Lage im Bezirk Dresden
27. Februar 1961
[Einzel-Information] Nr. 91/61 über einige Hinweise zur Lage im Bezirk Dresden
Dem MfS liegen eine Vielzahl Materialien vor, aus denen ersichtlich ist, dass es im Bezirk Dresden bereits gute Ergebnisse bei der Verbesserung der ideologischen Massenarbeit, in der staatlichen Leitungstätigkeit und bei der Bekämpfung schädlicher Erscheinungen auf ideologischem und ökonomischem Gebiet gibt, besonders in Durchführung der Beschlüsse der 5. Bezirksdelegiertenkonferenz der SED und der 19. Bezirkstagssitzung.1
Diese positive Entwicklung wurde in erster Linie durch die Verbesserung der Tätigkeit der Parteileitungen und -organisationen auf politisch-ideologischem Gebiet erreicht.
Aber auch das Ratskollektiv ist bemüht, seiner Verantwortung gegenüber dem Bezirkstag gerecht zu werden. Das zeigt sich u. a. in der Tatsache, dass im 2. Halbjahr 1960 die Beschlüsse der Partei als Schwerpunkte eingehend beraten und konkrete Maßnahmen festgelegt wurden. In der Vorbereitung der Bezirkstagssitzungen werden die Vorsitzenden der Ständigen Kommissionen durch den Vorsitzenden des Rates mit den Schwerpunkten der zu beratenden Probleme und der Zielstellung vertraut gemacht. Dabei wurden gleichzeitig Hinweise zur Vorbereitung und Vertiefung der massenpolitischen Arbeit gegeben, in deren Ergebnis die Bevölkerung in einem stärkerem Rahmen zur Mitarbeit aufgefordert und einbezogen wird.
Die Qualifizierung der Bezirkstagsabgeordneten erfolgt jetzt zielstrebiger und nach zwei bereits bewährten Methoden. So findet eine politisch-fachliche Qualifizierung aller Abgeordneten in Vorbereitung der Plenartagungen statt. Die theoretischen Darlegungen werden durch anschließende Exkursionen, verbunden mit Konsultationen, in den besten Betrieben vertieft, um die Abgeordneten unmittelbar mit der Anwendung der neusten Technik, Neuerermethoden2 usw. vertraut zu machen.
Maßnahmen wurden auch zur besseren Qualifizierung der Abgeordneten innerhalb der Ständigen Kommissionen eingeleitet. Doch lag hier die Beteiligung im Durchschnitt bisher erst bei 50–60 %.
Insgesamt zeigen sich die Erfolge im Bezirk Dresden in einer besseren Mobilisierung der Werktätigen im Kampf um die Planerfüllung. So lieferte der Bezirk Dresden 1960 als erster die Getreideernte ab.
Im VEB Rafena Radeberg z. B., wo in den vergangenen Jahren nie der Plan erfüllt wurde, wo Schlamperei und mangelhafte Leitungstätigkeit herrschte, wurde 1960 erstmalig der Plan erfüllt. In Auswertung des 11. Plenums der SED verpflichtete sich die Belegschaft von Rafena im Betriebskollektivvertrag für 1961, die Selbstkosten um 6,8 % zu senken und bei den Materialkosten 1 % einzusparen. Außerdem liegen über hundert konkrete Verpflichtungen der Brigaden dazu und über Einsparung von Importmaterialien, über Senkung der Nacharbeit usw. vor.
Vom VEB Sachsenwerk Niedersedlitz wurde in Auswertung der 5. Bezirksdelegiertenkonferenz die Losung der »5 Hammerschläge« herausgegeben und popularisiert. In richtiger Anwendung dieser Losung erzielte die Brigade »Alex« vom VEB Waggonbau Bautzen einen Nutzen von fünf Millionen DM. Auch im Sachsenwerk Niedersedlitz selbst wurden die in der Vergangenheit aufgetretenen schädlichen Erscheinungen richtig ausgewertet und die Partei-, Werk- und Gewerkschaftsleitung ging in die Offensive. Besonders wurde die politische Führungstätigkeit verbessert und die Beschlüsse der Partei und Regierung werden diskutiert und erläutert. Es wird konsequent auf die politisch-ökonomischen Schwerpunkte in der Produktion und Verwaltung orientiert und die Wettbewerbsbewegung im Betrieb nahm zu. Durch Bildung eines Kampfstabs ist eine ständige Kontrolle über den Ablauf der Produktion vorhanden. Bei Mängeln wurden und werden von der Partei- und Werkleitung Sofortmaßnahmen eingeleitet. Ebenso hat sich die politische Massenarbeit im Betrieb verbessert. Alle Wirtschafts- und Parteifunktionäre führen in den Abteilungen und Bereichen mit den Arbeitern gemeinsam rote Treffs über Produktionserfolge, Schwächen und Mängel durch und beraten dabei auch die Beschlüsse der Partei und Regierung, die konkret erläutert werden.
Damit wurde unter den Arbeitern und Angestellten eine offene Atmosphäre geschaffen und die Belegschaft bringt zum größten Teil ihre tatsächliche Meinung zum Ausdruck.
Durch das straffe sozialistische Leitungsprinzip seitens der Werkleitung und der Partei konnte im Jahre 1960 das Sachsenwerk Niedersedlitz seinen Produktionsplan erstmalig seit Jahren sortimentsgerecht erfüllen und durch richtige politische Orientierung wurde in den meisten Brigaden, die um den Titel Brigade der sozialistischen Arbeit ringen, ein großer Fortschritt in der massenpolitischen Arbeit, in den Auseinandersetzungen über Arbeitsbummelei, Disziplinlosigkeit, Ausschusssenkung usw. erreicht.
Besonders wird sich in den Brigaden jetzt auch mit ideologischen Unklarheiten auseinandergesetzt. Von ca. 5 000 Beschäftigten arbeiten 1 352 Kollegen nach der Seifert-Methode3 und 865 nach der Christoph-Methode4. Insgesamt gibt es im Betrieb 159 sozialistische Brigaden mit 2 541 Kollegen, 563 Kollegen arbeiten in 41 sozialistischen Arbeitsgemeinschaften.
Unter anderem ist durch die Aktivierung der gesamten Arbeit im Betrieb die Zahl der Verbesserungsvorschläge ständig angewachsen.
Ähnliche Beispiele auch aus anderen Betrieben zeigen, dass es den Partei-, Staats- und Wirtschaftsorganen in zahlreichen Fällen gelungen ist, die Leitungstätigkeit zu verbessern und durch stärkere Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit, besonders über die Grundfragen der Politik der Partei und Regierung, Erfolge auf politischem und ökonomischem Gebiet zu erringen. Dadurch wurde und wird z. B. auch immer mehr der Kampf gegen Erscheinungen des Sozialdemokratismus und andere schädliche Tendenzen geführt.
So wurde durch die Partei eine oppositionelle Gruppe beim FDGB-Kreisvorstand Sebnitz entlarvt und zerschlagen, die sektiererisch und teilweise fraktionell die Beschlüsse der Partei zu umgehen versuchte, Kritiken der Partei mit Gegenkritiken beantwortete, administrierte und versuchte, ihre negative Haltung auf andere Mitarbeiter des FDGB-Kreisvorstandes zu übertragen. U. a. argumentierten sie,
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dass das Tempo der Entwicklung zu schnell sei
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und man »langsamer treten« müsse,
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dass die führende Rolle der Partei in den Gewerkschaften nicht notwendig sei.
Beim Kreisvorstand Bautzen des FDGB wurde gegen resignierendes und kapitulantenhaftes Verhalten einiger Funktionäre vorgegangen, die die Meinung vertraten,
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die Partei kenne die Lage in den Gewerkschaften nicht und
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sie verlange von den Gewerkschaften zu viel,
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das Entwicklungstempo sei zu schnell.
Auch im Staatsapparat, beim Rat des Bezirkes, bei den Räten der Kreise und in anderen Staats- und Wirtschaftsorganen gibt es eine Reihe guter Ansätze bei der besseren Verwirklichung der führenden Rolle der Partei, indem die Beschlüsse der Partei, im Besonderen die der Bezirksleitung, gründlich ausgewertet und konkrete Beschlüsse gefasst werden und die Rolle der Volksvertretungen gehoben wird. Durch diese Arbeitsweise konnten bereits auch hier eine Reihe Erfolge erzielt werden.
Trotz dieser guten Beispiele und auch der ernsthaften Bemühungen verantwortlicher Funktionäre, hat sich diese Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit, die neuen Formen der Leitungstätigkeit, die Auseinandersetzungen mit feindlichen Argumenten noch nicht überall durchgesetzt, besonders nicht in den Kreisen, Städten und Gemeinden.
Das wird vor allem dadurch bewiesen, dass es noch ernsthafte Mängel bei der Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes, bei der Realisierung des Marktaufkommens und bei der Sicherung der täglichen Versorgung gibt. Diese Mängel sind nur zu einem Teil auf objektive Schwierigkeiten zurückzuführen, sondern in starkem Maße haben sie ihre Ursachen in ideologischer Unklarheit, in ungenügender Beachtung der Beschlüsse von Partei und Regierung, in formaler Arbeitsweise und in einer gleichgültigen Haltung gegenüber diesen Problemen. Diese Tendenzen wirken sich nach wie vor vorallem in der Führungs- und Leitungstätigkeit des Staatsapparates aus, wo in den meisten Fällen die Kontrolle der Beschlüsse noch nicht systematisch genug erfolgt und wenig direkte operative Einflussnahme auf die zu lösenden Probleme genommen wird. Stattdessen wird in den meisten Fällen versucht, alles mit objektiven Schwierigkeiten abzutun, ohne wirklich kämpferisch an die Lösung der Aufgaben heranzugehen. Oft werden dabei Vorschläge und Kritiken der Werktätigen nicht beachtet und dadurch die Einbeziehung der Werktätigen in die Lenkung und Leitung und die Entwicklung ihrer Initiative gehemmt. Die größten Mängel bestehen dabei in den Abteilungen Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft, in den Bauämtern und bei verschiedenen Wirtschaftsfunktionären in den Betrieben. Wie es möglich ist, die in der Vergangenheit als objektiv hingestellten Schwierigkeiten zu überwinden, zeigt ein Beispiel aus dem VEB Rafena Radeberg, wo ab 1. Januar 1961 große Anstrengungen unternommen wurden, um mit Jahresbeginn plangerecht zu produzieren.
Dabei wurde der Plan durch fehlende Röhren (PCF 82) gefährdet, weil das Werk für Fernsehelektronik Berlin seine Lieferverpflichtungen nicht einhielt. Daraufhin nahm der Werkleiter, Genosse Kästner, Verbindung zur VVB Rundfunk und Fernsehen und zur VVB Bauelemente und Vakuumtechnik auf. Nachdem beide VVB beteuerten, dass keine PCF 82 lieferbar sind, fuhr er zum VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin. Von den verantwortlichen Wirtschaftsfunktionären des Werkes wurde ihm jedoch abermals mitgeteilt, dass keine PCF 82 vorhanden sind und demzufolge auch nicht geliefert werden können. Auf das Drängen des Werkleiters des VEB Rafena erklärten sich die Wirtschaftsfunktionäre des Werkes für Fernsehelektronik zu einer Lagerbesichtigung bereit und mussten dabei feststellen, dass noch ca. 4 000 St. PCF 82 im Werk lagerten, was ihnen angeblich nicht bekannt war. Durch die Initiative des Werkleiters war es möglich, größere Produktionsausfälle im VEB Rafena zu vermeiden und den Plan für Januar 1961 zu erfüllen.
Diese gute Arbeitsweise des Werkleiters hat sich aber noch nicht restlos auf die übrigen Wirtschaftsfunktionäre des Betriebes übertragen. So konnte es trotz der im Wesentlichen positiven Entwicklung im VEB Rafena vorkommen, dass:
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28 000 Statoren,
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3 855 Röhrenfassungen (1772),
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36 686 Röhrenfassungen (1718),
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14 773 Gummibuchsen,
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122 093 Spulenkörper (Polystyrol)
sowie große Mengen Filzstreifen und Aluminiumtöpfe verschrottet wurden.
Diese Materialien im Werte von insgesamt 61 050 DM wurden schon vorher von den zuständigen Sachbearbeitern des VEB Rafena in leichtfertiger Weise anderen Betrieben und dem Staatlichen Vermittlungskontor angeboten. Nachdem diese Angebote erfolglos blieben, wurden die Materialien der VVB zur Verschrottung gemeldet und von der VVB eine Verschrottung auch genehmigt, obwohl im Werk selbst noch Verwendungsmöglichkeiten bestanden.
Als Schwerpunktbetrieb im Bezirk Dresden ist zzt. der VEB Kamera- und Kinowerke Dresden einzuschätzen, wo es große Schwächen in der Leitungstätigkeit, Unklarheiten über Fragen der Weltspitze und Schlamperei gibt. Bereits auf dem V. Parteitag der SED5 wurde das Kamera- und Kinowerk Dresden (KKWD) kritisiert, weil es mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt nicht standgehalten hat. Die seit dieser Zeit stehende Aufgabe, durch straffe Leitungstätigkeit die Stagnation im Betrieb zu überwinden, neue Geräte zu entwickeln und schnellstens in die Produktion zu überführen, die Planerfüllung zu gewährleisten und die Rekonstruktion zum Großbetrieb durchzuführen, wurden nicht gelöst. In der Abteilung Forschung und Entwicklung wurde die Kritik zwar richtig erkannt und einige neue Geräte (vollautomatische Kamera »Prakti«, halbautomatische Kamera »Pentina«), die Weltspitze aufweisen, zu entwickeln. Aber es ist nicht gelungen, diese und andere Geräte wie vorgesehen bereits 1960 und im I. Quartal 1961 dem Handel zur Verfügung zu stellen. Für verspätete Lieferungen dieser und anderer Geräte und für auftretende Gütemängel wurde der Betrieb im Jahre 1960 mit einer Vertragsstrafe von 105 000 DM belegt. Das Exportprogramm konnte ebenfalls nicht erfüllt werden und es besteht ein Rückstand von 940 000 DM.
1960 wurde die Warenproduktion mit 94,8 % und die Bruttoproduktion mit 98,5 % erfüllt. Die Planerfüllung im Januar 1961 liegt jedoch nur bei 92,6 % und nach voraussichtlicher Schätzung wird der Plan im I. Quartal mit 1,5 Mio. DM unerfüllt bleiben. Die Ursachen dafür sind die völlig ungenügende Leitungstätigkeit in diesem Werk, eine Reihe ideologischer Unklarheiten, was beim Werkleiter beginnt und sich bis hinunter zum Meister erstreckt. Es gibt kein kollektives Zusammenwirken des Werkleiters mit den Direktionsmitgliedern. Die leitenden und mittleren Wirtschaftsfunktionäre erkennen zwar selbst immer mehr, dass die ungenügende Führungstätigkeit Schuld an vielen Missständen und Schlampereien sowie an der Nichterfüllung des Planes hat, doch tun sie selbst nicht den entscheidenden Schritt zur Veränderung und dulden weiterhin Schlampereien und Missstände. Es gibt keine zielstrebige Zusammenarbeit der einzelnen Direktionsbereiche und Fertigungsbereiche sowie der Technologie, Forschung und Entwicklung im Betrieb. Auch die Zusammenarbeit mit den übergeordneten Organen, wie VVB und Staatliche Plankommission, ist ungenügend. Es gibt im KKWD noch keinen konkret ausgearbeiteten Struktur-, Organisations- und Funktionsplan. Zzt. ist die Ausschussarbeit besonders in der Vorfertigung, im Ansteigen, speziell bei Teilen für neue Geräte.
Den leitenden und mittleren Wirtschaftsfunktionären ist der Ernst dieser Lage offensichtlich nicht bewusst und sie setzen sich nicht energisch genug durch, um die Ursachen aufzudecken und verantwortliche Mitarbeiter für diese Mängel zur Rechenschaft zu ziehen. Der Werkleiter selbst vertrat im II. Quartal 1960, als die Planrückstände zunahmen, die Meinung, dass die Planerfüllung ja erst am Jahresende abgerechnet wird. Er ließ wichtige Beschlüsse und Protokolle der VVB, der Staatlichen Plankommission und der Betriebsparteiorganisation und andere Unterlagen über Planauflage und Planerfüllung lange Zeit unbeachtet in seinem Schreibtisch liegen. Änderungen der VVB, die zum Beispiel eine Selbstkostensenkung um drei Mio. DM vorsahen, ignorierte er, weil »der Plan für 1961 vom KKWD sowieso nicht erfüllt würde«. Ideologische Unklarheiten zeigen sich auch beim Planungsleiter, der erklärte, dass kleinere Betriebe ihren Plan besser erfüllen könnten, »weil es dort keine hauptamtlichen BPO und BGL gibt«. Durch die ernsthafte Lage im VEB KKWD, die vom Werkleiter und von den leitenden Funktionären nicht richtig eingeschätzt wird, mussten sich bereits die Deutsche Notenbank einschalten. Die in gemeinsamer Besprechung mit der Deutschen Notenbank festgelegten Maßnahmen, wie Verbesserung der Leitungstätigkeit, Planaufschlüsselung, Kontrolle der Planerfüllung, Abbau der Überplanbestände und andere Probleme, wurden aber durch den Werkleiter und die Werkleitung nicht beachtet.
In der Röntgenentwicklung des VEB Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden wird der Forderung von Partei und Regierung auf rasche Entwicklung von Spitzenerzeugnissen ebenfalls nicht Rechnung getragen. Die Folge davon ist, dass neben dem hohen Anfall nicht mehr realisierbarer Entwicklungskosten die Röntgenerzeugnisse des Werkes in vielen Positionen nicht mehr der Weltspitze entsprechen und auf dem kapitalistischen und zum Teil auch auf dem sozialistischen Weltmarkt westdeutsche Röntgengeräte den DDR-Geräten vorgezogen werden. Z. B. wurde 1954 mit der Entwicklung einer Einkessel-Grobstruktur-Einrichtung begonnen, bei der bis 1960 189 000 DM Kosten entstanden. Die Entwicklung dieses Gerätes wurde 1960 abgebrochen, weil es aus der Volksrepublik Ungarn bezogen werden kann. Ebenfalls 1954 begann man mit der Entwicklung eines Hochleistungs-Diagnostik-Röntgenapparates und verbrauchte dafür bis 1960 733 000 DM.
Der Abschluss dieser Entwicklung wurde bereits mehrmals verschoben und ist jetzt für das IV. Quartal 1962 geplant.
Auch über formale Arbeit des Staatsapparates, besonders der Räte der Kreise, liegen eine Reihe Beispiele vor, von denen nur einige typische angeführt werden sollen.
Im Kreis Kamenz sollten entsprechend dem Perleberger Beispiel nach der 5. Bezirksdelegiertenkonferenz Komplexbrigaden zum Einsatz in Schwerpunktgemeinden gebildet werden. Dazu wurden insgesamt vier Beschlüsse durch den Rat des Kreises gefasst, jedoch keiner realisiert, weil keine »organisatorische Vorbereitung« erfolgt sei. Erst nach Ausspruch einer Missbilligung durch das Büro der Kreisleitung begann man damit, die Komplexbrigaden arbeiten zu lassen, jedoch ohne bisher wesentliche Erfolge nachweisen zu können.
Im Kreisbauamt Freital wurde die 5. Bezirksdelegiertenkonferenz nicht richtig ausgewertet. Die Mitarbeiter des Kreisbauamtes hemmen durch bürokratisches Verhalten die Initiative der Genossenschaftsbauern in Fragen des ländlichen Bauwesens, ohne die örtlichen Reserven im Kreis auszuschöpfen. In der Gemeinde Quohren wurde von den Genossenschaftsbauern dem Rat des Kreises vorgeschlagen, eine Scheune als Stall für die Ferkelaufzucht umzubauen. Trotzdem die Genossenschaftsbauern dem Rat des Kreises gute Hinweise dafür gaben, unternahm die Abteilung Aufbau beim Rat des Kreises nichts, um diese Vorschläge zu realisieren.
Im Kreis Dippoldiswalde bilden die Ratsmitglieder des Rates des Kreises noch kein festes Führungskollektiv. Die Kritik ist schwach entwickelt.
Ungenügende Arbeit wird z. B. in der Abteilung Volksbildung geleistet. Es wird vorwiegend administriert. Als Begründung wird von dieser Abteilung angeführt, dass unter der Bevölkerung für schulische Probleme kein bzw. wenig Interesse vorhanden sei. Im Gegensatz dazu zeigten die durchgeführten Elternbeiratswahlen, dass das Interesse der Bevölkerung an der Entwicklung des Schulwesens vorhanden ist.
Im Kreis Dippoldiswalde ist auch die Arbeit des Staatsapparates auf dem Gebiet der Landwirtschaft unbefriedigend. Der Beschluss des Ministerrates über die Entwicklung der LPG in den Gebirgslagen von Oktober 1959 wurde bisher nur ungenügend verwirklicht. Es betrifft dies 27 Gemeinden im Kreisgebiet, wo besondere Maßnahmen in der Gründlandbewirtschaftung und der Entwicklung der Rinderbestände durchgeführt werden müssen. Vom Rat des Kreises wurde jedoch erst in den letzten Tagen eine Beratung mit den Bürgermeistern und LPG-Vorsitzenden zu dieser Frage organisiert.
Eine ungenügende politisch-ideologische Arbeit und mangelhafte Unterstützung seitens der Staatsorgane auf Kreis- und Bezirksebene zeigt sich auch in den Bestrebungen, dass fast in allen Kreisen Bürgermeister ihre Funktionen abgeben wollen.
Dabei gab es sogar einen solchen Fall, dass ein Bürgermeister bewusst der Parteiversammlung zum Dokumentenumtausch fernblieb, um auf diese Weise die Kreisleitung der SED und den Rat des Kreises zu zwingen, ihn seiner Funktion zu entheben.
Auch auf dem Gebiet der Arbeit mit den Menschen gibt es einige ernsthafte Erscheinungen, wo die Staatsratserklärung, die Beschlüsse und Kommuniqués der Partei und Regierung offensichtlich nicht richtig ausgewertet werden.
Demzufolge werden diese grundsätzlichen Dokumente oft auch nicht in dem erforderlichen Maße der gesamten Bevölkerung, besonders den Angehörigen der Intelligenz, erläutert. Das zeigt sich in einer Reihe unklarer und zum Teil feindlicher Diskussionen unter den verschiedensten Bevölkerungsschichten. Das zeigt sich aber auch gleichzeitig an Beispielen des herzlosen und bürokratischen Verhaltens gegenüber der Bevölkerung.
Bei der Auswertung des 11. Plenums6 im ZfK Rossendorf, Bereich Radiochemie, argumentierte z. B. der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. [Name 1] (SED), dass die Partei drei verschiedene Formen der Intelligenzpolitik durchführe:
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Eine Politik »mit Samt-Samt-Handschuhen« für die medizinische Intelligenz,
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eine Politik »mit Samt-Handschuhen« für die bürgerliche wissenschaftliche Intelligenz,
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eine Politik für die Genossen Wissenschaftler, die sich jedoch in keiner Weise von der allgemeinen Politik unterscheide.
Diese Ausführungen wurden von der gesamten Parteiorganisation widerspruchslos hingenommen.
Im VEB Flugzeugwerk Dresden tritt der Parteisekretär des Konstruktionsbüros diktatorisch gegenüber der alten Intelligenz auf und lässt nur seine eigene Meinung gelten. Zu einem Ingenieur und Abteilungsleiter sagte er während einer Besprechung: »Sie merken wohl gar nicht, wie überflüssig Sie hier sind«. In einem anderen Falle äußerte er »aus Spaß«, dass man die ganzen Spezialisten vor das Werktor treiben und erschießen müsste. Seine Meinung über die alte Intelligenz versucht er auch auf die Angehörigen der jungen Intelligenz zu übertragen und schafft somit eine ungesunde Atmosphäre im Verhältnis zwischen alter und junger Intelligenz.
Der Werkleiter des VEB Flugzeugwerk ist abergläubig und macht viele Entscheidungen »vom Horoskop« abhängig. Er operiert nach einem bestimmten Zahlensystem und errechnet im Voraus, welche Tage für ihn und für seine Arbeit gut oder schlecht sind. Darüber hinaus trifft er an Tagen, wie 7. oder 13. prinzipiell keinerlei Entscheidungen. Er ist von der Richtigkeit seiner Theorie zutiefst überzeugt, obwohl er Mitglied der SED ist.
Eine Reihe Unklarheiten traten bei den Diskussionen über den Entwurf des Arbeitsgesetzbuches auf. In den meisten Betrieben wurde in den Gewerkschaftsgruppen nicht über die politisch-ideologischen Grundfragen diskutiert, sondern oft über die vom Gegner propagierten Argumente und Forderungen, z. B. über Streikrecht. Im MTS Stützpunkt Wülkenitz Kreis Riesa, um nur ein Beispiel zu nennen, wurde diese Diskussion über Streikrecht von dem Lehrausbilder und gleichzeitigen BGL-Vorsitzenden unter die Jugendlichen getragen. Ein Teil der Jugendlichen bezog deshalb eine schwankende Haltung. Von einigen positiven Jugendlichen wurden diese Fragen dann geklärt.
Auch zu anderen aktuellen politischen Problemen gibt es ständig eine Reihe negativer und feindlicher Argumente. Z. B.:
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Die auffällige Bevorrechtung der Intelligenz bei der Befriedigung ihrer materiellen Bedürfnisse treibe einen Keil zwischen die Arbeiterschaft und die Intelligenz.
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Das Marktaufkommen sei zu hoch und das Tempo der Entwicklung der Viehwirtschaft zu schnell.
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Der Sozialismus könne nur durch einen Krieg siegen und man müsse deshalb mit einer kriegerischen Auseinandersetzung – auch in Deutschland – rechnen.
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Die Linie Schirdewans7 und Stalins sei richtig gewesen.
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Aufgrund der Schwierigkeiten in der Arbeitskräftelage sollte keine Parteiarbeit geleistet werden, sondern die BPO-Sekretäre sollten produktiv arbeiten.
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Man sollte ehemalige NSDAP-Mitglieder in leitende Funktionen einsetzen, weil sie Fachkräfte seien. Auch der Beschluss, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder keine Funktionen in der SED ausüben sollten, sei zu hart und müsste verändert werden.
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Die »Bevormundung« der LPG durch Partei- und Staatsorgane müsse beseitigt werden.
Aber auch eine Reihe im Bezirk Dresden verbreiteter selbsthergestellter Hetzschriften, die sich gegen die Politik der Partei und Regierung richten, zeigen einen noch starken Einfluss feindlicher Ideologien.
Wie bereits erwähnt, spielen auch eine Reihe Beispiele falschen Verhaltens gegenüber der Bevölkerung eine Rolle im Bezirk Dresden.
Vom Rat der Stadt Dresden wurde ein Briefkasten aufgestellt, in dem die Bevölkerung Anfragen, Beschwerden und Kritiken einwerfen soll. Dieser Briefkasten wurde seit 1 ½ Jahren nicht gelehrt, obwohl er bis obenhin gefüllt war. Aber auch die auf anderem Wege eingehenden Beschwerden werden nur nachlässig bearbeitet. Die 10-Tagefrist für eine Bearbeitung von Beschwerden wird fast nie eingehalten.
In der Bau Union Süd, Baustelle Klotzsche, werden vom Parteisekretär und BGL-Vorsitzenden die Erziehung der Jugend missachtet. Ein Jugendlicher, der im Wohngebiet an einer Trinkerei beteiligt war und wegen Verleumdung von VP-Angehörigen eine Woche in Untersuchungshaft gehalten wurde, wurde auf Betreiben der Obengenannten entlassen, anstatt entsprechende Erziehungsmaßnahmen einzuleiten.
Auch ein anderer Jugendlicher sollte aus der Bau Union Süd entlassen werden, weil er an der Zusammenrottung Jugendlicher auf dem Fučikplatz beteiligt war, ohne aber eine aktive Rolle gespielt zu haben.
Eine Bauarbeiterin, die mit ihren zwei Kindern im Wohnlager der Bau Union Süd wohnt, sollte zur Baustelle Pirna versetzt werden, weil sie wegen Krankheit ihrer Kinder öfters nicht zur Arbeit kommen konnte und angeblich einen lockeren Lebenswandel führe. Als diese Bauarbeiterin erklärte, dass sie dort ihre Kinder nicht unterbringen kann, antwortete ihr der Abteilungsleiter für Arbeit: »Was interessieren mich ihre Kinder, sind sie oder ihre Kinder bei uns beschäftigt.«
Der 2. Sekretär der Parteiorganisation der Bau Union Süd forderte den Wirt einer Gaststätte, in der ständig Bauarbeiter verkehren und Trinkgelage abhalten, indirekt auf, republikflüchtig zu werden. Unter Hinweis auf sein Parteiabzeichen gab der 2. Sekretär dem Wirt folgende Erklärung: »Wir wären froh, dich nicht mehr hier zu sehen. Es wäre gut, wenn du dir eine Fahrkarte kaufen würdest.«
Eine Reihe politisch-ideologischer Unklarheiten im Justizapparat haben noch immer negative Auswirkungen gegenüber der Bevölkerung durch eine oft nicht genügend differenzierte Rechtsprechung.
Die bisherigen Auseinandersetzungen in den Mitgliederversammlungen der Grundorganisationen der Bezirksgerichte und Justizverwaltungsstellen haben noch nicht zur grundlegenden Wende in der Arbeit geführt und nach wie vor wirken die von den Volksvertretungen gewählten Richter und leitenden Kader der Justiz nebeneinander, anstatt sich gegenseitig durch wirksame Kritik zu helfen. So wurden z. B. vom Bezirksgericht die wiederholten Hinweise der Partei, dass die Hauptaufgabe in der Entwicklung der politisch-moralischen Kräfte des Volkes liegt, nicht in die tägliche praktische Arbeit umgesetzt. Der 2b-Senat des Bezirksgerichts nahm z. B. wiederholt Diebstähle in Selbstbedienungsläden zum Anlass, undifferenziert und ohne Berücksichtigung der Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters unbedingt Freiheitsstrafen auszuwerfen. Solch schematisches Herangehen zeigte sich in einigen Entscheidungen gegen Hausfrauen und Arbeiterinnen, wo bei einem Wert von 3,00 bis 4,00 DM Gefängnisstrafen von acht Tagen und Veröffentlichung des Urteils im Selbstbedienungsladen angewendet wurden. Wie weit der beim Senat bestehende Rechtsformalismus führte, zeigt besonders deutlich die Strafsache BSG 445/60 gegen die LPG-Bäuerin [Name 2], die einzige Genossin ihres Dorfes. Diese LPG-Bäuerin vergaß bei einem Einkauf 1 kg Mehl anzugeben. Dieser Vorfall wurde zum Anlass für ein Strafverfahren genommen und sie wurde vom Kreisgericht mit einem öffentlichen Tadel bestraft. Wegen des Freispruches wurde Protest eingelegt und das Bezirksgericht hat nach Aufhebung und Zurückweisung die Verurteilung gefordert, weil die Staatsanwaltschaft durch die Anklageerhebung das öffentliche Interesse bejaht hätte.
Wegen diesen rechtsformalistischen Erwägungen musste die Genossin drei Gerichtsverhandlungen über sich ergehen lassen. Ein Gegner unserer Ordnung hätte nicht wirksamer eine Genossin in ihrer politischen Arbeit unmöglich machen können.
Eine solche herzlose und bürokratische Rechtsprechung des 2. Senats zeigt, dass die Beschlüsse der Partei nicht Grundlage unserer sozialistischen Rechtspflege sind und führte zu ungerechtfertigten harten Strafen gegenüber Werktätigen. Andererseits zeigten sich politisch-ideologische Unklarheiten als Ursache für liberalistisches und versöhnlerisches Verhalten des Senats in den Verfahren gegen illegales Verlassen der DDR und gegen offene feindliche, die staatliche Ordnung der DDR störende Handlungen.
In vielen Fällen wurde ungenügend der Charakter der Gesellschaftsgefährlichkeit herausgearbeitet, so z. B. im Prozess gegen die Rädelsführer der Provokation auf dem Fučikplatz und bei der Schädlingstätigkeit des ehem. Bezirksfischermeisters Lehmann.
Diese politisch-ideologischen Mängel in der Rechtsprechung des Bezirksgerichtes als Anleitungsorgan spiegeln sich auch in den Entscheidungen der Kreisgerichte entsprechend wider.
Auch im Leitungskollektiv der Bezirksstaatsanwaltschaft sind nur ungenügend spezielle und grundsätzliche Auseinandersetzungen über die Probleme der Rechtsprechung geführt worden.
Sehr deutlich zeigte sich das in den schädlichen Auffassungen der Genossen Leim, Adam und Thomas bei den Einschätzungen der Arbeitsniederlegungen. Obwohl diesen Genossen und der gesamten Behördenleitung viele Fälle bekannt waren, wurden die Arbeitsniederlegungen als ein Problem der Abteilung I behandelt, anstatt die gesamte Staatsanwaltschaft auf dieses Problem zu orientieren, um die feindlichen Einwirkungen aber auch alle Fehler und Mängel zu erkennen, die zur Unzufriedenheit und Missstimmung in den Betrieben führen.