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Einige Probleme des Farbfernsehens

10. Mai 1968
Einzelinformation Nr. 517/68 über einige Probleme des Farbfernsehens

Zu Problemen des Farbfernsehens liegen dem MfS lediglich Einzelhinweise vor, die auf Meinungen von Fachexperten beruhen und im Wesentlichen Fragen

  • der Qualität und technischen Ausrüstung der beiden Farbfernsehsysteme SECAM1 und PAL2 sowie

  • der geplanten Einführung des SECAM-Systems in der DDR und der damit im Zusammenhang stehenden Probleme

betreffen.

Bei der Einschätzung der Qualität und technischen Ausrüstung der beiden europäischen Farbfernsehsysteme SECAM und PAL durch westliche Experten wird immer wieder sinngemäß zum Ausdruck gebracht, dass die »Teilung Europas im Farbfernsehen« entgegen den technischen Erkenntnissen und Bedingungen aus »politischen Gründen« erfolgt sei. Nach ihrer Auffassung würde jedoch die faktische Trennung Europas in zwei Farbfernsehsysteme die Ausstrahlung von Sendungen in den Bereich des anderen Systems nicht verhindern, da sowohl für PAL als auch für SECAM ein sogenannter Transkoder entwickelt worden sei, der die entsprechenden Umwandlungen von einem System ins andere ermögliche.

In diesem Zusammenhang wird auf eine bisher nicht bestätigte westliche Meldung hingewiesen, wonach in Bonn erwogen werde, zumindest an der Staatsgrenze zur DDR ein oder zwei Sender für das SECAM-System zu errichten, damit künftige Farbfernsehsendungen aus Westdeutschland auch in der DDR empfangen werden können.

Aus dem MfS vorliegenden Einzelhinweisen ist weiter zu entnehmen, dass von westlichen Fachleuten auf dem Gebiet des Farbfernsehens die Qualität der von der französischen Industrie gelieferten Bildröhre für das Farbfernsehen bemängelt wird. Nach ihren bisherigen Feststellungen sei die betreffende französische Bildröhrenfabrik nicht in der Lage, einen Prototyp ihrer Chromotronröhre in genügender Anzahl den Interessenten zur Verfügung zu stellen, die Farbfernsehgeräte mit dieser Röhre bauen möchten. Angeblich sei aus diesem Grunde die Einführung des SECAM-Systems in der SU zeitweilig infrage gestellt gewesen.

Als »Beweis« für das Misstrauen, das gegen die französische Chromotronröhre vorhanden sei, wird beispielsweise angeführt, dass Finnland sich deswegen veranlasst gesehen habe, seine Bereitschaft zur Einführung von SECAM zurückzuziehen und zu PAL »überzulaufen«.

Auch Rumänien habe seine ursprüngliche Begeisterung für SECAM angeblich verloren und »liebäugle« mit der Einführung von PAL. Das rumänische Beispiel übe auch gewissen Einfluss auf Bulgarien und die ČSSR aus. Diese beiden Länder könnten unter Umständen von einer Einführung des SECAM-Systems absehen, wenn es Frankreich nicht gelänge, Bildröhren des Chromotronsystems in genügender Anzahl und Qualität zu liefern.

Zu diesem Problem wurde bekannt, dass die französische Regierung an der Entwicklung der neuen sogenannten Gitterbildröhre stark interessiert sei und sich zu dem Zweck entschlossen habe, eine rund 25%ige Kapitalbeteiligung an der zuständigen »Compagnie Française de Television« zu übernehmen. Darüber hinaus soll eine Tochterfirma gegründet werden, die die Aufgabe habe, die Röhre bis zur Serienreife weiterzuentwickeln. Dieser Zeitpunkt werde für Anfang der 70er Jahre erwartet.

Nach Aussagen französischer Techniker soll die neue Gitterbildröhre gewisse Vorzüge gegenüber der gebräuchlichen Schattenmaskenröhre aufweisen (z. B. größere Bildhelligkeit, niedrigerer Herstellungspreis).

Sowohl technische Fachleute als auch Verkaufsexperten westlicher Staaten würden jedoch angeblich immer mehr die Auffassung vertreten, dass der Streit um SECAM oder PAL vielleicht schon in zwei Jahren überholt sei, falls die Chromotronröhre nicht die Versprechungen halte, die die Franzosen ihr beim Start mitgegeben hätten. Dann werde sich PAL trotz aller französischer Bemühungen durchsetzen.

Man verweist in diesem Zusammenhang allerdings auf die japanische Industrie, der es offenbar gelungen sei, durch eine vorausgegangene intensive Entwicklungsarbeit die Lochmaskenröhre faktisch in allen Formaten so preiswert und leistungsfähig herzustellen, dass es sich früher oder später erübrige, nach anderen Fabrikaten Ausschau zu halten – ungeachtet der laufenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in anderen Ländern.

Den Meinungen westlicher Fachleute zufolge lasse eine vorläufige Einschätzung der Marktsituation sowie der Käuferwünsche bei Farbfernsehgeräten erkennen, dass das große Röhrenformat (63 cm) bei den Käufern den stärksten Eindruck hinterlasse. Zum Beispiel schätzen die westdeutschen Herstellerfirmen ein, dass die 63er Farbbildröhre auch weiterhin dominieren würde und sich die kleineren Formate voraussichtlich nicht über einen Marktanteil von 20 % erheben könnten. Dabei wird auf die Erfahrung verwiesen, wonach beim Farbfernsehzuschauer die Verkleinerung des Formats mit einer größeren Beeinträchtigung der emotionellen Wirkung verbunden sei als beim Schwarz-Weiß-Fernsehen. Der Farbfernseher braucht deshalb immer eine mindestens um eine Stufe größere Bildröhre als das Schwarz-Weiß-Gerät. Vorgenannte Erfahrung falle bei den Herstellerfirmen für die Disposition auf lange Zeit erheblich ins Gewicht.

Unter einigen Wissenschaftlern und Technikern insbesondere aus dem Bereich des Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamtes (RFZ)3 gab es bisher im Zusammenhang mit der Einführung des Farbfernsehens – vor allem nach der Entscheidung für das System SECAM – einige zu beachtende ideologische Probleme:

Im Wesentlichen lassen sich die bisher in dieser Richtung bekannt gewordenen Fragen auf folgenden Kern reduzieren:

  • das System PAL (Westdeutschland) sei das technisch ausgereifteste System, wie überhaupt in Westdeutschland der technische Fortschritt auf dem Gebiet des Farbfernsehens höher liege als in den meisten anderen Ländern, die DDR mache aber nun einmal alles den »Russen« nach;

  • hinsichtlich der Kooperation mit sozialistischen Staaten habe man schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, diese Länder könnten uns einfach keine Ausrüstungen in der gewünschten Qualität und zum geforderten Termin zur Verfügung stellen; wenn die DDR wirklich so viel von internationaler Zusammenarbeit halte, warum dann nicht in erster Linie mit Westdeutschland;

  • für die westdeutsche Industrie ständen die Geschäftsinteressen im Vordergrund, von dieser Seite brauchten wir deshalb nicht mit Störmanövern bei der Belieferung mit Ausrüstungen zu rechnen.

In Einzelfällen wird auch dahingehend diskutiert, dass sich die Tatsache der zwei verschiedenen Farbfernsehsysteme in Deutschland bei der Wiedervereinigung nachteilig auswirken könne und dass die DDR durch ein anderes Farbfernsehsystem nicht mehr so »offensiv« nach Westdeutschland ausstrahlen könne.

Bei einzelnen verantwortlichen Mitarbeitern des Deutschen Fernsehfunks tauchte nach vorliegenden Hinweisen auch das Problem unnatürlich hoher Forderungen nach Investmitteln auf. Zum Beispiel wurden durch den Deutschen Fernsehfunk für die Errichtung des Studios in Karl-Marx-Stadt finanzielle und materielle Forderungen gestellt, die keineswegs im Einklang mit dem Plan und den entsprechend zur Verfügung stehenden Mitteln standen.

Auch durch den Leiter der Vorbereitungsgruppe »2. Programm«,4 Genosse Fehlig,5 und den stellvertretenden Intendanten des Deutschen Fernsehfunks, Genossen Nehmzow,6 wurden derartig hohe und überspitzte Anforderungen im Interesse des Deutschen Fernsehfunks gestellt, die zu Auseinandersetzungen führten. (U. a. unreale Raumforderungen für Studio und Hauptregie Adlershof, die die vorhandenen und notwendigen Mittel um ein Vielfaches übersteigen.)

Im Zusammenhang mit der Investtätigkeit »Farbfernsehen« äußerten Fachleute, dass sich sowohl das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen als auch RFZ nicht genügend eingesetzt hätten, damit bereits im Jahre 1968 die »strukturbestimmenden Investitionen« für das 2. Fernsehprogramm in Anspruch genommen werden könnten. Diese Tatsache wirke sich auf die Vertragsabschlüsse mit DDR-Firmen erschwerend aus und habe auch bereits zur Verzögerung der notwendigen Bauarbeiten geführt.

Die derzeitige Einführung des 2. Fernsehprogramms erfordert einen termingerechten Ausbau des Richtfunknetzes als Voraussetzung für die Modulationszuführung zu den betreffenden Fernsehsendern. Die bisherige Konzeption für die Realisierung des Richtfunknetzes war nach vorliegenden Hinweisen ungenügend. (Es ist vorgesehen, noch im Mai 1968 eine kurzfristig überarbeitete Grundkonzeption dem MPF vorzulegen.)

Nach Meinung verschiedener Fachleute lägen die Ursachen für diese ungenügende Konzeption angeblich in einer ungenügenden Leitungstätigkeit überhaupt, in der mehrjährigen Unterschätzung der Probleme und Themen des Richtfunknetzes sowie in der unkonkreten Planung und fehlenden Abgrenzung der Verantwortlichkeit.

Eine wichtige Rolle bei der Einführung des Farbfernsehens in der DDR spielt das bereits genannte Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt. Verschiedene Experten sind der Auffassung, dass die einzelnen Fachbereiche dieser Institution zur Lösung der Probleme »Farbfernsehen« ungenügend zusammenarbeiten und von der Leitung nicht in jedem Falle schnell genug auf stehende Fragen orientiert werden. Selbst der Amtsleiter, Genosse Brückner, würde sich zu spät für bestimmte Aufgaben einsetzen, sodass er angeblich mehrmals erst auf einige Schwerpunktaufgaben hingewiesen werden musste (u. a. durch den stellv. Minister für Post- und Fernmeldewesen, Genossen Probst7).

Auch die im RFZ zur Lösung der Aufgabenstellung »Farbfernsehen« gebildete sozialistische Arbeitsgemeinschaft sei nicht in jedem Falle den gestellten Anforderungen gerecht geworden. Stattgefundene Beratungen hätten oftmals nicht die erforderlichen Ergebnisse gebracht, wobei hinzukäme, dass diese Beratungen oftmals von untergeordneten Kadern wahrgenommen worden seien, deren Entscheidungen keinen bindenden Charakter gehabt hätten. Ein Teil der Mitarbeiter habe Wert darauf gelegt, die gesamte Entscheidungsgewalt auf diese Arbeitsgemeinschaft zu verlagern.

Weiter wurde bekannt, dass die Bestätigung für die Einführung von Geräten für die Messung von farbtüchtigen Sendeanlagen von den Planungsorganen des MPF und des RFZ ohne Grund um etwa sechs Monate verzögert worden sein soll.

Zur Realisierung des Beschlusses über die Aufnahme des Farbfernsehens in der DDR ab Oktober 1969 wird von Fachleuten eingeschätzt, dass die Vorbereitung bzw. Durchführung von wesentlichen Aufgaben in etwa wie vorgesehen verläuft. Ungeachtet dessen würden jedoch noch einige offene Probleme bestehen, die einer Lösung bedürften. Im Wesentlichen handele es sich dabei um Folgende:

Auf dem Gebiet der Studiotechnik liege zwar einerseits die prinzipielle Bereitschaft der Sowjetunion vor, die erforderlichen studiotechnischen Ausrüstungen an die DDR zu liefern. Hinsichtlich der technischen Parameter, der Liefertermine und des Umfangs sei aber noch kein abschließender Standpunkt erarbeitet worden. Diese Problematik beeinflusse wohl nicht den Sendetermin 1969, aber die in den Jahren nach 1970 abzulösenden Importe aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet für den Bereich Studiotechnik.

Im Rahmen der vereinbarten Zusammenarbeit wurden von sowjetischer Seite bisher fünf Musterfarbbildröhren zur Verfügung gestellt. Die Prüfungen dieser Röhren hätten allerdings ergeben, dass diese Muster in den Qualitätsparametern (Farbreinheit) von den internationalen Werten negativ abwichen. Eine endgültige Aussage könne jedoch erst nach Erhalt größerer Stückzahlen getroffen werden.

Im Verlaufe der bisherigen Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet des Farbfernsehens – das beträfe sowohl das SECAM- als auch das PAL-System – seien auf der Empfänger-, Sender- und Richtfunkseite systembedingte Schwierigkeiten aufgetreten.

Aufgrund der großen Toleranzen in der Auslegung der Signalnorm und der Unterschiedlichkeit in der Austastung des Signals zwischen Frankreich und der DDR hätte noch keine optimale Gestaltung der Sender und Empfänger vorgenommen werden können.

Die Messungen zur Farbtüchtigkeit der Richtfunkgeräte hätten ebenfalls systembedingte Probleme erkennen lassen.

Wenn diese Schwierigkeiten auch keine Gefährdung des 1. Sendetermins darstellten, so könnten sich nach Meinung von Fachleuten daraus unter Umständen doch gewisse Verschlechterungen in der Qualität der übertragenen Farbfernsehbilder in der Anlaufphase ergeben.

Gegenwärtig wird zwischen der Senderseite, der Empfängerseite und der Deutschen Post daran gearbeitet, zu einer endgültigen Festlegung der Norm für das Farbsignal zu kommen. Von verschiedenen Fachleuten wird jedoch darauf hingewiesen, dass aufgrund systembedingter Eigenschaften noch keine abschließende Aussage über die zu erreichenden Qualitätsparameter für Farbfernsehübertragungen getroffen werden könnte.

Die im Februar 1968 gebildete Arbeitsgruppe zur Lösung der Problematik »Normentwürfe und Austastung« – bestehend aus Vertretern des Funkwerkes Berlin, des Zentrallaboratoriums für Rundfunk- und Fernsehtechnik Dresden sowie der Deutschen Post – konnte bisher keine befriedigenden Ergebnisse erreichen. Nunmehr solle bis Ende Mai 1968 ein akzeptabler Lösungsvorschlag für die Festlegung der Austastzeiten erarbeitet werden.

Von Experten der Farbfernsehtechnik wird darauf aufmerksam gemacht, dass durch die vorgesehene Ausrüstung von Farbfernsehstudios der Deutschen Post und des Deutschen Fernsehfunks mit studiotechnischen Anlagen vorwiegend aus England, Frankreich und Westdeutschland eine gewisse Abhängigkeit von diesen Ländern – insbesondere im Hinblick auf Ersatzteillieferungen bzw. durchzuführende Reparaturen – entstände. Fachleute empfehlen in diesem Zusammenhang, durch die entsprechenden Organe eine genaue Beurteilung der betriebstechnischen Auswirkungen vornehmen zu lassen.

  1. Zum nächsten Dokument Tagung des »Johann-Gerhard-Instituts« Potsdam in Berlin-Weißensee

    11. Mai 1968
    Einzelinformation Nr. 522/68 über eine Tagung des »Johann-Gerhard-Instituts« Potsdam in der Zeit vom 13. bis 17. Mai 1968 in Berlin-Weißensee

  2. Zum vorherigen Dokument Schäden im Zusammenhang mit sowjetischen Truppenbewegungen

    9. Mai 1968
    Einzelinformation Nr. 512/68 über Schäden im Zusammenhang mit sowjetischen Truppenbewegungen