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Tagesbericht

24. August 1953
Information Nr. 1049

Stimmung der Bevölkerung zum sowjetisch-deutschen Kommuniqué

Aus den bisher vorliegenden Meldungen geht hervor, dass der größte Teil der Bevölkerung zum sowjetisch-deutschen Kommuniqué1 positiv Stellung nimmt. Die Vorschläge der Sowjetunion wurden freudig begrüßt. In verschiedenen Kreisen wurde nach Bekanntgabe des Kommuniqués Selbstverpflichtungen in der Produktion übernommen. In vielen Betrieben fanden bereits Kurzversammlungen statt, wobei Entschließungen angenommen wurden, in denen der Sowjetunion für ihre großzügige Hilfe gedankt wird. In einigen Fällen wurden Delegationen beauftragt, den sowjetischen Kreiskommandanten den Dank der Bevölkerung zu übermitteln.

Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Einstellung der Reparationszahlungen und die Entlassung der verurteilten Kriegsgefangenen. Bei Wegfall der Reparationszahlungen erhofft die Bevölkerung, dass dadurch der Regierung der DDR größere Mittel zur Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Die Rückführung der verurteilten Kriegsgefangenen wird begrüßt, es treten jedoch noch Unklarheiten auf über die Zahl der Rückzuführenden. Weiterhin wird zum Kommuniqué geäußert, dass dies eine gute Verhandlungsgrundlage gibt und die Sowjetunion erneut den Beweis erbringt, dass sie jederzeit für die Einheit Deutschlands eintritt.

Dazu folgende Beispiele:

Im Kreis Belzig, Bezirk Potsdam, wurde in allen Betrieben, MTS und in der LPG über das Kommuniqué diskutiert. Es wurde überall begrüßt und die großzügige Haltung der Sowjetunion löste einstimmige Zustimmung aus. Die Belegschaften erhoffen sich dadurch eine bedeutende Verbesserung der Wirtschafts- und Versorgungslage. Delegationen der Betriebe, MTS und LPG begaben sich mit ihren Fahnen zur sowjetischen Kreiskommandantur, um für die großzügige Handlungsweise der Sowjetarmee zu danken.

Im Bezirk Gera begaben sich Betriebsdelegationen, [Delegationen] des Kreisrates, der Partei und Massenorganisationen zur sowjetischen Kommandantur Lobenstein, um der Sowjetunion zu danken für den großen Schritt, den sie getan hat für die Erhaltung und Festigung des Friedens. Aus dem gleichen Grund wird am heutigen Tage auf dem Sportplatz in Lobenstein ein Freundschaftstreffen mit Angehörigen der Sowjetarmee durchgeführt.

Im RAW Berlin haben die Arbeiter in der Schmiede positiv zu dem Kommuniqué Stellung genommen, trotzdem stellen sie immer wieder die Frage, weshalb sie das »Bettelpaket«2 nicht in Empfang nehmen sollen, es würde ihnen doch geschenkt.

Der parteilose Arbeiter [Name 1] aus dem VEM Kjellberg/Finsterwalde äußerte sich: »Ich freue mich über die Note der Sowjetunion, weil dadurch mein[em] Sohn, der schon als Jugendlicher interniert wurde, die Möglichkeit gegeben wird, endlich in die Heimat zurückzukehren.« Weiterhin erhofft er sich durch die großherzige Zusage, Deutschland die Reparationen zu erlassen, einen besseren Lebensstandard.

Der Ingenieur [Name 2] aus dem gleichen Betrieb äußerte: »Ich begrüße vor allem die Note der Sowjetunion deshalb, weil ich jetzt Hoffnung habe, dass meine noch in der Sowjetunion weilenden Angehörigen zurückkehren können.«

Zwei Angehörige einer Bauernfamilie [Name 3] aus Feran,3 Kreis Templin, Bezirk Neubrandenburg, erklärten: »Das Kommuniqué zeigt klar auf, dass die Sowjetunion für den Frieden und die Einheit Deutschlands eintritt; der letzte Beweis ist, dass uns die Sowjetunion die SAG-Betriebe wieder zurückgibt und die Nachkriegsschulden erlässt. Dieses alles wird uns stärken, um den Plan überzuerfüllen. Unser Vertrauen zur Sowjetunion und zur Regierung der DDR wächst von Tag zu Tag. Demzufolge verpflichte ich mich, 300 Eier, 200 kg Milch, 1,5 dz Rindfleisch für den freien Aufkauf zu liefern.«

Aus Dankbarkeit für die große Hilfe der Sowjetunion, für unser Vaterland, verpflichtete sich die Elektrowerkstatt in der Druckerei »Neues Deutschland« heute, am 24.8.1953, nach Feierabend 50 kg Buntmetall zu sammeln und dieses am 25.8.1953 dem Kollegen [Name 4] zur Weiterleitung zur Verfügung zu stellen.

Der parteilose Ingenieur [Name 5] aus dem Fernsehzentrum Berlin erklärte: »Die Ergebnisse der Verhandlungen in der Sowjetunion hätte ich nicht erwartet. Jetzt können die Westmächte nicht mehr mit faulen Redensarten, wie Propaganda usw. die ehrlichen Bemühungen der Sowjetunion abtun, sie müssen jetzt Farbe bekennen.«

Ein Teil der Bevölkerung steht dem Kommuniqué noch abwartend gegenüber und hat noch nicht die richtige Vorstellung. Direkt ablehnende Meinungen wurden bisher noch nicht festgestellt, da die von der Sowjetunion so großzügig gewährte Hilfe nicht zu widerlegen ist. Feindliche und ablehnende Diskussionen sind erst in größerer Anzahl zu erwarten, wenn der Gegner den negativen Elementen die dazu benötigten Argumente für die Feindpropaganda geliefert hat. Im Mittelpunkt der ablehnenden Diskussion stehen die Fragen über die Rückführung der verurteilten Kriegsgefangenen, wobei zum Ausdruck gebracht wird, dass die Sowjetunion jetzt endlich »bekennt«, dass noch »Kriegsgefangene« in der Sowjetunion sind. Auch die Frage nach der Zahl der zu Entlassenden wird gestellt. Zu dem Erlass der Reparationen wird erklärt, dass schon genug Reparationen an die SU gezahlt worden sind und die SU es nicht mehr nötig habe, noch etwas zu nehmen. Im Vergleich dazu bringen diese Personen die USA-Kredite an Westdeutschland als »gutes Beispiel«. Verschiedentlich wird erklärt, dass auch durch dieses Kommuniqué bei den Westmächten und in Westdeutschland wenig zu erreichen ist. Besonders Umsiedler sprechen, sie wollen wieder nach Schlesien, und sind der Meinung, dass die Amerikaner sowieso nicht mit der Oder-Neiße-Friedensgrenze einverstanden sind und es deshalb auch zu keiner Einigung kommt.

Der parteilose Rentner [Name 6] aus Neuschmölln, Bezirk Dresden, erklärt: »Die Russen können so viel Noten erstellen wie sie wollen, die Westmächte fragen nicht danach, die wollen, dass unser Schlesien wieder zurückkommt, denn die Umsiedler wollen wieder in ihre Heimat, die gehört uns und dafür setzt sich der Amerikaner ein.«

Der parteilose Bautischler [Name 7] aus Pirna, Bezirk Dresden, äußerte: »Die neue Erklärung der SU über den Erlass der Kriegsschulden rettet auch nichts mehr. Auf die Wahlen in Westdeutschland macht das auch keinen Eindruck. Fest steht, dass wir nicht wissen, wie viel die SU schon Reparationskosten erhalten hat. Dass die Erklärung zustande kam, ist auch nur eine Folge des 17. Juni.«

Der Kollege [Name 8] aus dem VEB Ankerwerk Rudolstadt erklärte: »Ich war entsetzt über die Veröffentlichung, da sieht man erst wieder mal, was wir zu zahlen hatten. Wir möchten alles zahlen. Westdeutschland dagegen hat noch aus Amerika Kredite bekommen, die können ganz anders leben als wir. Was bedeutet schon die Rückgabe der SAG-Betriebe, es ist ja nichts mehr drin. Und die Gefangenenfrage, jetzt gibt Russland zu, dass noch Kriegsgefangene drüben sind. Da sieht man erst die Politik.« Der Kollege [Name 9] aus dem gleichen Betriebe erklärte: »Warum hat Russland nicht schon früher diese Geste gemacht, es stände heute um alles besser.«

Während einer Betriebsversammlung im Bw Wannsee störte ein Triebwagenführer, welcher im demokratischen Sektor von Berlin wohnt, durch folgende Hetze die Versammlung: Er rief, dass es sich diesmal um wirkliche freie Wahlen handeln muss, denn bei den seinerzeit stattgefundenen Wahlen in der DDR wären die Grundlagen der freien Wahlen nicht gegeben gewesen. Die Reparationszahlungen wären sowieso nicht mehr nötig, da man aus der DDR bereits schon alles herausgeholt hätte.

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