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Stimmung der Bevölkerung, Abrüstungsvorschlag der Sowjetunion

30. September 1959
Information Nr. 700/59 – [Bericht über] die Stimmung der Bevölkerung der DDR zum Abrüstungsvorschlag der Sowjetunion

[Faksimile von Blatt 20]

Aus den bekannt gewordenen Diskussionen geht hervor, dass der Vorschlag der Sowjetunion zur totalen Abrüstung, der vom Gen. Chruschtschow1 in seiner Rede vor der UNO begründet wurde, gegenwärtig das politische Hauptgesprächsthema unter allen Bevölkerungsschichten ist.2 Die Diskussionen hierüber sind überwiegend positiv und der Vorschlag findet die volle Zustimmung unserer Werktätigen. Es wird erkannt, dass es erneut die Sowjetunion ist, die große Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens unternimmt und dass die Verwirklichung dieses Vorschlages den Krieg für immer verbannen würde. Häufig wird auch erklärt, dass der gesamten Menschheit viel Leid und Elend erspart bleiben könnte, wenn alle Länder für diesen Abrüstungsvorschlag eintreten. Auch würden sich daraus große Perspektiven für den friedlichen Aufbau ergeben. Besonders wird auch die Tatsache hervorgehoben, dass sich bekannte Politiker der ganzen Welt mit diesem Vorschlag befassen und ihn befürworten. Hierzu einige Beispiele:

Arbeiter aus dem VEB Pels3 Erfurt sind der Meinung, dass nach dem weltweiten Echo dieser einmalige Vorschlag nicht mehr totgeschwiegen werden kann.

Ein Einzelbauer aus Nordhausen, [Bezirk] Magdeburg,4 äußerte, wenn es keine Soldaten auf der Welt gibt, dann gibt es auch keinen Krieg.

Ein Geschäftsmann aus Erfurt nannte den Vorschlag zur Abrüstung das großzügigste Angebot, das jemals von einer Großmacht gemacht wurde.

Ein Angestellter aus Grimmen, [Bezirk] Rostock: »Die von Chruschtschow dargelegten Abrüstungsvorschläge sind geeignet, jede Kriegsgefahr zu beseitigen.«

Zwei Einzelbauern aus Horka, [Kreis] Niesky, [Bezirk] Dresden, brachten zum Ausdruck, der Vorschlag Chruschtschows zur Frage der Abrüstung zeige doch den ernsten Willen der SU, unter allen Umständen einen neuen Weltkrieg zu verhindern.

Zu den vielen positiven Stimmen ist auch eine ziemlich große Anzahl solcher Meinungen zu zählen, die zwar die Vorschläge der SU begrüßen, aber in pessimistischer Form an einer Realisierung zweifeln. So wird sehr oft erklärt, dass es gut ist, wenn derartige Vorschläge gemacht werden, aber eine Einigung in diesen Fragen doch nicht erreicht würde, denn die SU und auch die Regierung der DDR hätten ja bekanntlich sehr viele Vorschläge zur internationalen Entspannung, zur Sicherung des Friedens und zur Wiedervereinigung Deutschlands gemacht, die stets von westlicher Seite negiert wurden. Auch würden nach Meinung einiger Bürger die Westmächte wieder versuchen, diesen Vorschlag geschickt zu umgehen. Hierzu einige Beispiele:

Ein Kollege vom GHK Kulturwaren Erfurt5 äußerte: Er begrüße diese Abrüstungsvorschläge, jedoch zweifele er an der Bereitschaft des Westens. Der Kapitalismus gebe ja mit der absoluten Abrüstung sein bestes Geschäft auf.

In der Abteilung Regelschalterbau im VEB TRO Karl Liebknecht Berlin,6 begrüßen die Arbeiter die Vorschläge zur totalen Abrüstung, glauben aber nicht daran, dass sich die Westmächte damit einverstanden erklären.

In der Redaktion des Zentralorgans der LDPD7 vertraten einige Mitarbeiter die Ansicht, dass dies zwar eine ideale Lösung der bestehenden internationalen Probleme sei, die Westmächte aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht darauf eingehen würden.

Ein Bordfunker der Deutschen Lufthansa8 (Mitglied der SED) begrüßt den Vorschlag des Gen. Chruschtschow über völlige Abrüstung, ist aber der Meinung, dass die Amerikaner nicht mitmachen werden. Er begründet das damit, dass die amerikanischen Imperialisten bei Annahme des Vorschlages aufhören würden Imperialisten zu sein, da sie auf das stärkste Machtmittel – die Armee – verzichten müssten.

In der Stalinallee in Berlin vertreten einige Frauen die Meinung, dass von der SU schon viele Vorschläge zur Erhaltung des Friedens gemacht, diese jedoch bisher immer von den Westmächten negiert, missachtet oder umgangen wurden. Auch diesen Vorschlag werden sie wieder geschickt umgehen.

Die negativen Diskussionen sind gering und beinhalten zum größten Teil Feindargumente, wie

  • die Sowjetunion meine es nicht ehrlich,

  • alles sei nur Propaganda.

Hierzu einige Beispiele, die aber nur als Einzelerscheinungen zu werten sind:

In der Entwicklungsabteilung für Sender im VEB Funkwerk Köpenick,9 in der hauptsächlich Ingenieure und anderes technisches Personal beschäftigt sind, stellten einige die Frage, ob das Angebot zur totalen Abrüstung ehrlich gemeint ist. Es wird die Ansicht vertreten, dass dieses Angebot von der SU nur gemacht wurde, damit der Siebenjahrplan erfüllt werden könne und das nur möglich sei, wenn die Militärausgaben wegfallen und die Soldaten in der Industrie und Landwirtschaft arbeiten können. Amerika könne diesen Vorschlägen nicht zustimmen, da die aus dem Wehrdienst ausscheidenden Männer das Heer der Arbeitslosen nur vergrößern würden.

Ein Bauer aus Kortenbeck bei Gardelegen, [Bezirk] Magdeburg, äußerte, die Abrüstungsvorschläge seien schön und gut, aber eine Kontrolle der »Kriegsvorbereitungen in Sibirien« wäre nicht möglich.

Eine Frau aus Erkner erklärte, die Vorschläge der SU über die totale Abrüstung wären nicht ernst zu nehmen, man wolle damit die Welt nur verdummen.

Zwei werktätige Einzelbauern aus Mellin Kreis Klötze, [Bezirk] Magdeburg, sind der Meinung, dass die Rede Chruschtschows vor der UNO nur Propaganda gewesen sei, da die sozialistischen Länder, vor allem die SU, Angst vor einem Krieg hätten.

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    2. Oktober 1959
    Information Nr. 705/59 – [Bericht über] Vorbereitung und Durchführung von Grenzprovokationen an der Staatsgrenze West der DDR

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    29. September 1959
    Information Nr. 699/59 – [Bericht über] die Stimmung von Angehörigen der Kampfgruppen zur Abgabe eines Gelöbnisses anlässlich des X. Jahrestages der DDR