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Äußerungen des Journalisten Stehle zum Passierscheinabkommen

30. Januar 1964
Einzelinformation Nr. 74/64 über Äußerungen des westdeutschen Journalisten Stehle zu den Passierscheinverhandlungen und zur Konzeption eines Pressegespräches mit Staatssekretär Wendt

Einer zuverlässigen Quelle1 zufolge äußerte sich der bekannte westdeutsche Journalist Stehle2 zu einigen Fragen der weiteren Passierscheinverhandlungen.3 Über ein Gespräch mit Bahr4 teilte Stehle mit, dass es sowohl Bahr als auch Brandt5 unverständlich sei, wie die DDR vor allem in Presse und Rundfunk zu einer negativen Einschätzung des gegenwärtigen Standes der Passierscheinverhandlungen komme. Bahr sei nach wie vor der Meinung, dass die Verhandlungen erfolgreich sein könnten und sollten. Der Westberliner Senat sei nach wie vor an einem Erfolg interessiert.6

Bisher sei es jedoch in den Gesprächen zwischen Staatssekretär Wendt7 und Senatsrat Korber8 nur um die Darlegung der gegenseitigen Vorstellungen gegangen. Die Absicht der DDR, eine neue Vereinbarung auf die gleiche technische Weise wie das erste Abkommen abzuwickeln, sei, nach Ansicht des Senats, gegenwärtig und auch künftig nicht realisierbar. Es sei aber bisher noch nicht wieder zu Verhandlungen über technische Einzelfragen gekommen. Der Senat sei sofort bereit, über sogenannte technische Einzelheiten zu verhandeln.

Er habe bereits ein »Verwaltungsabkommen« mit entsprechenden Anlagen schriftlich vorbereitet, dass als Verhandlungsgrundlage dienen könnte. Der Senat sei auch an einer Beschleunigung der Verhandlungen interessiert und würde, falls die DDR ebenfalls dazu bereit wäre, seinen Verhandlungspartner öfter als wöchentlich einmal zur Verfügung stellen.

Über ein Gespräch mit dem Pressesprecher des Bonner Auswärtigen Amtes Hille9 berichtete Stehle, es sei in der letzten Zeit zwischen der Bonner Regierung und dem Westberliner Senat in verstärktem Umfang darüber debattiert worden, ob Senatsrat Korber als Verhandlungspartner ausgewechselt werden soll. Senat und SPD in Westberlin seien mit Korber zufrieden. Das Auswärtige Amt habe jedoch Bedenken gegen ihn erhoben, wobei seine Vergangenheit als ehemaliger Bürger der DDR eine Rolle spiele.

In seinem Gespräch mit Stehle habe Bahr bestätigt, dass es Bedenken gegen Korber vor allem vonseiten der CDU gibt. Bahr vermutet dahinter Bemühungen der CDU, einen eigenen Mann als Verhandlungspartner zu lancieren. Korber werde jedoch von Brandt gestützt, der ihn als eine Art »Verhandlungsgenie« betrachte.

Hille habe darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass auch die Bonner Regierung keinen Abbruch der Verhandlungen mit der DDR wünsche. Erhard10 habe sowohl ihm gegenüber als auch gegenüber Pressechef Hase11 mehrfach geäußert, dass der »Kanal« zur DDR auf keinen Fall zugeschüttet werden dürfe.

Nach der Darstellung Hilles seien allerdings die Westmächte an einer Verzögerung der Verhandlungen interessiert. Deshalb wünsche auch Erhard gegenwärtig keinen Verhandlungserfolg.

Die Westmächte verlangten, dass ihnen die Westberlinfrage als Teil ihres Programms für kommende Ost-West-Verhandlungen vorbehalten bleibe. Dazu komme, dass insbesondere die französische Regierung »ihre eigene Ostpolitik«12 betreiben wolle und deshalb nicht an Verhandlungserfolgen des Westberliner Senats oder auch der Bonner Regierung mit den sozialistischen Staaten interessiert sei. (Nach anderen Informationen ist die Regierung Erhard nicht nur aufgrund der Vorbehalte der Westmächte, sondern aufgrund der gleichen Motive wie die Westmächte an weiteren Verhandlungserfolgen des Senats nicht interessiert.)

Für das beabsichtigte Pressegespräch im Auftrage der Zeitschrift »Stern« mit Staatssekretär Wendt übermittelte Stehle folgende Konzeption: Das Gespräch soll »ein Porträt des Verhandlungspartners von Senatsrat Korber« zum Ergebnis haben und sich besonders auf folgende Punkte konzentrieren: biografische und persönliche Angaben (ohne Erwähnung der Zeit des Aufenthaltes in der Sowjetunion); gegenwärtige amtliche Tätigkeit mit Schwerpunkt auf kulturellen Fragen; allgemeine Unterhaltung über Fragen des Humanismus in Deutschland; allgemeine und besonders atmosphärische Eindrücke, die Staatssekretär Wendt während der Verhandlungen mit der Westberliner Seite und während seines Aufenthalts in Westberlin überhaupt gewonnen habe.

Es sollen ohne Autorisierung durch Staatssekretär Wendt keine persönlichen Zitate verwandt werden. Es würden keine Fragen über den gegenwärtigen Stand der Passierscheinverhandlungen gestellt. Das Informationsgespräch brauche nicht den Charakter eines Interviews zu haben. Nach Möglichkeit soll ein Foto von dem Gespräch aufgenommen werden. Das Gespräch soll ca. 1½ Stunden dauern.

Die Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Mängel bei Errichtung der Lösungsacetat-Anlage in Eilenburg

    30. Januar 1964
    Einzelinformation Nr. 75/64 über Mängel bei der Errichtung der Lösungsacetat-Anlage im VEB Eilenburger Zelluloidwerk

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    29. Januar 1964
    Einzelinformation Nr. 69/64 über die Ansichten eines Angehörigen der medizinischen Intelligenz zu einigen Grundfragen der Arbeit des staatlichen Gesundheitswesens