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Bevölkerungsreaktionen zu den Preiserhöhungen in der ČSSR

4. August 1977
Information Nr. 514/77 über Reaktionen der Bevölkerung der DDR im Zusammenhang mit den in der ČSSR vorgenommenen Preisveränderungen bei Einzelhandelspreisen

Seit dem Inkrafttreten der Veränderungen von Einzelhandelspreisen in der ČSSR sind von den Passkontroll- und Zollorganen der DDR an der Staatsgrenze zur ČSSR keine Veränderungen im Verkehrsdurchlauf und in der Ausfuhr von Waren festgestellt worden. Die Anzahl der Einreisen von ČSSR-Bürgern entspricht im Wesentlichen den Werten des gleichen Zeitraumes des Vorjahres.

Nach dem MfS vorliegenden Informationen ist einzuschätzen, dass die Diskussionen unter der DDR-Bevölkerung über Veränderungen der Einzelhandelspreise in der ČSSR das Stimmungsbild insgesamt nur unwesentlich beeinflussen. Das bezieht sich auf alle Bevölkerungsschichten.

In den bisher bekannt gewordenen Meinungsäußerungen aus verschiedenen Kreisen der Bevölkerung der DDR ist erkennbar, dass von einem Teil der Bürger die Preisveränderungen in der ČSSR als der wirtschaftlichen Lage in der ČSSR entsprechende notwendige Maßnahmen eingeschätzt werden.

Dabei wird als positiv hervorgehoben, dass Erzeugnisse für Kinder nicht in die Preiserhöhung einbezogen wurden und neben den Preissteigerungen auch wesentliche Preissenkungen erfolgten. Teilweise wurden Vergleiche mit der Preissituation in der DDR angestellt, wobei zum Ausdruck gebracht wird, dass es eine gute Sache ist, dass trotz steigender Weltmarktpreise die Verbraucherpreise für Kaffee und Baumwollerzeugnisse in der DDR stabil geblieben sind. Verschiedentlich wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Preisveränderungen in der ČSSR nicht »unser Problem« wären.

Vereinzelt wird befürchtet, dass die Veränderungen der Einzelhandelspreise in der ČSSR in Bezug auf bestimmte Artikel starke Belastungen des Einzelhandels in der DDR nach sich ziehen könnten. In diesem Zusammenhang wurden auch Spekulationen bekannt, wonach zukünftig die Umtauschsätze für Zahlungsmittel bei Reisen in die ČSSR erhöht werden müssten.

In Einzelmeinungen wird darauf verwiesen, dass die Senkung der Preise einiger Waren in der ČSSR in keinem Verhältnis zur Erhöhung der Preise für andere Waren stehe.

Neben diesen Meinungsäußerungen zu den Maßnahmen in der ČSSR gibt es in allen Bevölkerungskreisen Diskussionen und Spekulationen über eine mögliche bzw. bevorstehende Preiserhöhung in der DDR. Verbreitet wird die Meinung vertreten, dass bestimmte Direktiven der Partei- und Staatsführung der DDR zur Einsparung von Kaffee, Kakao und Kakaoerzeugnissen sowie Südfrüchten und anderen Produkten der Anfang umfangreicher Sparmaßnahmen seien. In diesem Zusammenhang wird relativ weitverbreitet die Meinung geäußert, dass auch in der DDR mit Preiserhöhungen zu rechnen sei. Bisher bekannt gewordene Äußerungen, in denen konkrete Spekulationen und Gerüchte zum Ausdruck kommen, traten nur in geringem Umfang auf. Sie beinhalten im Wesentlichen solche »Argumente« wie:

  • Erhöhung der Preise für Kaffee, Kakao, Tabakwaren und Alkohol (möglicherweise bereits ab 1.9.1977),

  • Anhebung der Mieten und Fahrpreise,

  • Verteuerung aller Importwaren, insbesondere von Schuhen und Lederwaren (ab 1.1.1978),

  • Einführung von Benzinmarken,

  • Erhöhung der Preise für Zement, Holz u. a. Baumaterialien für Privatbauten,

  • Streichung der staatlichen Subventionen und Anhebung der Preise für bestimmte Bekleidungsartikel.

In Einzelmeinungen wird u. a. zum Ausdruck gebracht:

  • Ein interner Beratungsgegenstand der letzten Treffen des Genossen Breschnew mit Repräsentanten anderer sozialistischer Staaten seien die Entwicklung der Weltmarktpreise und die entsprechend zu treffenden Maßnahmen gewesen. Die ČSSR habe mit Preiserhöhungen den Anfang gemacht; andere sozialistische Länder würden folgen.

  • Die Krise des Kapitalismus beeinflusse in immer stärkerem Maße auch die Wirtschaftslage in den sozialistischen Staaten und es sei zu bezweifeln, dass die DDR ihre bisherige Preispolitik aufrechterhalten könne.

  • Die jüngste Entwicklung in der ČSSR deutet darauf hin, dass auch die Beschlüsse des IX. Parteitages der SED über die Beibehaltung stabiler Verbraucherpreise in der DDR1 nicht voll realisiert werden könnten.

  • In der DDR würden notwendige Preiserhöhungen auf Umwegen durch »schleichende Preiserhöhungen« vorgenommen.

  • Die sozialistischen Staaten ständen vor der Notwendigkeit, die Höhe der Solidaritätsaufkommen2 und die finanzielle Unterstützung westlicher kommunistischer Parteien neu zu überdenken und die freiwerdenden Mittel für die eigene Bevölkerung zu nutzen.

In Einzelfällen wurde bekannt, dass DDR-Bürger in Kaufhallen und Einzelgeschäften größere Mengen Kaffee aufkauften.

  1. Zum nächsten Dokument Reaktionen auf Westreisen von staatskritischen Künstlern

    8. August 1977
    Hinweise über Reaktionen progressiver Kulturschaffender zur Reisetätigkeit negativer Kunst- und Kulturschaffender in nichtsozialistische Staaten [Bericht K 3/15]

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch 25.7.–31.7.1977

    3. August 1977
    Information Nr. 513/77 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 25. Juli 1977 bis 31. Juli 1977