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Entwicklungen und negative Erscheinungen bei der DVP

19. April 1976
Information Nr. 233/76 über einige Entwicklungstendenzen und negative Erscheinungen in den Organen der Deutschen Volkspolizei

Auf der Grundlage der dem Ministerium für Staatssicherheit vorliegenden Informationen über die Entwicklung und die Situation in den Organen der Deutschen Volkspolizei ist einzuschätzen, dass die Organe der Deutschen Volkspolizei in Durchsetzung der Beschlüsse und Aufgabenstellungen des VIII. Parteitages der SED1 einen entscheidenden Anteil und würdigen Beitrag bei der zuverlässigen Sicherung der gesellschaftlichen Entwicklung der DDR leisten. Das widerspiegelt sich insbesondere in der Gewährleistung einer stabilen öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der DDR unter allen Lagebedingungen.

Unter Führung der Partei haben sich die Kampfkraft der Parteiorganisationen, die Verantwortung der Chefs und der Leiter für die politisch-ideologische und fachliche Erziehung des Personalbestandes und die Zielstrebigkeit in der Arbeit der Politorgane weiter erhöht und der politisch-ideologische und moralische Zustand innerhalb der DVP weiter gefestigt.2

Die politisch-ideologische Arbeit wurde wirksamer auf entscheidende politische Grundfragen und volkspolizeiliche Aufgabenstellungen ausgerichtet. Die kadermäßige Situation ist durch relative Stabilität gekennzeichnet.

Die Kampf- und Einsatzbereitschaft, das klassenmäßige Verhalten und die Disziplin der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei haben sich kontinuierlich weiter erhöht.

Der erreichte Entwicklungsstand spiegelt ein gewachsenes Niveau der Führungs- und Leitungstätigkeit und ein in zweckmäßigem Zusammenwirken mit den anderen Schutz- und Sicherheits- sowie Rechtspflegeorganen abgestimmtes Vorgehen bei der Gewährleistung des zuverlässigen Schutzes der sozialistischen Errungenschaften und der allseitigen Stärkung der sozialistischen Staats- und Rechtsordnung wider.

Die Ergebnisse der Kriminalitätsbekämpfung und die Gewährleistung einer hohen öffentlichen Ordnung und Sicherheit sind insbesondere Ausdruck der weiteren Intensivierung der volkspolizeilichen Tätigkeit. In bedeutenden gesellschaftlichen Bereichen wurde die Wirksamkeit der volkspolizeilichen Arbeit erhöht und der Einsatz der Kräfte und Mittel auf Schwerpunkte konzentriert. Ausgehend von den aus den neuen Lagebedingungen resultierenden Erfordernissen wurden neue dienstliche Bestimmungen und Weisungen erarbeitet bzw. bestehende präzisiert und die Eigenverantwortung der Leiter bei der Lösung der gestellten Aufgaben weiter erhöht.

Dieser insgesamt positiven Entwicklung stehen jedoch in einzelnen Dienstzweigen und Diensteinheiten der DVP noch eine Reihe Mängel, Missstände und Hemmnisse gegenüber, die insbesondere aus einer nicht exakten Durchsetzung der Parteibeschlüsse bei der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit der Angehörigen sowie einer unzureichenden Durchsetzung dienstlicher Bestimmungen und Aufgabenstellungen resultieren und begünstigende Bedingungen und Umstände für Straftaten, andere Rechts- und Disziplinverletzungen sowie weitere negative Handlungen, Vorkommnisse und Erscheinungen darstellen.

Weiter ist festzustellen, dass sich die Aktivitäten gegnerischer Kräfte und anderer Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin zur Aufnahme, zum Ausbau und zur Reaktivierung von Kontakten zu Angehörigen der DVP unter Ausnutzung der neuen Lagebedingungen, insbesondere des Reise- und Besucherverkehrs, wesentlich erhöht haben.

Gleichermaßen sind verstärkt Bestrebungen von Angehörigen der DVP erkennbar, Kontakte zu Personen, insbesondere zu Verwandten/Bekannten, in nichtsozialistischen Staaten und Westberlin herzustellen bzw. zu reaktivieren und derartige Kontakte zu tarnen.

Ansatzpunkte für gegnerische Kontaktaktivitäten bzw. für die Aufrechterhaltung derartiger Kontakte sind, nach den bisherigen Feststellungen, persönliche Beziehungen verwandtschaftlicher oder bekanntschaftlicher Art sowie dienstlich bedingte Kontakte von Angehörigen der DVP zu Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland und aus Westberlin. Darüber hinaus ist auch eine Zunahme von Kontakten zwischen Familienangehörigen und anderen Verwandten von Volkspolizisten mit Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin festzustellen.

Begünstigend auf diese Erscheinungen wirken sich die in einem beträchtlichen Umfang vorhandenen Westverwandtschaften von Angehörigen der DVP und politisch unklare Haltungen sowie Auffassungen zur gegnerischen Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit aus. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Angehörige der DVP oftmals nicht in der Lage sind, ihre Ehepartner bzw. im Haushalt lebende Verwandte von der Notwendigkeit des Abbruches bestehender Westverbindungen zu überzeugen.

Bei Kontakten, zu deren Zustandekommen von Angehörigen der DVP keine Aktivitäten ausgehen, wird oftmals nicht klassenmäßig reagiert und trotz vorhandener Weisungen keine Meldung an die Dienstvorgesetzten erstattet.

Hinsichtlich der Unterbindung und Zurückdrängung von Kontakten wirkt sich hemmend aus, dass von einigen dienstlichen Leitern teilweise nicht immer den Erfordernissen entsprechende vorbeugende Maßnahmen getroffen werden. Es wird noch zu wenig verstanden, jeden festgestellten oder bekannt gewordenen Kontakt differenziert bzw. individuell zu beurteilen, solche Voraussetzungen und Bedingungen zu schaffen, dass sich jeder Angehörige der DVP vertrauensvoll an seine Dienstvorgesetzten wendet, um gemeinsam das im Interesse der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit liegende weitere Vorgehen hinsichtlich des Abbruchs von Kontakten festzulegen.

Andererseits gibt es Erscheinungen, dass Angehörige der DVP Westkontakte unterhalten, sich erzieherischen Einwirkungen verschließen und in diesem Zusammenhang hartnäckig ihre Entpflichtung aus den Reihen der DVP betreiben.

Teilweise mussten dienstliche Leiter bzw. Offiziere, darunter Abteilungsleiter in VPKÄ, wegen unzulässigen Westkontakten und damit im Zusammenhang stehenden negativen Verhaltensweisen, wie ideologische Aufweichungserscheinungen, Verschweigen dieser Kontakte und Verletzungen der Wachsamkeit, aus den Reihen der DVP entfernt werden.

Dem MfS vorliegende Hinweise beinhalten, dass negative Denk- und Verhaltensweisen, wie Verantwortungslosigkeit, Habgier und Egoismus, unter einem Teil des Personalbestandes in einer erheblichen Anzahl von Fällen mit Wirkungserscheinungen der politisch-ideologischen Diversion des Gegners gepaart oder durch diese stimuliert bzw. gefördert wurden und Ursachen für Rechtsverletzungen u. a. negative Erscheinungen bilden.

Derartige Erscheinungen wurden besonders im Dienstzweig Schutzpolizei, unter den Abschnittsbevollmächtigten sowie den Angehörigen des Kontroll- und Streifendienstes festgestellt.

Die Straftaten, anderen Rechts- und Disziplinverletzungen sowie weiteren negativen Handlungen, Vorkommnissen und Erscheinungen beinhalten im Wesentlichen

  • in einzelnen Fällen die Begehung von Fahnenfluchten,

  • Handlungen der allgemeinen Kriminalität, besonders Eigentumsverletzungen, mit steigender Tendenz,

  • Verstöße gegen die Geheimhaltungsordnung des Ministers des Innern und Chefs der DVP, besonders hinsichtlich des Umgangs mit Verschlusssachen, Verluste von Waffen und Munition, Verstöße gegen die Schusswaffengebrauchsbestimmung,

  • die Aufnahme, Aufrechterhaltung und teilweise Aktivierung unzulässiger Kontakte zu Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin sowie die damit verbundenen vielfältigen negativen Erscheinungen,

  • Erscheinungsformen der politisch-ideologischen Diversion (Empfang der Sendungen gegnerischer Massenmedien und Verbreitung deren Argumentationen),

  • Beziehungen zu negativen und kleinbürgerlichen Elementen, in deren Folge es zur Korrumpierung von Angehörigen der DVP kam,

  • andere Disziplinarverstöße, mangelnde Einsatzbereitschaft und Aufgabenerfüllung durch Einzelne oder Gruppen von Angehörigen der DVP und

  • solche unmoralischen Verhaltensweisen, wie übermäßiger Alkoholgenuss und außereheliche intime Beziehungen, oftmals verbunden mit Schädigung des Ansehens der DVP in der Öffentlichkeit.

Im Jahr 1975 mussten gegen insgesamt 145 (1974: 134) Angehörige der DVP Untersuchungen wegen Beteiligung an kriminellen Handlungen eingeleitet werden. Der Anteil der an kriminellen Handlungen beteiligten Offiziere beträgt ca. 16 Prozent.

Gegenüber dem Vorjahr ist im Jahr 1975 ein weiterer Anstieg von Straftaten gegen das sozialistische sowie gegen das persönliche Eigentum festzustellen (70 Prozent aller durch Angehörige der DVP begangenen Straftaten). Charakteristisch ist, dass 65 Prozent aller Straftaten, besonders der Eigentumsdelikte, unter Missbrauch dienstlicher Befugnisse und während der Ausübung des Dienstes begangen wurden. Ausgehend von der Gesamtzahl der strafbaren Handlungen beträgt der Anteil der in Gruppen begangenen Straftaten 11 Prozent, wobei sich die Intensität dieser Straftaten sowie die Anzahl der daran beteiligten Personen weiter erhöht haben.

Territoriale Schwerpunkte bilden die Verantwortungsbereiche der BDVP Rostock mit 19, Dresden mit 13, Erfurt mit 10, PdVP Berlin mit 11 und Schwerin mit 8 Ermittlungsverfahren.

Die hohe Anzahl der Ermittlungsverfahren ist im Wesentlichen auf Gruppenhandlungen zurückzuführen (Rostock mit 36 Beteiligten, Schwerin mit 6 Beteiligten, Erfurt mit 5 Beteiligten, Dresden mit 5 Beteiligten und Berlin mit 4 Beteiligten).

Als eine schwerwiegende Erscheinung von erheblicher Tragweite ist die fortgesetzte, über längere Zeiträume hinweg unentdeckte gemeinschaftliche Begehung von Straftaten gegen das sozialistische und persönliche Eigentum einzuschätzen. Diese Straftaten wurden vorwiegend von Angehörigen des Dienstzweiges Schutzpolizei während der Dienstdurchführung begangen.

Obwohl in der Vergangenheit bereits diesbezügliche Feststellungen getroffen und ausgewertet wurden (z. B. Halle, Leipzig, Gotha), reichen die zur Veränderung getroffenen Maßnahmen offensichtlich noch nicht aus, um die Bildung krimineller Gruppen unter Angehörigen der DVP bereits in der Anfangsphase rechtzeitig zu erkennen und wirksam zu verhindern. In erheblichem Umfang waren die im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen in Erscheinung getretenen Angehörigen der DVP bereits in der Vergangenheit durch disziplinarisches und anderes Fehlverhalten in Erscheinung getreten. Derartige Fehlverhaltensweisen wurden oft mit dem Aussprechen von Disziplinarmaßnahmen als abgeschlossen betrachtet, wobei die erforderliche Erziehungsarbeit und Kontrolle des weiteren Verhaltens nur oberflächlich oder nicht weitergeführt wurden.

Im Ergebnis geführter Untersuchungen wurde erarbeitet, dass insgesamt 36 Angehörige der DVP des 1. Volkspolizei-Reviers Rostock, davon ein Offizier und 35 Wachtmeister, im Zeitraum 1974 bis 1975 ca. 200 Straftaten zum Nachteil sozialistischen und persönlichen Eigentums begangen und dadurch einen Schaden von ca. 60 000 Mark verursacht haben. Die Straftaten wurden von den Tätern während des Nachtdienstes durchgeführt. Für die Begehung von Diebstahlshandlungen wurden die lt. Streifenauftrag durchzuführenden Kontrollen in diebstahlgefährdeten Objekten auf Verschlusssicherheit ausgenutzt.

Das gegenseitige Wissen über strafbare Handlungen hatte zur Cliquenbildung geführt, die sich auf die gesamte Dienstdurchführung negativ auswirkte. So mussten bereits im Jahr 1974 vier Offiziere und 18 Wachtmeister vom 1. Volkspolizei-Revier Rostock wegen Alkoholgenusses im Dienst, Verletzung der Dienstpflichten, Verlassen des Streifenbereiches und Verlustes dienstlicher Dokumente disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden. Durch Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und versöhnlerisches Verhalten der Leitung des 1. Volkspolizei-Reviers wurden angestrebte positive Veränderungen nicht erreicht.

Durch sechs Angehörige der Abteilung Schutzpolizei des VPKA Ludwigslust wurden ebenfalls über einen längeren Zeitraum fortgesetzt Straftaten gegen das sozialistische und persönliche Eigentum begangen. Die Täter nutzten ebenfalls die Streifentätigkeit zu Diebstahlshandlungen aus. Sie entwendeten, z. T. gemeinschaftlich handelnd, Werkzeuge, Ersatzteile, Kraftstoff, Elektromotoren und Ähnliches und verursachten dadurch einen materiellen Schaden von 7 000 Mark. Die Beteiligten wurden fristlos aus der DVP entlassen, und es erfolgte die Einleitung von Ermittlungsverfahren gemäß § 162 StGB (Bestrafung von verbrecherischem Diebstahl und Betrug zum Nachteil sozialistischen Eigentums).

Bei der Untersuchung eines Wirtschaftsverbrechens wurde bekannt, dass zwei Angehörige der Abteilung Verkehrspolizei des VPKA Eisleben in Verbindung mit [einem damaligen Leitungskader] im VEB Korrosionsschutz Eisleben und einem Verkaufsstellenleiter strafbare Handlungen begingen. Begünstigend auf das Fehlverhalten der Angehörigen der DVP wirkten sich die mangelhafte Führungstätigkeit, unzureichende politisch-ideologische Erziehungsarbeit und schlechte Vorbildwirkung des ehemaligen Leiters der Abteilung Verkehrspolizei dieses VPKA aus, der Anfang 1975 wegen Verstoßes gegen Befehle und Weisungen sowie jahrelangen Kontaktes zu einer BRD-Bürgerin aus der DVP entfernt worden war.

Als wesentliche Motive für alle Eigentumsdelikte wurden das Streben nach persönlicher Bereicherung, Egoismus, Geltungsbedürfnis und übersteigerte persönliche Bedürfnisse herausgearbeitet.

Erscheinungen der Kriminalität unter Angehörigen der DVP sind durch folgende weitere Tendenzen gekennzeichnet:

Im Jahr 1975 gelang es einem Angehörigen einer VP-Bereitschaft, nach der BRD fahnenflüchtig zu werden. Zwei weitere beabsichtigte Fahnenfluchten wurden verhindert. Im Ergebnis der geführten Untersuchungen wurde festgestellt, dass bei allen Tätern der Verrat von Staats- und Dienstgeheimnissen an feindliche Stellen eingeplant war. In den letzten zwei Jahren sind ungesetzliche Grenzübertritte durch im Haushalt lebende oder andere nächste Verwandte von Angehörigen der DVP beträchtlich angestiegen.

Durch einen Offizier des VPKA Magdeburg z. B. wurde in einem Fall aktive Beihilfe zum gelungenen ungesetzlichen Verlassen der DDR geleistet, indem er seinem Bruder detaillierte Kenntnisse über Lage und Beschaffenheit von Grenzsicherungsanlagen verriet.

Beachtenswert ist auch der im Jahr 1975 zu verzeichnende relativ hohe Anfall von Militärstraftaten (11) durch Angehörige der Volkspolizei-Bereitschaften. Dabei handelt es sich um unerlaubte Entfernungen, die Nichtausführung von Befehlen sowie Angriffe bzw. Widerstand gegen Vorgesetzte.

Weitere beachtenswerte Vorkommnisse, die im Ergebnis der Untersuchungen in Einzelfällen zur Einleitung von Ermittlungsverfahren führten oder disziplinarisch geahndet wurden, waren im Jahr 1975 u. a.:

  • 61 Fälle des fahrlässigen Umgangs mit Schusswaffen (Dabei wurden zwei Angehörige der DVP getötet und sechs weitere verletzt.),

  • 63 Verluste von Dienstausweisen,

  • 16 Verluste von GVS/VVS und topographischen Karten,

  • 290 Fälle der schuldhaften Beteiligung an Verkehrsunfällen.

Ein Anstieg von Vorkommnissen im Verhältnis zu 1974 ist besonders im fahrlässigen Umgang mit Schusswaffen, bei Verlusten von GVS/VVS und topographischen Karten sowie beim Verlust von Petschaften3 zu beobachten.

Weiter ist im Jahr 1975 eine ansteigende Tendenz bezüglich übermäßigen Alkoholgenusses und anderer Verletzungen der Normen der sozialistischen Moral festzustellen. So ergaben z. B. geführte Untersuchungen zu moralischen Vergehen von Angehörigen der Schutzpolizei im VPKA Döbeln, dass sechs Angehörige seit längerer Zeit ständig durch unmoralische Verhaltensweisen in Erscheinung traten und darüber hinaus Verbindungen zu feindlich-negativen bzw. asozialen Elementen unterhielten. Das führte zu groben Verstößen gegen die Geheimhaltungsordnung und zu anderen Disziplinarverstößen sowie zur politisch-ideologischen Aufweichung dieser Angehörigen. Gefördert und begünstigt wurden diese Erscheinungen durch liberales Verhalten Vorgesetzter.

Von den im Jahr 1975 insgesamt ausgesprochenen 4 420 Disziplinarstrafen entfallen 35,5 Prozent auf Offiziere. Gegenüber dem Jahr 1974 ist in dieser Hinsicht ein weiterer Anstieg zu verzeichnen.

Schwerpunkte der Disziplinarverstöße bildeten mit 41 Prozent Verstöße gegen die Dienstorganisation und mit 14 Prozent Verstöße gegen die Wachsamkeit und Geheimhaltung. 6 Prozent der Disziplinarstrafen wurden wegen Verstößen gegen das Verhältnis Vorgesetzte/Unterstellte ausgesprochen und fast der gleiche Anteil wegen Verstößen gegen das Verhältnis zwischen der DVP und der Bevölkerung der DDR. 14 Prozent der Verstöße resultieren aus Verletzungen der Prinzipien der sozialistischen Moral und Ethik.

Trotz eines geringfügigen Rückganges im Vergleich zu den Vorjahren beträgt der Anteil der Parteimitglieder und Kandidaten im Jahr 1975 an den Straftaten und Disziplinarverstößen fast 75 Prozent.

Im Jahr 1975 mussten von ca. 400 Grundorganisationen Parteierziehungsmaßnahmen durchgeführt werden. Schwerpunkte der parteierzieherischen Auseinandersetzungen bildeten Verletzungen von dienstlichen Bestimmungen und Verstöße gegen die Prinzipien sozialistischer Moral und Ethik.

Im Jahr 1975 mussten insgesamt 429 Angehörige der DVP im Ergebnis von Parteiverfahren, Ermittlungs- oder Disziplinarverfahren aus der DVP entlassen werden; darunter befanden sich ca. 25 Prozent Offiziere.

Die Ursachen und begünstigenden Bedingungen für vorhandene negative Entwicklungstendenzen und Schwerpunkte liegen insbesondere in der ungenügenden Durchsetzung der führenden Rolle der Partei in verschiedenen Kollektiven sowie in Mängeln und Schwächen in der Führungs- und Leitungstätigkeit, insbesondere der Kontrolltätigkeit, einschließlich der Arbeit der Politorgane, begründet. Hierzu ist zusammengefasst Folgendes einzuschätzen:

Mit Schwerpunkt in den VPKÄ und deren nachgeordneten VP-Revieren trägt die politisch-ideologische Erziehungsarbeit der dienstlichen Leiter und Politorgane teilweise formelle Züge und dringt nicht bis zum letzten Angehörigen durch. Bei einigen dienstlichen Leitern zeigen sich Tendenzen der Unterschätzung der Bedeutung einer ständigen intensiven politisch-ideologischen Erziehungsarbeit. Darüber hinaus gibt es bei dienstlichen Leitern auch solche Einstellungen, dass für die politisch-ideologische Arbeit in erster Linie die Politorgane und Parteiorganisationen zuständig seien.

Oft werden fachliche Arbeitsergebnisse oberflächlich hinsichtlich ihres tatsächlichen Nutzeffektes bewertet und schematisch zum alleinigen Maßstab für die Beurteilung des politisch-ideologischen und politisch-moralischen Zustandes und der Kampfkraft von Dienstkollektiven genommen. Ausgehend von solchen Positionen erfolgt keine objektive und ständige Analyse des Gesamtzustandes der Kollektive, wodurch Schwächen in politisch-ideologischer und moralischer Hinsicht nicht erkannt werden.

Eine Reihe von Leitern verfügt über ungenügende Kenntnisse der familiären Verhältnisse und des Freizeitverhaltens ihrer Unterstellten, obwohl sich nachweislich gerade in diesen Sphären auf die verschiedenste Art und Weise Unsicherheitsfaktoren und Fehlverhaltensweisen herausbilden.

Die teilweise vorhandene mangelnde Wirksamkeit in der politisch-ideologischen Erziehungs- und Bildungsarbeit trägt im bedeutenden Maße dazu bei, dass die Dialektik des Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus in ihrer Kompliziertheit von einem Teil der Angehörigen der DVP nicht immer verstanden wird.

Daraus resultieren, in Verbindung mit Einflüssen der politisch-ideologischen Diversion des Gegners, Unklarheiten zu Grundfragen der Politik von Partei und Regierung. Das findet seinen Ausdruck auch in

  • der Unterschätzung der Gefährlichkeit und Aggressivität des Imperialismus der BRD,

  • illusionären Vorstellungen über den Charakter und die Zielstellung der Bonner »Ost- und Deutschlandpolitik«,

  • unklaren Haltungen/ Auffassungen zur gegnerischen Kontaktpolitik/ Kontakttätigkeit sowie

  • der Negierung des Erfordernisses der Erhöhung der Wachsamkeit, Einsatzbereitschaft und Kampfkraft.

In starkem Maße werden diese Erscheinungen neben den bereits aufgezeigten Schwächen in der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit durch eine Reihe weiterer Tendenzen begünstigt. Solche Tendenzen sind vor allem liberales Verhalten von Vorgesetzten, eine unkritische, kumpelhafte Atmosphäre in Dienstkollektiven, teilweise durch Cliquenbildungen gekennzeichnet, Mängel in der Organisation und Durchführung des Dienstes, in der Kontrolltätigkeit sowie Schwächen in der Arbeit des Kaderorgans. Häufig wird seitens der Vorgesetzten bei Disziplinarverstößen und anderem Fehlverhalten Unterstellter nicht mit der nötigen Konsequenz gehandelt.

Besonders ausgeprägt sind Tendenzen, politisch-ideologische Aufweichungserscheinungen nicht richtig zu bewerten und keine zielstrebigen Maßnahmen zu deren Beseitigung einzuleiten.

Durch inkonsequentes Verhalten wurden z. T. bei erkannten personellen Unsicherheitsfaktoren die notwendigen Veränderungen, wie Herauslösungen und Umsetzungen, nicht oder nicht rechtzeitig vorgenommen. Durch eine unkritische Atmosphäre und das bewusste Verschweigen und Vertuschen von Mängeln, Missständen und Vorkommnissen wird wesentlich dazu beigetragen, dass Schwächen im politisch-moralischen Zustand nicht überwunden werden und diesbezüglich teilweise eine weitere Verschlechterung eingetreten ist.

Besonders schwerwiegend sind solche Fälle, wo nicht oder ungenügend auf Hinweise über Gesetzesverletzungen von Angehörigen der DVP reagiert wird.

Ungenügende Klarheit in der Befehlsgebung, Mängel in der Organisation des Dienstes, Vertrauensseligkeit sowie eine unzureichende Kontrolltätigkeit wirken insbesondere bei Disziplinarverstößen und für die Begehung von Eigentumsdelikten durch Schutzpolizisten während des Dienstes begünstigend.

Wesentliche Schwächen bestehen in der Kaderarbeit. Das bezieht sich sowohl auf Neueinstellungen als auch auf die Arbeit mit dem vorhandenen Kaderbestand. Die in der Einstellungsordnung enthaltenen Kriterien zur Gewährleistung der Kadersicherheit bzw. zur Verhinderung des Eindringens unzuverlässiger Personen in die DVP entsprechen nicht mehr vollständig den Erfordernissen und werden andererseits nicht durchgängig in der erforderlichen Qualität durchgesetzt.

In einigen Dienststellenbereichen gibt es beträchtliche Schwächen hinsichtlich der Einhaltung der Kaderkriterien bei Neueinstellungen. Teilweise werden nur oberflächliche Ermittlungen zu den VP-Bewerbern und deren Angehörigen geführt.

Die Kaderorgane der DVP nutzen diesbezüglich die vorhandenen Potenzen und Möglichkeiten, ausgehend von den Erfordernissen der Einstellungsordnung, nicht entsprechend aus. Diese Praxis führt dazu, dass häufig Westverbindungen und andere personelle Unsicherheitsfaktoren infolge unexakter Aufklärung nicht erkannt oder nicht umfassend aufgeklärt werden.

Teilweise erfolgen auf der Grundlage der vorhandenen Materialien bzw. unvollständigen Aufklärungsergebnisse formale Entscheidungen über Neueinstellungen. Diese Schwächen begünstigen das Eindringen unzuverlässiger Elemente in die Reihen der Deutschen Volkspolizei. Die teilweise nicht den Erfordernissen entsprechende Überprüfung von VP-Bewerbern führt über die Nichtfeststellung eindeutiger Unsicherheitsfaktoren hinaus auch dazu, dass personelle Probleme politisch-ideologischer, sozialer, familiärer und charakterlicher Art im Einstellungsprozess nicht oder nur ungenügend herausgearbeitet werden. Dies hat zur Folge, dass diese Probleme in der künftigen Arbeit mit den Kadern nicht beachtet werden und aus ihnen erhebliche Schwierigkeiten in erzieherischer Hinsicht sowie andere Komplikationen resultieren. Festzustellen ist auch, dass damit einer formalen, undifferenzierten politisch-ideologischen Erziehungsarbeit Vorschub geleistet wird.

Die vorgenannten Schwächen treten auch bei der Auswahl von Offiziersschülern und teilweise bei Kadern für leitende und mittlere leitende Funktionen auf. Ähnliche Erscheinungen sind auch in den Organen Feuerwehr und Strafvollzug festzustellen.

Durch das Ministerium für Staatssicherheit wurden wiederholt und auf verschiedenen Leitungsebenen an die Chefs bzw. Leiter der zuständigen Organe der DVP Hinweise über festgestellte Mängel und Unzulänglichkeiten sowie über Straftaten und andere Rechts- und Disziplinverletzungen von Angehörigen der DVP übergeben und im engen kameradschaftlichen Zusammenwirken aktiv Einfluss genommen auf die Herausarbeitung von Schlussfolgerungen und die Einleitung wirksamer Maßnahmen, die auch in entsprechenden dienstlichen Bestimmungen des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei ihren Niederschlag fanden.

Zur Gewährleistung einer effektiven Durchsetzung der Beschlüsse der Partei, der Gesetze sowie der Befehle und Weisungen des Ministers des Innern und Chefs der DVP und zur zielgerichteten Beseitigung der noch vorhandenen Mängel, Missstände und Hemmnisse wurden durch den Minister des Innern und Chef der DVP am 26. Januar 1976 mit dem Befehl 052/76 und am 5. Februar 1976 mit der 1. Änderung zur Dienstvorschrift IX/8 Aufgaben zur weiteren Festigung des politisch-moralischen Zustandes in der DVP und den anderen Organen des MdI sowie Grundsätze zur Erhöhung der Effektivität der Objektkontrollen und Kriterien für die Einschätzung des schutzpolizeilichen Streifendienstes angewiesen.

Im Mittelpunkt dieser Aufgabenstellungen stehen, den neuen und höheren Anforderungen entsprechend, die konsequente Durchsetzung der politisch-ideologischen Arbeit zur weiteren Festigung des sozialistischen Bewusstseins, der politisch-moralischen Standhaftigkeit, der Befehlstreue und der Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit durch alle Angehörigen, zur ständigen Erhöhung der Kampf- und Einsatzbereitschaft sowie der politischen Zuverlässigkeit der Kollektive.

  1. Zum nächsten Dokument Statistik Westbesucher – DDR (Ostern 1976) – mit Transit

    21. April 1976
    Information Nr. 302/76 über den Umfang der Einreisen von Personen aus nichtsozialistischen Staaten und mit ständigem Wohnsitz in Westberlin in die DDR sowie des Transitverkehrs zwischen der BRD und Westberlin in der Zeit vom 15. April bis 19. April 1976 (Osterzeitraum)

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch 5.4.–11.4.1976

    14. April 1976
    Information Nr. 291/76 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 5. April 1976 bis 11. April 1976