Direkt zum Seiteninhalt springen

Ungesetzliches Verlassen der DDR, Chefarzt

17. Januar 1989
Information Nr. 12/89 über das ungesetzliche Verlassen der DDR unter Missbrauch einer Dienstreise nach Westberlin durch den Chefarzt der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses Berlin, Prof. Dr. sc. med. Fuhrmann

Nach vorliegenden Hinweisen hat MR Prof. Dr. sc. med. Fuhrmann, Kurt (52), geb. am 5. Juli 1936, wohnhaft gewesen [Straße, Nr.], Berlin 1115, tätig gewesen als Chefarzt der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses Berlin, Mitglied der SED seit 1956,1 die DDR unter Missbrauch eines dienstlichen Aufenthaltes in Westberlin ungesetzlich verlassen und ist zzt. unbekannten Aufenthaltes.

(Prof. Dr. Fuhrmann führte im Rahmen eines Vertrages mit dem Medizinischen Dienst des Verkehrswesens seit Januar 1987 wöchentliche Sprechstunden an der Poliklinik West der Deutschen Reichsbahn in Westberlin durch. Zu diesem Zweck reiste er am 21. Dezember 1988 mit seinem Pkw nach Westberlin und kehrte bisher nicht in die DDR zurück.)

In einem vom 21. Dezember 1988 datierten und in Westberlin abgeschickten Brief an seine Ehefrau kommt zum Ausdruck, dass Prof. Dr. Fuhrmann mit der Innenpolitik der DDR – im Gegensatz zur Außenpolitik – nicht einverstanden ist (sie sei »unbeweglich« und »eingefroren«) In diesem Zusammenhang verweist er auf Auseinandersetzungen mit der »Administration« des Oskar-Ziethen-Krankenhauses.2

Die bisher geführten Untersuchungen, insbesondere zur Herausarbeitung des Motivationsgefüges für die Handlungsweise des Fuhrmann haben ergeben:

In einem im Rahmen der Prüfung von Rückführungsmaßnahmen geführten Gespräch seitens des MfS mit der Ehefrau des Täters brachte Frau Dr. Fuhrmann diesbezüglich ebenfalls zum Ausdruck, dass ihr Gatte im Zusammenhang mit der Rekonstruktion der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses erhebliche Auseinandersetzungen mit der »Administration« des Gesundheitswesens hatte. So seien beträchtliche beantragte Mittel für die Rekonstruktion der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses gestrichen worden. Als sich ihr Ehemann in einer Aussprache Anfang Dezember 1988 darüber empörte, sei ihm die Meinung des Stadtbezirksarztes von Berlin-Lichtenberg, Dr. Dusold,3 zur Kenntnis gelangt, er solle »sich doch eine andere Arbeit suchen«.4

Wie der stellvertretende Minister für Gesundheitswesen, Prof. Dr. Bodo Schönheit,5 in einem seitens des MfS mit ihm geführten Gesprächs äußerte, habe Frau Dr. Fuhrmann ähnliche Äußerungen auch ihm gegenüber im Rahmen eines Gesprächs über die Handlungsweise ihres Ehemannes am 24. Dezember 1988 gemacht. Im Verlaufe der Unterhaltung behauptete sie, dass ihr Ehemann – Prof. Dr. Fuhrmann – nach der Aussprache Anfang Dezember 1988 völlig verändert, verschlossen und niedergeschlagen gewesen sei.6

In weitergehenden Untersuchungen konnten die Angaben der Frau Dr. Fuhrmann bezüglich der Äußerungen von Stadtbezirksarzt Dr. Dusold nicht bestätigt werden. In diesem Zusammenhang wurden folgende Probleme bekannt:

Prof. Dr. Fuhrmann hatte mit Übernahme seiner Funktion im Oskar-Ziethen-Krankenhaus erhebliche Schwierigkeiten. Es wird eingeschätzt, dass er auch seinen politischen Auftrag, die Lage in der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses zu stabilisieren, nicht erfüllt hat und mit den dortigen, komplizierten Bedingungen nicht zurechtkam.7

Wesentlichster Gegenstand der Auseinandersetzungen mit ihm waren seine überhöhten Forderungen nach Bewilligung von Mitteln für die Rekonstruktion der Frauenklinik, die nicht im Einklang mit den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten standen. (Die Realisierung seiner Vorschläge hätte den Einsatz von ca. 10 bis 12 Mio. Mark Investitionsmitteln erfordert.) Darüber wurden mit ihm vonseiten der Partei und staatlicher Leiter mehrere Aussprachen geführt.

Durch die Nichtbewilligung der Mittel in der von ihm geforderten Höhe sah sich Prof. Dr. Fuhrmann auch in seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang gibt es Hinweise, dass er von seinen zahlreichen Reisen in nichtsozialistischen Ländern, insbesondere von den in dortigen Krankenhäusern und wissenschaftlichen Instituten vorgefundenen Verhältnissen sehr beeindruckt war.8

Wie weiter bekannt wurde, sei Prof. Dr. Fuhrmann mit solchen nicht zu realisierenden Forderungen nach Bewilligung von finanziellen Mitteln in massiver Form auch auf der Berichtswahlversammlung seiner Parteiorganisation im Herbst 1988 aufgetreten, wodurch er deren Verlauf maßgeblich geprägt haben soll. Die Genossen der zuständigen Parteileitung sollen in Auswertung der Berichtswahlversammlung Überlegungen angestellt haben, ob Prof. Dr. Fuhrmann aufgrund seines Verhaltens und Auftretens für die Wahrnehmung seiner staatlichen Funktion noch geeignet sei. (Es sei vorgesehen gewesen, mit ihm weitere Aussprachen zu führen.)

Die besonders Ende des Jahres 1988 festgestellte Unzufriedenheit des Prof. Dr. Fuhrmann mit seinen Arbeitsbedingungen stand offensichtlich auch im Zusammenhang mit der im Oskar-Ziethen-Krankenhaus vorhandenen komplizierten und angespannten Gesamtsituation. So hat Prof. Dr. Fuhrmann wiederholt seine Unzufriedenheit auch mit der schlechten Versorgung mit Arzneimitteln, medizinischen Verbrauchsmaterialien und medizinisch-technischen Geräten zum Ausdruck gebracht.

[Passage mit schutzwürdigen Interessen nicht wiedergegeben]

Zum Persönlichkeitsbild:

Prof. Dr. Fuhrmann ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Schwangerendiabetes und war u. a. zeitweilig als Konziliararzt im Regierungskrankenhaus sowie in den USA tätig.

Aufgrund seines überdurchschnittlichen Wissens und Engagements innerhalb seines Fachgebietes verstand er es, fachlich-wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen, die national und international starke Beachtung fanden.

Nach dem Besuch der ABF hatte Fuhrmann an der Humboldt-Universität zu Berlin Medizin studiert und dieses Studium 1962 mit dem Staatsexamen sowie der Promotion erfolgreich abgeschlossen. Seine Promotion B verteidigte er 1983 mit ausgezeichneten Ergebnissen.

Nach dem Studium war er in verschiedenen medizinischen Einrichtungen einschließlich des Medizinischen Dienstes der Deutschen Volkspolizei im Range eines Majors tätig.

Während seiner Tätigkeit im VP-Krankenhaus Berlin von 1965 bis 1970 schloss Dr. Fuhrmann seine Facharztausbildung als Facharzt für Gynäkologie und Geburtenhilfe ab und übernahm die Funktion eines Oberarztes der Frauenklinik des VP-Krankenhauses.

Von 1971 bis 1973 übte er eine Tätigkeit im Ministerium für Gesundheitswesen, Abteilung Internationale Beziehungen, zuerst als Arbeitsgruppen- und später als Sektorenleiter aus.

In der Folgezeit arbeitete er zum Zwecke seiner Qualifizierung und Spezialisierung als Oberarzt in der Frauenklinik des Krankenhauses Berlin-Kaulsdorf, bis er dann im Jahre 1977 zum Chefarzt und Leiter der Klinik für Geburtenhilfe am Zentralinstitut für Diabetes in Karlsburg, Bezirk Rostock, berufen wurde.

Ab 1. Januar 1986 übernahm Prof. Dr. Fuhrmann die Funktion des Chefarztes der Frauenklinik im Krankenhaus Berlin-Kaulsdorf, ehe mit Wirkung vom 1. April 1988 seine Berufung in die Funktion des Chefarztes der Frauenklinik des Oskar-Ziethen-Krankenhauses Berlin-Lichtenberg erfolgte.

Die Motive für den Wechsel des Fuhrmann von Karlsburg nach Berlin bestanden, neben fachlich-inhaltlichen Gründen, vor allem in dem persönlichen Wunsch der Rückkehr zu »normalen« Familienverhältnissen, da seine Ehefrau als hochspezialisierte Augenärztin im Klinikum Berlin-Buch keine außerhalb der Hauptstadt gelegene adäquate Arbeit aufnehmen konnte.9

Zudem hatte sich bei ihm der Wunsch zum Erwerb eines Hauses in Berlin bzw. in der nahen Umgebung entwickelt.

Zwischen den angeführten Tätigkeiten hat Prof. Dr. Fuhrmann verschiedene Auslandseinsätze, Kongressbesuche und Studienaufenthalte in den USA, Österreich, Belgien, der BRD, Kenia sowie im Nahen Osten durchgeführt, die vor allem der Weiterqualifizierung auf seinem Fachgebiet dienten. So war er z. B. in Fortsetzung seiner jahrelangen wissenschaftlichen Studien bzw. Forschungen auf dem Gebiet der Schwangerendiabetes und auf der Grundlage einer Einladung US-amerikanischer Wissenschaftler von September 1983 bis Dezember 1984 am Medical Center der Cornell University bzw. der Rockefeller University in New York tätig.

Ab Januar 1987 wurde Prof. Dr. Fuhrmann – wie eingangs bereits angeführt – vom Ministerium für Gesundheitswesen beauftragt, an der Poliklinik West der Deutschen Reichsbahn regelmäßig Sprechstunden durchzuführen. Er erhielt einen Dienstreisepass mit Visum zur mehrmaligen Ausreise und hielt sich seit o. g. Zeitpunkt ein bis zwei Mal wöchentlich in Westberlin auf.10

Auch auf gesellschaftspolitischem Gebiet war Prof. Dr. Fuhrmann, der aus einer kinderreichen Familie stammt, sehr aktiv tätig. Er übte z. B. bereits während seines Studiums die Funktion eines FDJ-Sekretärs und Mitgliedes des Sekretariats der Kreisleitung der FDJ an der Humboldt-Universität aus und war in der Folgezeit als gewählter Parteifunktionär der SED auf Parteigruppen- und APO-Ebene wirksam. Ihm wurden bei der Ausübung sowohl seiner fachlichen als auch gesellschaftspolitischen Tätigkeit eine hohe Arbeitsmoral, Engagement, parteiliche Haltung sowie ein sachlicher und beharrlicher Leitungsstil bescheinigt. U. a. setzte sich Prof. Fuhrmann konsequent mit negativen Erscheinungen auseinander.11

Der Fuhrmann ist seit 1959 mit Fuhrmann, [Geburtsname, Vorname] verheiratet.

Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor. Seine Ehefrau ist als Fachärztin für Augenheilkunde/Oberärztin in der Augenklinik des Klinikums Berlin-Buch beschäftigt.

Die materielle Situation der Familie kann als sehr gut eingeschätzt werden, das monatliche Einkommen des Fuhrmann und seiner Ehefrau beträgt ca. 5 000 Mark. Die Familie verfügt u. a. über drei Pkw.12

Die Untersuchungen zur Herausarbeitung weiterer Faktoren im Zusammenhang mit dem ungesetzlichen Verlassen der DDR durch Fuhrmann, zur Feststellung des konkreten Aufenthaltsortes sowie zur Prüfung von Rückführungsmaßnahmen werden fortgeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Charismatische Gemeindeerneuerungsbewegung

    17. Januar 1989
    Information Nr. 23/89 über beachtenswerte Gesichtspunkte im Zusammenhang mit Versuchen der Etablierung einer sogenannten Charismatischen Gemeindeerneuerungsbewegung in der DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Verfahren zur Herstellung von Gardinen

    16. Januar 1989
    Weiterer Hinweis im Zusammenhang mit der Entwicklung eines neuen Verfahrens zur Herstellung von Gardinen [Bericht K 1/199]