber der DDR wären viele nicht aus eigener Initiative zur aktiven Feindtätigkeit übergegangen (z. B. [Name 40] von der Gruppe [Name 38], [Name 3] und [Name 4] von der Gruppe [Name 2], [Name 58] und [Name 59] von der Gruppe [Name 56]).

Bei einigen Tätern spielte auch der Hang, etwas Gefährliches, etwas Verbotenes zu tun und eine wichtige Persönlichkeit zu sein eine gewisse – wenn auch nicht bestimmende – Rolle (vor allem Gruppen [Name 2] und [Name 56]).

Die Angehörigen der Gruppe [Name 56] hatten schon in der Schule eine Bande gebildet, die Obstdiebstähle durchführte und Schlägereien organisierte. Verbunden mit der sich allmählich entwickelnden feindlichen Haltung zur DDR entstand der Gedanke, etwas »Politisches« zu unternehmen und die »VP zu ärgern«.

Bei Untersuchung der Motive der Beschuldigten wurde neben ihrer negativen Einstellung weiterhin als Ausgangspunkt zur Durchführung einer staatsfeindlichen Tätigkeit ihr gemeinsames Interesse festgestellt, die DDR illegal – aus einer gewissen Abenteuersucht heraus – zu verlassen. Der Zusammenschluss einzelner Gruppen (z. B. [Name 47] und [Name 38]) erfolgte deshalb zunächst unter dem Aspekt einer gemeinsamen Fluchtvorbereitung.

Nachdem die Gruppen die Überzeugung erlangten, die Verwirklichung derartiger Absichten sei noch nicht notwendig bzw. möglich, wurde – meist auf Anregung der erwähnten negativsten Kräfte – beschlossen, eine Feindtätigkeit gegen die DDR durchzuführen. Die Durchsetzung eines Entschlusses war oftmals nicht schwierig, da sich die späteren Gruppenmitglieder bereits langjährig kannten und deshalb von ihrer ablehnenden Haltung gegen die DDR wussten. Von einer Tätigkeit in Gruppenform versprachen sie sich größere Wirksamkeit.

Die Vorstellungen und Pläne für Organisation und Methoden einer Untergrundarbeit entstanden nach bisherigen Untersuchungsergebnissen bei den Beschuldigten selbst. Die staatsgefährdende Propaganda und Hetze wurde deshalb zur Hauptmethode gewählt, weil sie einerseits den Möglichkeiten der Gruppen am besten entsprach und andererseits nach Meinung der Täter Voraussetzung sein könnte, die Bevölkerung der DDR für weitergehende Aktionen vorzubereiten.

Die Angriffsrichtung ihrer staatsgefährdenden Propaganda und Hetze wurde maßgeblich durch die Zentren der psychologischen Kriegführung in Westdeutschland und Westberlin bestimmt; zum Teil wurden bei der Abfassung von Hetzflugblättern und Hetzlosungen die Parolen des Gegners direkt übernommen, weil deren Inhalt den unter dem Einfluss der bereits dargelegten Faktoren entstandenen ideologischen Auffassungen der Täter entsprach.

Für die bei ihrer Feindtätigkeit angewandten Methoden wurden einzelne Gruppen durch fortschrittliche Literatur (z. B. über den antifaschistischen Widerstandskampf), Publikationen oder DEFA-Filme (z. B. über Partisanenbewegung oder den nationalen Befreiungskampf in Kuba und Algerien) angeregt. Besonders interessiert zeigten sie sich an Veröffentlichungen, in denen bestimmte kriminalistische Methoden und Verfahren beschrieben wurden.

So hatte sich z. B. die Gruppe [Name 2] in völliger Verkennung des Charakters der algerischen Befreiungsfront diese zum erstrebenswerten Vorbild genommen, die Gruppe [Name 47] die faschistische OAS.15

Die Wirksamkeit der gegnerischen Hetzpropaganda auf die Beschuldigten wurde durch eine Reihe Faktoren begünstigt, die hauptsächlich mit der Erziehung zusammenhängen. Die meisten Eltern kümmerten sich nicht darum, welche Sender ihre Kinder hörten oder waren selbst ständige Hörer von NATO-Sendern und dadurch ein schlechtes Beispiel.

Oftmals waren die Eltern nicht am politischen Leben interessiert, sie hielten deshalb ihre Kinder nicht zur Mitarbeit in gesellschaftlichen Organisationen (FDJ, JP) an und leisteten eine völlig ungenügende Zusammenarbeit mit der Schule.

Bei etwa 30 % der Beschuldigten war nur noch ein oder gar kein Elternteil mehr vorhanden. Das zog oft ungeordnete Verhältnisse nach sich, die die charakterliche und politische Entwicklung beeinflussten.

Der in den Grund-, Ober- und Berufsschulen vermittelte Lehrstoff hatte keinen entscheidenden Einfluss auf die Erziehung der jugendlichen Täter im fortschrittlichen Sinne. Ungenügendes Interesse an politischen Problemen bzw. allgemein schwache schulische Leistungen (vorwiegend in den Fächern Geschichte und Staatsbürgerkunde) verhinderten Erfolge der Bemühungen der Lehrkräfte.

Ein großer Teil der Beschuldigten erklärt, der in der Schule gebotene Lehrstoff habe nicht zu überzeugen vermocht, die negativen Einwirkungen seien stärker gewesen. Oftmals wurden aber auch Unklarheiten und Widersprüche nicht offen im Unterricht dargelegt und die Auseinandersetzung der Lehrer mit solchen Meinungen dadurch unmöglich. Ein weiterer Teil der Beschuldigten gibt an, bestimmte Fragen seien von den Lehrkräften nicht überzeugend beantwortet worden oder die Lehrer hätten sie als Provokateure und Vertreter feindlicher Auffassungen bezeichnet.

Mit zunehmender Herausbildung einer ablehnenden Einstellung wurden die Beschuldigten immer voreingenommener gegen den in der Schule gebotenen Lehrstoff und lehnten diesen ganz bewusst ab.

In einzelnen Berufsschulklassen kam es zu Konzentrationen solcher Schüler, die absichtlich provozierten und sich gegenseitig in ihren negativen politischen Auffassungen bestärkten (Gruppen [Name 2] und [Name 38]).

Meist wurde nach bisherigen Feststellungen von Schule und FDJ nichts unternommen, um die Ursachen für ein derartiges Auftreten zu klären.

Viele der Beschuldigten gingen ordentlich ihrer Arbeit nach; der Einfluss auf den Arbeitsstellen beschränkte sich aber nur auf die fachliche Ausbildung; politische und erzieherische Einflüsse traten in den Hintergrund.

Die Tätigkeit der Gruppe [Name 19] (4. VP-Bereitschaft) wurde durch einen teilweise unqualifizierten Polit-Unterricht begünstigt. Die verantwortlichen Offiziere waren manchmal nicht in der Lage, mit klaren Argumenten aufzutreten.

Auch ein Teil der anderen Offiziere kam seinen Verpflichtungen zur politischen Erziehung der Bereitschaftspolizisten nur ungenügend nach. Zum Beispiel machte der Leutnant der VP [Name 26] dem Beschuldigten [Name 22] Hetzsendungen des Westfernsehens zugänglich. Dieser Offizier lud VP-Angehörige und Zivilpersonen in seine Wohnung zum gemeinsamen Empfang des Westfernsehens ein. Selbst einzelne Offiziere gehörten zu diesem Kreis. Diese büßten dadurch meistens ihre Autorität bei den Untergebenen ein. Auf diese Weise entstand bei einzelnen Bereitschaftspolizisten ein günstiger Nährboden für feindliche Argumente.

Die weitere Untersuchung der staatsfeindlichen Tätigkeit der liquidierten jugendlichen Untergrundgruppen erfolgt besonders in der Richtung, die feindlichen Einflüsse auf die Täter herauszuarbeiten, vor allem jedoch die Ursachen und Bedingungen, unter denen trotz jugendlichen Alters bei den Tätern eine feindliche Einstellung erzeugt wurde, die in der Endkonsequenz zu deren staatsfeindlicher Tätigkeit führte.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden zum Anlass genommen, um in der bisherigen Umgebung der Täter (Schule und Betrieb) entsprechende Auswertungen durchzuführen.16

Zusammenfassung der Ursachen und begünstigenden Umstände für die Feindtätigkeit der liquidierten jugendlichen Untergrundgruppen.

  • Die intensive feindliche Beeinflussung durch westdeutsche Rundfunk- und Fernsehstationen war Hauptursache. Ausgangspunkt war meist Interesse an Musik- und Sportsendungen, was in der Folgezeit zu ständigem Abhören auch politischer Hetzsendungen führte.

  • Weitere feindliche Beeinflussung erfolgte

    • bei gegenseitigen Verwandten- und Bekanntenbesuchen in Westdeutschland/Westberlin – DDR,

    • durch briefliche Verbindungen zu solchen Personen,

    • durch kirchlich gebundene Personen,

    • durch ehemalige Angehörige der faschistischen Wehrmacht (von denen die Begeisterung für militärische Dinge, für Waffen u. Ä. in falsche Bahnen gelenkt wurde und zusammen mit der Argumentation der NATO-Sender zur Verherrlichung der faschistischen Wehrmacht führte).

  • Als »Beispiel« wirkten

    • feindliche Aktionen anderer verbrecherischer Elemente, z. B. geschmierte Hetzlosungen,

    • eingeschleuste Hetzflugblätter feindlicher Zentralen,

    • eingeschleuste faschistische, militaristische und Schundliteratur, deren sinngemäßer Inhalt teilweise auch übernommen wurde.

Dadurch wurde eine feindliche Einstellung gegen gesellschaftliche Verhältnisse in der DDR hervorgerufen. Eine scheinbare Bestätigung der feindlichen Argumentationen wurde in zeitweiligen Mängeln und Schwierigkeiten (Versorgung, Materialschwierigkeiten in Betrieben) gesehen.

  • Zum mangelnden politischen Urteilsvermögen und zu ideologischen Unklarheiten (z. B. Nichtverstehen der Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.1961) kam der Hang, etwas Abenteuerliches, Gefährliches und Verbotenes zu unternehmen. Das führte zu Rowdyhandlungen, zur Planung von Grenzdurchbrüchen und in der Folgezeit zur Bildung von Untergrundgruppen.

  • Typisch ist dabei auch, dass anstelle der oft als unrealisierbar erkannten Grenzdurchbrüche andere feindliche Handlungen »als Ausgleich« organisiert wurden.

  • Ein Teil der Gruppenmitglieder beteiligte sich nicht in erster Linie aus eigenem feindlichen Entschluss heraus, sondern wurde von den Rädelsführern ständig und in immer stärkerem Maße beeinflusst und wollte »nicht feige« erscheinen.

  • Neben der direkten feindlichen Beeinflussung spielte besonders für die Wahl der Methoden ihrer feindlichen Handlungen auch die extreme Auswertung fortschrittlicher Publikationen eine Rolle (Verhalten im antifaschistischen Widerstandskampf, Partisanenbewegung, nationaler Befreiungskampf in Kuba und Algerien, kriminalistische Vorgänge und Methoden).

Die Wirksamkeit feindlicher Einflüsse, insbesondere der gegnerischen Hetzpropaganda auf die Beschuldigten, wurde durch wesentliche Schwächen in ihrer Erziehung begünstigt:

Elternhaus:

  • Die meisten Eltern waren selbst ständige Hörer von NATO-Sendern und gaben damit das Beispiel für ihre Kinder bzw. kümmerten sich nicht darum, welche Sender sie hörten.

  • Die Eltern nahmen häufig nicht am politischen Leben teil, hatten kaum Verbindung zur Schule und hielten deshalb ihre Kinder nicht zur Mitarbeit in den gesellschaftlichen Organisationen (FDJ, JP) an.

  • Das Fehlen von Elternteilen zog oft ungeordnete Verhältnisse nach sich, die die charakterliche und politische Entwicklung der Jugendlichen negativ beeinflussten.

Schule – gesellschaftliche Organisationen:

  • Der in den Grund-, Ober- und Berufsschulen gebotene Lehrstoff (vor allem Geschichte und Staatsbürgerkunde) hat – begünstigt durch mangelndes Interesse an diesen Problemen und ungenügend überzeugende Darlegung durch die Lehrkräfte – kaum erzieherische Wirkung im fortschrittlichen Sinne auf die Jugendlichen gehabt. Die negativen Einwirkungen waren stärker.

  • Die mangelnde Klärung von Unklarheiten und Widersprüchen und das Fehlen von offenen Auseinandersetzungen sowie die leichtfertige Beurteilung falsche Auffassungen vertretender Jugendlicher als »Provokateure« und »Vertreter feindlicher Auffassungen« führten zu einer voreingenommenen Haltung gegen die Lehrkräfte, die Schule und den gebotenen Lehrstoff.

  • Provokatorisches Auftreten von Jugendlichen, die Herausbildung von Konzentrationen solcher Schüler, die provozierten und sich gegenseitig in ihren negativen politischen Auffassungen bestärkten, wurden von der Schule, FDJ usw. nicht zum Anlass von Untersuchungen genommen, um die Ursachen für ein derartiges Auftreten aufzudecken und zu beseitigen.

Arbeitsstelle:

  • Die meisten der Beschuldigten gingen ordentlich ihrer Arbeit nach. Der erzieherische Einfluss beschränkte sich fast nur auf die fachliche Ausbildung; politisch-ideologische Erziehungsarbeit wurde auf den Arbeitsstellen nur in geringem Umfange geleistet bzw. trat völlig in den Hintergrund.

  • Tätigkeit der Untergrundgruppe in der VP wurde durch mangelnde politische Erziehung der Bereitschaftspolizisten durch die verantwortlichen Offiziere wesentlich begünstigt (teilweise unqualifizierter Politunterricht, mangelndes Vermögen, überzeugend die Probleme darzulegen und sich offen mit falschen Auffassungen auseinanderzusetzen, gemeinsames Abhören der NATO-Sender).

  1. Zum nächsten Dokument Bonner Sportführung zur Sicherung ihres Einflusses im IOC

    29. März 1963
    Einzelinformation Nr. 214/63 über Vorbereitungen der Bonner Sportführung zur Sicherung ihres Einflusses im IOC und zu den Olympia-Ausscheidungen

  2. Zum vorherigen Dokument Beratung des Politbüros mit Künstlern und Schriftstellern

    26. März 1963
    Einzelinformation Nr. 204/63 über die erste Reaktion auf die Beratung des Politbüros mit Künstlern und Schriftstellern