Direkt zum Seiteninhalt springen

Westliche Pressemeldungen zur Ausreiseangelegenheit einer Arztfamilie

25. April 1977
Information Nr. 268/77 über die Ergebnisse der Überprüfungen zu Veröffentlichungen der Westpresse »SED verweigert Arztfamilie die Ausreise«

Die Überprüfungen des MfS zu den in der Westpresse (»Welt«, »BZ« und »Berliner Morgenpost« vom 22.4.1977) veröffentlichten Artikeln unter der Überschrift »Die SED verweigert Arztfamilie die Ausreise«1 haben ergeben:

Bei der genannten Familie handelt es sich um die DDR-Bürger Bachmann, Paul (39), geb.: [Tag] 1938, Beruf: Krankenpfleger, zuletzt tätig gewesen als Krankenpfleger im Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau, wohnhaft: Halle-Neustadt, [Adresse], dessen Ehefrau Dr. med. Bachmann, Helga (41), geb.: [Tag] 1935; Beruf: Facharzt für Allgemeinmedizin, zuletzt nicht berufstätig (bis 27.7.1976 im Rahmen der 2. Facharztausbildung tätig gewesen am Pathologischen Institut des Bezirkskrankenhauses Halle) sowie deren gemeinsamen Kinder Bachmann, [Vorname 1] (19), geb.: [Tag] 1957, Pharmazie-Studentin an der Dr. Martin-Luther-Universität Halle, Bachmann, [Vorname 2] (15), geb.: [Tag] 1961, Schüler, sämtlich wohnhaft wie oben.

Im November 1975 stellte die Dr. Bachmann, Helga, Antrag auf eine Reise in dringenden Familienangelegenheiten zu ihrem in Westberlin lebenden Vater Horst von Unruh (78), mit der Begründung, dass dieser erkrankt sei. (Durchgeführte Überprüfungen ergaben, dass der von Unruh nicht erkrankt war.) Dieser Antrag wurde durch das Bezirkskrankenhaus Halle aufgrund ihrer politisch negativen Einstellung nicht befürwortet und von den zuständigen staatlichen Organen der DDR abgelehnt, da keine Reisegründe gegeben waren.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das Ehepaar Bachmann durch den ständigen Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehsendungen den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR bereits seit Jahren passiv gegenübersteht. Die Ablehnung dieser Reise in dringenden Familienangelegenheiten sowie die etwa zum gleichen Zeitpunkt erfolgte Ablehnung des Studiums für ihre Tochter wurden von der Bachmann – in voller Übereinstimmung mit ihrem Ehemann – zum Anlass genommen, für sich, ihren Ehemann und ihre beiden Kinder am 8.1.1976 bei der Abteilung Inneres des Rates der Stadt Halle-Neustadt [einen Antrag] auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR zu stellen und rechtswidrig um ihre Übersiedlung nach Westberlin zu ersuchen. (Mit dem Ziel, die Argumente der Bachmann bezüglich der Ablehnung des Studiums für ihre Tochter zu entkräften und zu versuchen, sie von dem Übersiedlungsersuchen abzubringen, wurde der Tochter ab 1.9.1976 ein Pharmazie-Studium ermöglicht.) Am 29.6.1976 erfolgte durch die Abt. Inneres des Rates der Stadt Halle-Neustadt die endgültige Ablehnung der rechtswidrigen Übersiedlungsersuchen.

Daraufhin hat sich die Bachmann mit insgesamt vier weiteren Übersiedlungsersuchen an örtliche und zentrale staatliche Organe, u. a. an den Ministerrat der DDR, an das Ministerium des Innern und an den Rat des Bezirkes Halle, gewandt.

Der Vater der Bachmann in Westberlin wurde beauftragt, die ihm vorliegenden Durch- bzw. Abschriften der rechtswidrigen Übersiedlungsersuchen an staatliche Stellen bzw. Behörden in der BRD und Westberlin weiterzuleiten und diese zur »Unterstützung« aufzufordern.

Nach eigenen Angaben des Ehepaares Bachmann verfassten sie gemeinsam mehrere Schreiben, in denen sie die DDR und die Tätigkeit ihrer staatlichen Organe diskriminieren. Diese Hetzschriften wurden von ihnen an den Vater der Bachmann in Westberlin mit dem Auftrag versandt, sie an den Bundesminister für »innerdeutsche Beziehungen«, Franke, und an den Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Gaus, weiterzuleiten.

Auch der Empfang dieser Hetzschriften und ihre Weiterleitung wurde den Bachmanns durch den Unruh aus Westberlin bestätigt. Im Dezember 1976 entschloss sich das Ehepaar Bachmann, angeregt durch Sendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen, zur Einbeziehung der »Gesellschaft für Menschenrechte e. V.« Frankfurt/M.2 in ihre rechtswidrigen Aktivitäten zur Erlangung der Übersiedlung, wobei sie davon ausgingen, von dieser Organisation eine wirksamere Unterstützung bei der Betreibung ihrer Übersiedlung zu erhalten als durch staatliche Stellen und Behörden der BRD und Westberlin. In diesem Zusammenhang verfassten die Bachmanns am 11.12.1976 gemeinsam ein an die »Gesellschaft für Menschenrechte« gerichtetes »Schreiben«, in welchem sie detailliert über alle Aktivitäten ihres rechtswidrigen Übersiedlungsersuchens und die daraufhin erfolgten Reaktionen der zuständigen staatlichen Organe der DDR in hetzerischer und die staatlichen Organe der DDR diskriminierender Art und Weise berichteten.

In diesem Schreiben behaupten die Bachmanns unter anderem, dass

  • die Ablehnung ihrer Ausreise einen gegen sie gerichteten »Akt der Unmenschlichkeit« darstelle;

  • aufgrund ihrer ideologischen Einstellung ihre Kinder in der schulischen und beruflichen Entwicklung benachteiligt würden;

  • sie nur als Menschen »dritter Klasse« behandelt würden, gegen sie in »rechtswidriger und entwürdigender Art und Weise« vorgegangen und »Berufsverbot« erwirkt worden sei.

Abschließend fordern Bachmanns in diesem Schreiben – welches ebenfalls über den Vater der Bachmann in Westberlin versandt und nach ihren Angaben von diesem weitergeleitet wurde – die »Gesellschaft für Menschenrechte« auf, ihnen »Rat und Hilfe zukommen zu lassen, denen sie in ihrer hoffnungslosen Lage dringend bedürfen«.

Zum Persönlichkeitsbild der Bachmanns ist festzustellen:

Der Bachmann, Paul, besuchte nach dem Abschluss der 9. Klasse der POS die Medizinische Fachschule Halle und schloss diese mit der Ausbildung als Krankenpfleger ab. In der Folgezeit war er bis zuletzt als Krankenpfleger im Bezirkskrankenhaus Halle tätig. Er war von 1954 bis 1976 Mitglied des FDGB und von 1975 bis 1976 Mitglied der DSF. 1975 wurde er mit der Medaille für ausgezeichnete Leistungen im Gesundheitswesen ausgezeichnet und war 1971 und 1975 Mitglied eines Kollektivs der sozialistischen Arbeit.

Die Ehefrau des Bachmann, Bachmann, Helga, erlernte nach der Ablegung des Abiturs den Beruf einer Krankenschwester, nahm anschließend ein Medizinstudium auf und promovierte zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Seit Anfang 1976 befand sie sich in einer 2. Facharztausbildung zum Facharzt für Pathologie im Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau. Aufgrund ihrer ungenügenden fachlichen Leistungen wurde im Juli 1976 auf Veranlassung des Kreisarztes in Abstimmung mit dem Bezirksarzt die 2. Facharztausbildung abgebrochen. Der Bachmann wurde angeboten, als Facharzt für Allgemeine Medizin am Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau, Bereich Nord, tätig zu werden. Dieses Angebot lehnte sie ab und erschien seit dem 29.7.1976 nicht mehr auf ihrer Arbeitsstelle. Zu mehrmals anberaumten Aussprachen auf ihrer Arbeitsstelle erschien die Bachmann nur einmal, wobei sie in sehr provokatorischer Art und Weise auftrat und unter anderem zum Ausdruck brachte, dass sie »… für diesen Staat nicht mehr arbeiten wird«.

Aufgrund dieser Verhaltensweisen und der hartnäckigen Verweigerung der Arbeitsaufnahme wurde im Ergebnis der Verhandlungen vor der Konfliktkommission am 13.9.1976 ein »Verweis« und am 4.11.1976 ein »strenger Verweis« ausgesprochen. Die Bachmann war zu beiden Verhandlungsterminen nicht erschienen. Am 30.12.1976 wurde sie aus dem Bezirkskrankenhaus Halle fristlos entlassen.3

Zusammenfassend ist einzuschätzen, dass das Ehepaar Bachmann, ausgehend von einer verfestigten feindlich-negativen Grundeinstellung, mit allen Mitteln versucht, rechtswidrig die Übersiedlung nach Westberlin zu erreichen.

Aufgrund der gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichteten Aktivitäten des Ehepaares Bachmann – teilweise im Zusammenwirken mit entsprechenden Organen und Einrichtungen in der BRD und in Westberlin – wurde am 22.4.1977 durch das MfS gegen Bachmann, Paul und Helga, ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.

Bei der im Zusammenhang mit der erfolgten Festnahme des Ehepaares Bachmann durchgeführten Hausdurchsuchung wurden Durchschriften bzw. Abschriften der bereits erwähnten Schreiben nach Westberlin und an die »Gesellschaft für Menschenrechte« aufgefunden und sichergestellt.

Die Untersuchungen werden durch das MfS fortgesetzt.

  1. Zum nächsten Dokument Unbefugter Waffenbesitz eines Pfarrerssohnes

    25. April 1977
    Information Nr. 269/77 über Feststellungen des unbefugten Waffenbesitzes durch den [Name, Vorname 1], 19 Jahre, Sohn des evangelischen Pfarrers [Name, Vorname 2], wohnhaft [Ort]

  2. Zum vorherigen Dokument Tagung der Synode der Landeskirche von Berlin-Brandenburg

    23. April 1977
    Information Nr. 258/77 über die Tagung der Synode der Evangelischen Landeskirche von Berlin-Brandenburg vom 15.4. bis 19.4.1977 in Berlin-Weißensee, Stephanus-Stift