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Bericht zum Verlauf des Passierscheinabkommens

1. Februar 1965
Bericht Nr. 78/65 über den bisherigen Verlauf des Passierscheinabkommens

(In Verbindung mit dem Abschlussbericht Nr. 26/65)

Für die ersten beiden Besuchszeiträume des 2. Passierscheinabkommens1 wurden von Westberliner Bürgern 698 478 Anträge für 1 727 797 Personen und 187 508 Kraftfahrzeuge zum Besuch der Hauptstadt der DDR gestellt.

Davon für den 1. Besuchszeitraum (30.10.–12.11.1964) 346 658 Anträge für 615 987 Personen und 66 045 Kfz und für den 2. Besuchszeitraum (19.12.1964–3.1.1965) 351 820 Anträge für 1 111 810 Personen und 121 463 Kfz.

Ausgegeben wurden 963 499 Passierscheine für 1 708 808 Westberliner Bürger zum Besuch der Hauptstadt der DDR.

Davon für den 1. Besuchszeitraum 344 940 Passierscheine für 609 190 Personen und für den 2. Besuchszeitraum 618 559 Passierscheine für 1 099 618 Personen.

Nicht abgeholt worden sind insgesamt 4 998 Passierscheine für 8 035 Personen. Davon entfallen 1 796 Passierscheine für 2 741 Personen auf den 1. und 3 202 Passierscheine für 5 294 Personen auf den 2. Besuchszeitraum.

Abgelehnt wurden insgesamt 5 882 Passierscheinanträge für 10 954 Personen. Die Ablehnung erfolgte für 10 412 Personen wegen Mehrfachantragstellung, 219 Personen wegen Beantragung von Besuchen in Orten außerhalb der Hauptstadt der DDR, 65 Personen wegen Nichtvorhandensein der angegebenen Besuchsanschriften bzw. weil der angegebene Verwandtschaftsgrad nicht den Tatsachen entsprach, 258 Personen, weil sie gegen die Gesetze der DDR verstoßen hatten.

Von den Mehrfachantragstellern waren über die drei zulässigen Besuche hinaus folgende Anträge gestellt worden:

  • 1 320 mal für 1 bis 3 Besuche

  • 14 mal für 4 Besuche

  • 16 mal für 5 Besuche

  • 52 mal für 6 Besuche

  • 2 mal für 7 Besuche

  • 4 mal für 8 Besuche

  • 13 mal für 9 Besuche

  • 2 mal für 10 Besuche

  • 1 mal für 11 Besuche

  • 2 mal für 12 Besuche

  • 3 mal für 13 Besuche

  • 4 mal für 14 Besuche

  • 5 mal für 15 Besuche

  • 1 mal für 16 Besuche

Insgesamt 6 573 Passierscheine (2 330 für den 1. und 4 233 für den 2. Besuchszeitraum) wurden, weil die zu besuchenden Verwandten im Grenzgebiet wohnen, mit einem Stempel versehen, aus dem ersichtlich war, dass ein Zusammentreffen mit den Verwandten nur außerhalb des Grenzgebietes erfolgen darf.

Von den insgesamt 1 708 808 Westberliner Bürgern, die Passierscheine zum Besuch ihrer Verwandten erhielten, sind in den beiden Besuchsperioden 1 396 333 (= 81,7 %) in die Hauptstadt der DDR eingereist.

In den einzelnen Besuchszeiträumen zeigte sich dabei folgendes Verhältnis:

Für die 1. Besuchsperiode erhielten 609 190 Westberliner Passierscheine, davon reisten 571 145 (= 93,7 %) mit 42 096 Kfz in die Hauptstadt der DDR ein.

Für die 2. Besuchsperiode erhielten 1 099 618 Westberliner Passierscheine, davon besuchten 825 188 (= 75 %) mit 70 512 Kfz die Hauptstadt der DDR.

Einschätzung der Bearbeitung der Anträge und Passierscheine

Die Bearbeitung der Anträge und Passierscheine oblag, wie auch bereits während des 1. Passierscheinabkommens 1963/64, der Zentralen Genehmigungsstelle im Präsidium der Deutschen Volkspolizei (PdVP) Berlin. Grundlage für die Tätigkeit der Zentralen Genehmigungsstelle waren die am 26.9.1964 vom Minister des Innern erlassene Anweisung Nr. 16/64 über die Bearbeitung von Anträgen für Passierscheine für Bürger Westberlins zum Betreten der Hauptstadt der DDR und der darauf basierende und vom Minister des Innern am 29.9.1964 bestätigte Organisations- und Ablaufplan für die Zentrale Genehmigungsstelle.2 Der in Konsultationen mit dem MfS erarbeitete Organisations- und Ablaufplan für die Zentrale Genehmigungsstelle sah vor, die bei der Bearbeitung der Anträge und Passierscheine anfallenden Arbeiten mit 1 300 VP-Angehörigen – einschließlich Reservekräften – in acht Arbeitsgruppen im Zwei- bzw. Mehrschichtensystem zu lösen.

Den Arbeitsgruppen (AG) waren im Einzelnen folgende Aufgaben übertragen:

  • AG I: Annahme und Ausgabe, Kontrolle und Quittungsleistung für Anträge und Passierscheine (10 Kräfte);

  • AG II: Ausschreiben der Passierscheine (600 Kräfte);

  • AG III: Siegel, Unterschriftsleistung, KPP-Stempel anbringen, Steuerung nach KPP und Kontrolle der Richtigkeit der Ausschreibung der Passierscheine (100 Kräfte);

  • AG IV: Erarbeitung der Endstatistik zur operativen Auswertung (130 Kräfte);

  • AG V: Alphabetische Feinsortierung der Anträge und Trennung der Anträge in Teil I und II (42 Kräfte);

  • AG VI: Überprüfung der Anträge in der vereinigten Fahndungs-, Sperr- und Hinweiskartei sowie Überprüfung der zu Besuchenden im Grenz- bzw. Randgebiet – Ausstellung von Hinweiskarten (222 Kräfte);

  • AG VII: Stichprobenartige Überprüfung der Anträge in den EMA nach dem in der Hauptstadt zu Besuchenden sowie Ausschreiben der Hinweiskarten und Feststellungen (10 Kräfte);

  • AG VIII: Vorbereitung der Abgabe der sortierten Anträge sowie der Hinweiskarten (10 Kräfte).

Den Hauptteil dieser Kräfte stellten das PdVP und das MdI, wobei zusätzliche Kräfte von den BDVP abgezogen wurden. Mitarbeiter des MfS arbeiteten in allen AG mit.

Bereits am ersten Tage stellte sich jedoch heraus, dass die getroffenen Vorbereitungen nicht ausreichend und die Arbeitsfestlegungen nicht genügend durchdacht waren.

Neben fehlender straffer Führung und Leitung des Arbeitsablaufes zeigten sich vor allem folgende technisch-organisatorische Mängel:

  • Der tatsächliche Kräfte- und Arbeitsaufwand war in Vorbereitung auf die Aktion nicht experimentell ermittelt worden. Die Verwendung alter Normen aus dem 1. Passierscheinabkommen, die mit dem erhöhten Arbeitsaufwand nicht übereinstimmten, machte neue Kräfteanforderungen aus den Bezirken, ihre Einweisung sowie eine Neufestlegung der Struktur und des Arbeitsablaufs in der Zentralen Genehmigungsstelle während der laufenden Arbeiten erforderlich. Insgesamt kamen nach den durchgeführten Veränderungen statt 1 300 1 755 VP-Angehörige zum Einsatz.

  • Für die einzelnen Arbeitsgänge wurden VP-Angehörige eingesetzt, die nicht die erforderliche Qualifizierung für Schreibarbeiten, Statistik, Führung der Karteien und die unzureichende Ortskenntnisse (besonders über die KPP) hatten.

  • Die Zimmer der einzelnen AG waren unzweckmäßig angeordnet, sodass lange Transporte erforderlich wurden, die den rhythmischen Arbeitsablauf störten.

  • Die Versorgung der Einsatzkräfte, besonders mit Getränken, war ungenügend gesichert.

  • In Erkenntnis dieser Mängel und Schwächen erfolgte eine Umorganisierung des Arbeitsablaufs in der Zentralen Genehmigungsstelle auf das Einschichtensystem bei personeller Verstärkung der einzelnen Arbeitsgruppen, nach der ab 6.10.1964 gearbeitet wurde. Dadurch wurde eine straffere Leitung und einheitliche Befehlsgabe erreicht. Auf Vorschlag der Mitarbeiter des MfS wurden weiterhin in einzelnen AG-Dispatcher-Zentralen zur systematischen Verteilung der Arbeit und zur Verstärkung der Kontrolle über die sich in Bearbeitung befindlichen Kästen mit Anträgen (mittels Laufzettel) eingerichtet, was sich günstig auf den Arbeitsablauf auswirkte.

Unabhängig von diesen Veränderungen wirkten sich noch folgende Mängel negativ auf den Arbeitsablauf aus:

  • fortwährende Erteilung einander widersprechender Anweisungen durch die Kontrolloffiziere und damit verbundene Kräfteumsetzungen,

  • die nochmalige Bearbeitung bereits ausgeschriebener Passierscheine aufgrund unzureichender vorheriger Klärung, wie die Passierscheine auszufüllen sind, und aufgrund nachträglich erhobener Forderungen,

  • die unterschiedliche Sortierung der Anträge aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus der Karteien, z. B. Einwohnermeldekartei nach Klangalphabet, Fahndungs-, Sperr- und Hinweiskartei nach lexikalischem Alphabet, Kartei der ASR nach Klangalphabet bis zum letzten Buchstaben, was von keinem VP-Angehörigen beherrscht wurde und nur bei der ASR gebräuchlich ist,

  • die sofortige Entlassung der Einsatzkräfte der VP nach Abschluss der Aktion. Aufgrund der vom MfS für die Nachkontrolle geforderten 24-stündigen Bearbeitungsfrist mussten zum Nachschreiben von ca. 20 000 verschriebenen Passierscheinen die Einsatzkräfte nochmals aus den Diensteinheiten zurückgerufen werden.

  • dass unvollständig ausgefüllte Passierscheine zerrissen wurden, obwohl anstelle einer Neuausschreibung ein Nachtrag hätte erfolgen können (ca. 30 % der zurückgegebenen Passierscheine),

  • dass wiederum vor Beginn der Aktion keine Klarheit darüber bestand, welche statistischen Angaben benötigt werden, was dazu führte, dass im Verlaufe des Einsatzes zusätzliche Forderungen nach statistischen Angaben gestellt wurden (z. B. Herausarbeiten der Personen, die mit Kfz über die KPP einreisen).

Tätigkeit der Westberliner Polizeikräfte

Die Westberliner Polizei war verantwortlich

  • für den Schutz und die Sicherheit der Postangestellten der DDR und deren Arbeitsunterlagen auf dem Wege von den Grenzübergangsstellen zu den Passierscheinstellen und zurück und während ihrer Tätigkeit in den Passierscheinstellen,

  • für den ungestörten und reibungslosen Ablauf des Abfertigungsverfahrens in den Passierscheinstellen.

Dabei war es den Polizeiangehörigen untersagt, in die Arbeitsvorgänge in den Passierscheinstellen einzugreifen.

Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben war in jeder Passierscheinstelle ein Stützpunkt der Westberliner Polizei mit internem Telefonanschluss eingerichtet worden. Leiter dieser Stützpunkte waren die Leiter der Polizeireviere, in deren Bereich sich die Passierscheinstellen befanden.

Für die Innenabsicherung der Passierscheinstelle war die Westberliner Kriminalpolizei verantwortlich, die ständig Kriminalbeamte in den Passierscheinstellen im Einsatz hatte. Außerdem erfolgte durch Kriminalbeamte die Begleitung der Postangestellten der DDR von den Grenzübergangsstellen zu den Passierscheinstellen und zurück sowie die Begleitung der Kuriere.

Die Außenabsicherung der Passierscheinstellen erfolgte durch Kräfte der Schutzpolizei des zuständigen Reviers, der Einsatzkommandos der zuständigen Polizeiinspektionen und Lautsprecherwagen, die durch Sprechfunk mit der Funkbetriebszentrale des Kommandos der Schutzpolizei in Verbindung standen. Diesen Kräften war untersagt, die Räume der Passierscheinstellen zu betreten.

Weiterhin war vorgesehen, in Notfällen zur Absicherung der Passierscheinstellen Bereitschaftspolizisten einzusetzen.

Direkte Überschreitung der Befugnisse oder grobe Vernachlässigung der Aufgaben sind bei den Westberliner Polizeikräften nach den vorliegenden Hinweisen nicht aufgetreten. Teilweise waren die zur Innensicherung und zur Begleitung der Postangestellten und der Kuriere eingesetzten Polizeikräfte jedoch mitbeteiligt an versuchten Kontaktaufnahmen sowie an solchen den Arbeitsablauf störenden Handlungen wie Trinkgelagen, Desinformationen usw.

Versuche der Feindzentralen zur Ausnutzung des Passierscheinabkommens für die Feindtätigkeit gegen die DDR

Tätigkeit der Spionage-, Agenten- und Menschenhändlerzentralen

Nach vorliegenden Informationen sind während der Dauer des Passierscheinabkommens keine besonderen, die »normale« Tätigkeit dieser Dienststellen und Organisationen überschreitenden Maßnahmen bekannt geworden. Der Bundesnachrichtendienst beauftragte seine Agenten, von Westberlin aus in die Hauptstadt der DDR einzureisen und dabei den Ablauf und die Art und Weise der Abfertigung auf den KPP zu erkunden.3 Agenten des BND in der DDR erhielten Anweisungen zur Erkundung von Maßnahmen der Partei zur Durchführung des Passierscheinabkommens sowie zur Erforschung der Stimmung der Bevölkerung. Der BND legte im demokratischen Berlin einen TBK an, der eine größere Geldsumme MDN sowie technische Hilfsmittel enthielt.

Der amerikanische Geheimdienst legte ebenfalls einige TBK in der Hauptstadt der DDR an und forderte von seinen Agenten Angaben über die Stimmung der Bevölkerung sowie über alle im Zusammenhang mit dem Passierscheinabkommen stehenden Vorkommnisse.

Der französische Geheimdienst entsandte während des ersten Besuchszeitraumes Hinweise in die Hauptstadt der DDR, um Agenten mit technischen Hilfsmitteln und Instruktionen zu versorgen. Während des zweiten Besuchsabschnittes konnte festgestellt werden, dass an Agenten des französischen Geheimdienstes in der Hauptstadt der DDR Postsendungen mit Spionageanweisungen in Geheimschrift aufgegeben wurden.

Agenten des Landesamtes für Verfassungsschutz Westberlin erhielten den Auftrag festzustellen, welche Maßnahmen von Parteien und Massenorganisationen in der Hauptstadt der DDR zur Betreuung Westberliner Besucher eingeleitet wurden und wie und was von den Westberlinern bei ihrem Besuch in der Hauptstadt der DDR diskutiert wird. Hierbei kam es dem LfV darauf an, konkrete Angaben zur Person der Westberliner Bürger in Erfahrung zu bringen.

Für die Dauer des Passierscheinabkommens hat das LfV aus allen Abteilungen (bekannt sind 6–8 Abteilungen) täglich je zwei Mitarbeiter für einen Sonderdienst abgestellt, dessen Aufgaben jedoch nicht ermittelt werden konnten.

Inoffiziell wurde bekannt, dass Westberliner Funktionäre der Sekte »Zeugen Jehovas« das Passierscheinabkommen dazu ausnutzten, um Verbindungen zu Mitgliedern dieser Sekte aus den Bezirken der DDR neu zu knüpfen. Sie führten zu diesem Zweck Zusammenkünfte bei Angehörigen der Sekte in der Hauptstadt der DDR durch.

Von Westberliner Menschenhändlerorganisationen wurden in einigen Fällen Versuche unternommen, unter Ausnutzung des starken Besucherverkehrs mittels verfälschter Dokumente und Passierscheine sowie in Personenkraftwagen versteckt Bürger der DDR nach Westberlin zu schleusen.4 Es traten dabei die bekannten Schleuserorganisationen Wordel5 und Gehrmann/Steinborn6 in Erscheinung. Durch Aussagen des am 2.11.1964 inhaftierten Westberliner Bürgers Pfaff, Herbert,7 wurde bekannt, dass von einer Westberliner Schleuserorganisation die Ausnutzung des Passierscheinabkommens zu Schleusungszwecken mit verfälschten Passierscheinen und Westberliner Personalausweisen vorbereitet wurde.8

Pfaff hatte im Auftrage des Westberliner Autohändlers Schunke, Hans, wohnhaft in Berlin 27, [Straße Nr.] und eines gewissen Gunkel, Franz, wohnhaft in Berlin-Reinickendorf, [Straße Nr.], auf ca. 45 Westberliner Personalausweise Passierscheine beantragt. Er nutzte dazu seine Tätigkeit als DRK-Helfer in der Passierscheinstelle Berlin-Reinickendorf/Scharnweberstraße, aus, um unter dem Vorwand, kranken und körperbehinderten Menschen zu helfen, diese Anträge zu stellen. Danach holte er an den entsprechenden Ausgabetagen die vorwiegend für den 26.12.1964, 31.12.1964 und 2.1.1965 beantragten und genehmigten Passierscheine ab und übergab sie an Schunke.

Von Schunke will Pfaff erfahren haben, dass die Passierscheine zur Schleusung von Bürgern der DDR Verwendung finden sollten, und dass dieser Verbindung zu einer Studentengruppe in Berlin-Dahlem unterhielt, die mittels nachgeahmter Kontrollstempel die Passierscheine fälscht. Wie Pfaff weiter angibt, hat er bereits während des ersten Passierscheinabkommens im Dezember 1963 auf die gleiche Art und Weise ca. 40 Passierscheine für Schunke beantragt, wofür ihm 400 DM/West gezahlt wurden.

Während in der ersten Besuchsperiode lediglich eine Person mit einem verfälschten Passierschein nach Westberlin zu gelangen versuchte, wurden in der zweiten Besuchsperiode vier Personen beim versuchten illegalen Verlassen der DDR mit aus Westberlin erhaltenen verfälschten Passierscheinen festgenommen.

Am 31.10.1964 unternahm es der Westberliner Handelsvertreter Gloger, Hans-Joachim, der DDR-Bürgerin [Name 1, Vorname] aus Sperenberg bei Zossen einen verfälschten Passierschein und einen Westberliner Personalausweis zum Zwecke ihrer Ausschleusung nach Westberlin zu überbringen. Die [Name 1] hatte seit September 1964 mehrere Zusammenkünfte mit ihrem Bekannten Langsch, Rainer, Versicherungsvertreter in Westberlin, in der Hauptstadt der DDR durchgeführt, wobei Maßnahmen zu ihrer Ausschleusung während des Passierscheinabkommens besprochen und festgelegt wurden.

Am 31.10.1964 reiste Gloger im Auftrage des Langsch gegen 8.00 Uhr über den KPP Friedrichstraße in die Hauptstadt der DDR ein und übergab vereinbarungsgemäß seinen Passierschein an eine zur gleichen Zeit mit einem westdeutschen Ausweis eingereiste Kurierin. Diese brachte den Passierschein zurück nach Westberlin, wo Langsch in Zusammenarbeit mit Mitgliedern einer Schleusergruppe nach der Vorlage der auf dem Passierschein des Gloger angebrachten Kontrollstempels den für die [Name 1] bestimmten Passierschein mit nachgeahmten Stempeln verfälschte. Anschließend wurden von der Kurierin der Passierschein des Gloger und die für die [Name 1] bestimmten verfälschten Dokumente in die Hauptstadt der DDR eingeführt und Gloger übergeben.9

In der Zeit zwischen dem 19.12. und 30.12.1964 wurden der Student der TH Dresden10 [Name 2, Vorname], das Ehepaar [Name 3, Vorname 1] und [Vorname 2] aus Erkner und die Assistenz-Ärztin aus dem St. Adalbert-Krankenhaus in Wittichenau,11 Krs. Hoyerswerda, Dr. [Name 4, Vorname] bei Versuchen des illegalen Verlassens der DDR festgenommen. Alle Personen waren im Besitz verfälschter Passierscheine und mit ihren Lichtbildern verfälschter Westberliner Personalausweise, die ihnen von Westberliner Bürgern bei Zusammenkünften in der Hauptstadt der DDR übergeben worden waren. In allen Fällen bestand seit längerer Zeit Kontakt zu Verwandten und Bekannten in Westberlin bzw. Westdeutschland, die allein oder in Verbindung mit Westberliner Schleuserorganisationen die Ausschleusung vorbereiteten und organisierten.

Nach einer im Auftrage der Westberliner Menschenhändlerorganisation12 Wordel erfolgten Ausschleusung einer DDR-Bürgerin mittels eines verfälschten westdeutschen Personalausweises und einer verfälschten Tagesaufenthaltsgenehmigung konnte am 20.12.1964 aufgrund operativer Hinweise das westdeutsche Ehepaar [Name 5, Vorname 3] und [Vorname 4] aus München festgenommen werden.

Die Ausschleusung der DDR-Bürgerin war nach einem von der Schleusergruppe Wordel festgelegten Plan durchgeführt worden, bei dem folgende Methode zur Anwendung kam. Der Beschuldigte [Name 5] fuhr mit einem von Wordel zur Verfügung gestellten Pkw Citroën, in dem ein Personenversteck unter den vorderen Sitzen eingebaut war, in die Hauptstadt der DDR. Gleichzeitig reisten seine Ehefrau und ein weiterer Mitarbeiter der Gruppe mit westdeutschen Ausweispapieren über den KPP Friedrichstraße ein. Der für die Ausschleusung vorgesehenen DDR-Bürgerin wurden ein gefälschter westdeutscher Personalausweis und dazu die Original-Tagesaufenthaltsgenehmigung und Geldumtauschbescheinigung der Frau [Name 5] übergeben. Anschließend reiste die DDR-Bürgerin mit den erhaltenen Dokumenten über den KPP Friedrichstraße nach Westberlin aus, während der Beschuldigte [Name 5] seine Ehefrau im Versteck des Pkw mit nach Westberlin nehmen sollte.13

Den Aussagen der Beschuldigten zufolge sollen von der Gruppe Wordel weitere derartige Schleusungen von DDR-Bürgern vorgesehen gewesen sein. Von Wordel waren ihnen für jeden geschleusten DDR-Bürger 1 500 DM/West versprochen worden.

Ein im Auftrage der Menschenhändlerorganisation Gehrmann/Steinborn unternommener Versuch, die DDR-Bürgerin [Name 6, Vorname] aus Berlin-Bohnsdorf in einem Pkw Typ Opel in einem zwischen Rücksitz und Kofferraum eingebauten Versteck nach Westberlin auszuschleusen, wurde am 3.11.1964 verhindert.

Dabei konnte der Fahrer des Pkw, der libanesische Staatsbürger [Name 7, Vorname], der mit dem Mitglied der Gehrmann/Steinborn-Gruppe [Name 8, Vorname] zusammenarbeitete, festgenommen werden. [Name 7] waren für jede geschleuste Person 1 000 DM/West in Aussicht gestellt worden.

In zwei Fällen wurde festgestellt, dass die Personalausweise mit dazugehörigen Einreisedokumenten DDR-Bürgern zum Zwecke des illegalen Verlassens der DDR übergeben wurden, womit zwei DDR-Bürger nach Westberlin gelangten. So übergab der Staatenlose (bulgarischer Nationalität) [Name 9, Vorname] einem DDR-Bürger seinen Staatenlosenpass sowie die dazugehörige Devisenbescheinigung. Nach der Ausreise des DDR-Bürgers meldete er den angeblichen Verlust seiner Dokumente. Die Westberliner Bürgerin [Name 10, Vorname] ermöglichte am 8.11.1964 ihrer Bekannten [Name 11, Vorname] durch die Aushändigung ihres Westberliner Personalausweises und ihres Passierscheines das illegale Verlassen der DDR über den KPP Friedrichstraße.

Von den DDR-Bürgern, die während der beiden Besuchszeiträume ohne festgestellte Unterstützung von Feindzentralen illegal nach Westberlin gelangen wollten, versuchten 43 (im 1. Besuchszeitraum 11, im 2. Besuchszeitraum 32) ihr Vorhaben durch Überwindung der Grenzsicherungsanlagen, vorwiegend in den Stadtbezirken Mitte und Treptow, zu verwirklichen. Den Besucherandrang bei der Ausreise, insbesondere auf dem KPP Bahnhof Friedrichstraße, versuchten 16 DDR-Bürger (im 1. Besuchszeitraum 12, im 2. Besuchszeitraum 4) zur illegalen Ausreise nach Westberlin auszunutzen. Von den insgesamt 71 festgenommenen DDR-Bürgern sind 39 im Alter unter 25 Jahre. 24 Personen sind vorbestraft, davon fünf wegen Passvergehen. Gegen fünf DDR-Bürger liefen zum Zeitpunkt ihrer Festnahme Ermittlungsverfahren wegen krimineller Delikte.

In der Hauptsache wurden als Gründe für das versuchte illegale Verlassen der DDR

  • der Entzug vor gerichtlicher Verfolgung wegen begangener Straftaten,

  • die Übersiedlung zu Angehörigen und Verwandten,

  • Entzug vor Wehrpflicht,

  • die Vorstellung besserer Lebensverhältnisse in Westberlin und Westdeutschland

angegeben. 31 der angefallenen Personen sind in der Hauptstadt der DDR und 40 in den Bezirken der DDR wohnhaft.

Während der Aktion »Gast«14 wurden in den beiden Besuchszeiträumen gegen insgesamt 88 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, da sie es unternahmen, Bürger der DDR unter Ausnutzung des Passierscheinabkommens nach Westberlin zu schleusen bzw. illegal das Gebiet der DDR zu verlassen oder sich anderer Gesetzesverletzungen schuldig machten.

Im Einzelnen handelt es sich um

  • 71 Bürger der DDR

  • 12 in Westberlin ansässige Personen

  • 3 westdeutsche Bürger

  • 2 ausländische Bürger (1 Libanese, 1 Staatenloser).

Die Bearbeitung der Ermittlungsverfahren erfolgte gegen

  • 21 Personen durch das MfS

  • und 67 Personen durch die VP (davon 11 ohne Haft).

Die Einleitung der Ermittlungsverfahren erfolgte wegen

  • Schleusungen mit verfälschten Passierscheinen und verfälschten Westberliner Personalausweisen gegen

    5 Bürger der DDR,

    2 Westberliner Bürger,

  • Schleusungen in Pkw-Verstecken gegen

    1 DDR-Bürger,

    1 Ausländer (Libanese),

  • Schleusungen mit verfälschten westdeutschen Personaldokumenten und Tagespassierscheinen gegen

    1 DDR-Bürger,

    2 westdeutsche Bürger,

  • Zurverfügungstellen von Personaldokumenten für eine illegale Ausreise von DDR-Bürgern gegen

    1 Westberliner Bürger,

    1 Ausländer (Staatenloser),

  • Anstiftung und Beihilfe zur Republikflucht gegen

    3 Westberliner Bürger,

  • vorsätzliche Zeitüberschreitung gegen

    2 Westberliner Bürger,

  • Staatsverleumdung gegen

    2 Westberliner Bürger,

    1 westdeutschen Bürger,

  • Vortäuschen von Ausweis- und Passierscheinverlusten mit dem Ziel des illegalen Verlassens der DDR gegen

    4 DDR-Bürger,

  • Ausnutzung des Besucherandrangs an den KPP zum illegalen Verlassen der DDR gegen

    12 DDR-Bürger,

  • Verbindungsaufnahme zu feindlichen Organisationen, Westberliner und westdeutschen Bürgern mit dem Ziel des illegalen Verlassens der DDR gegen

    4 DDR-Bürger,

  • Versuchen, die Grenzsicherungsanlagen an der Staatsgrenze nach Westberlin zu durchbrechen gegen

    43 DDR-Bürger,

  • Nichtanzeige einer Personenschleusung gegen

    1 DDR-Bürger,

  • Fahndung aufgrund operativen Materials gegen

    2 Westberliner Bürger.

Ergebnisse der während der beiden Besuchsperioden durchgeführten Zollkontrollen

Von den eingereisten Westberliner Bürgern führte die Mehrzahl Geschenke in Form von Kaffee, Kakao, Schokolade, Spirituosen, Südfrüchte und Tabakwaren im gesetzlich zulässigen Rahmen mit. Bei der Ausreise wurden insbesondere kunstgewerbliche Erzeugnisse, Obst, tierische Erzeugnisse in geringen Mengen, Spielzeug sowie Bücher als Geschenke mitgeführt. Im Ergebnis der Kontrollen der Zollorgane wurden während der ersten Besuchsperiode 79 und während der zweiten Besuchsperiode 196 Einziehungen vorgenommen. Bei der Einreise sind dabei hauptsächlich Zigaretten, Arzneimittel, Kaffee und Konservendosen und bei der Ausreise Bettwäsche, Damen- und Herrenunterwäsche, Tischwäsche, Handtücher, Fleisch- und Wurstwaren, Eier und Geflügel beschlagnahmt worden. Zurückweisungen wurden 1 769 im ersten und 3 877 im zweiten Besuchszeitraum verfügt. Dabei sind insbesondere bei der Einreise Textilien, Literatur, Dia-Positive, Schallplatten, Tonbänder, Radios und luftdicht verschlossene Behältnisse zurückgewiesen worden.

Insgesamt wurden in beiden Besuchszeiträumen 14 742 formlose Einziehungen von Zeitungen, Zeitschriften, Schundliteratur, Kalender usw. vorgenommen.

Versuche Westberliner Bürger in das Gebiet der DDR einzureisen

Bei Kontrollen am Außenring von Berlin wurden beim Versuch der Einreise in das Gebiet der DDR 266 Westberliner Bürger zurückgewiesen (128 im 1. und 138 im 2. Besuchszeitraum). Diese Westberliner Bürger versuchten in folgende Kreise des Bezirkes Potsdam und Frankfurt/O. einzureisen:

  • Oranienburg: 78,

  • Bernau: 19,

  • Strausberg: 55,

  • Fürstenwalde: 35,

  • Königs Wusterhausen: 79.

Außerhalb der Hauptstadt der DDR hielten sich während der 1. Besuchsperiode 21 und während der 2. Besuchsperiode sieben Westberliner Bürger unberechtigt auf. Ihre Rückweisung erfolgte nach Absprache mit den zuständigen Kreisdienststellen.

Bei Kontrollen durch die Transportpolizei wurden im S-Bahn- und Eisenbahn-Vorortverkehr 144 Westberliner Bürger angehalten und zurückgewiesen. Schwerpunkte ergaben sich auf folgenden Strecken bzw. KPP:

  • Schönfließ–Oranienburg

  • Röntgenthal–Bernau

  • Berlin-Buch

  • Erkner und Schönefeld.

Ein Westberliner Bürger wurde auf der Rückreise im Eilzug Zittau–Berlin festgestellt. Er hatte für den 31.12.1964 und 1.1.1965 einen Passierschein beantragt mit der Absicht, seine Angehörigen in Zittau zu besuchen. Am 31.12.1964 fuhr er von Berlin nach Zittau, hielt sich dort bis zum 1.1.1965 auf und wollte anschließend wieder nach Westberlin ausreisen. Inoffiziell ist bekannt geworden, dass es Westberlinern gelungen ist, ohne kontrolliert zu werden, bis Rostock und wieder zurück zu reisen.

Vorkommnisse mit Beteiligung Westberliner Bürger im demokratischen Berlin

Während beider Besuchszeiträume ereigneten sich in der Hauptstadt der DDR 70 Verkehrsunfälle, an denen Westberliner Bürger beteiligt waren, davon 30 schuldhaft. In 40 Fällen entstand Personenschaden. An den Folgen eines von einem Rettungswagen schuldhaft verursachten Verkehrsunfalls verstarb am 11.11.1964 eine Westberliner Bürgerin im Krankenhaus Friedrichshain.

13 Westberliner Besucher verstarben in der Hauptstadt der DDR. In allen Fällen handelt es sich um ältere Personen, die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes (Herzschwäche) auf dem Wege zu ihren Verwandten bzw. in deren Wohnungen oder auf der Rückreise verstarben.

In acht Fällen erfolgten Diebstähle aus Westberliner Kraftfahrzeugen. In drei Fällen wurden Westberliner Bürger wegen Trunkenheit am Steuer gestellt und an der Weiterfahrt mit ihrem Pkw gehindert.

Von Westberliner Bürgern gemeldete Dokumentenverluste:

Im 1. Besuchszeitraum:

  • 44 Westberliner Personalausweise, davon 42 wiedergefunden

  • 39 Passierscheine, davon 33 wiedergefunden.

Im 2. Besuchszeitraum:

  • 51 Westberliner Personalausweise, davon 46 wiedergefunden

  • 34 Passierscheine, davon 19 wiedergefunden.

Bei den nicht wiedergefundenen Personalausweisen und Passierscheinen wurde die Sperrung dieser Dokumente veranlasst und den Westberlinern die Ausreise gestattet, wenn mit diesen Dokumenten keine unberechtigten Ausreisen erfolgt waren.

Geldumtausch

Die Durchführung des Mindestumtausches durch Westberliner Bürger erbrachte während des Passierscheinabkommens folgende Ergebnisse:

  • 1. Besuchszeitraum (Mindestumtausch auf freiwilliger Basis)

    Von 200 320 Westberliner Bürgern (35 % der eingereisten Besucher) wurden 601 298 DM/West getauscht.

  • 2. Besuchszeitraum (obligatorischer Mindestumtausch)15

    584 987 Westberliner Bürger (70,8 % der eingereisten Besucher) tauschten 1 761 537 DM/West im Mindestumtausch.

Die Gesamteinnahmen aus beiden Besuchsperioden des Passierscheinabkommens (mit zusätzlichem Umtausch Westberliner Bürger) betrugen 2 503 564 DM/West.

  1. Zum nächsten Dokument Hepatitis-Epidemie im Bezirk Dresden

    [Ohne Datum]
    Einzelinformation Nr. 81/65 über einige Schwächen und Mängel in der Bekämpfung der Hepatitis-Erkrankung durch die Organe des Gesundheitswesens im Raum Radeberg, [Bezirk] Dresden

  2. Zum vorherigen Dokument Zusammenstoß eines Güter- und eines Personenzuges

    29. März 1965
    Einzelinformation Nr. 273/65 über einen Zusammenstoß des Güterzuges 7070 mit dem Personenzug 3664 im Bereich des Stellwerkes Lia des Bahnhofes Seddin, [Bezirk] Potsdam, am 27. März 1965, gegen 22.58 Uhr