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Instabilität des Ferngasverbundnetzes

14. Juli 1971
Information Nr. 669/71 über die Instabilität des Ferngasverbundnetzes der DDR

Im Ferngasverbundnetz der DDR, mit einer Gesamtlänge von ca. 3 500 km, erweisen sich die Ferngasleitungen des ND-64-Systems (Betriebsdruck 50 kp/cm², Länge ca. 350 km) und alle Leitungen, die aus spiralgeschweißten Rohren bestehen, als sehr störanfällig.

So traten z. B. an der in den Jahren 1966/67 gebauten Leitung Nr. 77 des ND-64-Systems (Bereich Wittenberg – Ketzin) bisher 35 Störungen und Havarien auf. An der Leitung 60–47 (Bereich Bernburg – Greußen) ereigneten sich seit der Inbetriebnahme in den Jahren 1968/69 25 Störungen.

In allen Fällen rissen die Leitungen auf und es kam zum Gasaustritt mit teilweiser Brandfolge.

Neben den volkswirtschaftlichen Verlusten mussten häufig Personen evakuiert werden.

Beispielsweise riss am 22.6.1971, gegen 1.50 Uhr, die Ferngasleitung Meerane – Glauchau – Zwickau bei Hainichen auf und das ausströmende Gas entzündete sich. Der Brand konnte erst nach Abschiebung der Leitung gegen 4.45 Uhr gelöscht werden. Es wurden zeitweilige Evakuierungen einiger Bürger aus Sicherheitsgründen erforderlich.

Als Ursachen für die sich ständig wiederholenden Störungen und schweren Havarien wurden durch Experten nach längeren Untersuchungen

  • mangelhafte Schweißnahtausführung bei der Verlegung und ungenügende Verlegungstechnologie durch den VEB Ferngasleitungsbau Engelsdorf,

  • Spannungsrisskorossion infolge schlechter Gasqualität (bedingt durch den zu hohen Schwefelgehalt des Gases) und

  • Mängel in der Rohrherstellung (Eigenspannung der Rohre) durch den VEB Rohrwerke Bitterfeld

ermittelt.

Von Bedeutung ist auch die Verminderung der Rohrwandstärke von 8 auf 5 mm, die etwa 1966 eingeführt wurde.

Zum Problem der Eigenspannung der Rohre heißt es in einem Bericht des DAMW u. a.: »Durch Rissbildung an Schweißnähten spiralgeschweißter Rohre sind in jüngster Zeit wiederholt an erdverlegten Ferngasleitungen Havarien aufgetreten. Die geführten Untersuchungen ergaben, dass das Blechband unter Vorspannung zum Rohr verschweißt wird. Der Eigenspannungszustand des Rohres resultiert aus den Schweißspannungen und Spannungen, die durch unvollständige Verformung des Blechbandes zum Spiralrohr verursacht werden. Die Vorspannung des Blechbandes lässt sich nur durch den Einsatz anderer Spiralrohrmaschinen bzw. durch Änderung der Formwerkzeuge beseitigen«.

Diese Feststellungen des DAMW sind besonders bedeutungsvoll, da im Herstellerwerk für spiralgeschweißte Rohre, dem VEB Rohrwerke Bitterfeld, auch Rohre für die Erdgasstraße in die ČSSR angefertigt werden.

International werden im technologischen Prozess der Rohrherstellung die gefertigten Rohre einer Entspannungsglühung unterzogen.

In Auswertung der Schadensfälle wurden die Betriebsdrücke in den betreffenden Leitungsabschnitten aus Sicherheitsgründen um ca. 30 bis 40 % reduziert. Als Folge verringert sich die Förderfähigkeit der Leitungen. Die für den Tages- und Nachtausgleich dringend benötigte Speicherkapazität im Bereich ND-64-System verminderte sich um rd. 10,0 Mio. m³, was einer Gebrauchswertminderung der Investitionen von ca. 40 Mio. Mark entspricht.

Von Spezialisten des VEB Verbundnetz Gas wird eingeschätzt, dass eine höchstmögliche Sicherheit in der Betriebsführung des Ferngasverbundnetzes nur durch Neuverlegung der störanfälligen Leitungen zu erreichen ist. Eine sofortige Stilllegung der betroffenen Ferngasleitungen ist jedoch ohne schwerwiegende Auswirkungen auf das gesamte Gasversorgungssystem überhaupt nicht mehr möglich.

Inwieweit andere Leitungsabschnitte des Ferngasverbundnetzes der DDR ebenfalls gefährdet sind, können die Fachexperten nicht beurteilen, da lediglich durch das Auftreten von Störungen eine Einschätzung des Zustandes möglich ist.

Spezielle Untersuchungen zur prophylaktischen Beurteilung des Zustandes sind nur in beschränktem Umfang und nur an besonders ausgewählten Stellen möglich, da es gegenwärtig keine Methode gibt, erdverlegte Leitungen über die ganze Länge von 80 bis 150 km zu kontrollieren.

Daraus ergibt sich, dass die Betriebsführung des Ferngasverbundnetzes der DDR auch mit dem reduzierten Betriebsdruck risikobehaftet bleibt.

  1. Zum nächsten Dokument Brand im Kombinat Schwedt

    19. Juli 1971
    Information Nr. 688/71 über einen Brand im Petrolchemischen Kombinat Schwedt, [Bezirk] Frankfurt (Oder), am 14. Juli 1971

  2. Zum vorherigen Dokument Schusswechsel zwischen NVA- und sowj. Soldaten

    7. Juli 1971
    Information Nr. 639/71 über die Anwendung der Schusswaffe durch einen Angehörigen der NVA/Grenze gegen einen Angehörigen der Sowjetarmee