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Straftaten von S-Bahn-Beschäftigten in Westberlin

13. Januar 1976
Information Nr. 36/76 über gegen die Deutsche Reichsbahn in Westberlin begangene Straftaten durch fünf Beschäftigte des S-Bahnhofes Steglitz

Im Ergebnis der gemeinsam mit der Transport-Kriminalpolizei Berlin durchgeführten Untersuchungen einer Reihe von Straftaten gegen die Deutsche Reichsbahn in Westberlin konnten folgende Täter, die Beschäftigte des S-Bahnhofes Steglitz waren, ermittelt werden:1

[Name 1], geboren am [Tag] 1941, wohnhaft: Berlin (West) 65, [Adresse], Aufsichter; Parteizugehörigkeit: SEW,2 ohne Funktion. ([Name 1] ist Organisator der Straftaten und Haupttäter).

[Name 2], geboren am [Tag] 1952, wohnhaft: Berlin (West) 45, [Adresse], Aufsichter; Parteizugehörigkeit: SEW, ohne Funktion. [Name 2] ist Vorsitzender des Jugendausschusses der Gewerkschaft des S-Bahnhofes Steglitz. Nach eigenen Angaben von [Name 2] bewahre er zu Hause politische Materialien auf, u. a. von der sogenannten »Roten Armee Fraktion«. Weiterhin behauptete [Name 2], dass über seine Person bei der Politischen Polizei in Westberlin eine Akte existiere.

[Name 3], geboren am [Tag] 1954, wohnhaft: Berlin (West) 62, [Adresse], Fahrkartenverkäuferin; Parteizugehörigkeit: SEW, ohne Funktion. Die [Name 3] zeigte während der Dienstdurchführung mangelhaftes Pflichtbewusstsein.

[Name 4], geboren am [Tag] 1940, wohnhaft: Berlin (West) 44, [Adresse], Fahrkartenverkäufer. [Name 4] gibt sich unter Kollegen als Anhänger des »Bundes Freies Deutschland«3 zu erkennen und vertritt offen antikommunistische Positionen.

[Name 5], geboren am [Tag] 1948, wohnhaft: Berlin (West) 12, [Adresse]. [Name 5] wurde am 3. Oktober 1975 wegen mangelhafter Dienstdurchführung fristlos entlassen. Er ist jetzt Inhaber eines Fotoateliers in Westberlin.

Gegen diese fünf Personen wurde ein Ermittlungsverfahren durchgeführt, aus dem folgende Einzelheiten über die Straftaten hervorgehen:

[Name 2 und 3] verübten nach Absprache mit [Name 1] am 2. Januar 1976 auf dem S-Bahnhof Steglitz einen fingierten Raubüberfall. [Name 2] begab sich am 2. Januar 1976 gegen 15.17 Uhr zur Fahrkartenausgabe des S-Bahnhofes Steglitz und überreichte der dort dienstverrichtenden [Name 3] einen vorbereiteten Zettel mit dem handschriftlich angefertigten Text: »Überfall, bleiben Sie ruhig, auf Sie ist eine Waffe gerichtet. Geben Sie den Beutel heraus«. Daraufhin übergab die [Name 3] dem [Name 2] den Geldbeutel mit der Tagesfahrgeldeinnahme in Höhe von ca. 8 000 DM. [Name 2] »flüchtete« und brachte das Geld in die Wohnung des [Name 1], der dort die Aufteilung des Geldes an [Name 2 und 3] vornahm.

Ein Überfall auf die Fahrkartenausgabe des Bahnhofes Steglitz am 12. August 1974 war ebenfalls vorgetäuscht. [Name 1] organisierte den »Überfall« auf den diensthabenden Fahrkartenverkäufer [Name 2], bedrohte ihn mit einer Pistole, fesselte ihn und entnahm aus einer unverschlossenen Kassette Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 1 369,70 DM sowie Fahrkarten im Wert von 400,00 DM.

[Name 1] organisierte gemeinsam mit [Name 5, 2, 4 und 3] auf dem S-Bahnhof Steglitz den ungesetzlichen Druck von mindestens 80 000 S-Bahnfahrkarten, die überwiegend verkauft wurden. Der Deutschen Reichsbahn wurde damit ein Schaden in Höhe von ca. 30 000 bis 40 000 DM zugefügt. Um den Fahrkartendrucker in Funktion setzen zu können, angelten die Täter den dazu notwendigen Schlüssel aus einem verplombten Kästchen. Durch Manipulierung am Zählwerk des Fahrkartendruckers wies dieser nach dem Druck von jeweils 10 000 Fahrkarten wieder den ursprünglichen Stand aus.

[Name 1, 2 und 3] und ihr geschiedener Ehemann verübten in der Nacht vom 29. Dezember zum 30. Dezember 1975 in einem Antiquitätengeschäft am S-Bahnhof Steglitz einen Einbruchdiebstahl und entwendeten Wertsachen.

Geplant war, dass [Name 1, 2 und 3] nach Ostern 1976 auf einen für einen Geldtransport vorgesehenen S-Bahn-Zug zwischen dem Bahnhof Großgörschenstraße und Anhalter Bahnhof einen Raubüberfall durchführen.

Weiterhin wurde durch die Beschuldigtenvernehmung bekannt, dass [Name 1 und 2] im Besitz von Schusswaffen (Pistolen) und Munition sind, die sie sich illegal beschafft haben. Nach Darstellung des [Name 2] sei seine Waffe zu seinem persönlichen Schutz bestimmt.

In Abstimmung mit dem Generalstaatsanwalt der DDR wurden [Name 1 und 3] nach Abschluss der Beschuldigtenvernehmungen fristlos aus dem Dienst der Deutschen Reichsbahn entlassen und durch Angehörige der Bahnpolizei der Bahnpolizeiwache Papestraße am 9. Januar 1976 gegen 11.00 Uhr an die Westberliner Polizei übergeben. Gleichzeitig erfolgte die Übergabe von je einer Durchschrift ihrer Beschuldigtenvernehmungen an die Westberliner Polizei.

Nach der Übergabe wurde vom Generalstaatsanwalt der DDR ein Fernschreiben zum Sachverhalt an den Generalstaatsanwalt beim Westberliner Kammergericht gesandt, in dem unter anderem mitgeteilt wurde, dass die unverzügliche Übersendung des Ermittlungsverfahrens der Transport-Kriminalpolizei Berlin [Ost] erfolgt.

In Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft wird das Ermittlungsverfahren der Transport-Kriminalpolizei Berlin [Ost] bis zum 12. Januar 1976 zur Abverfügung an die Westberliner Justizbehörden abgeschlossen.

Am 9. Januar 1976, gegen 13.30 Uhr erschienen die Eisenbahner [Name 2 und 3] beim Dienstvorsteher des S-Bahnhofes Berlin-Steglitz und holten ihre persönlichen Sachen ab. Sie gaben keinerlei Erklärung, aus welchen Gründen sie von der Westberliner Polizei wieder entlassen wurden.

[Name 4] wurde am 9. Januar 1976, gegen 14.30 Uhr von der Deutschen Reichsbahn fristlos entlassen. Dem [Name 1], der sich gegenwärtig nicht im Dienst befindet, wird die Entlassung auf dem Postwege übermittelt. Der Parteivorstand der SEW ist über die Straftaten der SEW-Mitglieder [Name 1, 2 und 3] informiert und hat keine Bedenken gegen den Abschluss des Ermittlungsverfahrens.

In Auswertung der Untersuchungsergebnisse wird dem Ministerium für Verkehrswesen empfohlen,

  • die zur Gewährleistung einer höheren Sicherung der Kassen und der Geldtransporte gegen Übergriffe seitens des Ministeriums für Verkehrswesen im Zusammenwirken mit der Reichsbahndirektion Berlin für 1976 geplanten Maßnahmen konsequent und kontrollfähig zu verwirklichen und

  • die Fahrkartendrucker zuverlässiger gegen Eingriffe und Manipulationen zu sichern, wobei insbesondere das Verschluss- und Verplombungssystem verbessert werden sollte.

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    13. Januar 1976
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    9. Januar 1976
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