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Vorkommnisse im Zusammenhang mit Bundestagssitzung in Westberlin (2)

8. April 1965
Einzelinformation Nr. 327/65 über Vorkommnisse im Zusammenhang mit der provokatorischen Bundestagssitzung in Westberlin

Am 7.4. versuchte, gegen 17.00 Uhr, der SPD-Bundestagsabgeordnete1 [Vorname Name 1] (geb. [Tag, Monat] 1931 in Jena) über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße in die Hauptstadt der DDR einzureisen. Die Unterzeichnung der ihm vorgelegten Erklärung lehnte er ab und kehrte nach Westberlin zurück. Im Einzelnen äußerte er Bedenken, dass diese Erklärung in der Presse der DDR veröffentlicht werde und ihm Nachteile bringen könnte. Er bestritt, dass es eine Bonner »Vorwärtsstrategie« gibt und unterstützte die Bonner Notstandsgesetzgebung. Er betonte, dass er an der gegenwärtigen Sitzung des Bundestages in Westberlin nicht teilnahm, sondern nur mit Willy Brandt2 ein Gespräch über den Bundestagswahlkampf3 zu führen beabsichtigte. Als Grund seines geplanten Besuchs in der Hauptstadt der DDR gab er an, sich mit seiner in Eichwalde wohnenden Schwester treffen zu wollen.

Nachträglich wurde intern bekannt, dass Brandt bereits am 3.4. in einem Gespräch mit Albertz4 zu verstehen gab, er habe seinen Wagen nach Hamburg geschickt, um damit am 4.4. nach Westberlin zurückzufahren und die Kontrollorgane der DDR zu testen.

Eine über die Eisenbahngrenzübergangsstelle Probstzella offiziell im Auftrage des FDJ-Zentralrats nach Westdeutschland ausreisende FDJ-Delegation des VEB Carl Zeiss Jena ([Vorname Name 2] und [Vorname Name 3]) wurde am 7.4., gegen 6.00 Uhr, auf der westlichen Grenzstation Ludwigstadt aus dem Zug (D 130) geholt, vorübergehend festgenommen und gegen 15.00 Uhr in die DDR zurückgeschickt. Die Angehörigen der bayerischen Grenzpolizei gaben an, damit auf höherem Auftrag zu handeln. Ein Aufenthalt der Delegation in Westdeutschland stelle gegenwärtig eine »Gefahr« dar.

Die Abwicklung des Reiseverkehrs von und nach Westberlin verlief auch am 7.4. – mit Ausnahme der Stauungen durch die Sperrzeit im Straßenverkehr – normal. Die längsten Wartezeiten ergaben sich für Lkw in Horst mit 30 Stunden und in Marienborn mit 24 bis 26 Stunden. Besonders in Marienborn waren die Wartezeiten auch auf eine unkontinuierliche Abfertigung auf der westdeutschen Seite zurückzuführen. Allgemein zeigte sich am 7.4. eine Abnahme des Fahrzeugverkehrs von und nach Westberlin.

Gegen 10.00 Uhr beabsichtigte eine US-Militärkolonne in der Sperrzeit die Grenzübergangsstelle Marienborn in Richtung Westberlin zu passieren. Durch Maßnahmen des sowjetischen Kommandanten und der NVA wurde eine Durchfahrt verhindert.

Durch Sperrungen auf den Wasserstraßen kam es am 7.4. zu einem Stau von insgesamt 182 Schiffen (davon 64 aus Westdeutschland, 31 aus der ČSSR, 1 aus Polen und 86 von der Deutschen Binnenreederei). Die Versorgung der westdeutschen Schiffer wurde dadurch gewährleistet, dass sie Landgangscheine für Einkäufe erhielten.

Besondere Provokationen sowie Kontaktaufnahmen und Verkehrsunfälle wurden aufgrund der durchgeführten Maßnahmen nicht bekannt. Am 7.4., gegen 10.00 Uhr, wurde ein Helfer des westdeutschen DRK bei Lauenburg vorübergehend festgenommen, weil er unbefugt das Gebiet der DDR betreten hatte. Seine Rückschleusung nach Westdeutschland erfolgte gegen 14.30 Uhr. Um 9.30 Uhr verletzten zwei Westberliner Zöllner die Staatsgrenze der DDR in Schönefeld um ca. 15 m. In Groß Glienicke wurden gegen 9.30 Uhr durch zwei englische Militärangehörige provokatorische Zielübungen auf NVA-Offiziere durchgeführt.

Nach Aussagen eines Fahrers des Kraftverkehrs Leipzig rief eine Anzahl angetrunkener westdeutscher Bürger in Helmstedt zu provokatorischen Handlungen gegen DDR-Fahrzeuge auf. Die Fahrer des Kraftverkehr Dresden [Name 4] und [Name 5] wurden am 7.4. bei Helmstedt von westdeutschen Bürgern tätlich angegriffen, woraufhin die westdeutsche Polizei einschritt. Der Wagen des DDR-Kraftfahrers [Name 6] vom Reisebüro Berlin wurde in Westberlin wiederholt beschmutzt und im Straßenverkehr behindert. Die bei der Staatsoper Berlin beschäftigten Westberliner Bürger [Name 7] und [Name 8] wurden bei der Einreise in die Hauptstadt der DDR von Westberliner Bürgern in provokatorischer Weise belästigt. Allgemein wurde bei Fahrten von DDR-Bürgern nach Westberlin am 7.4. eine verstärkte Fahrzeugkontrolle festgestellt. Die Westberliner Polizeireviere wurden angewiesen, die S-Bahnhöfe zu überwachen. Auf dem S-Bahnhof Zoologischer Garten wurden Personenkontrollen durchgeführt.

Nach von unserer Seite aus durchgeführten Beobachtungen wurden am 7.4., gegen 13.00 Uhr, aus einem Fenster des Kaufhauses Hertie in der Nähe des Grenzübergangs Chausseestraße Flugblätter geworfen, die sich gegen die Westberliner Bundestagssitzung wandten. Danach soll eine etwa 30-jährige Frau mit einem 5-jährigen Kind von der Westberliner Polizei aus dem Hause geführt und festgenommen worden sein.

Die Führungsstäbe der Westberliner Polizei und die Bereitschaftspolizei stehen seit dem 6.4. abends in Alarmbereitschaft. Auch alle Angehörigen der Streitkräfte der Westmächte in Westberlin befinden sich bereits seit dem 5.4. in Alarmbereitschaft.

Am 7.4. wurde eine verstärkte Tätigkeit von Aufklärungsflugzeugen der Westmächte sowohl über der Berliner Staatsgrenze als auch über den Grenzübergangsstellen an der Staatsgrenze West festgestellt. Am Grenzübergang Lauenburg wurden alle aus Richtung DDR kommenden westdeutschen Lkw-Fahrer nach Truppenbewegungen auf dem Gebiet der DDR befragt.

Auch am 7.4. kam es wieder zu provokatorischen Fahrten von Fahrzeugen der westlichen Militärverbindungsmissionen. Bei Brandenburg wurde von ihnen um 10.15 Uhr das Sperrgebiet verletzt. Stoppzeichen der VP wurden nicht beachtet. Gegen 19.00 Uhr wurde auf der Strecke Berlin–Magdeburg ein MVM-Fahrzeug wegen überhöhter Geschwindigkeit gestellt.

Mehrfach wurde berichtet, dass die Düsenjägerübungen über Westberlin am 7.4. einen starken Eindruck bei der Westberliner Bevölkerung hinterließen. Zu einem großen Teil wurde Empörung und Verärgerung zum Ausdruck gebracht. Es wurden aber auch zahlreiche Äußerungen bekannt, in denen zum Ausdruck kam, dass die Westmächte dagegen machtlos seien und auch im Ernstfall die Westberliner keine Hilfe von ihnen zu erwarten hätten.

In der Kongresshalle beschäftigte Westberliner äußerten sich von den Übungen besonders beeindruckt. Es wurde festgestellt, dass gegen 16.15 Uhr ein großer Teil der Wagen der Bundestagsabgeordneten vor der Kongresshalle aufgerufen wurde und die Abgeordneten z. T. die Tagung verließen.

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    7. April 1965
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