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Lage an Universitäten und Oberschulen

1. Dezember 1961
[Einzel-Information] Nr. 750/61: Einige Hinweise zur Lage an den Universitäten und Oberschulen

Die hauptsächlichsten Erscheinungsformen gegnerischer Tätigkeit an den Universitäten und Hochschulen zeigen sich fast ausschließlich auf ideologischem Gebiet, sowohl bei den Angehörigen der Lehrköper als auch bei den Studenten.

Obwohl der Kreis der Wissenschaftler und Dozenten an unseren Universitäten und Hochschulen, der einen positiven und erzieherischen Einfluss auf die studentische Jugend ausübt und offen und bewusst für unseren Staat eintritt, ständig größer wird und besonders aufgrund der verstärkten politisch-ideologischen Auseinandersetzungen seit dem 13.8.1961 gewachsen ist, muss doch insgesamt eingeschätzt werden, dass der größte Teil des Lehrkörpers den Erfordernissen der sozialistischen Erziehung noch nicht gerecht wird. Dieser Teil des Lehrkörpers nimmt noch einen passiven, liberalen Standpunkt ein und ist bemüht, ein offenes Bekenntnis zu unserem Staat zu umgehen und die These von der »unpolitischen« und »reinen« Wissenschaft zu vertreten und durchzusetzen.

Einen beträchtlichen Umfang nimmt aber auch nach wie vor der Personenkreis mit einer negativen und feindlichen Haltung zur DDR ein, wobei er größtenteils versteckt auftritt, teils aber auch zu offenen Angriffen gegen die Politik und die Maßnahmen unserer Partei und Regierung (besonders zu den Schutzmaßnahmen, der Stärkung der Verteidigungsbereitschaft und der Störfreimachung) übergehen. Z. B. weigerte sich ein beträchtlicher Teil der Lehrkörper, Zustimmungserklärungen zur Politik von Partei und Regierung abzugeben. Besonders in der letzten Zeit hat sich das offene, provokatorische Vorgehen erneut verstärkt. Für einen großen Teil der Lehrkräfte ist auch die noch immer starke westliche Orientierung typisch.

Schwerpunkt der negativen Haltung sind allgemein die medizinischen Fakultäten und medizinischen Hochschulen.

Eine wesentliche Ursache für die ungenügende politisch-ideologische Erziehungstätigkeit des Lehrkörpers ist darin zu sehen, dass an allen unseren Universitäten und Hochschulen noch immer eine mehr oder weniger scharfe Spaltung der fachlichen Ausbildung und politisch-ideologischen Erziehung der Studenten besteht. Allgemein herrscht noch die Auffassung vor, dass die »Fachwissenschaftler« die fachlichen Wissensgebiete losgelöst von jeglicher politischer Grundlage und den politischen Problemen der Gegenwart zu lehren hätten, während die erzieherische Seite alleinige Angelegenheit von Partei und FDJ bzw. des Gesellschaftswissenschaften-Unterrichtes sei. Diese Einstellung lähmt sowohl die Aktivität der Leitungen sowie des größten Teils des Lehrkörpers an den meisten Instituten.

  • An der Bauingenieurschule Glauchau wird vonseiten der Schulleitung die Tendenz vertreten, gute Ingenieure zu entwickeln und die Studenten nicht zu viel mit politischen Fragen zu belästigen.

    An dieser Schule wurden bisher noch keine Ordnungsgruppen der FDJ gebildet.

  • Vom Lehrkörper der Medizinischen Akademie Magdeburg wird gegenüber den Studenten das »Erziehungsprinzip« vertreten, dass der Arzt ein unpolitischer Mensch sei und dass sich die Studenten jeder politischen Äußerung und Stellungnahme enthalten sollen.

  • An der Technischen Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg äußert sich der überwiegende Teil des Lehrkörpers kaum zu den aktuellen politischen Fragen. Dies liegt z. T. mit darin begründet, dass der jetzige Direktor, Nationalpreisträger Prof. Dr. Profft, jede politische Betätigung ablehnt und unter den parteilosen Wissenschaftlern die Meinung verbreitet, dass die politische Arbeit Aufgabe der Parteimitglieder sei.

  • Die Auffassungen finden ihren konkreten Ausdruck darin, dass die Mehrheit der Lehrkörper gesellschaftliche Aufgaben und die Teilnahme an gesellschaftlichen Veranstaltungen und politisch-ideologischen Auseinandersetzungen mit den Studenten ablehnen und sich ein allgemeiner Liberalismus ausgebreitet hat.

  • So weicht die Mehrheit des Lehrkörpers der Päd. Hochschule Potsdam vor politischen Auseinandersetzungen mit den Studenten zurück mit der Begründung, dass sie das Vertrauen der Studenten verlieren würden, wenn sie alle politischen Anschauungen sofort zerschlagen würden.

Auch die Gestaltung des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts entspricht allgemein nicht den Anforderungen, weil es in der Mehrzahl immer noch als formales Lehrfach aufgefasst wird.

Auch aufgrund der ungenügenden Verbindung zwischen den Lehrthemen auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus und den unmittelbaren fachlichen Themen findet der gesellschaftswissenschaftliche Unterricht teilweise nicht die erforderliche Resonanz unter den Studenten. Typisch dafür ist folgendes Beispiel: An der Fachschule für Finanzwirtschaft in Gotha erfolgt der Gesellschaftswissenschaften-Unterricht schematisch nach den Lehrbüchern. Studenten, die über den Lehrbuchtext hinaus aktuell politische Fragen anführen, werden gerügt und erhalten schlechte Noten.

Diese ablehnende Haltung gegenüber politischen Fragen zeigt sich vor allem auch in ständigen negativen Diskussionen, in letzter Zeit besonders zu den Sicherungsmaßnahmen der DDR vom 13.8.1961, zu den Fragen des »Personenkults in der DDR« und zur Störfreimachung auf medizinischem Gebiet. So wurden die Maßnahmen vom 13.8. mit dem Argument »Einschränkung der persönlichen Freiheit«, der »Nichtberechtigung von Panzer und Stacheldraht«, besonders aber unter dem Aspekt abgelehnt, dass die Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen in Westdeutschland und die Besuche Westdeutschlands allgemein dadurch in Frage gestellt und eingeschränkt wären und damit »das einzige Loch« auch noch verstopft sei.

Eine breite Ablehnung finden die Maßnahmen zur Störfreimachung auf medizinischem Gebiet, was in vielen negativen Diskussionen zum Ausdruck kommt und wo besonders die Universität Halle (hier wiederum Prof. Dr. Mothes) als Schwerpunkt anzusehen ist.1

  • Prof. Weingärtner, Direktor der Universitätskinderklinik Halle, äußerte zu den Maßnahmen: »Bisher erhielt ich laufend Geschenksendungen von Bayer/Leverkusen für Epilepsie. Jetzt ist es damit auch aus. Wenn ich das den Eltern erkläre, werden sie den Staatsrat bombardieren. Diese Verordnung ist überhaupt schlecht und man müsste dagegen Einspruch erheben. Unsere Industrie kann den Bedarf nicht decken und eines Tages sind die Apotheken ausverkauft.«

  • Prof. Mörl, ebenfalls Halle, erklärte: »Ich weiß nicht, ob der Handelsminister berechtigt ist, in diesen Sätzen so vielen Menschen das Todesurteil auszusprechen. Es wird aber nicht widerspruchslos hingenommen. Ich werde einen Protest an den Senat, ans Ministerium und an die Volkskammer richten.«

  • Dr. Panzer von der Chirurgischen Klinik Halle erklärte, dass nun einwandfrei festzustellen sei, »dass es mit dem Gesundheitswesen in der DDR zurückgegangen ist«.

Immer wiederkehrend ist dabei das Argument, dass die Maßnahmen »unmenschlich« seien und »Todesopfer« fordern würden.

Während in der ersten Zeit nach Bekanntwerden der Maßnahmen (sowohl des 13.8. als auch auf dem Gebiet der Arzneimittelregelung) die ablehnende Haltung auf die negativen Diskussionen beschränkt blieb, zeigt sich in letzter Zeit ein Übergang zu provokatorischen Aktionen, mit dem Ziel, bestimmte Veränderungen auf diesem Gebiet zu erzwingen und eine breite Basis für solche Vorhaben zu schaffen.

Prof. Dr. Jacobi, Direktor der Universitätsklinik Halle beschwerte sich aufgrund der Ablehnung seiner Teilnahme an einer wissenschaftlichen Veranstaltung in Westdeutschland über »die unerträgliche Situation« und stellte dem die Erteilung von Reisegenehmigungen für Sportler und Sportfunktionäre gegenüber. Am 17.11.1961 hat auf einer Tagung des Arbeitskreises der Opthalmologie in Leipzig Prof. Vehlhagen starke Angriffe gegen die Verordnung über das Verbot des Versendens von Medikamenten aus Westdeutschland teils in hetzerischer Form vorgebracht. U. a. erklärte er sinngemäß: Es sei kein Wunder, dass es in der DDR wenig Medikamente gebe, denn unsere Menschen hätten nicht einmal Salz. Die Beschlagnahme von Arzneimittelsendungen aus Westdeutschland bezeichnete er als Diebstahl. Der Arbeitskreis für Opthalmologie will sich an das Internationale Rote Kreuz wenden und um Hilfe bitten. Außerdem soll eine Delegation des Arbeitskreises zum Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Walter Ulbricht, gesandt werden.

Auf einer am 18.11.1961 unter Vorsitz des Dekans der Medizinischen Fakultät der Universität Halle, Prof. Bruns, stattgefundenen internen Besprechung aller Klinikdirektoren dieser Universität brachten die versammelten Professoren allgemein ihren ablehnenden Standpunkt zum Ausdruck. Die Besprechung war eigens dazu einberufen worden, um gemeinsame Maßnahmen gegen das Verbot der Einfuhr von Westmedikamenten, Geschenksendungen usw. und gegen spezielle Maßnahmen zur Störfreimachung auf medizinischem Gebiet zu vereinbaren.

Neben dem Versenden einer Protestresolution wurde auch gedroht, Schritte zur »Informierung der Öffentlichkeit« einzuleiten, falls vom ZK der SED und vom Ministerium für Gesundheitswesen die betreffenden Gesetze und Verordnungen nicht rückgängig gemacht würden.

Ferner wurden folgende Protestaktionen vorgeschlagen und erwogen:

  • Einschaltung örtlicher Staatsorgane mit dem Ziel, dass diese ebenfalls »Protestmaßnahmen nach oben« einleiten.

  • Schriftliche Informierung der Dekane der Medizinischen Fakultäten der anderen Universitäten, um diese Dinge »nicht allein ausfechten zu müssen«.

  • Bildung einer Kommission, die zum ZK der SED geschickt werden soll.

Am aktivsten trat bei diesen provokatorischen Maßnahmen Prof. Dr. Mothes auf, der seinen großen Einfluss auf Angehörige der wissenschaftlichen Intelligenz an den Universitäten ausnutzte, um auch andere Personen für Protestaktionen zu gewinnen.

Prof. Mothes vertrat schon in der Vergangenheit eine Reihe feindlicher Argumente. U. a. erklärte er gegenüber einer Kommission des Staatssekretariats für Hoch- und Fachschulwesen:

  • Gegenwärtig werde auf die Professoren, Assistenten und Studenten ein ungeheurer ideologischer Druck, um nicht zu sagen Terror, ausgeübt.

  • Eine ganze Reihe Wissenschaftler wüsste nicht mehr weiter. Ein Teil des Lehrkörpers habe ihm in persönlichen Gesprächen schon die Durchführung eines eintägigen Vorlesungsstreiks vorgeschlagen.

  • Mit dem Drängen nach Abgabe von Erklärungen und Entscheidungen zu politischen Maßnahmen und Problemen würden die Menschen durch die örtlichen Organe zu Heuchlern erzogen. Es sei z. B. Tatsache, dass die Studenten und der Lehrkörper trotz geleisteter Unterschriften mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen nicht einverstanden seien.

An der Medizinischen Akademie Dresden traten die Assistenten für Gesellschaftswissenschaften Balzke und Hilzig mit folgenden Diskussionen hervor:

  • Die Presseveröffentlichungen seien unwissenschaftlich; das Potsdamer Abkommen sei nicht nur von den Westmächten gebrochen worden; nach dem 13.8.1961 habe man in der DDR die Intelligenzpolitik aufgegeben. Derartige Anschauungen äußerten sie auch in ihren Vorlesungen.

  • Auch an der TU Dresden verbreiteten Assistenten und Oberassistenten revisionistisches Gedankengut.

Viele dieser schädlichen und feindlichen Ansichten gehen ganz offensichtlich auch auf die von den schwankenden und unklaren Kreisen häufig vertretene Nichtanerkennung der führenden Rolle der Partei und die daraus entspringende Ansicht, dass sich die Partei »nicht überall einmischen« sollte, zurück. Typisch für diese Haltung ist die Reaktion von Prof. Dr. Reichenbach, Halle, der einen »Protestbrief« an das Ministerium für Gesundheitswesen schrieb, weil zu einer Tagung der Zahnmediziner Genossen entsandt wurden, die nicht eingeladen waren. R. wandte sich »gegen diese Kontrolle und Beaufsichtigung« und drohte mit der Niederlegung seines Amtes.

Diese Erscheinungen und Beispiele machen aber gleichzeitig deutlich,

  • dass einmal mit vielen Professoren, Dozenten und Assistenten keine wirklichen politischen Auseinandersetzungen und keine ständige, auf die Mentalität und Ansichten dieser Kreise abgestimmte politisch-ideologische Überzeugungsarbeit geführt und das ihnen die politischen Maßnahmen der Partei und Regierung nicht mit überzeugenden Argumenten seitens der fachlichen Leitungen und seitens der Parteiorganisationen erläutert werden und

  • dass zum anderen die Leitungen der Universitäten und die Parteifunktionäre und -organisationen offensichtlich zurückweichen bzw. selbst verschiedene politisch-ideologische Unklarheiten haben und deshalb feindliche Ansichten nicht immer richtig erkennen.

  • In vielen Fällen hemmt auch die überhebliche und unkritische Ansicht, dass an den Universitäten und Hochschulen das politische Bewusstsein schon weit entwickelt sei und deshalb keine Auseinandersetzungen nötig wären.

Teilweise existieren diese Mängel schon seit Jahren.

Die ideologischen Unklarheiten in der Parteiorganisation der Uni Jena z. B. reichen bis zur Auswertung des 12. ZK-Plenums2 an der Uni zurück. Es wurden besonders revisionistische Ansichten, hinsichtlich der Ausführungen des Genossen Walter Ulbricht auf dem 12. Plenum, über die Vernachlässigung des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts zum Ausdruck gebracht. Die revisionistischen Tendenzen waren besonders stark in den Grundorganisationen der philosophischen Fakultät III, wo zum Ausdruck gebracht wurde, dass Genosse Walter Ulbricht schon einmal unüberlegte Sachen vorgetragen habe, die dann revidiert wurden.

In den Grundorganisationen der Pädagogen wurde erklärt, dass das, was Genosse Walter Ulbricht gesagt hat, für sie im Großen und Ganzen nicht zutrifft.

Die Kritik sei zu allgemein gehalten, sodass keiner weiß, wo Dogmatismus sein soll.

Wir werden uns die Jacke nicht anziehen, weil wir keinen Anlass sehen.

Die revisionistischen Tendenzen in den verschiedensten Grundorganisationen wurden seitens der Uni-Parteileitung nicht grundsätzlich geklärt, weil eine ungenügende politische Atmosphäre und ein liberalistisches Verhalten zu diesen Erscheinungen zu verzeichnen war.

Im 2. Studienjahr der Fachrichtung Philosophie der Humboldt-Universität gibt es in der Parteigruppe zwei Gruppierungen, die sich gegenseitig des Liberalismus bzw. Radikalismus bezichtigen. Diese Spaltung der Parteigruppe ist auch den Parteilosen des Studienjahres bekannt, da die Gruppierungen auch in Studienjahresversammlungen usw. teilweise direkt gegeneinander auftreten, zumindest aber scharf unterschiedliche Auffassungen vertreten.

In der Hochschule für Elektrotechnik Ilmenau wurde anlässlich eines Diplomandenballes eine Festzeitschrift herausgegeben, die vom 2. Sekretär der Parteiorganisation genehmigt war. In dieser Festzeitschrift wurde in hetzerischer Form gegen die Politik von Partei und Regierung Stellung genommen.

Ähnliche Schwächen charakterisieren die FDJ-Arbeit, die in den meisten Universitäten nicht den politisch-ideologischen Einfluss auf die Studenten ausübt, wie es notwendig wäre. Während der Durchsetzung des FDJ-Aufgebotes und der Bildung von Ordnungsgruppen zeigte sich, dass eine ganze Reihe von FDJ-Funktionären selbst einen negativen Standpunkt einnahm und abgelöst werden mussten. Das FDJ-Aufgebot hat an vielen Instituten nicht zum Auftakt einer höheren Qualität der politisch-ideologischen Auseinandersetzungen geführt, sondern ist in formalistischen, administrativen, kampagnemäßigen Durchsetzungsformen in Begründungen steckengeblieben, wodurch feindliche Argumente indirekt unterstützt wurden.

An der philosoph. Fakultät der Humboldt-Universität wurde z. B. von den FDJ-Funktionären als Aufgabe der zu bildenden Ordnungsgruppen herausgestellt, dass die Studenten als Saalschutz bei Versammlungen, als VP-Helfer bei »Zusammenrottungen« u. Ä. eingesetzt würden, während die Studentinnen bei evtl. Streiks als Verkäuferinnen und Kindergärtnerinnen aushelfen müssten. Die Begründung führte zu negativen Diskussionen und Voreingenommenheit.

Eine allgemeine Schwäche der FDJ an den Universitäten und Hochschulen kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie keinen oder nur geringen Einfluss in den meisten Studenteneinrichtungen, wie Kulturensembles, Interessenzirkeln, Kabaretts usw. hat.

In vielen Fällen wurden an Instituten mit großem Arbeitsaufwand Zirkel und sozialistische Studentengemeinschaften organisiert, die dann in der Mehrzahl wegen der formalen und sporadischen Arbeit der FDJ-Leitungen und FDJ-Aktivs wieder eingeschlafen sind, obwohl sie eine gute Basis für politisch-ideologische Auseinandersetzungen boten.

Neben den direkten feindlichen Einflüssen unter den Studenten durch die westlichen Rundfunkstationen, westliche Literatur und die damit verbundenen revisionistischen Einwirkungen, hat auch die bereits angeführte liberale und oft direkte ablehnende Haltung von Angehörigen des Lehrkörpers auf die Studenten einen großen Einfluss und durch die ungenügende politische Arbeit der Parteiorganisationen und der FDJ werden diese negativen Einflüsse mehr oder weniger geduldet bzw. kommt man ihnen teilweise indirekt entgegen. So kam es neben den fast ständigen negativen Diskussionen in den letzten Monaten unter den Studenten zu einer Reihe feindlicher Erscheinungen, die in ihrer Tendenz eine gewisse Parallele zur Situation an den Universitäten 1956 bzw. Anzeichen dafür darstellen.3

So traten an den Universitäten und Hochschulen nach dem XXII. Parteitag der KPdSU4 in starkem Maße parteifeindliche Diskussionen besonders zu Fragen des Personenkults auf, die sich fast ausschließlich in direkter und indirekter Form gegen den Genossen Walter Ulbricht richteten und aus denen deutlich die Wirksamkeit der feindlichen Argumente zu erkennen war.

  • U. a., um nur einige Beispiele anzuführen, forderten an der Uni Jena Studenten der Fachrichtung Germanistik/Geschichte

    • Umgestaltung der Briefmarken mit dem Porträt des Genossen Walter Ulbricht,

    • Veränderung der Losungen an Gebäuden,

    • Veränderung der FDJ-Losung: »Jeder eine gute Tat für den Genossen Walter Ulbricht« usw.

  • An der philosoph. Fakultät der Humboldt-Universität gab es im Kreis der Genossen Diskussionen ähnlicher Art. Es wurde gegen die Äußerung des Genossen Honecker Stellung genommen »Genosse Walter Ulbricht – das sind wir alle« (Fachrichtung Asien- und Afrikakunde).

  • In der letzten Woche wurden an der Humboldt-Universität selbstgefertigte Flugblätter verbreitet, die sich gegen die Maßnahmen vom 13.8. und gegen Genossen Walter Ulbricht richten.

  • Bei einer Übungsarbeit von Journalistik-Studenten (2. Stud. Jahr) an der Karl-Marx-Uni Leipzig brachten verschiedene Studenten Angriffe gegen Genossen Walter Ulbricht vor.

Sehr zahlreich traten bei der Ablehnung im Zusammenhang mit dem FDJ-Aufgebot zum Eintritt in die NVA pazifistische Stellungnahmen seitens der Studenten auf.

Dabei ist typisch, dass sich ein großer Teil dieser Studenten auf Argumente der Kirche stützt, was offensichtlich auch teilweise als Auswirkung der Beeinflussungsversuche durch kirchliche Studentenorganisationen zu werten ist.

  • In Jena propagierte z. B. der Theologiestudent [Name 1] die Gründung einer »Kriegsdienstverweigerer-Organisation« in der DDR.

  • Der Student [Name 2], 5. Stud. Jahr an der Uni Greifswald, verfasste eine schriftliche Resolution gegen die Maßnahmen der Regierung vom 13.8.1961 und besonders gegen die Aktion zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft. Er ließ diese von allen Seminargruppen-Mitgliedern unterschreiben und trug sie auf der FDJ-Aktivtagung der Uni vor. Er bezeichnete die Aktion als eine »faschistische Methode« und erklärte sie für »verfassungswidrig und als Rufmord.« Solche Maßnahmen seien ein Zeichen der Schwäche unseres Staates, die abzulehnen sind.

    In der Auseinandersetzung mit dem FDJ-Aktiv nahm er eine offene feindliche Haltung ein.

  • An der philosophischen Fakultät der Humboldt Universität Berlin hat sich unter Leitung eines Philosophie-Studenten ein sog. Literatenkreis konstituiert, der ausgehend von der Diskussion der Produkte eigener literarischer Tätigkeit, Tagesfragen und sog. philosophische Probleme auf der Grundlage revisionistischer Schriften diskutiert. Die revisionistische Literatur wird über einen Mittelsmann mit westdeutschem Personalausweis eingeschleust.

In mehreren Fällen gab es Versuche, studentische Kulturgruppenensembles zum Ausgangspunkt feindlicher Handlungen zu machen.

Das Leipziger Studentenkabarett »Rat der Spötter« arbeitete ein Programm aus (»Wo der Hund begraben liegt«), dass in seiner Gesamtheit ein einziger Angriff gegen die Politik der Partei und Regierung und Genossen Walter Ulbricht darstellt, und indirekt bis zu konterrevolutionären Forderungen reicht.5 (Die Hauptinitiatoren wurden festgenommen.)

Ähnliche Erscheinungen gab es beim satirischen Zirkel der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig und beim Studentenensemble der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst. Letzteres brachte im Rahmen des Ausscheides der Studentenbühnen der DDR für die Berliner Festtage das Schauspiel »Die Umsiedlerin« von Heiner Müller (Probleme der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft) in einer Regie, die Ausfälle und Hetze gegen unseren Staat und unsere Partei, Verunglimpfung von Partei- und Staatsfunktionären, Hetze gegen die Sowjetarmee und Verunglimpfung der Bündnispolitik der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauern zum Inhalt hat.6

Auch im Rahmen des FDJ-Aufgebotes kam es zu verschiedenen offenen feindlichen Handlungen:

  • Am Robert-Schumann-Konservatorium in Zwickau gab es neben heftigen Auseinandersetzungen über die Bereitschaftserklärung zur NVA, Aktionen gegen den FDJ-Sekretär und die FDJ-Leitung. Die Beschlüsse wurden nicht realisiert, feindlich eingestellte Studenten rissen Anhänge ab, verbrannten sie und führten Schmierereien durch.

  • An der ABF in Karl-Marx-Stadt hörte eine Gruppe von fünf Studenten gemeinsam Westsender ab. Sie willigten zum Schein in ihre NVA-Verpflichtung ein, nahmen aber vor der Untersuchung Medikamente, die die Herztätigkeit veränderten. Sie wurden zurückgestellt und propagierten unter Losung »lieber tot als NVA« ihre »Methode.« Als sie zur Rechenschaft gezogen wurden, zerriss ein Student sein FDJ-Dokument. Genossen wurden von ihnen mit »aufhängen« bedroht. Die fünf Studenten sind Arbeiterkinder, ihre Väter sind SED-Mitglieder und bekleiden verantwortliche Funktionen in Betrieben.

Eine Einschätzung der Lage an den Oberschulen zeigt, dass gegenwärtig die Mängel und Schwächen in der politisch-ideologischen und staatsbürgerlichen Erziehung unserer Jugend sich zum hauptsächlichsten Hemmnis bei der Durchsetzung der Schulpolitik an den Oberschulen entwickelt haben. Diese Erscheinungen ermöglichten auch das verstärkte provokatorische Auftreten von Oberschülern besonders in der letzten Zeit. Die Mehrzahl der Schüler in den Klassen 10 bis 12 bezieht keine klare politische Einstellung und verhält sich gegenüber gesellschaftlichen Aufgaben passiv und ablehnend.

Diese schädigende Tendenz an den Oberschulen wird begünstigt durch das Verhalten eines größeren Teiles des Lehrkörpers, der sich zu den Fragen der politisch-ideologischen Erziehung der Schüler passiv verhält, durch die allgemein schwachen Positionen der FDJ an den Schulen, durch die ungenügende erzieherische Einwirkung des Elternhauses und durch die starke Zersetzung infolge ständigen Abhörens und Verbreitens von Sendungen westlicher Hetzsender.

Im Wesentlichen zeigt sich der mangelhafte politisch-ideologische Zustand in folgenden Erscheinungen: Besonders in den letzten Klassen ist zu verzeichnen, dass das Unterrichtsfach Staatsbürgerkunde und Gesellschaftswissenschaft von Schülern für offene negative und feindliche Diskussionen benutzt wird, wobei die Haltung der Schüler von Disziplinlosigkeit über offenes negatives Auftreten bis zu Provokationen reicht.

  • So wurden an der 3. Oberschule in Fürstenwalde, 10. Klasse, von den Schülern im Unterricht die westzonalen Hetzbezeichnungen »Ostzone«, »Pankower Regierung« usw. gebraucht.

  • Die Schüler der 11. Klasse der Oberschule Groß-Räschen schrieben in einem Aufsatz übereinstimmend »Wenn die UdSSR und die DDR wirklich für den Frieden sind, warum rüsten sie dann auf?«

In einer größeren Anzahl von Schulen haben Klassen geschlossen Arbeiten über politische Themen abgelehnt.

Negative und direkt feindliche Diskussionen der Schüler lassen häufig ein intensives Abhören von westlichen Hetzsendern erkennen. Die Ablehnung des Verbotes, westliche Sender zu hören, findet oft durch Lehrkräfte Unterstützung, die eine solche Meinung vertreten, dass Sport- und Musiksendungen international und »harmlos« seien und man so lange Westsender hören könne, bis ein gesetzliches Verbot dafür vorhanden sei.

  • So traten an der 13. und 14. Oberschule in Rostock Lehrer in Elternversammlungen gegen das Verbot des Abhörens der NATO-Sender auf mit der Argumentation, dass nur »unpolitische« Sendungen gehört werden sollten.

  • An der Oberschule in Karstädt lehnten es alle Lehrer ab, eine Verpflichtung gegen den Empfang der NATO-Sender abzugeben.

Mehrfach wird die Behandlung politischer Themen, die Durchführung gesellschaftlicher Aufgaben und die Durchführung von Anweisungen der Abteilung Volksbildung oder von Vorschlägen der FDJ abgelehnt, wobei als Begründung angeführt wird, dass es an den Schulen in erster Linie auf eine gute fachliche Ausbildung und hohe Lernergebnisse ankäme.

So lehnen Schüler z. B. geschlossen das Tragen der FDJ-Hemden während des Unterrichts oder die außerschulische Ausbildung als »Ausnutzung ohne Lohngelder« ab.

Ein großer Teil der Schüler ist nicht für eine Mitarbeit in der FDJ zu gewinnen. Die Ablehnung erfolgt mit der Begründung, dass die Freizeit für wichtigere Dinge gebraucht würde.

Eine positive Einflussnahme durch Kinder fortschrittlicher Eltern ist oftmals nicht vorhanden. Die Vernachlässigung der Erziehungspflicht durch diese Eltern findet immer wieder darin ihren Ausdruck, dass nicht selten Kinder von Genossen und Funktionären als Organisatoren von feindlichen Aktionen an Schulen in Erscheinung treten. In der 12. Klasse der erweiterten Oberschule Boizenburg organisierte der Sohn eines Instrukteurs eine provokatorische Verabschiedung einer Familie, die aus dem Grenzgebiet ausgesiedelt wurde.

Die Auswirkungen der politisch-ideologischen Zersetzung gehen an einzelnen Oberschulen so weit, dass feindliche und negative Kräfte maßgeblichen Einfluss auf die gesamte Schülerschaft erlangen konnten,

  • wie z. B. in der Erweiterten Oberschule Ludwigslust, wo eine Schülervollversammlung über den Abschluss eines Friedensvertrages abgebrochen werden musste, weil negative Schüler offen feindlich diskutierten und dabei den Beifall der großen Mehrheit der anwesenden Schüler fanden.

  • Offen traten negative Kräfte auch in der Oberschule Plau/Schwerin auf, wobei u. a. erklärt wurde, dass die DDR ein Zuchthaus sei.

Auch beim Schmieren von Hetzlosungen und Verbreiten selbstgefertigter Hetzschriften sind in der letzten Zeit besonders Oberschüler in Erscheinung getreten, wobei beachtenswert ist, dass sie in der Regel in Gruppen aufgetreten sind, die vereinzelt sogar staatsfeindliche Konzeptionen besaßen.

  • So verbreiteten drei Oberschüler, Mitglieder der »Jungen Gemeinde«, in Fürstenwalde 70 selbstgefertigte Hetzschriften mit Hetze gegen die sozialistische Entwicklung.

  • In Bad Frankenhausen schmierten Schüler der 10. Klasse Hetzlosungen wie »Russen raus«, »Freie Wahlen«, »Weg mit der Mauer« usw. an Häuserwände.

  • An der Thomas-Müntzer-Oberschule Aschersleben wurde eine Gruppe mit staatsfeindlicher Konzeption zerschlagen.

  • An der Oberschule in Genthin hatte sich eine Gruppe von fünf Oberschülern gebildet, die sich das Ziel setzte, die Bevölkerung mit anonymen Anrufen, Drohbriefen und anderen Maßnahmen zu terrorisieren.

Allgemein ist festzustellen, dass der Einfluss der »Jungen Gemeinde« und ihre Aktivität an den Oberschulen zurückgegangen ist. Die Mitglieder treten nicht mehr offen in Erscheinung. Offensichtlich aus rein taktischem Verhalten, um ihre Oberschulbildung zu sichern, arbeitet ein großer Teil dieses Kreises in der FDJ, GST, in Kulturgruppen und Arbeitsgemeinschaften mit. Dass sich die negative Einstellung der Angehörigen der »Jungen Gemeinde« zu unserem Staat aber nicht geändert hat, zeigt ihr ablehnendes Verhalten bei der Werbung zum Beitritt zu den bewaffneten Kräften.

Die Verpflichtungsbewegung in der Bereitschaftserklärung zur Verteidigung muss an den Oberschulen zum größten Teil als formal angesehen werden. Verpflichtungen wurden häufig übernommen in der spekulativen Absicht, zunächst die Oberschule zu beenden und durch die Verpflichtung ein weiteres Studium zu sichern. Über diese formale Verpflichtung hinaus wurden bis auf wenige Ausnahmen in den Schulen keine Maßnahmen eingeleitet, um auf dieser Grundlage weitere politisch-ideologische Auseinandersetzungen zu führen.

Diese Situation ist im Wesentlichen auf die ungenügende politische Erziehungsarbeit des Lehrkörpers zurückzuführen, der weiteren Auseinandersetzungen ausweicht.

Allgemein ist einzuschätzen, dass ein bedeutender Teil der Lehrer mit den Grundfragen unserer Politik nicht vertraut ist und zum Teil westliche Tendenzen vertritt oder sich in dieser Richtung orientiert. Das daraus resultierende politische Schwanken führt auch zur Unterschätzung der erzieherischen Rolle der FDJ an den Schulen, der oft keine Unterstützung gewährt wird. Mehrfach treten Lehrkräfte sogar gegen die Arbeit der FDJ auf.

  • So erklärte ein Lehrer der Oberschule Ludwigslust in einer FDJ-Versammlung, dass es keinen Zweck habe, sich über die Perspektive des Sozialismus zu unterhalten und unterstützte damit reaktionäre Schüler bei der Sprengung der Versammlung.

  • An der Oberschule Strasburg lehnten es acht von neun Junglehrern ab, FDJ-Kleidung zu tragen.

  • In Magdeburg erklärte eine Lehrerin in einer FDJ-Versammlung, dass die Schüler Westsender hören müssten, weil es bei uns keine gute Musik gäbe.

Die Zentralen Schulgruppenleitungen (ZSGL) müssten sich nach Ansicht vieler Lehrer nur aus fachlich guten Schülern zusammensetzen, wodurch häufig Arbeiterkinder von den Funktionen abgedrängt werden und negativ eingestellte, meist Schüler bürgerlicher Herkunft, die Oberhand gewinnen. Die durch diese Zusammensetzung bedingte mangelhafte Arbeit der ZSGL bewirkt, dass die FDJ-Leitungen in vielen Schulen geringe Autorität besitzen.

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