Olympia-Ausscheid und Vorbereitungen der westdeutschen Sportführung
26. August 1964
Einzelinformation Nr. 692/64 über die Olympia-Ausscheidungen und die Vorbereitungen der westdeutschen Sportführung für Tokio
Zuverlässig wurden Äußerungen aus maßgeblichen Kreisen der westdeutschen Sportführung bekannt. Sie betreffen die Ergebnisse der bisherigen Olympia-Ausscheidungen, das weitere Verhalten der westdeutschen Sportführung in der Frage der sogenannten gemeinsamen deutschen Mannschaft1 und ihre Vorbereitungen für Tokio.2 Sie enthalten auch weitere Einzelheiten über die Pläne für ein Bonner Sportministerium.
Maßgebliche Kreise um Daume3 äußerten, sie hätten sich jetzt nach den bisherigen Ergebnissen der Ausscheidungskämpfe damit abgefunden, dass die DDR den Chef de Mission stellt.4 Daume habe dazu prinzipiell klargestellt, dass sich daraus keine Änderung der Haltung der westdeutschen Sportführung in der Frage der sogenannten gemeinsamen deutschen Mannschaft ergeben werde. Gegenüber der Zielsetzung der DDR, angesichts der Schwierigkeiten bei der Bildung dieser Mannschaft zu zwei getrennten Mannschaften zu kommen, halte die westdeutsche Sportführung an der sogenannten Gemeinsamkeit fest, wenn auch die DDR in den internationalen Verbänden selbstständig sei. Die Tatsache, dass die DDR zzt. das Übergewicht in der sogenannten gemeinsamen Mannschaft habe, müsse als »das kleinere Übel« betrachtet werden. Die westdeutsche Sportführung befinde sich hier in voller Übereinstimmung mit der politischen Abstimmung, die mit Außenminister Schröder5 getroffen worden sei.
Einem erneuten Aufnahmeantrag des NOK der DDR für den IOC-Kongress in Tokio sehe Daume mit Gelassenheit entgegen. Er habe bereits von anderen IOC-Mitgliedern die
Gewissheit erhalten, dass auch jetzt das NOK der DDR keine Chance für eine volle IOC-Mitgliedschaft besitze.6
Es bestehe auch keine Gefahr, dass die DDR für den verstorbenen Ritter von Halt7 ein IOC-Mitglied stellen kann.8 Daume habe von Brundage9 die Zusicherung bekommen, dass beim nächsten IOC-Kongress noch keine Nachwahl stattfinde und das IOC sich überhaupt mit der Nachwahl von Mitgliedern Zeit lasse. Vorläufig habe auch das NOK der Bundesrepublik noch keine Vorschläge für ein neues IOC-Mitglied. Daume werde wahrscheinlich diese Frage in Tokio mit anderen IOC-Mitgliedern besprechen und die Bitte äußern, dass ein eventuell von einem sozialistischen Staat gestellter Antrag auf Aufnahme eines Vertreters der DDR gar nicht erst auf die Tagesordnung gesetzt wird.
In der Frage des Chefs de Mission beschäftige sich die westdeutsche Sportführung jetzt vor allem damit, eine »gleichberechtigte Arbeit« des westdeutschen Stellvertreters vorzubereiten und durchzusetzen. Man hoffe, dem Prestigeanspruch des Chefs de Mission vor allem dadurch zu entgehen, dass beide Mannschaftsteile eine gewisse Selbstständigkeit und Eigenständigkeit haben sollen. Alle protokollarischen Fragen sollen nach Möglichkeit bereits vorher in allen Einzelheiten durchdacht und geplant werden. Die früher üblichen Einladungen diplomatischer Vertretungen an Sportler der sogenannten gemeinsamen Mannschaft sollen gar nicht erst ausgesprochen werden. Der Bundespräsident habe sich allerdings vorbehalten, in »reserviert gehaltenen« Glückwunschadressen an DDR-Sportler bei Medaillengewinnen zu betonen, dass sie ihre Erfolge »für Deutschland errungen« hätten.
Um die Arbeit des westdeutschen stellvertretenden Chefs de Mission Stöck10 »zu erleichtern«, wird Daumes enger Mitarbeiter Perrey11 bereits Mitte September nach Japan fliegen. Er soll Kontakte mit dem Internationalen Organisationskomitee anknüpfen und Stöcks Positionen stärken. Beispielsweise soll das Internationale Komitee stets auch Stöck mit zu Besprechungen einladen. Perrey wolle damit argumentieren, dass auf diese Weise Schwierigkeiten in der sogenannten gesamtdeutschen Mannschaft vermieden würden. Die westdeutsche Sportführung hoffe, dass ihre Vorstellungen aufgrund der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik in Japan gebilligt und unterstützt werden. So wolle er auch ein Zusammentreffen des japanischen IOC-Mitglieds Azura12 mit dem westdeutschen Botschafter in Tokio arrangieren.
Zur Frage der Anwesenheit von Vertretern der Bundesregierung während der Olympischen Spiele in Tokio wurde aus den genannten Kreisen der westdeutschen Sportführung bekannt, dass Bundesminister Heck13 das westdeutsche Jugendlager mit 300 Jugendlichen, das ebenso wie vor vier Jahren in Rom durchgeführt werden soll, besuchen wird. Weiterhin würden der Sportreferent des Bundesinnenministeriums und der Sportpressereferent aus dem Bundespresse- und Informationsamt Dr. Weilenmann14 anwesend ein. Schließlich werde auf Wunsch des westdeutschen NOK die westdeutsche Botschaft in Tokio durch Werner Klingeberg15 von der Botschaft in Washington verstärkt werden. Er stand während der letzten Olympischen Spiele bereits der westdeutschen Botschaft in Rom zur Verfügung und gilt als Sachverständiger für protokollarische Fragen der Spiele.
Zu den noch umstrittenen Ergebnissen der Olympia-Ausscheidungen im Segeln und im Kanu- und Bahnradsport äußerten Kreise um Daume, dass Brundage die erbetene Entscheidung sehr schwerfallen könne. Deshalb habe Daume zusätzlich in seiner Eigenschaft als IOC-Mitglied noch einen persönlichen Brief an Brundage gerichtet und an seine »Kollegialität appelliert«. Von diesem vertraulichen Brief erwarte man eine Entscheidung nach den Vorstellungen der Bundesrepublik.
In der Frage des gesamtdeutschen Sportverkehrs hoffe Daume auf eine »Auflockerung«. Er erwarte sie nach seinem kürzlichen Besuch in Moskau vor allem von verstärkten sportlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion sowie anderen sozialistischen Staaten. Vor allem sollen sich diese Beziehungen auf Vereinsmannschaften und kleinere Sportgruppen erstrecken. In einen solchen Sportverkehr könne auch Westberlin einbezogen werden. Nach Äußerungen Daumes habe ihm die Sowjetunion dafür angeblich »hoffnungsvolle Andeutungen« gemacht.
Daume habe aus Moskau die Schlussfolgerung mitgebracht, dass die in der Sowjetunion vorhandene Anerkennung der Sportwissenschaften auch in Westdeutschland mithilfe der Bundesregierung endlich durchgesetzt werden müsse. Vieles von den wissenschaftlichen Trainingsmethoden der sowjetischen Sportler könne die Bundesrepublik übernehmen.
In diesem Zusammenhang wurden weitere Einzelheiten über die Pläne für ein Jugend- und Sportministerium der Bonner Regierung bekannt. Familienminister Heck habe den Westberliner Landesverband der CDU aufgefordert, die Schaffung eines solchen Ministeriums auf die Tagesordnung der nächsten Bonner Parteivorstandssitzung setzen zu lassen. Gleichzeitig soll eine Denkschrift über den Aufbau der sportlichen Abteilung dieses Ministeriums erarbeitet werden. Heck wolle das Ministerium selbst übernehmen. Amrehn16 und Lemmer17 seien bereits ersucht worden, das Vorhaben zu forcieren, da noch vor den Olympischen Spielen mit einem ähnlichen Forderungsprogramm der SPD gerechnet wird.
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