Direkt zum Seiteninhalt springen

Schäden durch Handraketen der NVA in Westdeutschland

25. August 1971
Information Nr. 772/71 über das Ergebnis der Überprüfung eines Protestes des Bundesgrenzschutzkommandos Mitte über auf westdeutschen Gebiet durch den Abschuss von Handraketen der NVA-Grenztruppen entstandenen Gebäudeschaden am 22. Juli 1971

Am 27.7.1971, um 16.50 Uhr, lief beim Rat des Bezirkes Erfurt ein Fernschreiben des Bundesgrenzschutzes mit folgendem Inhalt auf:

»An den Rat des Kreises Erfurt mit der Bitte weiterzuleiten an Kommandeur des Grenzkommandos Süd Erfurt Herrn Generalmajor Lorenz1

Am 22.7.1971, 07.30 Uhr, schossen Angehörige Ihres Grenzkommandos aus der Gegend nördlich Großburschla Leichtmetallhülsen mit Propagandazetteln auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

Zehn Hülsen durchschlugen neun Scheiben eines Gewächshauses einer an der Werra liegenden Gärtnerei südlich Altenburschla und gefährdeten zwei Frauen sowie vier Kinder, die sich zu diesem Zeitpunkt im Gewächshaus aufhielten. Ich protestiere gegen diese Personen und Sachen auf dem Gebiet der BRD gefährdenden Maßnahmen und erwarte, dass sie künftig unterbleiben.

Grenzschutzkommando Mitte | Kommandeur«

Die Überprüfungen dieses Sachverhaltes durch die zuständigen Organe des MfS im Zusammenwirken mit dem Grenzkommando Süd, Erfurt, führten zu folgendem Ergebnis:

Auf der Grundlage der Anordnung 2 des Chefs der Grenztruppen hatte der Kommandeur des Grenzkommandos Süd der NVA, Gen. Generalmajor Lorenz, die Weisung erteilt, bis zum 25. Juli 1971 eine Aktion der Spezialpropaganda in der Hauptrichtung Bad Hersfeld/BRD durchzuführen.

Mit der Durchführung dieser Aktion wurde der Oberinstrukteur für Spezialpropaganda des Grenzregimentes 1, Mühlhausen, Gen. Hauptmann Loth,2 beauftragt.

Aufgrund günstiger Windverhältnisse (Richtung Süd-West) entschloss sich Hauptmann Loth, diese Aktion am 22.7.1971, um 7.00 Uhr im Abschnitt der Grenzkompanie Großburschla, Kreis Mühlhausen, Bezirk Erfurt, durchzuführen.

Als Standort des Abschusses der Flugblatt-Handraketen wählte L. einen Abschnitt ca. 1 000 m westlich der Ortschaft Großburschla. Dieser Abschnitt war 25 m von der Staatsgrenze, die in diesem Grenzabschnitt der Fluss Werra ist, entfernt.

Bei der Aktion wurden insgesamt 240 Handraketen abgeschossen. Bis zu Beendigung der Aktion kam es im Grenzvorfeld zur BRD zu keinen Vorkommnissen.

Bei den verwendeten Handraketen handelt es sich um eine Aluminiumhülse mit Plastehandgriff. Die Handrakete hat eine Länge von 25 cm. Der Auslösemechanismus ist so konstruiert, dass die Handrakete ca. 300 bis 400 m in die Höhe steigt, die Flugblätter ausstößt und die Hülse zur Erde zurückfällt. Bei gradlinigem Aufprall der Hülse bei Rückkehr zur Erde dringt diese auf relativ lockerem Boden bis zu ca. 10 cm in die Erde ein.

Aufgrund der dadurch gegebenen Möglichkeit, dass die leere Hülse der Handrakete Personen- und Sachschaden verursachen kann, ist grundsätzlich angewiesen, die Handraketen nur so zu verschießen, dass die leere Hülse auf das Territorium der DDR zurückfällt.

Bei der Durchführung der Aktion der NVA-Grenztruppen vom 22.7.1971 bemerkte Hauptmann Loth, dass mehrere Handraketen die Staatsgrenze der DDR zur BRD in diesem Grenzabschnitt überflogen. Als Ursache wurde die unterschiedliche Zündung der in der Handrakete eingebauten zwei Zündkanäle festgestellt.

Trotz dieser Feststellung, die entsprechend den bestehenden Weisungen die sofortige Einstellung der Aktion erforderte, entschloss sich Hauptmann Loth zu deren Fortsetzung. Als Begründung für diesen Entschluss führte er an, dass im Grenzvorfeld der BRD keinerlei gegnerische Bewegungen, Veränderungen oder Vorkommnisse festgestellt wurden.

Im Ergebnis dieser Feststellungen und der Verstöße gegen bestehende Weisungen des Chefs der Grenztruppen ist einzuschätzen, dass die auf das Territorium der BRD gefallenen Hülsen der Handraketen an einem 300 m im westlichen Vorfeld gelegenen Gebäude Sachschaden verursachten und Personen gefährden konnten.

Durch den Chef des Grenzkommandos Süd wurden Maßnahmen zur Auswertung dieses Vorkommnisses und der Verhinderung weiterer Zwischenfälle eingeleitet.

Maßnahmen der technischen Untersuchung der Ursachen der unterschiedlichen Zündung der Handraketen wurden eingeleitet.

  1. Zum nächsten Dokument Havariegeschehen in Industrie seit 1968

    25. August 1971
    Information Nr. 893/71 über einige Entwicklungstendenzen im Brand- und Havariegeschehen in der Industrie der DDR (seit dem Explosionsunglück mit Katastrophencharakter im VE Chemiekombinat Bitterfeld im Juli 1968)

  2. Zum vorherigen Dokument Mobilmachungsübung »Prüffeld 71«

    17. August 1971
    Information Nr. 827/71 über Mängel und Schwächen in der politisch-militärischen Führungs- und Leitungstätigkeit der Kommandeure des Militärbezirkes III während der Mobilmachungsübung »Prüffeld 71«