Situation in der Konfektionsindustrie
31. Juli 1956
Information Nr. 109/56 – Betrifft: Situation in der Konfektionsindustrie
Bei fast allen Betrieben der Konfektionsindustrie konnte festgestellt werden, dass in der Modellgestaltung, in der Ausrüstung der Gewebe, der Farbgebung sowie der Dessinierung der Stoffe erhebliche Mängel aufgetaucht sind. Diese negativen Erscheinungen sind nicht nur in der Konfektionsindustrie, sondern auch in den Spinnereien und Webereien sowie in den Ausrüstungsstellen zu suchen.
So werden z. B. Artikel aus Kammgarn-Zellwolle immer wieder beanstandet, weil die Dessinierung und Ausrüstung große Mängel aufweisen. Dasselbe trifft auch für Kammgarn-Wolle zu, wovon der Handel nur grobfädige Gewebe erhält. Auch wird die seit Langem geforderte und von der Industrie propagierte Sylona-Ausrüstung1 von der Konfektionsindustrie und den Handelsorganen bemängelt. Gleichzeitig wird die Schwere der Ware beanstandet. Um Material einzusparen, wird das Einsatzgewicht gedrückt. Das Ergebnis ist, dass das Gewebe für bestimmte Artikel zu weich ist und deshalb vom Handel nicht gekauft wird, weil dort bereits an diesen Waren Überplanbestände vorhanden sind. Z. B. hatte der DOB (Damenoberbekleidung)-Betrieb »Fortschritt« Grünberger Straße im Juni 1956 Überplanbestände im Werte von 620 000 DM. Der HOB (Herrenoberbekleidung)-Betrieb »Fortschritt« Lichtenberg hat für ca. 890 000 DM Schnittware als Überplanbestände auf Lager.
Ein wesentlicher Mangel besteht auch in der rechtzeitigen Coupon-Bereitstellung für die Konfektionsindustrie vonseiten der Webereien. So hat z. B. der Betrieb »Berliner Mode« bis jetzt ca. 60 % an Mantelstoffen und ca. 57 % an Kleiderstoffen von den Webereien realisiert. Kurz bevor dann die Submission anläuft, kommt der größte Teil der Ware in den Betrieb und die schöpferischen Kräfte müssen am Tage fünf bis sechs Modelle entwerfen, obwohl im Durchschnitt pro Tag nur zwei Modelle entworfen werden können.
In der letzten Zeit häufen sich die Klagen der Handelsorgane über Stornierungen und Terminverschiebungen für die auf der Submission eingekauften Artikel. Allein die Niederlassung Berlin hat in der Zeit vom 15.4. bis 30.6.1956 von der VE-Industrie über 1 125 und von den Fortschrittwerken über 2 010 Kleider Stornierungsbescheide bekommen.
Alle Forderungen an das Ministerium für Leichtindustrie blieben bisher von diesem unberücksichtigt. So liegen in der Konfektionsindustrie zzt. Halbfertigerzeugnisse, die nicht ausgeliefert werden können, weil Reißverschlüsse fehlen. Vom Ministerium für Leichtindustrie wurden jedoch diesbezüglich noch keine Schritte unternommen.
Schwierigkeiten bestehen auch in der Frage der Baumwolle. Das Einsatzmaterial ist so schlecht, dass zum größten Teil II. Qualität produziert wird. Auch bei Perlon ist der Anfall von II. Wahl sehr groß, weil aber die Konfektionsindustrie II. Wahl nicht verarbeiten kann, kommen nicht genügend Perlonkleider zum Verkauf. Auch Damenkleider aus Kammgarn-Wolle werden für den Winter kaum vorhanden sein, da die Industrie keine feinfädige Wolle hat.