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Situation auf der Leipziger Herbstmesse, 1. Bericht

2. September 1963
Einzelinformation Nr. 520/63 über die Situation auf der Leipziger Herbstmesse 1963 (Nr. 1)

Mit dem Stand vom 2.9., 5.00 Uhr, waren in Leipzig1 folgende Messegäste anwesend (in Klammern werden die entsprechenden Zahlen der Herbstmesse 1962 angegeben):

Sozialistische Staaten

467

(3 966)

– 3 499

Imperialistische Pakt-Staaten

1 110

(1 434)

– 324

Antiimperialistische Staaten

90

(101)

– 11

übrige kapitalistische Staaten

513

(637)

– 124

Westberlin

1 169

(456)

+ 713

Westdeutschland

2 633

(1 663)

+ 970

Westdeutsche Delegationen

367

(175)

+ 592

Der Rückgang der Besucherzahlen aus den sozialistischen Ländern ist teilweise mit den Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Pocken in der Ungarischen Volksrepublik zu erklären. Ungarische Touristen-Gruppen haben ihre Einreise nach Leipzig kurzfristig abgesagt. Sonderzüge aus Ungarn, die bereits nach Leipzig unterwegs waren, wurden aufgehalten und am Grenzkontrollpunkt Bad Schandau in Quarantäne gestellt. In Leipzig selbst wurden Maßnahmen eingeleitet, um aus Ungarn bereits eingereiste Personen zu isolieren bzw. zu impfen.

Nach vorliegenden Hinweisen haben auch eine Reihe von tschechoslowakischen Touristengruppen die Reise nach Leipzig abgesagt.

Der starke Zuwachs Westberliner Besucher – im Vergleich zum Vorjahr – ist nur zum Teil durch stärkeres Interesse der Westberliner Wirtschaft an der Leipziger Messe zu erklären. Ein erheblicher Anteil des Zuwachses entfällt offensichtlich auf Privatbesuche Westberliner Bürger in die DDR. In Leipzig anwesende westliche Journalisten hoben die Anwesenheit einer großen Zahl Westberliner Messebesucher in ihrer Messeberichtserstattung hervor, nachdem der Generaldirektor des Leipziger Messeamtes – Genosse Schmeißer2 – auf einer Pressekonferenz am Vorabend der Messe Äußerungen über die hohe Westberliner Beteiligung3 getan hatte.

Es besteht noch keine Übersicht darüber, welche uns handelspolitisch besonders interessierenden Personen nach Leipzig eingereist sind. Nach bisher vorliegenden Angaben ist jedoch eine große Anzahl von organisierten Einkaufsdelegationen aus dem Ausland und aus Westdeutschland eingetroffen, die vor allem Waren- und Versandhäuser vertreten. So wird eine 80-köpfige britische Einkaufsdelegation erwartet, die sich vor allem für Büromaschinen, Kameras, Möbel, Textilien und Spielwaren interessiert. Für Textilien, Sportartikel und Spielwaren werden Einkaufsdelegationen aus den Niederlanden, Finnland, Schweden und anderen Ländern erwartet.

Das westdeutsche Groß-Versandhaus Quelle wird eine Einkaufsdelegation von 21 Personen nach Leipzig entsenden. Auch das Versandhaus Neckermann wird vertreten sein.

Bemerkenswert ist auch, dass die führenden westdeutschen Stahlkonzerne, insbesondere die Firmen Friedrich Krupp, Mannesmann AG, Phönix-Rheinrohr AG und Salzgitter AG, Einkaufsdelegationen für Konsumgüter nach Leipzig entsenden werden.

Auch der mexikanische Handelsattaché in der Volksrepublik Polen Calero4 bat um Einreisegenehmigung zur Leipziger Herbstmesse.

Bis zum 2.9. sind ungefähr 30 ausländische Journalisten nach Leipzig eingereist, zehn weitere werden noch erwartet. Darunter sind Vertreter führender Zeitungen insbesondere der französischen, belgischen und italienischen Presse. Die Beteiligung aus überseeischen Ländern bleibt hinter den Erwartungen zurück.

Wie bereits bei den vorigen Messen werden an den Grenzkontrollpunkten auf westdeutscher und Westberliner Seite Messereisende gesondert registriert. Über die Abfertigung an den Grenzkontrollpunkten auf dem Gebiet der DDR gibt es vonseiten der einreisenden Messebesucher keine Beschwerden.

Schwierigkeiten gab es durch einen Beschluss der Abteilung PM in der Bezirksbehörde der Volkspolizei Leipzig, durch den angewiesen wurde, das bisher übliche Verfahren zur Überprüfung von Personen, die illegal die Republik verlassen haben, zu ändern. Aus Platzgründen wurde die Rf-Kartei aus der Sondermeldestelle West entfernt und durch eine andere Kartei ersetzt, die nur wenige Angaben enthielt und als Arbeitsunterlage wertlos war. Diese Maßnahme wurde ohne Konsultation mit der Abt. VII der BV Leipzig und ohne gründliche Beratung mit der Hauptabteilung PM des MdI durchgeführt. In der Kartei wurden lediglich diejenigen Personen erfasst, die nach Erlass des Passgesetzes5 die DDR illegal verlassen haben bzw. die besondere Vermerke auf den Karteikarten trugen.

Auf Anweisung von Genossen Generalmajor Fruck6 wurde die ursprüngliche Rf-Kartei am 1.9. wieder in der Sondermeldestelle West aufgestellt.

Im Gegensatz zu früheren Messen hat die Bezirksbehörde der DVP Leipzig keinen eigenen Einsatzstab geschaffen, sondern die polizeilichen Maßnahmen zur Sicherung der Messe dem VP-Kreisamt übertragen. Diese Entscheidung wurde von der BdVP damit begründet, dass die Leipziger Messe keinen überörtlichen Charakter trage.

Über die Handelstätigkeit auf der Leipziger Messe gibt es bisher nur vereinzelte Angaben. Schwierigkeiten sind bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Import von Weizen für das 2. Halbjahr 1963 und das Jahr 1964 aufgetreten. Der Präsident der sowjetischen Handelsorganisation Export-Chleb7 – Matwejew8 – wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Getreideernte im Jahre 1963 in der SU ungünstig ausgefallen sei. Aus diesem Grunde weigert sich die sowjetische Seite auf Weisung des Außenhandelsministeriums, den Getreidevertrag auf der Leipziger Herbstmesse abzuschließen.

Schwierigkeiten treten auf mit der Rumänischen Volksrepublik bei den Verhandlungen über die Messebeteiligung an der Leipziger Frühjahrsmesse 1964. Der RVR waren für die Leipziger Frühjahrsmesse 1964 3 000 qm gedeckter Fläche angeboten worden. Davon will die RVR jedoch lediglich 600 qm in Anspruch nehmen. Sie beabsichtigt ausschließlich Maschinenbau-Erzeugnisse auszustellen.

Die Demokratische Republik Vietnam hat auf der Leipziger Herbstmesse ein Abkommen mit der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft der Bundesrepublik Österreich abgeschlossen. Dieses Abkommen wurde über die Handelsvertretung der Demokratischen Republik Vietnam in Berlin vorbereitet.

Die Berichte der bisher in Leipzig anwesenden westlichen Journalisten tragen im Wesentlichen sachlichen Charakter. Hervorzuheben ist die ausführliche Berichterstattung über die Eröffnung der Messe und über die Rede des Genossen Balkow.9 Die Mehrheit der Journalisten unterstreicht in ihren Berichten die sachliche Atmosphäre der Leipziger Messe. Ausnahmen sind dabei die Vertreter von AP, Koehler,10 und der »Frankfurter Allgemeinen«, Brestel.11 Besonderes Interesse für die DDR zeigen die in Leipzig anwesenden Journalisten des Zweiten Deutschen Fernsehens, Mainz. Relativ sachlich treten auch die Vertreter von der Britischen Fernseh-Gesellschaft ABC (Kommerzielles Fernsehen) und der »New York Herald Tribune«12 auf.

Große Aktivität entwickeln die chinesischen Korrespondenten, die sich außerordentlich für alles erreichbare Material interessieren. Von einer gegen uns gerichteten Tätigkeit war im Pressezentrum der Messe jedoch noch nichts festzustellen.

Es wurde festgestellt, dass die Koordinierung zwischen dem Presseamt des Ministerpräsidenten, den Presse-Abteilungen des MAI und des MfAA und der Interwerbung13 noch nicht den Anforderungen entspricht. Es ist schwierig festzustellen, welche Fachjournalisten des Auslandes durch Interwerbung und die einzelnen VVB eingeladen wurden. Die Einflussmöglichkeiten auf die Journalisten werden noch ungenügend ausgenutzt.

Ausländische Journalisten loben die Großzügigkeit der Organisation durch das Pressezentrum.

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    4. September 1963
    Einzelinformation Nr. 521/63 über die Situation auf der Leipziger Herbstmesse 1963 (Nr. 2)

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    29. August 1963
    Einzelinformation Nr. 507/63 über einen verhinderten Grenzdurchbruch mittels Kfz am GKP Marienborn am 27. August 1963