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Suizid einer Ostberlinerin und eines Westberliners (2)

25. März 1977
Information Nr. 148b/77 über den unnatürlichen Tod einer DDR-Bürgerin und eines Einwohners von Berlin (West)

Am 7.3.1977 wurden im Ergebnis von Ermittlungshandlungen der DVP – ausgelöst durch eine Anzeige der Mutter der DDR-Bürgerin Varschen, Marlis, wegen asozialer Lebensweise gemäß § 249 StGB – die Bürgerin der DDR, Varschen, geb. [Geburtsname], Marlis, geb. am [Tag] 1951, wohnhaft gewesen: 110 Berlin-Pankow, [Adresse], und der Einwohner von Berlin (West), Krause, Dieter, geb. am [Tag] 1953 in Berlin, wohnhaft gewesen: Berlin (West)-Neukölln, [Adresse], in der verschlossenen Wohnung der Varschen leblos aufgefunden. Der unverzüglich herbeigerufene Arzt der Dringlichen Medizinischen Hilfe stellte den Tod beider Personen fest. (Der Tod ist durch Einnahme einer Überdosis Schlaftabletten und durch Einatmen von Leuchtgas eingetreten; aus drei geöffneten Gasventilen strömte unverbranntes Leuchtgas aus. Die männliche Person hatte außerdem versucht, sich mit einem Küchenmesser die Pulsadern zu öffnen.)1

Die in diesem Zusammenhang zu Krause eingeleiteten Überprüfungen ergaben, dass er bis zum 7.3.1972 in Falkensee, [Adresse], wohnhaft war und am Abend des gleichen Tages die DDR ungesetzlich nach Westberlin verlassen hat. Beim Versuch der Einreise in die DDR wurde er festgenommen und am 19.9.1974 durch das Kreisgericht Nauen zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug wegen ungesetzlichem Grenzübertritt (§ 213 StGB)2 verurteilt. Nach Verbüßung eines Teils seiner Freiheitsstrafe wurde er am 11.6.1975 aus der DDR ausgewiesen.3 Er hatte während seiner Strafverbüßung um Übersiedlung zu seinem in Berlin (West) lebenden Vater ersucht.

Krause war fast ständig in Westberlin arbeitslos und geriet dadurch in Konflikte zu den sozialen Verhältnissen in Westberlin, die durch die Unterbringung in sogenannten Sozialwohnungen noch verstärkt wurden. Aufgrund dieser auswegslosen Lage litt er unter starken Depressionen und setzte sich wiederholt durch Alkohol und Drogen in einen Rauschzustand.

Krause lernte im Dezember 1975 bei der Einreise in die Hauptstadt der DDR, Berlin, die Varschen kennen. Die Varschen hatte 1976 einen Antrag auf Eheschließung mit Krause gestellt und um Übersiedlung nach Berlin (West) ersucht, was in beiden Fällen abgelehnt wurde.

Weiterhin stellte die Varschen am 11.1.1977 einen schriftlichen Antrag auf Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR beim Rat des Stadtbezirks Pankow, Abteilung Innere Angelegenheiten. Der Antrag wurde in einem Gespräch mit der Varschen am 2.2.1977 abgelehnt.

Gegen den Krause wurde am 4. Dezember 1976 wegen Anstiftung der Varschen zum ungesetzlichen Verlassen der DDR die Einreisesperre ausgesprochen.

Seit Dezember 1976 trafen sich beide Personen mehrfach in der VR Polen. In diesem Zusammenhang wurde auch festgestellt, dass Krause Reisen im Transitverkehr zwischen Berlin (West) und der VR Polen vorsätzlich zum ungesetzlichen Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ausnutzte, um sich mit der Varschen zu treffen, so auch im Zusammenhang mit seinem Auffinden in der Wohnung der Varschen.

Aus der sichergestellten Korrespondenz des Krause an die Varschen ist u. a. ersichtlich, dass Krause sich am 6.1.1977 wegen der für ihn bestehenden Einreisesperre an die »Beschwerdestelle« des Westberliner Senats und am 20. Januar 1977 in gleicher Angelegenheit schriftlich an den Bundeskanzler der BRD wandte. Im Auftrag des Bundeskanzlers wurde ihm diesbezüglich u. a. mitgeteilt: »… der Bundeskanzler lässt Ihnen für Ihren Brief vom 20.1.1977 danken. Er bringt Ihrem Anliegen viel Verständnis entgegen. Ich habe das Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen gebeten, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Dabei werden im Einvernehmen mit der Berliner Senatskanzlei alle geeigneten Maßnahmen geprüft, um Ihnen zu helfen.«

Der nichtnatürliche Tod des Krause wurde am 9.3.1977 durch die Generalstaatsanwaltschaft der DDR ohne Bekanntgabe des Vorliegens einer Selbsttötung dem Senat von Berlin (West) mitgeteilt.

Falls es notwendig werden sollte, möglichen Reaktionen des Senats von Berlin (West) bzw. anderen Stellen entgegenzutreten, wird vorgeschlagen, auf der Grundlage der in der Anlage befindlichen Darstellung in geeigneter Form zu antworten.

Anlage zur Information Nr. 148b/77

Unnatürlicher Tod des Einwohners von Berlin (West), Krause, Dieter, geb. am [Tag] 1953

Am Montag, dem 7.3.1977, wurde der Einwohner von Berlin (West), Krause, Dieter, geb. am [Tag] 1953, wohnhaft gewesen: Berlin (West) 44-Neukölln, [Adresse], in 110 Berlin-Pankow, [Adresse], tot aufgefunden.

Krause war wegen krimineller Delikte in der DDR vorbestraft und wurde am 11.6.1975 vorzeitig aus dem Strafvollzug der DDR nach Westberlin ausgewiesen. Nach der Ausweisung erfolgte Einreisen in die Hauptstadt der DDR, Berlin, nutzte Krause, um Bürger der DDR zu Rechtsverletzungen, insbesondere zu ungesetzlichen Grenzübertritten, anzustiften. Nach der daraufhin ausgesprochenen Einreisesperre nutzte er Reisen zwischen Berlin (West) und der VR Polen mehrfach zum ungesetzlichen Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR, Berlin, so auch zum Zeitpunkt seines Auffindens in der Wohnung einer ihm bekannten Bürgerin der DDR.

Krause war fast ständig arbeitslos und geriet dadurch zunehmend in Konflikte zu den sozialen Verhältnissen in Westberlin, die sich durch die Unterbringung in sogenannten Sozialwohnungen noch verstärkten. Aufgrund dieser auswegslosen Lage litt er unter starken Depressionen und setzte sich wiederholt durch Alkohol und Drogen in einen Rauschzustand.

Ausgehend von der von ihm persönlich offenkundig nicht zu bewältigenden Lage in Westberlin hat sich Krause – unter der Einwirkung von Drogen und Alkohol – im Zustand einer zeitweiligen Bewusstseinsstörung das Leben genommen. Wie die Ermittlungen ergaben, ist er an einer CO-Vergiftung (Stadtgas) gestorben. (Die Bekannte des Krause, die Bürgerin der DDR Varschen, Marlis, wohnhaft gewesen in 110 Berlin, [Adresse], hat nach Rückkehr in ihre Wohnung und dem Auffinden des leblosen Krause durch das Einnehmen einer Überdosis Schlaftabletten, offenbar im Ergebnis einer Kurzschlussreaktion, ebenfalls Selbsttötung verübt.)

  1. Zum nächsten Dokument Probleme der Durchsetzung einer Einreisesperre an der GÜST Gerstungen

    28. März 1977
    Information Nr. 192/77 über die Verleumdung der Tätigkeit der Grenzkontrollorgane der DDR an der Grenzübergangsstelle Gerstungen im Zusammenhang mit der Zurückweisung eines BRD-Bürgers

  2. Zum vorherigen Dokument Fragebögen der US-Botschaft an Mitarbeiter des DDR-Dienstleistungsamtes

    23. März 1977
    Information Nr. 182/77 über die Ausgabe von Fragebögen durch die Botschaft der USA in der DDR an dort tätige Bürger der DDR