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Waffen- und Munitionsdiebstahl in einem NVA-Funkobjekt bei Halberstadt

20. Mai 1963
Einzelinformation Nr. 318/63 über den Waffen- und Munitionsdiebstahl im NVA-Objekt Funktechnischer Posten (FuTP) Athenstedt, Kreis Halberstadt, Bezirk Magdeburg

In der Nacht vom 12. zum 13.3.1963 wurden, wie bereits berichtet,1 aus dem Objekt der NVA-Luft in Athenstedt,2 Kreis Halberstadt, bei einem Einbruchsdiebstahl in die Waffenkammer insgesamt vier MPi »Kalaschnikow«, 18 MPi-Magazine, 1 060 Schuss MPi-Munition und drei Pistolen »Makarow« ohne Munition entwendet.

Die am 14.3.1963 durch das MfS eingeleitete Untersuchung wurde besonders erschwert, weil der Tatort durch Angehörige des FuTP bei der Bestandsüberprüfung vor Eintreffen der Mitarbeiter des MfS bereits verändert worden war. Darüber hinaus war der Fußboden des Waffenraumes gesäubert und auch die von den Tätern geöffnete Deckenplatte wieder geschlossen worden.

Eine Spurensuche und -sicherung im engeren Bereich des Tatortes war dadurch praktisch unmöglich.

Aufgrund von 65 Zeugenvernehmungen, Ermittlungen und der in der weiteren Umgebung des Objektes durchgeführten Spurensuche und -sicherung konnte am 19.3.1963 der zur NVA-Einheit Athenstedt gehörige [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in [Ort], wohnhaft [Ort, Straße, Nr.], Beruf: [Berufsbezeichnung], festgenommen werden.

Dessen Aussagen führten am 20.3.1963 zur Inhaftierung des Mittäters [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in [Ort], wohnhaft [Ort, Straße, Nr.], zuletzt Kranführer im VEB »Karl Liebknecht« Magdeburg (1960 wegen Landfriedensbruch vom Bezirksgericht Dresden zu zwei Jahren Jugendgefängnis verurteilt).

Wegen Mithilfe beim Verstecken der Waffen wurden am 22.3.1963 noch die Jugendlichen [Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in [Ort], wohnhaft Magdeburg, [Straße, Nr.], zuletzt Maurerlehrling im VEB Bau-Union Magdeburg und [Name 4, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in [Ort], wohnhaft Magdeburg, [Straße, Nr.], zuletzt Elektromonteurlehrling im VEB Starkstromanlagenbau Magdeburg, festgenommen.

Die bisherigen Untersuchungen ergaben Folgendes:

[Name 1] und [Name 2] waren bereits seit längerer Zeit befreundet. Während [Name 2] eine zweijährige Freiheitsstrafe verbüßte, wurde [Name 1] Angehöriger der NVA-Luft und versah seinen Dienst im Funktechnischen Posten Athenstedt, [Kreis] Halberstadt.

Nachdem [Name 2] im Juli 1962 aus der Haft entlassen worden war, stellten [Name 1] und [Name 2] in mehreren Gesprächen eine beiderseitige feindliche Einstellung zur DDR fest. Unabhängig voneinander hatten sich auch beide bereits mit dem Gedanken einer Republikflucht getragen.

[Name 2] wollte sich vorher jedoch für die verbüßte Freiheitsstrafe durch einen Banküberfall »finanziell entschädigen«.

[Name 1] stimmte diesem Vorhaben sofort zu und sie beschlossen, sich zur Durchführung der geplanten Verbrechen unbedingt Waffen zu verschaffen.

(Über die gleichen Fragen hatte [Name 2] – wie zeugenschaftliche Vernehmungen bestätigen – bereits im Jugendgefängnis Ichtershausen mit zwei anderen Häftlingen gesprochen.)

[Name 2] schlug dem [Name 1] weiter vor, zur Ausführung ihres Vorhabens eine Bande zu bilden, was dieser jedoch ablehnte, weil ein zu großer Kreis von Mitwissern alles gefährden könnte. Über den Fluchtweg gab es solche Vorstellungen, von Dresden aus ein Flugzeug der Deutschen Lufthansa3 nach Berlin zu benutzen und dessen Besatzung durch Waffengewalt zur Landung in Westberlin zu zwingen. Eine solche Tat würde ihnen nach ihrer Auffassung ohne Weiteres die Anerkennung als »politischer Flüchtling« verschaffen. Konkrete Festlegungen über diesen Plan gab es allerdings noch nicht.

Da [Name 1] als NVA-Angehöriger wusste, dass die Waffenkammer seiner Einheit ungenügend gesichert ist, schlug er [Name 2] Ende Februar 1963 vor, daraus Waffen und Munition zu entwenden. Der Einbruch wurde am 12.3.1963 ausgeführt, weil [Name 1], der krankgeschrieben war, bei einem Aufenthalt im Objekt feststellte, dass die bisher in einem Rollschrank gelagerten Pistolen künftig in einem Panzerschrank untergebracht werden sollten.

Entsprechend des vorher festgelegten Planes fuhren beide mit dem Motorrad von [Name 1] bis in die Nähe des Objektes, wo sie es etwa gegen 24.00 Uhr hinter einem Strohdiemen4 versteckten. Aufgrund der mangelhaften Bewachung des Objektes konnten sie ungesehen in das eingezäunte Objekt und in die Baracke eindringen, wo die Waffenkammer untergebracht ist. Von einem Unterrichtsraum aus gelangten sie auf den Boden und schoben von dort aus eine Bodenplatte der Waffenkammer zurück. Sie gelangten mühelos in die Waffenkammer, in der sie sich ca. eine Stunde aufhielten. Nach entsprechender Unterweisung durch [Name 1] machten sie zwei MPi schussfertig, die sie bei einer eventuellen Entdeckung anwenden wollten. Die übrigen gestohlenen Waffen wurden in einem Sack, die Munition in der Aktentasche des [Name 2] verstaut. Auf dem gleichen Wege wie beim Eindringen verließen sie das Objekt wieder.

Auf dem Rückweg nach [Ort] stellten beide fest, dass es schon zu hell geworden war, um ungesehen durch den Ort fahren zu können. Die Waffen wurden deshalb notdürftig in einem Waldstück nahe [Ort] versteckt, von wo sie am Abend des gleichen Tages abgeholt und in die Wohnung des [Name 2] gebracht wurden.

Da [Name 1] am 14.3.1963 telegrafisch zu seiner Einheit zurückgerufen wurde, beauftragte er den [Name 2], die Waffen gut zu verbergen. [Name 2] sollte am 24.3.1963 nach Köthen fahren und einige MPi-Schüsse abgeben, um dadurch einen möglichen Verdacht von [Name 2] und [Name 1] abzulenken. Für eine Vernehmung verabredeten sie ein Alibi für die Nacht vom 12. zum 13.3.1963.

Einen Teil der Waffen vergrub [Name 2] im Schuppen des elterlichen Grundstückes, die anderen versteckte er mithilfe von [Name 4] und [Name 3] im sogenannten Naturschutzgebiet von [Ort].

(Waffen und Munition wurden nach der Festnahme der Täter an den angegebenen Stellen gefunden.)

Bei der Untersuchung des Tatbestandes wurde eine ganze Reihe von Umständen bekannt, die das Verbrechen begünstigten:

  • 1.

    Die Sicherheit der Waffenkammer war aufgrund der baulichen Beschaffenheit nicht gewährleistet. Die Umfassungswände einschließlich der Decke bestanden vorwiegend aus Hartfaserplatten, wobei die Platten der Decke nur lose aufgelegt waren.

  • 2.

    Die vor den Fenstern und vor der Eingangstür von außen angeschraubten Eisenschutzgitter garantierten keine Sicherheit, da sie mit passenden Werkzeugschlüsseln mühelos zu lösen sind.

  • 3.

    Die Waffenkammer war weder nach innen noch nach außen in die Postenbereiche der Einheit einbezogen. Dieser Umstand war ein ausschlaggebender Faktor für die Durchführung des Einbruchs.

  • 4.

    Der Funktionsunteroffizier für Waffen und Geräte hat aufgrund mangelhafter Kontrolle seiner Vorgesetzten die Pflichten bei der Ausgabe und Zurücknahme von Waffen und Munition stark vernachlässigt. Zum Beispiel wurden bei Rückgabe der Waffen diese von ihm nicht sofort einzeln quittiert, sondern erst dann, wenn er glaubte, alle seien zurückgegeben worden. Die Barriere vor der Waffenkammer wurde nicht immer beachtet, einzelne Genossen betraten bei Empfang und Rückgabe von Waffen widerspruchslos unmittelbar die Waffenkammer.

  • 5.

    Der Holzschrank für die Pistolen war seit langer Zeit unverschlossen, weil kein Schloss vorhanden war. (Dieser Zustand war auch dem zuständigen Offizier für Waffen im Bataillon bekannt.) Im gleichen Schrank lagerten auch 520 Schuss MPi-Munition, die bereits am 5.3.1963 ausgeliefert und bei dem Einbruch am 12.3.1963 mit gestohlen wurden. (Laut DA darf diese Munition nur vom Hauptfeldwebel verwaltet werden.) Auch die Munitionskiste für die Wachmunition war trotz vorhandenen Vorhängeschlosses unverschlossen.

  • 6.

    Dem Beschuldigten [Name 1] war es möglich, infolge eines von ihm verschuldeten Verkehrsunfalles ständig vom aktiven Dienst befreit zu werden. Trotz eingeleiteten E-Verfahrens5 war bis zum Tag seiner Festnahme nichts entschieden worden. [Name 1] hatte die Möglichkeit, sich als sogenannter Hauskranker zu Hause aufzuhalten. Auch die Ärztekommission legte nicht konkret fest, ab wann [Name 1] entweder diensttauglich oder zur Entlassung vorzuschlagen sei.

Die Einheitsleitung wurde über diese im FuTP Athenstedt vorgefundene Situation informiert und aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zur Veränderung einzuleiten.

  1. Zum nächsten Dokument Explosion eines von Schülern gebauten Sprengkörpers in Lübbenau

    20. Mai 1963
    Einzelinformation Nr. 319/63 über die Explosion eines selbstgefertigten Sprengkörpers an der HOG »Turbine« in Lübbenau am 10. April 1963

  2. Zum vorherigen Dokument Ansichten von Leistungssportlern (2)

    18. Mai 1963
    Einzelinformation Nr. 314/63 über Ansichten von Leistungssportlern zu Problemen des Sports in der DDR und zu einigen persönlichen Problemen