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Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse (3)

6. März 1964
Einzelinformation Nr. 175/64 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1964 (3. Bericht)

Mit dem Stand vom 6.3.1964, 5.00 Uhr, waren in Leipzig folgende Messegäste1 anwesend:

  • sozialistische Staaten: 2 665 (2 212) + 453,

  • kapitalistische Staaten: 6 011 (5 320) + 691,

  • Westberlin: 3 480 (1 767) + 1 713,

  • Westdeutschland: 11 168 (5 891) + 5 277.

Aus dem sozialistischen Ausland sind bisher 9 515 Touristen angereist. Bis zum 5.3., 11.00 Uhr, sind insgesamt 1 405 westdeutsche Delegierte zur Arbeiterkonferenz2 eingereist. Davon sind 919 organisierte Gewerkschafter. Die Schwerpunkte der Herkunft, der parteipolitischen Organisierung und der Aufgliederung auf die Industriegewerkschaften haben sich gegenüber der letzten Berichterstattung nicht geändert.

Vom Ministerium für Außen- und innerdeutschen Handel wird eingeschätzt, dass die Abschlusstätigkeit auf der Messe noch unter dem Stand des entsprechenden Zeitraums des Vorjahres liegt. Bis zum 5.3.1964 wurden Exportverträge in Höhe von 308 Mio. DM, davon für das Jahr 1964 für 240 Mio. DM abgeschlossen. Von dieser Summe entfallen 104 Mio. DM auf das kapitalistische Ausland und 42 Mio. DM auf Westdeutschland und Westberlin. Importverträge wurden bisher in Höhe von 153 Mio. DM – überwiegend für das sozialistische Ausland – abgeschlossen. Gleichzeitig wird vom MAI darauf hingewiesen, dass der Hauptteil der Vertragsabschlüsse infolge der langandauernden Verhandlungen erst zu Ende der Messe zustande kommen wird. Besondere Schwächen gibt es nach Einschätzung des MAI beim Abbau der Lagerware, insbesondere auf den Gebieten des Maschinenbaus, darunter in erster Linie bei Werkzeugmaschinen, Heimelektrik, Büromaschinen und Feinmechanik/Optik. Schwierigkeiten gibt es bei der Sicherung von Importen aus dem sozialistischen Lager, vor allem aus der Sowjetunion, wo Verträge in Höhe von 800 Mio. DM noch ungeklärt sind. Ein besonderes Problem ist hierbei die Versorgung mit Ersatzteilen für Erzeugnisse des Maschinenbaus und besonders des Landmaschinenbaus. Infolge fehlender Ersatzteile für Traktoren kann es zu Schwierigkeiten in der Landwirtschaft kommen. Zur Entlastung des Planteiles »Kapitalistischer Weltmarkt« ist vorgesehen, rund 700 Mio. DM Valuta durch zusätzliche Maßnahmen zu sichern. Davon entfallen 238 Mio. DM auf zusätzliche Exporte der Industrie der DDR, 122 Mio. DM auf Exportverlagerungen vom sozialistischen Weltmarkt in das kapitalistische Ausland, Maßnahmen für den Schuldenabbau in Höhe von 127 Mio. DM und Importsenkungen aus dem kapitalistischen Ausland in Höhe von rund 200 Mio. DM. Nach dem jetzigen Stand der Vertragsabschlüsse und der Geschäftsanbahnungen ergeben sich eine Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten für den Export ins kapitalistische Ausland. So sind wichtige Abschlüsse über Zellwolle mit der Schweiz, Damenstümpfe mit Westdeutschland, Textilien mit Nigeria, Küstenmotorschiffe mit Norwegen u. a. getätigt. Weitere Abschlüsse über Zellwolle mit Belgien und der Schweiz (8 Mio. DM), Unkrautvertilgungsmittel mit Brasilien (12 bis 15 Mio. DM), Verseilmaschinen und Walzwerke mit der VAR (6 Mio. DM), Bagger und Kabel mit Frankreich (1,5 Mio. DM); Kleinmotoren und andere elektrische Erzeugnisse mit Schweden u. a. sind in Vorbereitung. Auf allen anderen Gebieten sind rege Verhandlungen mit kapitalistischen Ländern und mit Vertretern der Außenhandelsgesellschaften der sozialistischen Länder im Gange. In verhältnismäßig großem Umfang wird über den Export von kompletten Anlagen verhandelt, so über eine Zellstoff- und Papierfabrik für Kolumbien und über eine Reihe von Anlagen für Jugoslawien und Polen.

Zahlreiche westliche Kaufleute schätzen die Exponate der DDR hoch ein. Das betrifft insbesondere elektrische und elektronische Erzeugnisse, Spielwaren, Reinstmetalle und Sonderwerkstoffe, Energiemaschinen, Erzeugnisse der chemischen Industrie und auf dem Gebiete der Konsumgüterindustrie vor allem Möbel und elektrische Haushaltsgeräte. Kritisiert werden vielfach noch der Kundendienst und die langen Lieferfristen. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass auf der Messe eine Tendenz zu festeren Preisen auftritt. Westdeutsche und westliche Aussteller rechnen offensichtlich mit einer Fortdauer der Konjunktur und sind bestrebt, höhere Preise durchzusetzen. Andererseits werden aber auch höhere Preisforderungen der DDR akzeptiert. So konnte der VEB Carl Zeiss, Jena, bisher durch Preiserhöhungen 91 000 Valuta-DM höhere Erlöse erzielen. Die Zusammenarbeit zwischen den Außenhandelsorganen und den VVB ist im Allgemeinen gut. Nach Einschätzungen des Volkswirtschaftsrats und des MAI gibt es nur vereinzelt Schwierigkeiten.

Von den in Leipzig anwesenden westlichen Ausstellern und insbesondere auch von den Journalisten wird allgemein hervorgehoben, dass die diesjährige Leipziger Messe in einer außergewöhnlich sachlichen Atmosphäre vor sich gehe. Es wird betont, dass die Leipziger Messe wieder eine große internationale Messe geworden sei. Diese Haltung zeigt sich auch bei den westdeutschen Vertretern. Von Vertretern westdeutscher Stahlkonzerne, darunter von Mannesmann und Phönix-Rheinrohr, wurde geäußert, dass die nächste Frühjahrsmesse wieder von der westdeutschen Stahlindustrie beschickt werde (solche Äußerungen sind allerdings von westdeutschen Stahlvertretern bereits zur letzten Frühjahrsmesse gefallen). Als Anzeichen dafür sei die Tatsache zu werten, dass Ferrostaal nach der vorjährigen Pause wieder ausstellt. Die westdeutsche Stahlindustrie interessiert sich außerordentlich für den Ablauf der Geschäfte in Leipzig. Nach Absprache zwischen den Konzernen wird in Westdeutschland sorgfältig jedes Geschäft registriert. Die westdeutschen Stahlkonzerne sind beunruhigt über die Tatsache, dass die DDR Konsequenzen aus den durch die Ablösung der Hydrierpräferenzen erlittenen Verlusten gegenüber der Stahlindustrie zieht. In Leipzig wurde dem Berliner Vertreter der Wirtschaftsvereinigung Eisen & Stahl,3 Dr. [Name], erklärt, dass der Schaden in Höhe von 40 Mio. VE eine Minderung der Bezüge an Eisen und Stahl durch die DDR in der gleichen Höhe bedingt. [Name] äußerte großes Interesse an der Lieferung von Anlagen in die DDR. Auch Vertreter der westdeutschen chemischen Industrie sind stark an Geschäften mit der DDR interessiert. So erklärte Direktor Kühne von der Ruhr-Stickstoff-AG, dass er mit allen Mitteln durchsetzen werde, dass die Bezugswünsche der DDR für Stickstoffdüngemittel befriedigt werden können. Die Firma schlug vor, in der DDR an der Ostsee eine Düngemittelfabrik zu errichten. Diese Fabrik könne den Bedarf der DDR decken und darüber noch Düngemittel für den Export freimachen. Es könnten Überlegungen angestellt werden, diese Anlage zunächst an die DDR zu vermieten und nach Amortisation eines bestimmten Teiles voll zu übergeben.

Andererseits gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass in Leipzig anwesende Vertreter westdeutscher Stahlfirmen gegenüber britischen Firmen gegen den Handel mit der DDR hetzen. So forderte ein westdeutscher Konzernvertreter englische Geschäftsleute in provokatorischer Form auf, nicht mehr zur Messe zu erscheinen. (Maßnahmen zur Feststellung näherer Einzelheiten dazu sind eingeleitet.) Es wird bekannt, dass vor der Messe durch die westdeutsche Botschaft in Schweden und durch westdeutsche Keramik-Firmen eine intensive Hetze gegen die Leipziger Messe mit dem Ziel, den Verkauf von wichtigen Grundstoffen an die DDR zu verhindern, geführt wurde. Westdeutsche Keramik-Firmen boten sich sogar an, die Warenmenge (Feldspat) selbst zu übernehmen.

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    5. März 1964
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