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Organisierter Diebstahl von Silber im EAW Treptow

2. Februar 1981
Information Nr. 62/81 über die Ergebnisse der weiteren Untersuchungen des organisierten Diebstahls von Silber im Kombinat VEB EAW Treptow zum Zwecke der Spekulation durch Bürger der DDR und der Volksrepublik Polen

Im Ergebnis der Untersuchungen der Diebstahlshandlungen im Kombinat VEB EAW Treptow1 wurden zwischenzeitlich (seit November 1980) weitere Feststellungen zu diesen Handlungen, vor allem zu den sie begünstigenden Bedingungen und Umständen getroffen.

Dabei ist – ergänzend zu den in der Information vom 25. November 1980 (Nr. 550/80) getroffenen Feststellungen – vor allem Folgendes hervorzuheben: Zurzeit werden gegen elf Personen Ermittlungsverfahren (zehn mit Haft, eine ohne Haft) durchgeführt.

Nach bisherigen Aussagen der Täter wurden etwa 70 kg Silber (im Wert von ca. 400 TM; berechnet auf der Grundlage des Silberpreises der DDR – per November 1980 mit 6,10 Mark/Gramm) aus dem Stammbetrieb des Kombinates VEB EAW Treptow entwendet und – außer sichergestellten 17 kg Silber – überwiegend nach Westberlin verbracht. (Es handelt sich dabei um Industriesilber, bestehend aus einer Legierung ca. 90 % Silber und 10 % Cadmium; diese Legierung findet Verwendung in Form von Kontaktplatten/Chips2 bei der Produktion von Schaltgeräten/Relais.)

Wie die Untersuchungen ergaben, haben die Täter die ihnen bekannten, ihre Diebstahlshandlungen begünstigenden Bedingungen und Umstände weitestgehend ausgenutzt.

Für diese begünstigenden Bedingungen und Umstände sind vor allem kennzeichnend:

  • Die Auslieferung von Silber in die Produktionsbereiche und zwischen ihnen erfolgt ohne Quittung;

  • Verantwortliche der Produktionsbereiche haben keinen Überblick über im Verantwortungsbereich befindliche Silberbestände;

  • die Stückzahlkontrolle von silberbestückten Zwischenprodukten bei der Übergabe/Übernahme zwischen Produktionsbereichen fehlt;

  • Fehlbestände von silberbestückten Zwischenprodukten in der Endmontage werden im vorgelagerten Produktionsbereich (Galvanik) als im Galvanikbad verloren gegangen kritiklos anerkannt;

  • die Lagerung der silberbestückten Zwischenprodukte erfolgt entgegen bestehenden betrieblichen Weisungen offen, auf Gängen, Lagern und Betriebshof, für jeden Werksangehörigen zugänglich.

Dazu im Einzelnen:

Nach der (belegmäßig nachweisbaren) Auslieferung des Rohmaterials (Industriesilber) an das sogenannte Zwischenlager (umgitterter Blechschrank; Aufbewahrung von Industriesilber für mehrere Tagesproduktionen) erfolgt dessen Verarbeitung über mehrere Produktionsstufen (Hochfrequenzlöterei, Galvanik, Endmontage) ohne exakte Nachweisführung des Verbrauchs an Industriesilber und der daraus gefertigten silberbestückten Zwischenprodukte.

Der in der HF-Löterei befindliche Silberschrank ist nach bisherigen Feststellungen zumindest während der Arbeitszeit unverschlossen und für jedermann zugänglich. Abteilungsleiter und Meister haben keinen Überblick über die täglichen Entnahmen und den Verbrauch an Industriesilber.

In der Galvanik objektiv im technologischen Prozess (Galvanikbad – Versilberung von Teilen) auftretende Verluste werden als Vorwand und zur Verschleierung für erst in der nachfolgenden Verarbeitungsstufe – der Endmontage – festgestellte Fehlmengen an silberbestückten Zwischenprodukten genutzt.

Trotz vorhandenem Belegwesen (Werkauftragsschein wird im Rahmen des jeweiligen Arbeitsauftrages durch sämtliche Produktionsbereiche weitergeleitet) erfolgt bei Übernahme/Übergabe der einzelnen Werkaufträge zwischen den vorgenannten Produktionsbereichen keine zahlenmäßige Nachkontrolle der laut Werkauftrag zu übergebenden Stückzahlen.

Erst in der Endmontage (Schaltmontage) werden während der Montage die »Fehlmengen« konkret festgestellt.

Zur Sicherung des kontinuierlichen Ablaufs in der Endmontage werden diese sogenannten Fehlmengen dann der Vorfertigungsstufe (Galvanik) angelastet und diese zugleich veranlasst, im Interesse der Planerfüllung diese nachzuliefern, was dann auch stets erfolgte.

Aufgrund der Duldung dieser jahrlangen Praktiken war letztendlich nicht mehr gewährleistet, dass die verantwortlichen Bereichsleiter, Abteilungsleiter, Meister und Brigadiere in allen genannten Produktionsbereichen (HF-Löterei, Galvanik, Endmontage, sogenanntes Zwischenlager) den exakten Überblick über die in ihrem Verantwortungsbereich vorhandenen Silberbestände bzw. über die zur Bearbeitung befindliche Anzahl silberbestückter Zwischenprodukte hatten.

Aufgrund dieser Tatsachen ist einzuschätzen, dass im Kombinat VEB EAW Treptow entgegen der im Edelmetallgesetz der DDR enthaltenen Bestimmungen für die Leiter von Kombinaten/Betrieben zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung beim Umgang mit Edelmetallen und auch entgegen der Edelmetallverordnung des Kombinates gehandelt wurde und auf diese Weise die »umfangreichen Silberdiebstähle« begünstigt wurden.3

Die Täter nutzten beim Verbringen des Diebesgutes außerdem das völlig unzureichende Kontrollsystem an drei Eingängen des Stammbetriebes des Kombinates VEB EAW Treptow.

Dabei ist Folgendes bedeutsam:

Das früher angewandte Kontrollsystem (Einzelkontrolle beim Passieren der Werkeingänge bei gleichzeitiger Betätigung eines Kontrollzählers/optische Anzeige bei Mitnahme von Materialien) wurde 1970 aufgehoben. Es erfolgt nur in der Zeit von 16.00 bis 16.30 Uhr am Haupttor eine Kontrolle der Werksangehörigen.

Das ungenehmigte Verlassen des Betriebes während der Arbeitszeit (im Prinzip ebenfalls unkontrolliert) wird geduldet.

Es besteht die Möglichkeit, dass auch Werksangehörige den für An- und Auslieferungen bestimmten Werkzugang (Tor III) des Stammbetriebes unkontrolliert passieren können.

Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Silberdiebstähle wurden außerdem seit mehreren Jahren begangene weitere Diebstahlshandlungen zum Nachteil sozialistischen Eigentums festgestellt.

Den bisher vorliegenden Hinweisen zufolge haben die Täter – ebenfalls in Kenntnis des völlig unzureichenden Kontrollsystems – Steckdosen, Kabel, Motore, Bohrmaschinen, Polyester- und Kupferplatten aus dem Lager entwendet und aus dem Stammbetrieb verbracht.

Zur Begehung dieser Diebstahlshandlungen wurden solche begünstigenden Umstände ausgenutzt, wie

  • die Ausgabe von Materialien ohne Quittung,

  • der Einlass nicht zutrittsberechtigter Werksangehöriger in die Bereiche der Lagerverwaltung,

  • die unkontrollierte Materialentnahme,

  • die ungenügende Sicherung der Lagerräume,

  • die Nichterfassung von Lagerbeständen (Polyesterplatten, Elektromotore).

Im Verlauf der Untersuchungen wurden auch Feststellungen getroffen, wonach im Kombinat VEB EAW Treptow wertvolle Materialien des Betriebes für sogenannte Privatproduktionen – Herstellung von Flurgarderoben, Kupferkessel u. a. Gegenstände – verwandt wurden. Zur Aufklärung des vollen Umfanges werden noch weitere Überprüfungsmaßnahmen durchgeführt.

Es wird vorgeschlagen, im Zusammenwirken mit den zuständigen Parteiorganen, der ABI und weiteren gesellschaftlichen Kräften komplexe Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit und damit zur Beseitigung der die Straftaten begünstigenden Bedingungen und Umstände im Kombinat VEB EAW Treptow durchzuführen.

Die Untersuchungen zur Aufklärung des Gesamtumfanges der Rechtsverletzungen und ihrer Ursachen werden intensiv fortgesetzt.

  1. Zum nächsten Dokument Forderung nach Rückerstattung von FDGB-Mitgliedsbeiträgen in Beiersdorf

    3. Februar 1981
    Information Nr. 63/81 über Forderungen mehrerer Werktätiger der Gießerei Beiersdorf des VEB Motorenwerk Cunewalde, [Kreis] Löbau, [Bezirk] Dresden, nach Rückerstattung bereits bezahlter FDGB-Mitgliedsbeiträge

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch (19.1.–25.1.1981)

    29. Januar 1981
    Information Nr. 49/81 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 19. Januar 1981 bis 25. Januar 1981