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Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 (4. Bericht)

11. März 1968
Einzelinformation Nr. 236/68 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 (4. Bericht)

1. Zur Tätigkeit der Handelsorgane der DDR

Die Geschäftstätigkeit auf der Leipziger Frühjahrsmesse1 entspricht im Allgemeinen den Erwartungen. Eine Reihe von Außenhandelsbetrieben der DDR schätzen die Geschäftstätigkeit als gut ein. Dazu gehören unter anderem Invest-Export, DSM, Maschinen-Export, Union. Die AHB Wiratex und Holz und Papier melden erheblich höhere Messeergebnisse als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.

Nach eigenen Einschätzungen werden die AHB Kamera, WMW-Export und Technocommerz ihre Messezielstellungen nicht erreichen.

Nach vorliegenden Informationen gibt es Auseinandersetzungen zwischen der Industrie und dem Außenhandel über die Wahrnehmung der Außenhandelsfunktionen in Auswertung des Politbürobeschlusses vom 5.12.1967.2

Diese Auseinandersetzungen zeigen sich unter anderem in Folgendem:

  • Ausarbeitung von Modellen zur Gestaltung der Außenhandelsbeziehungen der Industrie ohne Berücksichtigung und Einbeziehung der existierenden AHB;

  • Äußerungen gegenüber westlichen Kunden, dass die AHB nicht mehr in der bisherigen Form existieren werden;

  • Organisierung von selbstständigen Werbeveranstaltungen der Industrie unter Umgehung der AHB.

Offensichtlich gibt es im Außenhandel und in der Industrie trotz des Politbürobeschlusses und trotz der Äußerungen des Genossen Walter Ulbricht3 auf dem Messerundgang über die Nichtzulässigkeit von Reorganisationen im breiten Umfange keine Klarheit über die zukünftige Gestaltung der Außenhandelstätigkeit.

Auf dem Gebiete der Devisenrentabilität zeichnet sich im Allgemeinen eine Stagnation und teilweise sogar ein Rückgang ab. Von zehn ausgewerteten Industrie- bzw. Erzeugnisgruppenbereichen weisen nur zwei eine günstige bzw. annehmbare Devisenrentabilität4 auf. Dazu gehören insbesondere der Verarbeitungsmaschinenbau und teilweise der Bereich Elektrotechnik/Elektronik. Besonders hohe Ergebnisse gibt es bei elektronischen Buchungsautomaten (1,7) und Kleinbuchungsautomaten (2,5).

Die guten Ergebnisse werden jedoch dadurch teilweise zunichte gemacht, dass mit der Serienproduktion in der DDR erst 1969 zu rechnen ist. Besonders ungenügend ist die Devisenrentabilität im Bereich des AHB Heimelectric (teilweise unter 0,3).

Als Ursachen für die ungenügende Devisenrentabilität werden angegeben:

  • Auswirkungen der Industriepreisreform, in deren Gefolge die Betriebspreise erheblich über das Niveau der Konkurrenz gestiegen sind. Bei Neuentwicklungen entspricht einer Erhöhung des Gebrauchswertes vielfach eine weit stärkere Erhöhung des Betriebspreises.

  • Von Industriebereichen (z. B. Elektrotechnik) wird auf die starken Unterschiede der Weltmarktpreise und der Industrieabgabepreise bei einigen Rohstoffen (besonders Metalle) hingewiesen.

  • Starke Verteuerungen entstehen in den Kooperationsketten durch gegenüber den Weltmarktpreisen zu hohen Preisen der Zulieferbetriebe sowie durch hohe Importzuschläge für importierte Bauelemente.

  • Einige Betriebe der Zulieferindustrie realisieren überhöhte Gewinnspannen bei der Abgabe ihrer Erzeugnisse. So beträgt der tatsächliche Gewinn des VEB Waggonbau Dessau bei für den Export in die Sowjetunion bestimmten Maschinenkühlzügen 35 % gegenüber den bestätigten 22 %.

Die Kammer der Technik hat auf der Leipziger Frühjahrsmesse eine Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen durchgeführt. Besonders erfolgreich verlief das Messekolloquium »digitale Informationsverarbeitung mit pneumatischen Elementen«. Westliche Teilnehmer schätzen ein, dass das Niveau des Kolloquiums höher als bei den bekannten westdeutschen Veranstaltungen Interkama und Achema lag. Erfolgreich sind auch die Fachtage »Umformtechnik« und »Wäge- und Dosiertechnik« verlaufen. Weniger erfolgreich verlief der Fachtag »BMSR-Technik«, in dessen Mittelpunkt die Propagierung des Ursamat-Systems5 stand. Die Ursache dafür bestand darin, dass es das Leipziger Messeamt und die VVB Regelungstechnik nicht verstanden haben, das gleichzeitige Stattfinden einer Vortragsreihe der westdeutschen Firma Hartmann & Braun zu verhindern.

2. Zu einigen Erscheinungen des kapitalistischen Weltmarktes, die auf der Leipziger Messe eine Rolle spielten

Über das Wochenende spielten auf der Leipziger Messe zahlreiche Gerüchte über die Möglichkeit einer weiteren Abwertung des Pfundes zum Wochenende bzw. über die Abwertung des Dollars oder die Erhöhung des Goldpreises eine besondere Rolle. Ausgangspunkt für diese Gerüchte waren die Erhöhung des Goldpreises auf dem Londoner Goldmarkt durch das erneute Aufflackern der Spekulation gegen Pfund und Dollar sowie die Tagung der Gouverneure der Zentralbanken der kapitalistischen Industrieländer am Wochenende in Basel. Es lagen zahlreiche Anzeichen über Vorsichtsmaßnahmen westlicher Banken, Industrie- und Handelsfirmen vor, die auf die Möglichkeit einer Abwertung des Pfundes hindeuteten. Sowohl vom MAW wie auch von uns wurden alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet, um Klarheit zu dieser Frage zu erhalten.

Positive Reaktionen bei den Ausstellern der betreffenden Länder hat der Besuch der Messestände Finnlands und Großbritanniens durch den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Genossen Stoph,6 hervorgerufen. Auf dem englischen Stand wurde Genossen Stoph ein zweisitziges Luftkissenfahrzeug als Geschenk übergeben. Auf dem finnischen Stand hat insbesondere die Beachtung, die Genosse Stoph den Erzeugnissen der metallverarbeitenden Industrie schenkte, große Befriedigung ausgelöst.

Der Minister für Außenwirtschaft der DDR, Genosse Sölle,7 führte ein Gespräch mit dem Minister für Handel der Republik Mali, Maïga.8 Im Verlaufe dieses Gespräches forderte Maïga eine stärkere Unterstützung Malis durch die DDR mittels einiger Entwicklungsprojekte, insbesondere durch den Aufbau von Anlagen zur Fisch- und Fleischverwertung. Genosse Sölle brachte gegenüber Maïga die Enttäuschung der DDR über die Haltung der malinesischen Delegation zur Frage der gleichberechtigten Mitarbeit der DDR in der Welthandelskonferenz zum Ausdruck. (Die malinesische Delegation unterstützte in New Delhi nur die Aufnahme Chinas, der KVDR, der DRV und Kambodschas in die Unctad.) Maïga sagte zu, darüber nochmals mit dem Präsidenten der Republik Mali zu sprechen.

3. Zum Auftreten der westdeutschen und Westberliner Messebesucher

In den Gesprächen mit in Leipzig anwesenden westdeutschen Persönlichkeiten, darunter mit dem Leiter der »Treuhandstelle für den Interzonenhandel« Pollak,9 dem CSU-Abgeordneten Pohle10 (Generalbevollmächtigter der Firma Flick), dem ehemaligen Leiter der TSI11 Leopold12 und dem bisherigen Generalabnehmer der Mineralölerzeugnisse der DDR Schulte-Frohlinde13 sowie mit anderen Persönlichkeiten wurde insbesondere die Lösung der Grundfragen des Handels in den Vordergrund gestellt. Bemerkenswert ist ein übereinstimmender Optimismus hinsichtlich der Lösung einiger anstehender Fragen, insbesondere der Mineralölausgleichszahlungen in nächster Zeit. Es wird angeführt, dass die Kabinettssitzung am 13.3.1968 aller Voraussicht nach einen positiven Beschluss hinsichtlich der Mineralölausgleichszahlungen fassen werde, wenn sich die DDR bereiterkläre, für diese Summe Waren aus dem Bereich des Unterkontos I aus Westdeutschland zu beziehen.14 Es wird dabei jedoch nicht von unseren Forderungen in Höhe von 195 Mio. VE ausgegangen, sondern eine Summe von 120 Mio. VE zugrunde gelegt. Der Optimismus, den die Gesprächspartner an den Tag legten, wird hauptsächlich mit den positiven Eindrücken begründet, die Möller15 und Arndt16 während ihres Besuches in Leipzig hätten.

Es muss jedoch in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass der westdeutsche Finanzminister Strauß17 sich nach wie vor mit politischen und ökonomischen Argumenten gegen die Forderung der DDR ausspricht. Der Optimismus der westdeutschen Gesprächspartner ist demzufolge mit großer Vorsicht zu betrachten.

Eine Untersuchung des technischen Standes der westdeutschen Exponate ergab, dass die Exponate offensichtlich nach zwei Gesichtspunkten ausgewählt wurden:

  • Geräte, die im sozialistischen Wirtschaftsgebiet nicht hergestellt werden (Orientierung auf das Eindringen in Lücken der sozialistischen Märkte).

  • Geräte und Baugruppen, die vielfach nicht dem Höchststand entsprechen. Als Begründung dafür wird angegeben, dass für die Ausstellung von Spitzenerzeugnissen westliche Fachmessen benutzt werden.

Es wurde festgestellt, dass die Stände der westdeutschen Exporteure vorwiegend mit technischen Kaufleuten besetzt sind. Durch das Fehlen von Wissenschaftlern und Technikern bieten sich nur geringe Möglichkeiten wissenschaftlich-technische Einkünfte einzuholen.

Neben den bereits berichteten Erscheinungen ist für das Auftreten westdeutscher und Westberliner Aussteller und Messebesucher Folgendes charakteristisch:

  • Nach wie vor werden in breitem Umfange Angebote über Zusammenarbeit, Marktabstimmung und Kooperation unterbreitet. Solche Angebote kommen z. B. von der August-Thyssen-Hütte, der Firma MAN, von einer Reihe von Landmaschinenfirmen und von Pintsch-Bamag. Der Vertreter von Pintsch-Bamag erklärte ganz offen, dass »Deutsche im Ausland ihre Gemeinsamkeit demonstrieren« müssten.

  • Einzelne Konzerne, Vereinigungen und Betriebe versuchen, die Messe zur Propagierung der Alleinvertretungsanmaßung auszunutzen. Aus diesem Grunde mussten u. a. zahlreiche Prospekte u. ä. unter Verfügungsverbot gestellt werden.

    Der Hamburger Senator für Wirtschaft versuchte, in Leipzig mit Stander am Wagen aufzutreten. Er musste den Stander auf Aufforderung entfernen.

  • In einzelnen Fällen versuchen Firmeninhaber, die ehemals in der DDR Betriebe besaßen, Verbindungen zu diesen Betrieben aufzunehmen (Firma Ernst Paul Lehmann, Nürnberg/Spielwaren, Firma Bauch/Rennrodelschlitten).

  • Verschiedentlich werden von westdeutschen Firmen Versuche unternommen, unangemeldete Werbeveranstaltungen, Gerätetests u. ä. Maßnahmen zu organisieren (Baumaschinenfirmen, Produzenten von Molkereiausrüstungen).

  • Es wurden verschiedentlich Angriffe gegen Fabrikmarken der DDR unternommen. So hat die Firma Colonia-Exportgesellschaft mbH den westdeutschen Vertreter von Ascota-Büromaschinen aufgefordert, wegen angeblicher Verwechslungsgefahr mit dem von dieser Firma gehaltenen Warenzeichen Mascot auf die Verwendung des Warenzeichens Ascota zu verzichten. Ein ähnliches Ansinnen hat die französische Firma Peugeot an die belgische Vertreterfirma Pierreux hinsichtlich der Verwendung des Warenzeichens Trabant 601 gerichtet. Peugeot berief sich darauf, dass der Bestandteil des Warenzeichens »601« für sie geschützt ist.

  • Von westdeutschen Vertreterfirmen wird bekannt, dass ehemalige Mitarbeiter der Firma Latinsky18 und die Firma Oelmess die von der DDR nach Westdeutschland gelieferten Zahnradpumpen als mindere Qualität diffamieren.

In Gesprächen mit Westberliner Wirtschaftlern wurde die Normalisierung des Handels mit der DDR gefordert. Der Geschäftsführer der Berliner Absatzorganisation (BAO) lehnte in einem Gespräch mit dem Leiter der Abteilung Außenwirtschaftsbeziehungen mit Westberlin im MAW, Genossen Dr. Richter, rundweg eine Einflussnahme auf die Politik des Westberliner Senats gegenüber der DDR ab.

Er sicherte allerdings zu, dass er seinen Einfluss auf die Erweiterung der Bezüge von Erzeugnissen der metallverarbeitenden Industrie aus der DDR durch Westberlin geltend machen werde.

4. Zum Handel mit den sozialistischen Ländern

Die bisher berichteten Tendenzen im Handel mit der Sowjetunion sind nach wie vor zu beobachten. Sie lassen sich mit zahlreichen Einzelbeispielen belegen.

Für kommende Messen beabsichtigt die Sowjetunion eine Änderung der Form ihrer Beteiligung. Sie werde auf Anregung des Präsidiums der Allunionshandelskammer in Zukunft auf Kollektivausstellungen verzichten und unter Beibehaltung eines repräsentativen Informationsstandes in den Branchen der Leipziger Messe ausstellen.

Außerordentlich befriedigt über den Verlauf der Leipziger Messe haben sich die Regierungsdelegationen der DRV und der MVR geäußert. Insbesondere der Leiter der Regierungsdelegation, der Minister für Außenhandel, Gen. Phan Anh,19 erklärte, dass er von der Anteilnahme der Bevölkerung der DDR am Kampf des vietnamesischen Volkes außerordentlich beeindruckt war. Stellungnahmen zum Konsultativtreffen in Budapest20 wurde ausgewichen.

Die rumänische Regierungsdelegation beschränkte sich vorwiegend auf die Erörterung reiner Fachfragen. Nachdem die von der rumänischen Delegation anfänglich hervorgerufenen Protokollschwierigkeiten überwunden waren, gab es über die Messe nur positive Berichte. Die Rumänen zeigten sich unzufrieden über die Berichterstattung in der DDR-Presse über die rumänische Beteiligung.

Auch die Leitung der albanischen Ausstellung zeigte sich mit dem bisherigen Verlauf der Messe zufrieden. Über die versehentlich statt der Staatsflagge aufgezogene Handelsflagge21 gab es von albanischer Seite keine ernsthaften Vorhaltungen oder Verstimmungen. Die Volksrepublik Albanien bat, den Import der DDR aus Albanien nicht nur auf Metalle zu beschränken, sondern auch Spirituosen und Weine zu beziehen.

Es werden zahlreiche Hinweise bekannt, dass die sozialistischen Länder in stärkerem Maße als früher die Leipziger Messe dazu benutzen, auch Kontakte mit westlichen Ausstellern zu schließen und Abschlüsse zu tätigen. Neben den europäischen sozialistischen Ländern trifft das besonders für die KVDR zu, die sich bemüht, auf der Leipziger Messe Buntmetalle an westliche Einkäufer zu verkaufen.

5. Übersicht über die bisher in Leipzig angemeldeten Messebesucher (Stand vom 9.3.1968, 22.00 Uhr)

[Herkunft der Besucher]

LFM 1968

LFM 1967

Soz[ialistsiche] Staaten

23 987

22 226

Kap[italistische] Staaten

10 838

10 935

Westberlin

5 190

9 136

Westdeutschland

33 445

31 981

Arbeiterkonferenz22

3 324

3 320

Gesamt

76 784

77 598

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    11. März 1968
    Operativ-Einzelinformation Nr. 276/68

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