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Vorhaben zum Jahrestag des 17. Juni in Westdeutschland und -berlin

13. Juni 1977
Information Nr. 396/77 über geplante feindliche Handlungen und Aktivitäten anlässlich des 17. Juni 1977

Nach dem MfS vorliegenden internen und offiziellen Hinweisen beabsichtigen besonders rechtskonservative, extremistische und entspannungsfeindliche Kräfte, den 17. Juni 19771 zur Hetze und zu Provokationen gegen die DDR zu nutzen.

Die geplanten feindlichen Aktivitäten sollen unter Bezugnahme auf die KSZE-Folgekonferenz in Belgrad2 unter der demagogischen Losung des »Kampfes um die Durchsetzung der Menschenrechte« in der DDR und in anderen sozialistischen Staaten durchgeführt werden und konzentrieren sich nach bisher vorliegenden Erkenntnissen insbesondere auf Westberlin.

Die CDU der BRD und ihre Jugendorganisation »Junge Union« beabsichtigen am 16. Juni 1977 in Westberlin eine gegen die DDR gerichtete Hetzveranstaltung in Form eines sogenannten Gedenkmarsches vom Wittenbergplatz mit abschließender Hetzkundgebung auf dem Konrad-Adenauer-Platz durchzuführen. Als Hauptredner sind der CDU-Bundesvorsitzende Kohl, der Landesvorsitzende der Westberliner CDU, Lorenz, sowie der Bundesvorsitzende der »Jungen Union«, Wissmann, bzw. dessen Stellvertreter, Brok, vorgesehen. Die ca. 14 000 CDU-Mitglieder Westberlins sind zur Teilnahme an der Hetzveranstaltung aufgerufen worden.

Ebenfalls am 16. Juni 1977 tagen in Westberlin der Bundesvorstand und der »Deutschlandrat«3 der »Jungen Union«. Auf diesen Beratungen soll u. a. ein »Papier zur Lage der Nation« verabschiedet werden. Am gleichen Tag sind weiterhin Flugblattverteilungen und Straßendiskussionen in allen Westberliner Stadtbezirken vorgesehen.

Am 17. Juni 1977 sind in Westberlin Kranzniederlegungen unter Beteiligung führender Politiker Westberlins vorgesehen, u. a. entlang der Staatsgrenze der DDR im Westberliner Bezirk Wedding.

Der Bundesvorstand der »Jungen Union« hat alle Mitglieder der Landesverbände der BRD und des Westberliner Landesverbandes aufgefordert, an der Hetzveranstaltung in Westberlin teilzunehmen. Westberliner CDU-Kreise erwarten die Teilnahme von ca. 1 000 Mitgliedern der »Jungen Union« aus der BRD.

Die Zeitungen des Springer-Konzerns hatten bereits im März 1977 unter Hinweis auf diese geplante Hetzkundgebung am 16. Juni 1977 eine »Sternfahrt« der »Jungen Union« über die Transitwege der DDR (Straße) nach Westberlin analog der Provokation vom 13. August 1976 angekündigt.4 (Am 13. August 1976 waren wegen feindlich-negativer Handlungen im Zusammenhang mit dem Transitmissbrauch 12 Kraftomnibusse mit 437 Insassen und 3 Personenkraftwagen mit 12 Insassen in die BRD zurückgewiesen worden.)5

In der Folgezeit wurden besonders in offiziellen Erklärungen führender Politiker der BRD Bestrebungen sichtbar, den Charakter der Anreise als »Sternfahrt« herunterzuspielen.

In jüngster Zeit beschränken sich die Massenmedien der BRD und Westberlins daher darauf, die Teilnehmer an der Westberliner Hetzkundgebung aus dem Bundesgebiet aufzufordern, »individuell« mit Pkw nach Westberlin zu reisen, um »Zwischenfälle« wie am 13.8.19776 zu vermeiden.

Nach internen Hinweisen aus CDU-Kreisen soll auf Reisen in Reisebussen und in Reisegruppen verzichtet werden; die Anreise der Kundgebungsteilnehmer aus der BRD soll auch nach diesen Hinweisen »individuell« erfolgen.

Trotz der offensichtlichen Versuche, nicht mehr von einer »Sternfahrt« zu sprechen und auf eine »individuelle« Anreise der Kundgebungsteilnehmer aus der BRD zu orientieren, kann jedoch die Organisierung von Provokationen und anderen feindlichen Aktivitäten gegen die Ordnung und Sicherheit an der Staatsgrenze der DDR zur BRD und zu Westberlin sowie auf den Transitwegen der DDR in der Zeit um den 17.7.19777 nicht ausgeschlossen werden.

Zu beachten ist weiter, dass gerade in diesen Zeiträumen mit einem hohen Verkehrsaufkommen auf den Transitwegen der DDR – besonders Straße – zu rechnen ist. (Langes Wochenende, Beginn der Schulferien in Westberlin und in einigen Bundesländern.) Der Umfang des zu erwartenden grenzüberschreitenden Reise- und Transitverkehrs für den Zeitraum vom 16.6. bis 19.6.1977 geht aus der Anlage zu dieser Information hervor.

Bundeskanzler Schmidt hat die Absicht, am 17. Juni 1977 im Bundestag eine Regierungserklärung »zur Lage im geteilten Deutschland« abzugeben.8

Durch CDU-Generalsekretär Geißler wurden die Landes- und Kreisverbände seiner Partei aufgefordert, am 17. Juni 1977 »Gedenkstunden« zu veranstalten.

Des Weiteren sind eine Reihe von Hetzveranstaltungen und andere gegen die DDR gerichtete Aktivitäten besonders von rechten, rechtsextremistischen und revanchistischen Kräften wie der CDU, den sogenannten Vertriebenenverbänden und der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS9 vorgesehen.

Die »VOS« will im Zusammenhang mit einem »großen Juniorentreffen« am 17.6.1977 in Heilbronn (Baden-Württemberg) dort und in anderen Städten der BRD sogenannte Informationsstände errichten, mit deren Hilfe eine gegen die DDR gerichtete »Protestbriefkampagne« mit der Forderung nach Freilassung in der DDR inhaftierter Personen ausgelöst werden soll.10

Der im März 1977 gegründete »Bund Mitteldeutscher Jugend« (BMJ) plant vom 17. bis 19. Juni 1977 in Bad Oeynhausen eine »Bundestagung« durchzuführen11 (zum Vorstand des BMJ gehören u. a. die Personen Kappelt, Olaf, und Moldenhauer, Bernd, die maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung von gegen die DDR gerichteten Hetzschriften – Ballonaktionen im Januar und März 197712 beteiligt waren). Im Rahmen der Tagung ist eine Hetzkundgebung mit anschließendem Fackelzug vorgesehen. An der Tagung sollen u. a. teilnehmen:

  • Otto von Habsburg, Präsident der »Internationalen Paneuropa-Union«13

  • Ludek Pachmann, »Dissident« aus der ČSSR

  • Heinrich Köppler, stellv. Bundesvorsitzender der CDU und Mitglied des Zentralkomitees der »Deutschen Katholiken«

  • Peter W. Höffkes, Mitglied der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands14 und Mitglied des Bundestages

  • Joachim Dorenburg, Staatssekretär, Präsident des »Bundes der Mitteldeutschen«15

  • Rainer Hildebrand, Leiter der »Arbeitsgemeinschaft 13. August«.16

Die Teilnehmer an der »Bundestagung« werden am 18. Juni 1977 der Gründung für den Trägerverein eines »Oskar-Brüsewitz-Zentrums« als »Dokumentations- und Informationszentrum für aktive Menschenrechts- und Deutschlandpolitik«17 beiwohnen. (Die Gründung dieser gegen die DDR gerichteten feindlichen Einrichtung soll erfolgen, obwohl seitens des Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR, der Magdeburger Kirchenleitung, der Witwe des Brüsewitz sowie einiger Kirchenpersönlichkeiten in der BRD dagegen protestiert wurde.) An der Schaffung eines »Oskar-Brüsewitz-Zentrums« will sich auch die »VOS« beteiligen.

Das MfS hat entsprechende Maßnahmen zur Aufklärung, Bekämpfung und Verhinderung feindlicher Handlungen, besonders an der Staatsgrenze der DDR zur BRD und Westberlins, auf den Transitwegen der DDR und an den Grenzübergangsstellen zur BRD und Westberlins eingeleitet.

Anlage zur Information Nr. 396/77

Umfang des zu erwartenden grenzüberschreitenden Reise- und Transitverkehrs für den Zeitraum vom 16.6. bis 19.6.1977

Ausgehend vom Umfang des grenzüberschreitenden Verkehrs in vergleichbaren Zeiträumen der Jahre 1975 und 1976 und unter Berücksichtigung der diesjährigen Besonderheiten, in dem

  • der in der BRD und Westberlin als »Feiertag« geltende 17.6.18 auf einen Freitag fällt und damit ein »langes Wochenende« eingeleitet wird,

  • am 16.6.1977 in Westberlin sowie in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen die Schul-Sommerferien beginnen,

ist damit zu rechnen, dass im Zeitraum vom 16.6. bis 19.6.77 ca. 120 000–130 000 Personen (28 000–32 000 Kfz) aus nichtsozialistischen Staaten und mit ständigem Wohnsitz in Westberlin in die DDR einreisen und ca. 280 000–290 000 Personen (ca. 100 000–110 000 Kfz) im Transitverkehr zwischen der BRD und Westberlin durch die DDR reisen werden, davon ca. 105 000–110 000 Personen (ca. 35 000–40 000 Kfz) in der Verkehrsrichtung BRD-Westberlin und ca. 175 000–180 000 Personen (ca. 65 000–70 000 Kfz) in der Verkehrsrichtung Westberlin-BRD.

Bei den im Zeitraum vom 16.6. bis 19.6.1977 zu erwartenden Einreisen von ca. 120 000–130 000 Personen (28 000–32 000 Kfz) aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin handelt es sich um ca. 47 000–52 000 Personen (10 000–12 000 Kfz) mit ständigem Wohnsitz in Westberlin, ca. 58 000–61 000 (15 000–17 000 Kfz) Bürger der BRD, ca. 15 000–17 000 (ca. 3 000 Kfz) Bürger anderer nichtsozialistischer Staaten.

Am 17. Juni 1977 werden ca. 38 000–43 000 Personen (10 000–12 000 Kfz) aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlins in die DDR einreisen, davon ca. 12 000–14 000 Personen mit ständigem Wohnsitz in Westberlin, ca. 22 000–24 000 Bürger der BRD und ca. 4 000–5 000 Bürger anderer nichtsozialistischer Staaten.

Im Transitverkehr zwischen der BRD und Westberlin werden sich die zu erwartenden 280 000–290 000 Personen (ca. 100 000–110 000 Kfz) wie folgt auf die einzelnen Tage im Zeitraum vom 16.6. bis 19.6.1977 verteilen:

Tag

Gesamttransit zwischen der BRD und Westberlin

davon in der Verkehrsrichtung BRDWB

[davon in der Verkehrsrichtung] WBBRD

Donnerstag 16.6.1977

ca. 80 000–83 000
(31 000–33 000)

23 000–24 000
(7 000–8 000)

57 000–59 000
(24 000–25 000)

Freitag 17.6.1977

ca. 79 000–81 000
(30 000–33 000)

29 000–30 000
(11 000–12 000)

50 000–51 000
(19 000–21 000)

Sonnabend 18.6.1977

58 000–60 000
(20 000–22 000)

19 000–20 000
(7 000–8 000)

39 000–40 000
(13 000–14 000)

Sonntag 19.6.1977

63 000–66 000
(19 000–22 000)

34 000–36 000
(10 000–12 000)

29 000–30 000
(9 000–10 000)

Gesamt:

280 000–290 000
(100 000–110 000)

105 000–110 000
(35 000–40 000)

175 000–180 000
(65 000–70 000)

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    13. Juni 1977
    Information Nr. 397/77 über die Überprüfung von Behauptungen der Westpresse über einen angeblichen Selbstmordversuch einer DDR-Bürgerin

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