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Ausschreitungen von Anhängern des 1. FC Union Berlin

10. Oktober 1977
Information Nr. 599/77 über gesellschaftsgefährliches Verhalten negativ-dekadenter Jugendlicher im Zusammenhang mit Spielen der Oberliga-Fußballmannschaft des 1. FC Union Berlin

[Faksimile des Deckblatts]

Seit dem Beginn der 1. Halbserie 1976/77 ist festzustellen, dass ein – vergleichsweise zum Gesamtanhang des 1. FC Union Berlin geringer – Teil jugendlicher Zuschauer überwiegend bei Auswärtsspielen dieser Mannschaft mit rowdyhaften, die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigenden sowie die sozialistische Sportbewegung der DDR diskriminierenden Verhaltensweisen in Erscheinung tritt. Es kam zu einer Zunahme von Vorkommnissen, bei denen solche Jugendlichen unter der Flagge, begeisterte Anhänger des 1. FC Union Berlin zu sein, gegen die Ordnung und Sicherheit gerichtete Handlungen begingen bzw. teilweise androhten.

Nach bisherigen Feststellungen steht diese Entwicklung im bestimmten Zusammenhang mit den verstärkten Versuchen gegnerischer Einrichtungen und Kräfte, mit den Mitteln der ideologischen Diversion Einfluss auf negativ-dekadente Jugendliche zu erhalten und sie zu öffentlichwirksamen Handlungen gegen die Ordnung und Sicherheit und zu einer Konfrontationsstellung gegenüber Ordnungs- und Sicherheitskräften zu inspirieren. Im Mittelpunkt entsprechender gegnerischer Aktivitäten stehen dabei mit jugendliche Personenkreise [sic!] in der Hauptstadt Berlin und den angrenzenden Bezirken.

Von derartigen negativ-dekadenten Jugendlichen aus der Hauptstadt und den Randgebieten von Berlin wurden seit dem Herbst 1976 im Zusammenhang mit Fußballspielen des 1. FC Union Berlin umfangreiche, gegen die Ordnung und Sicherheit gerichtete Handlungen begangen, erhebliche Sachbeschädigungen verursacht und in einer Reihe von Fällen konkrete Gefährdungssituationen herbeigeführt. In D-Zügen der Deutschen Reichsbahn und in S-Bahn-Zügen in der Hauptstadt Berlin wurden in mindestens vier hervorzuhebenden Fällen Scheiben, Lampen und Toilettenanlagen zerschlagen, Sitzbänke durch Abreißen von Teilen und Zerschlitzen des Bezugsmaterials zerstört, Haltestangen aus ihrer Befestigung gerissen und Feuerlöscher entleert.

Abgerissene Gegenstände wurden in der Regel während der Fahrt aus den Zügen geworfen. In zwei Fällen wurde in D-Zügen während der Fahrt missbräuchlich die Notbremse gezogen. Das Zugbegleitpersonal wurde wiederholt an der Durchführung pflichtgemäßer Kontroll- und Wartungshandlungen gehindert und körperlich bedroht. Bei der Hin- und Rückfahrt anlässlich des Oberligapunktspieles 1. FC Magdeburg – 1. FC Union Berlin am 13.8.1977 in Magdeburg1 wurden durch randalierende Jugendliche zwei Reisezugwagen der Deutschen Reichsbahn erheblich demoliert. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 14 000 Mark. Beide Reisezugwagen mussten vorübergehend aus dem Verkehr gezogen werden. Durch das Ziehen der Notbremse im D 156 von Halle nach Berlin am 11.9.1976 und dadurch notwendig gewordene, von diesen Jugendlichen behinderte Überprüfungs- und Kontrollmaßnahmen erhielt [sic!] dieser Zug 62 Minuten Verspätung. Darüber hinaus machten sich Zugumleitungen und andere Maßnahmen erforderlich.

Außerdem randalierten diese Jugendlichen bei Auswärtsspielen des 1. FC Union in den Fußballstadien Halle, Frankfurt/O. und Riesa sowie im Stadion der Weltjugend2 in der Hauptstadt. So wurden u. a. Feuerwerkskörper gezündet, geleerte Alkoholflaschen und andere Gegenstände auf das Spielfeld geworfen und unbeteiligte Zuschauer belästigt und bedroht. Verbunden wurde dieses Auftreten mit dem Grölen solcher Texte wie: »Der 1. FC Union räumt alles ab, für die Reichs-Hauptstadt«, »Was ist Deutschlands größte Schande, Lauck3 mit seiner roten Bande«, oder »30 Meter im Quadrat, hohe Mauer, Stacheldraht, zwischen hohen Häusern Minen, das ist unser Ost-Berlin«.

Jugendliche aus diesem Kreis versandten an Mannschaftsmitglieder und Funktionäre anderer Oberliga-Mannschaften anonyme Drohbriefe und tätigten anonyme Anrufe. Angehörige der Deutschen Volkspolizei werden von negativ-dekadenten Jugendlichen mit Schimpfworten »Saubullen«, »Bullenschweine«, »Nazisäue« und »Schweine« verleumdet und deren Tätigkeit zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit durch »Vergleiche« mit den Maßnahmen von Polizeikräften in der Zeit des Faschismus diskriminiert. In diesem Zusammenhang werden Forderungen geäußert, die Angehörigen der DVP dafür »an die Wand zu stellen«. Sprechchöre gegen die Angehörigen der Schutz- und Sicherheitsorgane, wie »Eins, zwei, drei – Knüppelpolizei. Haut sie in die Schnauze« und »Nieder mit dem Bullenpack« werden nicht selten gemeinschaftlich in der Öffentlichkeit gegrölt. In demonstrativer Form begaben sich nach einem Spiel des 1. FC Union in der Hauptstadt Berlin 20 bis 30 negativ-dekadente Jugendliche vor ein Polizeirevier und begingen dort in der Öffentlichkeit eine Reihe gegen die DVP gerichteter Handlungen (Anspeien von VP-Angehörigen, Gewaltandrohung bis zu obszönen Handlungen). Dabei brachten sie sinngemäß zum Ausdruck, dass einmal die Zeit kommen würde, wo sie »die Bullen jagen«.

In den Abendstunden des 4.10.1977 misshandelten sechs negativ-dekadente Jugendliche, die sich als »Anhänger« des 1. FC Union Berlin ausgaben, in der S-Bahn und auf dem Vorgelände des S-Bahnhofes Frankfurter Allee vorsätzlich einen Bürger durch Schlagen mit der Faust und mit Fußtritten, nur weil dieser sie aufforderte, das Rauchen in der S-Bahn einzustellen. Provokatorisch demonstrierten sie in diesem Zusammenhang unter dem Grölen des Schlachtrufes »Eisern Union« ihre »Stärke«. Die gleichen Personen zerschlugen nachfolgend mutwillig die Schaufensterscheibe einer neu vorgerichteten [sic!] privaten Verkaufsstelle in Berlin-Lichtenberg, Marktstraße 7.

Vorliegenden Informationen zufolge erregen diese rowdyhaften Ausschreitungen in zunehmenden Maße den Unwillen sportbegeisterter Bürger sowie unbeteiligter Personen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. in Sportstadien und auf Straßen von diesen negativ-dekadenten Jugendlichen belästigt werden und sich dadurch in ihrer persönlichen Würde verletzt und in ihrer Sicherheit bedroht fühlen.

Gegen negativ-dekadente Jugendliche aus dem Anhang des 1. FC Union Berlin wurden seit dem Beginn der 1. Halbserie um die Fußballmeisterschaft der DDR 1976/77 wegen begangener Straftaten 23 Ermittlungsverfahren eingeleitet, 74 Ordnungsstrafverfahren durchgeführt und 45 Verwarnungen mit Ordnungsgeld ausgesprochen.

Durch die Untersuchung der strafbaren Handlungen und begangenen Ordnungswidrigkeiten wurde nachgewiesen, dass es den meisten dieser Jugendlichen nicht um das Erlebnis eines sportlichen Fußballwettkampfes oder um die Anfeuerung der Spieler im Stadion geht. Sie fühlen sich vielmehr mit jenem Teil des Publikums verbunden, der diese Fußballspiele zum Anlass nimmt, um unter Ausnutzung der Anonymität großer Menschenansammlungen die öffentliche Ordnung durch Gewalttätigkeiten gegen Menschen und Sachen, Alkoholmissbrauch, wüstes Gegröle und flegelhafte Verhaltensweisen zu stören. Dabei wurden zumeist schon Stunden vorher alkoholische Getränke genossen und Spielorte bereits tags zuvor aufgesucht.

Ihr Verhalten resultiert ausschließlich aus der stupiden Verherrlichung von Idolen und Verhaltensweisen westlicher Prägung. Sie setzen ihren Ehrgeiz daran, Rockerbanden westlicher Prägung zu imitieren und sich in jeder sportlichen Begeisterung hohnsprechenden Art und Weise als Anhänger eines Fußballclubs auszugeben.

Notwendige vorbeugende Maßnahmen von Angehörigen der Schutz- und Sicherheitsorgane zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit auf Sportanlagen, öffentlichen Straßen und Plätzen sowie Verkehrsanlagen und erforderliche Zwangsmaßnahmen fassen diese Personen aufgrund ihrer negativ-dekadenten politischen Haltung als gegen sie gerichtete »Schikane« des Staates auf.

Wie festgestellt wurde, verbringen diese Jugendlichen ihre Freizeit größtenteils sehr eintönig. Ihre Interessen erschöpfen sich in Beatmusik und dem Besuch von Tanzveranstaltungen. Kaum einer von ihnen treibt regelmäßig Sport.

Neben den Einflüssen der ideologischen Diversion des Gegners macht sich bei ihnen in zunehmendem Maße ein negativ-dekadenter Einfluss von Anhängern des Westberliner Fußballclubs »Hertha BSC« bemerkbar, insbesondere solcher, die sich im sog. »Fanclub Berlin e. V.« zusammengeschlossen haben. Diese Einwohner aus Westberlin – unter ihnen der Präsident des »Fanclub Berlin e. V.«, Peter Mager – besuchen unter Ausnutzung der Einreisemöglichkeiten in die DDR Heimspiele des 1. FC Union Berlin, aber auch in Einzelfällen die Auswärtsspiele. In diesem Zusammenhang suchen sie Kontakte zu Anhängern des 1. FC Union, die durch ihr Aussehen und Verhalten negativ-dekadent wirken, und versuchen, diese zum Beitritt in den »Hertha Fanclub« zu gewinnen. Zu diesem Zweck führen sie Souvenir-Artikel ihres Clubs »Hertha BSC« sowie Kalender mit den Spielansetzungen der Bundesliga (BRD) einschließlich der Fernsehübertragungstermine von »Hertha BSC« mit, die sie den jugendlichen Kontaktpartnern in der DDR überreichen. Mittels Postwurfsendungen verschicken sie an Anhänger des 1. FC Union Berlin Beitrittserklärungen für ihren »Fanclub«. Alle diese Kontaktaktivitäten entwickeln sie unter dem Motto: »Wir kennen nur zwei Meister in Berlin an der Spree, das sind der 1. FC Union und Hertha BSC4 (Wie festgestellt wurde, treffen sich Anhänger des »Fanclub e. V.« in der von dem Leiter einer kriminellen Menschenhändlerbande Jürgen Steinhäußer5 unterhaltenen Gaststätte »Zur Pause« in Berlin-West 21, Huttenstraße 6.)

Intensive Versuche gesellschaftlicher Einflussnahme gegenüber negativ-dekadenten Jugendlichen scheiterten in der Regel an der arroganten und bewusst zur Schau gestellten negativen Grundeinstellung dieser Personen zu unserer sozialistischen Entwicklung. Häufig gab es mit ihnen ernsthafte Erziehungsschwierigkeiten im Elternhaus sowie in der Schul- und Berufsausbildung, und es traten frühzeitig Tendenzen zur Aufsässigkeit und Herumtreiberei auf. Die Mitgliedschaft in der FDJ erfolgte überwiegend aus dem Grund, gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auszuweichen, und in der GST, um dort die Fahrerlaubnis erwerben zu können.

Hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur wirksamen Zurückdrängung der vorstehend genannten Handlungen sollte als Grundlage für die Einschätzung der Gesellschaftsgefährlichkeit derartiger Handlungen, ihre strafpolitische Beurteilung und als Orientierung für Maßnahmen einer positiven Einflussnahme auf solche Jugendliche stärker von der durch das Oberste Gericht der DDR getroffenen Entscheidung zu rowdyhaftem Verhalten Jugendlicher im Zusammenhang mit Fußballspielen (OG, Urteil vom 7. Juli 1977 – 1 a OSK 3/77, in Neue Justiz 14/77, S. 476)6 ausgegangen werden.

Es wird als zweckmäßig erachtet, entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, um Verletzungen der sozialistischen Rechtsordnung durch den genannten Personenkreis konsequent zu verhindern und angefallene Personen zur Verantwortung zu ziehen. Es ist vorgesehen, über die dabei getroffenen Feststellungen jeweils die örtlichen Organe, gesellschaftlichen Organisationen, den jeweiligen Betrieb bzw. die Schule und die Leitung des 1. FC Union Berlin zu informieren, um ihnen konkrete Hinweise für ihre erzieherische Einflussnahme zu geben. In Verbindung damit sollte gleichzeitig auch mehr von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden, Stadienverbote auszusprechen und solche Verbote dann konsequent durchzusetzen.

Im Zusammenwirken zwischen zuständigen Dienststellen der DVP und des MfS eingeleitete Maßnahmen zur Feststellung von Initiatoren für Störungen, Organisatoren bzw. Rädelsführern werden zielstrebig weitergeführt.

Bei Auswärtsspielen des 1. FC Union sollte eine verstärkte Einbeziehung der Veranstalter in die Vorbereitung und Durchführung erforderlicher Sicherungsmaßnahmen erfolgen.

Außerdem sollte darauf orientiert werden, im Zusammenwirken mit jeweils geeigneten gesellschaftlichen Kräften verstärkt Vorbeugungsgespräche mit bereits angefallenen Personen zu führen. Gleichzeitig sollten größere Anstrengungen unternommen werden, um die Durchführung koordinierter, wirksamer gesellschaftlicher Erziehungsmaßnahmen seitens der Clubleitung des 1. FC Union, der Jugendorganisation, des Elternhauses, der Schule und in der Berufsausbildung der betreffenden Jugendlichen und weiterer geeigneter gesellschaftlicher Kräfte zu gewährleisten.

In den Konzentrationspunkten dieser betreffenden Jugendlichen, besonders aber in den Stadtbezirken Lichtenberg, Köpenick und Treptow, sollten unter Leitung der Kreisvorstände des DTSB und der Kreisleitungen der FDJ kontinuierlich gemeinsame Beratungen mit Vertretern staatlicher Organe und gesellschaftlicher Organisationen mit der Zielstellung durchgeführt werden, Maßnahmen zur Erhöhung der ideologischen Wirksamkeit und der Verbesserung der vorbeugenden Tätigkeit unter diesen negativ-dekadenten Jugendlichen aus dem Anhang des 1. FC Union Berlin (siehe dazu Anlage) durchzusetzen.

Anlage zur Information Nr. 599/77

Aufstellung negativ-dekadenter Jugendlicher aus dem Anhang des 1. FC Union Berlin, die Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begingen

Stadtbezirk Lichtenberg

[Namentliche Aufstellung von 45 männlichen Personen mit Berufsangabe und Adresse; aufgrund der Bestimmungen des StUG nicht wiedergegeben.]

Berlin-Köpenick

[Namentliche Aufstellung von 24 männlichen Personen mit Berufsangabe und Adresse; aufgrund der Bestimmungen des StUG nicht wiedergegeben.]

Stadtbezirk Treptow

[Namentliche Aufstellung von 15 männlichen Personen mit Berufsangabe und Adresse; aufgrund der Bestimmungen des StUG nicht wiedergegeben.]

  1. Zum nächsten Dokument Unberechtigtes Verlassen der Transitstrecke durch zwei Franzosen

    10. Oktober 1977
    Information Nr. 618/77 über das unberechtigte Verlassen der Transitwege zwischen der BRD und Berlin (West) durch zwei französische Staatsbürger am 19.9.1977

  2. Zum vorherigen Dokument Lesung des Schriftstellers Klaus Schlesinger in der ESG Berlin (1)

    5. Oktober 1977
    Information Nr. 619/77 über eine vorgesehene Lesung des Schriftstellers Klaus Schlesinger vor der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Berlin