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Tagung des DDR-Regionalausschusses der CFK in Berlin-Weißensee

17. September 1968
Einzelinformation Nr. 1049/68 über die Tagung des Regionalausschusses der »Prager Christlichen Friedenskonferenz« der DDR am 9. September 1968 im Stephanus-Stift in Berlin-Weißensee und die weitere Arbeit dieser internationalen Organisationen

Am 9.9.1968 fand in der Zeit von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr im Stephanus-Stift Berlin-Weißensee1 eine Tagung des Regionalausschusses der »Prager Christlichen Friedenskonferenz« (PCF)2 der DDR statt.

Anwesend waren die Mitglieder

  • Carl Ordnung3/Berlin, Mitglied des Regionalausschusses der PCF in der DDR;

  • Prof. Dr. Gerhard Bassarak4/Berlin, Internationaler Sekretär der PCF;

  • Klaus-Peter Hertzsch5/Berlin, Leiter der Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinde in Berlin;

  • Günter Wirth6/Berlin, Redakteur der »Neuen Zeit«;

  • Pfarrer Wolf-Dietrich Gutsch7/Berlin;

  • Pfarrer Bruno Schottstädt8/Berlin, Leiter der »Gossner Mission«9 in der DDR;

  • M. Kramer10/Magdeburg;

  • Prof. Bernhardt11/Greifswald;

  • Prof. Bandt12/Greifswald;

  • Pfarrer Frielinghaus13/Dresden;

  • Pfarrer Saubschik14/Dresden;

  • Superintendent Funke15/Dahme (Mark);

  • Pfarrer Günter16/Potsdam.

Die Tagung wurde von Carl Ordnung geleitet. Einziger Tagesordnungspunkt war die Behandlung eines Schreibens des Schweizer Regionalausschusses der PCF vom 26.8.1968, in dem der Vorsitzende des Regionalausschusses der PCF in der DDR, Professor Bernhardt/Rostock, gebeten wird, über die Situation in der ČSSR am 21.8.1968 und die getroffenen Sicherungsmaßnahmen Aufklärung zu geben.

Das Schreiben des Schweizer Regionalausschusses der PCF hat folgenden Wortlaut:

Schweizerische Arbeitsgruppe der Christlichen Friedenskonferenz

Vorsitzender: Pfr. M. Schwarz, [Straße, Nr.], CH – 4125 Rieken.

Sekretär: Pfr. M. B. Koelbing, [Straße, Nr.], CH – 4000 Basel.

Rieken und Basel, 26. August 1968

Herrn Prof. Dr. E.-H. Bernhardt | Vorsitzender des Regionalausschusses der CFK in der DDR, zu Händen des Regionalausschusses, Kösterbachweg 5 | Rostock | DDR

Lieber Bruder Bernhardt,

im Auftrag der schweizerischen Arbeitsgruppe der CFK gelangen wir mit diesem Schreiben an Sie. Sie verstehen sicher, dass wir zutiefst erschrocken, betrübt und empört sind über die Vorgänge in der ČSSR.17 Es ist für uns zudem schwierig, uns ein genaues Bild darüber zu machen, wie es zum Einmarsch der Truppen der fünf Staaten des Warschauer Paktes hat kommen können. Wir vermögen nicht zu verstehen, was zu diesem Eingreifen in die inneren Angelegenheiten des mit Ihnen verbundenen Landes geführt hat.

Darum bitten wie Sie, uns zu erklären, was eigentlich zwischen dem 20. und 21. August a. c. vor sich gegangen ist. Informieren Sie uns bitte darüber. Schreiben Sie uns bitte auch, was Sie selber über das ganze Geschehen denken. Es ist für uns eine große Hilfe, wenn wir das von Ihnen erfahren.

Gerne sind wir auch bereit, mit Ihnen zusammenzukommen, um uns gemeinsam über diese Ereignisse auszusprechen und uns darüber zu besinnen, was gerade jetzt die Aufgabe von uns als Mitglieder der CFK ist. Als Christen, die sich um den Frieden mühen, müssen wir alles tun, damit wir uns nicht durch einen neuen Graben voneinander trennen und das Gespräch nicht zwischen uns abbrechen lassen. Deshalb liegt uns sehr viel daran, mit Ihnen in Kontakt zu bleiben und weiterhin möglichst umfassende Informationen mit Ihnen auszutauschen.

Wir danken Ihnen für Ihre Hilfe und sind froh, wenn wir möglichst bald von Ihnen Antwort bekommen. Die gleiche Bitte richten wir auch an die Mitgliedskirchen der CFK in Bulgarien, Ungarn und der UdSSR sowie an den polnischen Regionalausschuss der CFK.

Mit freundlichen Grüßen | für die schweizerische Arbeitsgruppe | der christlichen Friedenskonferenz | der Vorsitzende: | gez. Martin Schwarz | der Sekretär: | gez. Markus B. Koelbing

Unter den anwesenden Mitgliedern des Regionalausschusses der PCF der DDR gab es die unterschiedlichsten Auffassungen hinsichtlich der Notwendigkeit der militärischen Besetzung der ČSSR. Übereinstimmung bestand lediglich in der Einschätzung der Entwicklung in der ČSSR bis zum 21.8.1968 (Entwicklung habe gegen den Sozialismus und für den »Westen« gearbeitet).

Während einer sehr intensiven Debatte, an der sich alle Teilnehmer der Tagung aktiv beteiligten und mit eigenen Auffassungen auftraten, wandten sich besonders heftig die Mitglieder Funke/Dahme (Mark), Pfarrer Saubschik/Dresden, Kramer/Magdeburg, Schottstädt/Berlin, Prof. Bandt/Greifswald gegen eine »militärische Besetzung« bzw. gegen eine »Okkupation« der ČSSR, wobei sie die Maßnahmen der fünf Warschauer Vertragsstaaten verurteilten. So erklärte z. B. Superintendent Funke, die Besetzung hätte unterlassen werden sollen, da durch dieses Vorgehen dem Ansehen des Sozialismus großer Schaden zugefügt worden sei.

Gleichzeitig wurde besonders von diesem Personenkreis heftige Kritik an Bischof Schönherr18/Eberswalde und Pfarrer Kanitz19/Westberlin geübt, da die Stellungnahmen der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg und des Westberliner Ausschusses der PCF ohne vorherige Konsultation mit dem DDR-Ausschuss der PCF abgefasst worden seien.

Ein anderer Personenkreis, zu dem besonders Günter Wirth/Berlin, Carl Ordnung/Berlin, Prof. Bassarak/Berlin, Pfarrer Gutsch/Berlin, Pfarrer Frielinghaus/Dresden und Prof. Bernhardt/Greifswald gehörten, trat gegen die Auffassung der Gruppe um Funke/Dahme auf und solidarisierte sich während dieser Tagung offen mit den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten am 21.8.1968.

Als offensichtlich schwankend, aber mit »Vorbehalten« gegen die Maßnahmen vom 21.8.1968, traten Pfarrer Günter/Potsdam und Klaus-Peter Hertzsch/Berlin in Erscheinung.

Nach Abschluss der Debatte wurde beschlossen,

  • dass Pfarrer Frielinghaus ein Antwortschreiben an den Schweizer Regionalausschuss entwirft und diesen Entwurf Carl Ordnung zuleitet. Dieser habe Vervielfältigungen davon an alle Mitglieder des Regionalausschusses der DDR zu senden.

  • Am 20.9.1968 solle eine Redaktionssitzung mit Frielinghaus und Günther Wirth zur Einarbeitung von Änderungsvorschlägen aus dem Mitgliederkreis stattfinden. Danach solle eventuell am gleichen Tage eine weitere Tagung des Regionalausschusses zur Beschlussfassung über diesen Antwortbrief einberufen werden.

  • Gleichlaufend zum Antwortschreiben solle ein Anschreiben zu diesem Dokument an den Schweizer Regionalausschuss formuliert werden, dass von Frielinghaus und Prof. Bernhardt unterzeichnet werden müsse.

In diesem Anschreiben müsse zum Ausdruck gebracht werden, dass der Antwortbrief Ausdruck der Meinung des gesamten Regionalausschusses der PCF der DDR sei.

Dem MfS wurde bekannt, dass der Generalsekretär der »Prager Christlichen Friedenskonferenz«, Ondra20/Prag, im Zusammenhang mit den Ereignissen in der ČSSR negative Auffassungen vertritt.

Das Sekretariat der PCF in Prag unternahm zahlreiche Versuche, die einzelnen Regionalausschüsse der PCF in den westlichen und in den sozialistischen Ländern für Protesterklärungen gegen die Sicherungsmaßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten zu beeinflussen. Fast alle Regionalausschüsse des westlichen Auslandes – angefangen von dem Westberliner bis zum japanischen Regionalausschuss – haben im Sinne Ondras gegen die Sicherungsmaßnahmen protestiert bzw. ihr Missfallen durch Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht.

Vielfach wurde in diesen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht, unter den »neuen Bedingungen« sei eine neue Erörterung der während der III. Allchristlichen Friedensversammlung in Prag gefassten Beschlüsse erforderlich. (Die III. Allchristliche Friedensversammlung hatte in der Zeit vom 31.3. bis 5.4.1968 in Prag unter dem Thema »Rettet die Menschheit – der Friede ist möglich« getagt.)21

In diesem Zusammenhang gewinnt die für den 1. bis 4.10.1968 einberufene Arbeitsausschusssitzung der PCF in Paris an Bedeutung. An dieser Tagung wird das Internationale Sekretariat der PCF mit den Internationalen Sekretären teilnehmen. Aus der DDR hat deshalb Prof. Dr. Bassarak seine Teilnahme zugesagt.

Die Arbeitsausschusssitzung in Paris soll folgende Tagesordnung haben:

  • 1.

    Begrüßung

  • 2.

    Übersicht zur internationalen Lage – Präsident der PCF Hromadka22/Prag

  • 3.

    Auswertung der III. Allchristlichen Friedensversammlung 1968 – Pfarrer Mochalski23/Dortmund

  • 4.

    Auswertung des Presseechos zur III. ACFV – Pfarrer Tóth24/VR Ungarn

  • 5.

    Perspektive der Arbeit in Vorbereitung des Fortsetzungsausschusses – Ondra/Prag

  • 6.

    Arbeit der Regionalausschüsse und Mitgliedkirchen – Pastorin Jacobi/England

  • 7.

    Methoden und Arbeit der Studienabteilung der PCF – Prof. Bassarak/Berlin

  • 8.

    Thematik und Zusammensetzung der Kommissionen – Číhák25/Prag

  • 9.

    Bericht über Uppsala – Weltkirchenkonferenz – Tampi/Indien

  • 10.

    Zusammenarbeit mit der Konferenz Europäischer Kirchen

  • 11.

    Entscheidungen über die Neueinsetzungen einiger Internationaler Sekretäre – Ondra/Prag

  • 12.

    Konsultation mit den lateinamerikanischen Kirchen

  • 13.

    Europäische Sicherheit

  • 14.

    Bericht über die Oktobersitzung der Theologischen Kommission

  • 15.

    Aktivierung der Kommission für arabisch-israelische Probleme

  • 16.

    Bestätigung des Planes für die Zeitschrift der PCF

  • 17.

    Bericht über das gemeinsame Seminar mit den »Quäkern«

  • 18.

    Bericht zur finanziellen Situation der PCF

  • 19.

    Bericht über die Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten – Prof. Bassarak/Berlin

  • 20.

    Aufbau des PCF-Gebäudes in Prag

  • 21.

    Die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen

  • 22.

    Bericht über die Konsultation des Christlichen Weltstudentenbundes über den Nahost-Konflikt

  • 23.

    Bericht über die Teilnahme der PCF an den Jubiläumsfeierlichkeiten des Hl. Markus in Kairo – Číhák/Prag

  • 24.

    Bericht über die bisherige Arbeit der Strukturkommission – Pfarrer Mochalski/Dortmund

Dem MfS wurde bekannt, dass Prof. Bassarak in Vorbereitung der Teilnahme an der Arbeitsausschusssitzung der PCF in Paris eine Konsultation mit den Internationalen Sekretären der sozialistischen Länder plant (VR Polen, VR Ungarn, VR Bulgarien, Sowjetunion und DDR), während der Möglichkeiten für eine Abstimmung der weiteren Arbeit vereinbart werden sollen. Bassarak beabsichtigt eine telefonische Absprache mit dem Internationalen Sekretär der PCF der UdSSR, Bujewski,26 zur Erörterung eines möglichen Treffens dieser Personen vor der Pariser Tagung.

Diese Information darf im Interesse der Sicherheit der Quelle nicht publizistisch ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Bericht des Korrespondenten der Wiener »Volksstimme«

    18. September 1968
    Einzelinformation Nr. 1052/68 über den Bericht des Korrespondenten der »Volksstimme« (KPÖ), Seliger, über sein Gespräch mit Mitarbeitern der Auslandsabteilung des ZK der SED

  2. Zum vorherigen Dokument Scheunenbrand in LPG Rudisleben

    17. September 1968
    Einzelinformation Nr. 1045/68 über einen Scheunenbrand in der LPG Typ III Rudisleben, [Kreis] Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, am 14. September 1968