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Probleme in der Materialwirtschaft und der Metallindustrie

11. März 1961
Bericht Nr. 125/61 über einige Probleme in der Materialwirtschaft und bei Überplanbeständen an Grundmaterial in der metallverarbeitenden Industrie und der Arbeitsweise im Produktionsmittelgroßhandel

Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen erscheint es notwendig, auf einige Erscheinungen in der Materialwirtschaft und bei der Bestandsentwicklung von Überplanbeständen hinzuweisen.

Zur Arbeitsweise des Produktionsmittelgroßhandels

Die Wahrnehmung der Aufgaben und Kontrollfunktionen für eine geordnete Materialwirtschaft durch den staatlichen Produktionsmittelgroßhandel weist durch ideologisch-politische Schwächen des Mitarbeiterstabes, finanzpolitische und planmethodische Bestimmungen sowie durch Inkonsequenzen in der Anwendung des Vertragsgesetzes eine Reihe von wesentlichen Mängeln auf.

Das Hauptproblem in der Organisierung der Materialwirtschaft und Beseitigung der Überplanbestände besteht im ungeordneten Zusammenwirken zwischen dem zentralen Staatsapparat (Staatliche Plankommission), den Industriezweigleitungen (WB) und VEB (Z), sowie der Koordinierung zwischen den staatlichen Versorgungskontoren (Staatliches Metall- bzw. Maschinenkontor und anderen Kontoren) mit dem Staatlichen Vermittlungskontor zur Vermeidung von Überproduktion in bestimmten Planpositionen bzw. zur Verhinderung von unnötigem Materialverbrauch. Es besteht zzt. kein staatlich geregelter Verfahrensweg, mit welchem besonders die Erscheinungen der Überproduktion auf operativem Wege bereinigt werden. Dies macht sich z. B. in der ungenügenden Zusammenarbeit zwischen dem Staatlichen Vermittlungskontor mit dem Staatlichen Metallkontor bzw. Staatlichen Maschinenkontor in den Fragen der sortimentsgerechten Versorgung der volkseigenen Betriebe und damit in der Bekämpfung der Überplanbestände bemerkbar. So könnten bei einer operativen Arbeitsweise beider Kontore bei bestimmten Erzeugnisgruppen freie Produktionskapazitäten ermittelt und diese anderen Produktionsaufgaben zugeführt werden.

Die bisher vom Staatlichen Metallkontor entwickelte Arbeitsweise entsprechend der AO vom 5.11.1959 ist unzureichend. Das Staatliche Metallkontor begnügt sich z. B. mit dem Sammeln von Angebotskarten (F 30) und der Organisierung von Submissionen in Zusammenarbeit mit interessierten VVB. Dadurch erfolgt auf derartigen Submissionen nur eine Umverteilung von Grundmaterial, welches die Betriebe freiwillig abgeben. Es besteht jedoch keine Übersicht und es werden keine Kontrollen organisiert, die Auskunft über vorhandene, von den Betrieben nicht angebotene aber meldepflichtige und kontingentierte Materialien geben können. Dem Metallkontor sind zwar die Überplanbestände bekannt, jedoch besteht ein Widerspruch zwischen den in den Umlaufmittelnachweisen ausgewiesenen Werten an Überplanbeständen und den angebotenen Materialien lt. Angebotskarten (F 30). Die Kontrolltätigkeit des Metallkontors erfolgt in der Regel ohne Beteiligung der zuständigen Parteiorgane, ohne Einbeziehung der örtlichen Organe oder der zuständigen Kreditinstitute. Dabei werden meist nur oberflächlich die vorhandenen Überplanbestände (wertmäßig) erfasst, sodass keine konkreten Maßnahmen zum Abbau der Bestände getroffen werden konnten (Übersicht nach Planpositionen lt. Schlüsselliste fehlt).

Das Staatliche Maschinenkontor wies im III/60 die Versorgungskontore für Maschinenbauerzeugnisse in den Bezirken an, monatlich in einem Betrieb eine Bestandskontrolle durchzuführen. Der Rat des Bezirkes Halle – Wirtschaftsrat – lehnte eine Teilnahme an der Kontrolle mit der Begründung ab, dass sie ihre Materialkontrollen in »eigener Regie« durchführen. Der Leiter der Abteilung Industrie beim Wirtschaftsrat Erfurt, Laube, lehnte eine Aussprache über die Beteiligung bei Kontrollen überhaupt ab.

Die durch die Versorgungskontore für Maschinenbauerzeugnisse durchgeführten Bestandskontrollen bestätigen durchweg, dass die Betriebe die geltenden gesetzlichen Bestimmungen missachten oder diese im betriebsegoistischem Sinne ausnutzen (§ 3 (6) der AO vom 5.11.1959). Das wird durch folgende Faktoren bewiesen:

  • 1.

    Die durchgeführten Materialsubmissionen zeigen Widersprüche zwischen den statistisch auf Formblatt M 46 ausgewiesenen über dem Richtsatzplan liegenden Beständen und den auf Formblatt F 30 angebotenen Materialien.

  • 2.

    Zwischen den Betrieben erfolgen laufend illegale Tauschaktionen mit nicht unerheblichen Beständen, wodurch eine volkswirtschaftliche Kontrolle über den Materialverbrauch und den Materialfluss in der Volkswirtschaft wesentlich eingeschränkt wenn nicht gar unmöglich gemacht wird. Ursache der Tauschaktion bilden u. a.: nicht sortimentsgerechte Materialplanung, laufende Änderung in der Produktionsplanauflage u. a.m.

  • 3.

    Starkstromanlagenbaubetriebe traten wiederholt durch gesetzwidrige Materialangebote auf, indem sie Materialabgabelisten an die verschiedensten Betriebe der DDR schickten, ohne vorheriges Angebot an ihre VVB bzw. die bezirklichen Versorgungskontore des staatlichen Produktionsmittelgroßhandels.

  • 4.

    Der VEB Starkstromanlagenbau Berlin verkaufte sogar Engpassmaterialien unter Missachtung bestehender Verordnungen und Anordnungen, ohne Genehmigung der zuständigen Organe an den privaten Sektor.

Die bestehenden planmethodischen und finanzpolitischen Bestimmungen bewirken zzt. noch keine genügende Orientierung an den Produktionsmittelgroßhandel für die Sicherung der laufenden und sortimentsgerechten Versorgung der volkseigenen Betriebe.

Der Kultur- und Sozialfonds wird unabhängig von der Planerfüllung mit l,5 % der geplanten Lohnsumme gebildet; der Betriebsprämienfonds kann bei entsprechender Übererfüllung des Umsatzplanes bis zu 6,5 % der geplanten Lohnsumme betragen, wovon 2,5 % nur durch Umsatzplanübererfüllung dem BPF zugeführt werden können. Prämien zum Zeitlohn für das Lager- und Transportpersonal sind auf eine Umsatzplanerfüllung orientiert und können bis zu 20 % der geplanten Lohnsumme betragen. Aus diesen Faktoren, deren Auswirkungen weiter unten näher zu erläutern sein werden, ist erkennbar, dass die Planungskennziffern des Umsatzes als Grundlage für die wirtschaftliche Tätigkeit des Produktionsmittelgroßhandels und für die Planung und Abrechnung ungeeignet ist.

Der sozialistische Wettbewerb zwischen den Versorgungskontoren ist auf eine maximale Umsatzplanerfüllung orientiert, deren Ziel nach Informationen hauptsächlich in der Erlangung hoher Prämien und Mittelzuführung zum sozialen Fonds besteht. Zur Überwindung dieser Erscheinungen wurde bereits durch Hinweise des MfS im Staatlichen Maschinenkontor eine Arbeitsgruppe gebildet, die Maßnahmen zur Beseitigung derartiger Widersprüche ausarbeitet.

Der Drang nach möglichst großer Umsatzplanerfüllung wirkt sich in der wirtschaftlichen Tätigkeit der Versorgungskontore etwa folgendermaßen aus: Ein Schönebecker Produktionsbetrieb bietet auf der Angebotskarte (F 30) 40 Stück einer Wälzlagertype an. Das Versorgungskontor Magdeburg nimmt das Angebot an und stellt bei der Überprüfung fest, dass derselbe Betrieb über die gleiche Wälzlagertype noch 43 Stück an fälligen Bestellungen zu laufen hat. Bei Anlieferung der Überplanbestände von 40 Stück per Lkw an das Versorgungskontor Magdeburg wurden weitere drei Stück hinzugeladen und diese 43 Stück Wälzlager als Lieferung des Versorgungskontors Magdeburg an den Schönebecker Betrieb aufgrund der vorliegenden Bestellungen zurückgesandt.

Der Fachgebietsleiter für Wälzlager im Versorgungskontor Magdeburg äußerte sich dazu, dass es sich bei der Wälzlagerbereitstellung um keinen Ausnahmefall handelt, sondern derartige Erscheinungen den Regelfall darstellen. Auf eine entsprechende Anfrage, warum derartige Erscheinungen nicht unterbunden werden, z. B. durch Stornierung laufender Bestellungen, wurde die Antwort erteilt: »Wir müssen ja schließlich Umsatz machen.«

Eine weitere Erscheinung beeinflusst die Handelstätigkeit des Produktionsmittelgroßhandels. Bei Bestandskontrollen beschränkten sich die Versorgungskontore ausschließlich auf sog. Engpassmaterialien, bei welchen sie selbst Schwierigkeiten in der Versorgung ihrer Bedarfsträger haben und unter dem Druck der Vertragsgerichte stehen. Jedoch an der Erfassung von Materialien, die sie selbst ausreichend am Lager halten, ist der Produktionsmittelgroßhandel nicht interessiert, da er Gefahr läuft, selbst Überplanbestände anzuhäufen, die er durch Sonderkredite finanzieren müsste. Die hohen Zinsen belasten das Betriebsergebnis, da diese mit in die Kosten eingehen. Die Auffassung der Versorgungskontore (z. B. Dresden), Bestandskontrollen über Materialien nicht durchzuführen, die in ausreichendem Maße in den Betrieben lagern, ist unzutreffend. Darauf weisen zahlreiche Verschrottungsanträge der Betriebe bei den Vermittlungskontoren hin, die jahrelang lagerndes, nicht mehr benötigtes bzw. verwendungsfähiges Material zur Verschrottung freigegeben haben wollen.

Außerdem ist damit verbunden, dass bei Übernahme der Überplanbestände durch die Versorgungskontore diese selbst sog. Überplanbestände anhäufen und kostenmäßig durch die Übernahme »noch bestraft« werden (siehe vorigen Abschnitt).

Damit werden die Bestände als wertgeminderte Ware an das Vermittlungskontor übergeben. Gelingt diesem Organ nicht, eine nutzbringende Verwendungsmöglichkeit zu finden, so erfolgt zum gegebenen Zeitpunkt nur noch der Weg der Verschrottung.

Die Versorgungskontore lehnen die Übernahme von Überplanbeständen aufgrund eigener Bestände ab, die zur Folge haben, dass beim Staatlichen Vermittlungskontor immer wieder Überplanbestände an bestimmten Warenpositionen auftauchen, die weder wertgemindert noch gebraucht sind und sich in der laufenden Produktion befinden. Der Absatz derartiger Erzeugnisse bereitet dem Vermittlungskontor große Schwierigkeiten. So lagern zzt. im Vermittlungskontor seit sechs Monaten 19–20 000 Stück Rundfunkröhren (PCC 85). Diese Type wird im Funkwerk Erfurt produziert. Der Produktionsplan dieses Werkes sieht eine Jahresproduktion von 116 000 Stück vor, aber 1/6 der Jahresproduktion liegt originalverpackt und unverbraucht als wertgeminderte Ware im Vermittlungskontor. Ein Angebot an das Funkwerk Erfurt, diese Bestände zu übernehmen, blieb bisher erfolglos. Aus den Erfahrungen des Vermittlungskontors erfolgt bei derartigen Beispielen meist eine Ablehnung zu Fragen der Übernahme mit der Begründung, dass die Produktion vertraglich gebunden sei, die Übernahme zu einer Erhöhung der Bestände führen würde und damit im Produktionsbetrieb ebenfalls Überplanbestände auftreten würden.

Ursachen der Entwicklung von Überplanbeständen in der Industrie

In der metallverarbeitenden Industrie lagern zzt. umfangreiche Überplanbestände, so u. a. im Bereich der Staatlichen Plankommission – Maschinenbau/Abteilung Schwermaschinenbau – ca. 153,2 Mio. DM an Grundmaterial. Als Ursachen dieser Erscheinung wurden folgende Feststellungen getroffen:

  • 1.

    In den Betrieben erfolgt eine ungenügende, oftmals überhaupt keine Zusammenarbeit von Konstruktion, Technologie und Materialversorgung.

  • 2.

    In den Fällen, in denen effektiv der Produktionsplan den Materialanforderungen zugrunde gelegt ist, wird dies bei eintretenden Planänderungen in der Produktionsbeauflagung von der Materialdisposition ignoriert. Die Möglichkeit der Vertragsänderung lt. Vertragsgesetz wird kaum beachtet oder angewendet.

  • 3.

    Ungenügende Qualifikation in den Leitungen der Abteilungen Materialversorgung, das Unvermögen, sich in der Aufgabenstellung mit der Produktionsplanung, Technologie und Konstruktion zu koordinieren, inkonsequente Haltung zur Ausarbeitung technisch begründeter Materialverbrauchsnormen und ökonomisch vertretbarer Vorratsnormen.

  • 4.

    In den Abteilungen Materialversorgung bestehen durch Mängel in der Führung der Materialdispositionskartei keine klaren Übersichten der eigenen Materiallager und keine körperliche Kontrolle der vorhandenen Bestände.

    So konnte im Versorgungskontor Dresden und Magdeburg festgestellt werden, dass Überplanbestände angeboten werden, aber für diese Positionen gleichzeitig von den entsprechenden Betrieben dem Versorgungskontor Vertragsstrafen wegen Nichtauslieferung berechnet wurden.

  • 5.

    Ungenügende Organisierung des Sparsamkeitsregimes durch die Mobilisierung der Initiative der Werktätigen und Hebung der sozialistischen Arbeitsmoral. So wurde durch das Versorgungskontor für Maschinenbauerzeugnisse Dresden eine unverantwortliche Vergeudung von Schneidwerkzeugen in einer Reihe von Betrieben festgestellt. Bohrer wurden nach einmaligem Gebrauch nicht mehr nachgeschärft, sondern auf den Schrotthaufen gegeben.

Die in der betreffenden Anordnung festgelegte Rechenschaftslegung der Werkleiter oder seiner Bevollmächtigten vor dem Werkskollektiv über den Kampf um die Verringerung der Überplanbestände wird in der Praxis nicht durchgeführt. Darüber hinaus ist der Kampf um die Einbeziehung der Werktätigen um den sparsamsten Materialverbrauch und die Verringerung der Überplanbestände noch nicht im erforderlichen Umfang durch die Werkleitungen organisiert.

Aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse wäre es u. E. zweckmäßig, folgende Möglichkeiten zur Veränderung der geschilderten Situation auf ihre Durchführbarkeit zu überprüfen.

  • 1.

    Zu dem teilweise unbegründet hohen Materialvorräten und der anzutreffenden unübersichtlichen Materialwirtschaft in den Betrieben, in den zwischenbetrieblichen Beziehungen und der Arbeitsweise zwischen den Materialversorgungskontoren wäre es günstig, wenn auf dem 12. Plenum des ZK1 der Partei zu diesem Problem Stellung genommen werden könnte mit dem Ziel, an alle Betriebe die Aufforderung zu richten, durch eine Überprüfung der Bestände und Schaffung einer besseren Ordnung in der Materialhaltung bzw. Materialbuchhaltung Materialreserven zu erschließen und nutzbar zu machen.

  • 2.

    Die massenpolitische Bewegung von »Gramm und Millimeter« im »Neuen Deutschland« auch in der Richtung mit auszunutzen,2 agitatorisch das Aufspüren von Materialreserven in der Lagerwirtschaft der Großbetriebe zu unterstützen.

  • 3.

    Die Materialleitung und Kontrollfunktion exakter zu fassen und zu bestimmen. In der Periode der Planvorbereitung durch die Organe der Staatlichen Plankommission stärker auf die Komplexität der Pläne Einfluss zu nehmen, insbesondere der Sicherung der Planauflagen und Aufgaben durch entsprechende Material- und Vorratswirtschaft.

  • 4.

    Die Durchsetzung und Organisierung der zwischenbetrieblichen wirtschaftlichen Beziehungen auf der Basis des Vertragsgesetzes verstärkt anzustreben und durchzusetzen.

  • 5.

    Neue Formen der Planung und Abrechnung durch Verwendung von Mengen- und Umsatzkennziffern für die Arbeitsweise der Versorgungskontore durch entsprechende Fachkreise zu entwickeln. Die Finanzbestimmungen zur Steuerung des Systems des materiellen Anreizes für die Arbeitsweise der Versorgungskontore auf seine gegenwärtigen ökonomischen Auswirkungen zu überprüfen. (Neue Form der Fondsbildung, Aufbau und Anlehnung des Prämiensystems an die Planerfüllung.)

Mielke [Unterschrift]

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    14. März 1961
    [Einzel-Information] Nr. 157/61 über Schwierigkeiten im VEB Arzneimittelwerk Dresden (Labor 104)

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    10. März 1961
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