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Ungenehmigtes Straßenmusikfestival in Leipzig

[ohne Datum]
Information Nr. 288/89 über eine als Straßenmusikfestival bezeichnete nicht genehmigte öffentliche Veranstaltung in Leipzig

Nach dem MfS dazu vorliegenden Hinweisen organisierten und popularisierten hinlänglich bekannte feindliche, oppositionelle Kräfte aus Leipzig, so Mitglieder des personellen Zusammenschlusses »Initiativgruppe Leben«1 (Organisatoren des verhinderten sogenannten Pleißemarsches am 4. Mai 19892 und weiterer provokatorisch-demonstrativer öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten) und der maßgeblich als Organisator der bekannten Vorkommnisse am 12. Januar 1989 in Leipzig im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg3 in Erscheinung getretene ehemalige Student am Theologischen Seminar Leipzig, Läßig,4 seit Anfang des Jahres 1989 ein Straßenmusikfestival in der Innenstadt von Leipzig. Dieses, für den 10. Juni 1989 vorgesehene Festival wurde im Rahmen von Zusammenkünften personeller Zusammenschlüsse, während kirchlicher Veranstaltungen, durch Verteilung selbstgefertigter Handzettel und durch Flüsterpropaganda DDR-weit bekannt gemacht. Ferner wurde darüber über den Westberliner Sender »Hundert,6«5 informiert. Nach weiter vorliegenden Hinweisen sollen darüber auch Gespräche durch DDR-Bürger während ihres Aufenthaltes zu Pfingsten in Prag mit Jugendlichen aus der ČSSR geführt worden sein mit dem Ziel, letztere zu einem Besuch bzw. einer direkten Teilnahme als Musiker an der geplanten Veranstaltung zu initiieren.

Ausgehend von der Tatsache, dass feindliche, oppositionelle Kräfte das geplante Straßenmusikfestival für Aktivitäten in ihrem Sinne zu missbrauchen beabsichtigten (u. a. Proteste gegen den Bau von Kernkraftwerksanlagen) und dass damit im Zeitraum des Staatfindens des Pressefestes der »Leipziger Volkszeitung« und der Eröffnung der Gartenbauausstellung »agra«6 eine Konzentration solcher Kräfte im Zentrum von Leipzig gegeben wäre, die weitergehende spontane provokatorisch-demonstrative Handlungen nicht ausschließen ließe, wurde diese Veranstaltung in Abstimmung mit der Partei nicht genehmigt. Darüber wurden die Organisatoren Mitte des Monats Mai 1989 durch die zuständigen staatlichen Stellen schriftlich und mündlich in Kenntnis gesetzt.

Ungeachtet dieser staatlichen Entscheidung ließen die Organisatoren erkennen, dass sie trotz gewisser Einschränkungen ihr Vorhaben weiter betreiben, sodass umfangreiche vorbeugende komplexe Maßnahmen zur Unterbindung der geplanten Veranstaltung und zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit in der Innenstadt von Leipzig erforderlich wurden. Im engen Zusammenwirken der Kräfte der territorialen Schutz- und Sicherheitsorgane wurden dazu erneut unter Führung der Partei stehende gesellschaftliche Kräfte zum Einsatz gebracht.

Gegen 10.30 Uhr des 10. Juni 1989 begannen in den Grünanlagen an der Ecke Peters-/Grimmaische Straße im Zentrum Leipzig (trotz Aufforderung zuständiger Kräfte, dies zu unterlassen) insgesamt sechs Musikgruppen zu musizieren. Die Zuhörerschaft umfasste ca. 400 Personen, zumeist Anhänger der auftretenden Gruppen. Die Texte der dargebotenen Musikstücke trugen keinen politisch provozierenden Charakter. Aus diesem Grunde wurde entschieden, die Veranstaltung nicht aufzulösen und keine polizeilichen Maßnahmen durchzuführen. Gegen 13.00 Uhr musizierten noch zwei Gruppen vor Zuschauern, die personellen Zusammenschlüssen oder deren Umfeld zuzurechnen sind. Diese Gruppen fielen durch die Darstellung politisch provozierender Texte und Handlungen auf. Ihr weiteres Auftreten wurde durch Kräfte der DVP unterbunden. In diesem Zusammenhang wurde die Zuführung von insgesamt 18 Personen erforderlich. Der zuschauende Anhang bekundete darauf seine »Solidarität« mit den Zugeführten und rottete sich zu einer Formation von über 100 Personen zusammen, die sich in Richtung Ritterstraße und weiter zur Thomaskirche bewegte. Wiederholten Aufforderungen, auseinanderzugehen und den Handlungsraum zu verlassen, leisteten diese Personen nicht Folge, sodass weitere Zuführungen vorgenommen wurden. Ein Teil dieser Personen hatte vorher, unmittelbar vor Beginn einer kirchlichen Veranstaltung, kurzzeitig die Thomaskirche betreten. Gegen 15.30 Uhr waren die Ansammlung aufgelöst und die öffentliche Ordnung und Sicherheit voll gewährleistet. In den Abendstunden wurden weitere Personen aus dem Kreis der Letztgenannten zugeführt, die sich in losen Gruppen bewegten und provokatorische Texte sangen.

Im Zusammenhang mit der Unterbindung der genannten provokatorisch-demonstrativen öffentlichkeitswirksamen Handlungen wurden insgesamt 84 Personen zugeführt, darunter 54 Personen aus der Hauptstadt Berlin und anderen Bezirken der DDR.

Alle weiblichen Personen wurden bis 1.30 Uhr des 11. Juni 1989 bereits entlassen, bei den restlichen Zugeführten erfolgt das im Verlaufe des Tages. Gegenüber einer Person, die Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen leistete, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Gegenüber 28 Personen wurden differenzierte ordnungsstrafrechtliche Maßnahmen durchgeführt, 55 Personen wurden belehrt und verwarnt.

  1. Zum nächsten Dokument Montagsgebet Nikolaikirche Leipzig

    13. Juni 1989
    Information Nr. 297/89 über provokatorisch-demonstrative Aktivitäten nach dem sogenannten Montagsgebet in der Nikolaikirche Leipzig am 12. Juni 1989

  2. Zum vorherigen Dokument 124. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen

    9. Juni 1989
    Information Nr. 287/89 über die 124. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR vom 2. bis 3. Juni 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin