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Wahlbeteiligung kirchlicher Amtsträger

20. Oktober 1976
Information Nr. 722/76 über die Beteiligung leitender kirchlicher Amtsträger an den Wahlen am 17. Oktober 1976

Bereits in Vorbereitung der Wahlen zur Volkskammer und zu den Bezirkstagen war unter leitenden kirchlichen Amtsträgern eine große Differenziertheit festzustellen, wobei von einigen kirchenleitenden Persönlichkeiten die Wahlbeteiligung offen abgelehnt wurde.

So unterbreiteten Bischof Rathke und Superintendent Ohse, Schwerin, der am 8. September 1976 in Bad Doberan tagenden Pastorensynode der Landeskirche Mecklenburg den Vorschlag, sich nicht an der Wahl zu beteiligen. Als Argument dafür wurden die angeblichen Behinderungen christlicher Bürger im Bereich Volksbildung und die Veröffentlichungen in »Neues Deutschland« und »Neue Zeit« zum Vorfall Brüsewitz angegeben.1 Der Vorschlag wurde jedoch vom überwiegenden Teil der Anwesenden mit der Begründung abgelehnt, jeder habe das Recht, in dieser Frage selbst zu entscheiden.

Westliche Massenmedien verbreiteten in den Morgenstunden des 17. Oktober 1976 die Meldung, Bischof Hempel, Dresden, habe die Pfarrer seiner Landeskirche aufgefordert, sich nicht an der Wahl zu beteiligen.2 Daraufhin erfolgte in den Mittagsstunden des 17. Oktober 1976 ein Gespräch zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden und Bischof Hempel, bei dem Hempel die Meldungen in der Westpresse dementierte und erklärte, einen solchen Brief nicht geschrieben zu haben. Er fühlte sich nicht befugt, in die freie Willensentscheidung der Pfarrer einzugreifen. Er betonte aber, er selbst beteilige sich nicht an der Wahl und gab dafür folgende Gründe an:

  • Die im Zusammenhang mit dem Vorfall Brüsewitz erfolgten Presseveröffentlichungen,

  • das Nichtzustandekommen eines Gespräches auf zentraler Ebene zu Volksbildungsfragen,

  • Er wolle verhindern, dass seine Wahlbeteiligung eventuell propagandistisch ausgenutzt werden könnte.

Die Differenziertheit in der Einstellung leitender kirchlicher Amtsträger und Pfarrer zur Wahlbeteiligung fand am Wahltag sichtbaren Ausdruck.

An der Wahl beteiligten sich z. B.:

  • Bischof Braecklein, Eisenach, und die Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (Bischof Braecklein gab im Wahllokal eine Erklärung über die gute Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche ab und äußerte den Wunsch, sie möge sich weiter fortsetzen.),

  • Bischof Gienke, Greifswald, und alle »Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Greifswald«,

  • Kirchenpräsident Natho, Dessau, und alle Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Anhalts, sowie

  • Bischof Rathke,3 Schwerin, und einige Mitglieder der Kirchenleitung der Evangelischen-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs.

Bischof Schönherr, Berlin, gab bereits vor seiner Abreise nach den USA im Sonderwahllokal seine Stimme ab. Ebenfalls gewählt haben die Generalsuperintendenten Grünbaum, Berlin, Forck, Cottbus, Lahr, Potsdam, Hansen, Eberswalde, und Konsistorialpräsident Kupas.

Bemerkenswert ist, dass auch Propst Falcke, Erfurt, gewählt hat und sich positiv zu den Beziehungen Staat – Kirche äußerte. (Propst Falcke war bisher Nichtwähler. Es hatte z. B. auf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 1972 in Dresden das Hauptreferat gehalten, in dem die sozialistische Entwicklung in der DDR angegriffen wurde.)

Dagegen haben Bischof Fränkel, Görlitz, Bischof Krusche, Magdeburg, und Bischof Hempel, Dresden, nicht gewählt.

Ein Vergleich mit der Teilnahme der kirchenleitenden Personen aus den acht evangelischen Landeskirchen der DDR an den Wahlen zur Volkskammer im Jahre 1971 ergibt, dass auch hier die Bischöfe Krusche, Magdeburg, Hempel, Dresden, und Fränkel, Görlitz, als Nichtwähler in Erscheinung traten.

Eine prozentuale Gegenüberstellung der Beteiligung an den Wahlen 1971 und 1976, speziell im Amtsbereich von Bischof Hempel, ergibt folgendes Bild:

Jahr

Anzahl der Pfarrer

Wahlbeteiligung

in Prozent

1971

424

282

66,5

1976

414

179

43,2

Im Bezirk Rostock (gehört zum Teil zum Bereich der Landeskirchen Greifswald und Schwerin) stellt sich das Wahlergebnis so dar, dass zahlreiche kirchliche Amtsträger beider Konfessionen wie auch 1971 nicht an der Wahl teilnahmen. Der Anteil der Nichtwähler beträgt bei den Geistlichen der evangelischen Kirche = 22 Prozent und der katholischen Kirche = 58 Prozent.

Bemerkenswert aus dem Bezirk Rostock ist dabei, dass im Bereich der Mecklenburgischen Kirche Schwerin 30 Prozent und im Bereich der Landeskirche Greifswald nur 16 Prozent der Geistlichen als Nichtwähler in Erscheinung traten.

Von den leitenden Geistlichen der katholischen Kirche in der DDR haben sich nur Weihbischof Weinhold,4 Bautzen, Ordinariatsrat Müller, Görlitz, und Bischofsvikar Hömer5, Erfurt, beteiligt. Der gesamte Klerus und der überwiegende Teil der leitenden Geistlichen der katholischen Kirche in der DDR beteiligten sich auch nicht an vorangegangenen Wahlen.

Im Zusammenhang mit der Wahlvorbereitung und -beteiligung verdienen weiter folgende Verhaltensweisen kirchlicher Amtsträger hervorgehoben zu werden:

Während des Gottesdienstes der Neuapostolischen Kirche in Pirna wurde die Gemeinde durch den Prediger aufgefordert, sich vollzählig an den Wahlen zu beteiligen und die Kandidaten der Nationalen Front zu wählen.

Die Neuapostolische Kirchengemeinde Bad Lauchstädt wählte bereits vor dem Kirchgang geschlossen.

In der Stadt Stößen, Kreis Hohenmölsen, gingen 23 katholische Bürger nach dem Gottesdienst geschlossen zur Wahl.

Der Ordensobere des Zisterzienser-Ordens, Prior Pater Ubald, Rosenthal, hat sich geschlossen mit seinem Konvent an der Wahl beteiligt.

Auch die Pfarrer [Name], Droyßig, [Name], Profen, und [Name], Postewitz (Kreis Zeitz) forderten zum rechtzeitigen Wahlgang auf. (In Droyßig wurde durch die VP kurzfristig ein am 16. Oktober 1976 verübter Kircheneinbruch, bei dem Kunstgegenstände gestohlen wurden, aufgeklärt, worüber sich oben erwähnte Pfarrer lobend aussprachen.)

Seine feindlich-negative Haltung demonstrierte dagegen u. a. offen Pfarrer Zander, Oberweißbach, Bezirk Suhl, der im Wahllokal eine gegen den Staat gerichtete schriftliche Erklärung mit folgendem Inhalt übergab:

»Solange unser Staat die Arbeit der Kirche und die Zugehörigkeit zu ihr behindert, mir persönlich Unwahrhaftigkeit und Gesetzwidrigkeit unterschiebt, solange unser Staat behindert, Beschlüsse in Bezug auf meine Kinder und ihre Ausbildung spüren lässt, solange unser Staat diese Arbeit fröhlich weitertreibt, kann ich unmöglich eine aktive Rolle spielen. Erst, wenn diese unliebsamen Handlungsweisen beseitigt sind, bin ich bereit, für das Wohl meiner Stadt meine ganze Kraft einzusetzen.«

Pfarrer Vorberg, Frohndorf, Kreis Sömmerda, äußerte offen, man solle die Wahlkabine benutzen und beachten, dass eine klare Nein-Stimme wirksamer sei als die Nichtteilnahme. Auch Kreiskatechet Krschat, Pritzwalk, Bezirk Potsdam, forderte christliche Bürger auf, Schreibmaterial zum Wahlvorgang mitzunehmen.

Die Information ist nicht zur öffentlichen Auswertung bestimmt.

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    22. Oktober 1976
    Information Nr. 676/76 über die beabsichtigte Durchführung einer gerichtlichen Hauptverhandlung gegen den ehemaligen Direktor für Wissenschaft und Technik, [Name], VEB [Betrieb] vor dem Bezirksgericht Cottbus

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    19. Oktober 1976
    Information Nr. 720/76 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 11. Oktober 1976 bis 17. Oktober 1976