Direkt zum Seiteninhalt springen

Romreise von Kardinal Bengsch

4. November 1968
Einzelinformation Nr. 1211/68 über die Romreise von Kardinal Bengsch/Berlin

Kardinal Bengsch,1 das Oberhaupt der katholischen Kirche in der DDR, trat am 21.10.1968 auf Einladung des Bischofs von Hiroshima eine Reise nach Japan an. Von Japan kommend traf er am 3.11.1968 in Rom ein, wo er sich bis Mitte November 1968 aufhalten wird. Anlass der Romreise von Kardinal Bengsch ist seine Teilnahme an der Plenarsitzung des Sekretariats für die Einheit der Christen, die in der Zeit vom 4. bis 14. November 1968 unter der Leitung von Kardinal Bea2 in Rom stattfindet.

Kardinal Bengsch wird während seines Aufenthalts in Rom mit führenden Vertretern des Vatikans zusammentreffen, um ihnen über die Lage der katholischen Kirche in der DDR zu berichten. Zu diesem Zweck hat Kardinal Bengsch u. a. einen schriftlichen Bericht über die »Lage der katholischen Kirche in der DDR« anfertigen lassen, den er dem Staatssekretariat des Vatikans persönlich übergeben wird.

Dieser Bericht beinhaltet u. a. Folgendes:

»I. Ausbildung und Zahl der Priestertumskandidaten

Die Verhältnisse in der DDR verlangten schon anfangs der fünfziger Jahre die Schaffung eigener Ausbildungsstätten für unsere Theologen, da die in den ersten Jahren nach dem Krieg geübte Praxis, sie in Westdeutschland studieren zu lassen, von der Regierung der DDR nicht mehr geduldet wurde. Wegen der weltanschaulich geprägten Eigenart der Schulen und wegen des fast völligen Fehlens humanistischer Fächer musste auch für Anstalten gesorgt werden, die Priestertumskandidaten die notwendige Vorbereitung für die Möglichkeit der Aufnahmen des eigentlichen Theologiestudiums boten. Deshalb gründete Bischof Wilhelm Weskamm3 in den Jahren 1952/53 das Spätberufenenseminar Norbertuswerk in Magdeburg und das Vorseminar in Schöneiche bei Berlin, das 14-jährige Schüler aufnimmt und in vierjährigem Kurs zu einer Abschlussprüfung führt, die zur Aufnahme des Theologiestudiums in Erfurt berechtigt.

Da die Absolventen der staatlichen Oberschulen fast niemals Latein und Griechisch gelernt haben, musste in Halle ein einjähriger Sprachenkurs eingerichtet werden.

Das Priesterseminar Erfurt konnte im Jahre 1952 als Regionalseminar für alle Diözesen und Diözesenanteile in der DDR gegründet werden. Die Theologen erhalten dort in einem Studium von neun Semestern die wissenschaftlich-theologische Ausbildung, ehe sie dann noch für 1½ Jahre zur Pastoralausbildung und zur letzten Vorbereitung auf die Heilige Weihe in das Erzbischöfliche Priesterseminar Bernhardinum in Neuzelle gehen. Im Verlauf der Studienreform, deren Durchführung inzwischen mit der Einführung eines einjährigen Kursus inproduktorius begonnen wurde, wird die Dauer der Erfurter Studien auf zehn Semester verlängert, und die 1½jährige Ausbildung im Pastoralseminar Neuzelle wird in diesem Wintersemester zum ersten Mal durch einen halbjährigen Einsatz der Diakone in Berliner Pfarreien unterbrochen.

Was die Zahl der Priestertumskandidaten für das Bistum Berlin betrifft, so ist sicher in der Zeit von 1961 bis 1968 ein betrüblicher Rückgang festzustellen, wenngleich er noch nicht besorgniserregend genannt werden kann, da immer wieder einzelne überzeugende Bewerber für das Priestertum sich melden. Während im Herbst 1961 das Vorseminar Schöneiche 19 Schüler aus dem Bereich des Bistums Berlin hatte, sind es im Herbst 1968 nur mehr 13 Schüler. Im Spätberufenenseminar in Magdeburg studieren zurzeit nur zwei Jungmänner aus dem Bereich des Bistums Berlin, während noch vor acht bis zehn Jahren immer zehn bis zwölf Berliner dort studierten.

Auch die Zahl Berliner Theologiestudenten am Priesterseminar zeigt einen eindeutigen Rückgang. Im Herbst 1961 studierten dort 50 Theologen für das Bistum Berlin und im Herbst 1968 29 Theologen. Dazu kommen noch zwei Theologen, die zurzeit den Sprachenkurs in Halle besuchen, und sechs Minoristen, die im Oktober dieses Jahres die Diakonatsweihe empfangen werden, sodass zurzeit insgesamt 37 Theologen in der unmittelbaren Vorbereitung auf den priesterlichen Dienst in der Diözese Berlin sich befinden.

II. Fortbildung der Priester

  • a)

    Der geistlichen Fortbildung der Priester dienen außer den in mehreren Exerzitienhäusern in der DDR regelmäßig angebotenen Priesterexerzitien die Rekollektio, die alle zwei Monate in Berlin vom Bischof selbst gehalten wird und an der regelmäßig etwa 100 bis 120 Mitbrüder teilnehmen.

  • b)

    Der pastoralen und theologisch-wissenschaftlichen Weiterbildung versuchen Pastoraltage vor den Exerzitien der ersten drei Weihejahrgänge zu dienen, theologische Seminare unter der Leitung der einzelnen Fachprofessoren im Priesterseminar Erfurt, an denen immer wieder einige der jüngeren Mitbrüder gern teilnehmen, und eine Studienwoche in Erfurt, die während der Sommerferien für die Priester der ersten zehn Weihejahrgänge im Abstand einiger Jahre gehalten wird und sich großer Beliebtheit erfreut. Im kommenden Frühjahr soll in der Hedwigs-Kathedrale in Berlin ein dreitägiger homiletischer Kongress für 400 Priester aus der ganzen DDR gehalten werden, um den Mitbrüdern für den heute oft nicht leichten Dienst der Verkündung Hilfe zu geben. Außer den ›pastoralen Handreichungen‹, die allmonatlich als Beilage zum kirchlichen Amtsblatt erscheinen, dient auch der St. Benno Verlag in Leipzig durch sein Schrifttum der geistlichen, pastoralen und theologischen Fortbildung der Mitbrüder.

III. Konvenias und Konferenzen

  • a)

    Die 18 Dekanate im Ostteil der Diözese Berlin halten im Allgemeinen monatlich einen Dekanatskonvent, der sich eigentlich überall großer Beliebtheit erfreut und von den Mitbrüdern regelmäßig besucht wird. Er beginnt mit gemeinsamer Eucharistiefeier bzw. der gemeinsam gebeteten Terz oder Vesper und einem geistlichen Wort und führt dann die Mitbrüder zum gemeinsamen Gespräch über die anliegenden Fragen aus Pastoral und Theologie zusammen.

  • b)

    Alle zwei Monate finden in Berlin Erzpriesterkonferenzen unter der Leitung des Bischofs statt, die sich für die Bewahrung der Einheit des Bistums und der Einheitlichkeit der Führung und der Konzeption der seelsorglichen Arbeit immer wieder als bedeutsam erweisen.

  • c)

    Für die Sonderaufgaben in der Seelsorge finden teils in Diözesanrahmen, teils gemeinsam für alle kirchlichen Gebiete in der DDR Konferenzen statt, zum Beispiel für Jugendseelsorge, Studentenseelsorge, Akademikerseelsorge etc.

IV. Disziplin, Schwierigkeiten und Abgänge

  • a)

    Ernstere disziplinäre Schwierigkeiten sind bisher erfreulicherweise nicht zu beklagen; die Einheit unter den Mitbrüdern zerstörende und gegen die Bestimmungen der Kirche vorgenommene Eigenmächtigkeiten im liturgischen Raum sind bisher kaum bekannt geworden. Fast alle Mitbrüder sind bemüht, ihre pastoralen Aufgaben treu und den Bestimmungen der Kirche entsprechend wahrzunehmen, und halten sich im Allgemeinen an die in der besonderen Situation der DDR so wichtige Bestimmung des Bischofs, sich nicht eigenmächtig auf politische Kontakte mit staatlichen oder Parteistellen einzulassen.

  • b)

    Die eigentlichen Schwierigkeiten und zum Teil auch Gefährdungen des priesterlichen Lebens kommen in der Situation unseres Bistums vor allem aus der Einsamkeit der vielfach sehr kleinen Pfarrstellen. Es ist auch nicht zu verkennen, dass auch die Mitbrüder von dem immer mehr um sich greifenden praktischen Materialismus angesteckt werden und etwa bei notwendigen Versetzungen Fragen der Größe und Annehmlichkeit des Pfarrhauses, der Nähe zu Berlin etc. eine ungebührlich große Rolle spielen.

  • c)

    Was den Zölibat betrifft, ist sicher vor allem unter den jüngeren Mitbrüdern manches im Gespräch, aber bisher ist nicht bekannt geworden, dass Priester öffentlich sich gegen den Zölibat geäußert oder gar ihre eigene Zölibatsverpflichtung infrage gestellt haben. Die bedauerlichen Abgänge, bei denen von 1961 bis 1968 leider sieben Mitbrüder den Beruf aufgegeben haben und sich verheiratet, haben gerade bei vielen priesterlichen Mitbrüdern nicht nur echte Erschütterung hervorgerufen, sondern auch vielerlei Bemühungen geweckt, den Scheiternden zu helfen und sie, wenn irgend möglich, zur Treue gegen die Kirche und ihren Herrn zurückzuführen.

V. Besoldung und Altersversorgung

Die Besoldung der Geistlichen im Ortsteil des Bistums Berlin ist sicher knapp, aber im Allgemeinen ausreichend, vor allem, wenn man sie in Beziehung setzt zum allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung. Eine wirkliche Schwierigkeit besteht darin, für Priester, die in den Ruhestand gehen möchten, eine geeignete Wohnmöglichkeit zu beschaffen, da verständlicherweise nur wenige bereit sind, den eigenen Haushalt im Alter aufzulösen und in ein Schwesternhaus zu gehen.

VI. Pläne und Anregungen

Besondere Sorge wird in den kommenden Jahren der Weckung und Pflege geistlicher Berufe gewidmet werden müssen. In den meisten Gemeinden des Bistums sind seit langen Jahren Gruppen des täglichen Werkes für geistliche Berufe tätig, die jedoch meistens aus älteren Frauen gebildet werden. Es wird nun versucht, vor allem die Elternkreise und die Kreise junger Familien auf dieses wichtige Anliegen der Kirche hinzuweisen, da ja die Atmosphäre der Familien, in denen junge Menschen heranwachsen, weithin entscheidend ist dafür, ob Gottes Ruf zum Weg im Dienst der Kirche gehört wird oder nicht.«

Diese Information ist infolge Quellengefährdung nicht für eine öffentliche Auswertung geeignet.

  1. Zum nächsten Dokument Zwei Brände in Greußen

    4. November 1968
    Einzelinformation Nr. 1213/68 über zwei Brände in Greußen, [Kreis] Sondershausen, [Bezirk] Erfurt, am 19. und 29. Oktober 1968

  2. Zum vorherigen Dokument Fahnenflucht eines Maates des 48. Grenzregiments

    31. Oktober 1968
    Einzelinformation Nr. 1197/68 über die Fahnenflucht des Maates der NVA/Grenze [Name 1, Vorname], 48. Grenzregiment, 2. Grenzbrigade, nach Westberlin