Versorgungslage bei Grundnahrungsmitteln
30. Mai 1961
Bericht Nr. 263/61 über die Lage in der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln und ihre Auswirkungen
Nach vorliegenden Berichten ist die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln, vor allem mit
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Butter und anderen Molkereiprodukten,
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Fleisch (besonders Rindfleisch) und Wurstwaren sowie
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teilweise Brot
sehr angespannt.
Von den Bezirken wird eingeschätzt, dass durch die mehrmaligen Kürzungen des Warenfonds seitens des Ministerrates, z. B. bei Fleisch und Butter, der Bedarf und die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr in vollem Umfange gewährleistet werden können. Bei den verantwortlichen Mitarbeitern des Handels und der Landwirtschaft in den Bezirken besteht im Allgemeinen Klarheit darüber, dass die jetzige Lage auf die Nichterfüllung der Pläne in der Landwirtschaft und den damit verbundenen unkontinuierlichen Auftrieb durch die Erfassungsorgane zurückzuführen ist. In einer Reihe von Bezirken wird das Eigenaufkommen durch die Landwirtschaft nicht erfüllt (Gera, Cottbus, Schwerin u. a.).
In der Mehrzahl der Bezirke wurden zur ordnungsgemäßen Verteilung der Butter Kundenlisten eingeführt. Dadurch werden u. a. auch Angst- und Hamstereinkäufe in größerem Ausmaß vermieden. Durch diese Einschränkung im Verkauf von Butter in den meisten Kreisen und Bezirken kommt es jedoch in den Orten (vor allem in größeren Städten), in denen noch keine Kundenlisten für Butter bestehen, zu erheblichen Abkäufen durch ortsfremde Personen. So werden z. B. in Gera von Personen aus anderen Bezirken bis zu 20 Stück Butter in verschiedenen Geschäften aufgekauft. (ähnlich in den Bezirken Potsdam und Magdeburg) In Karl-Marx-Stadt wird in diesem Zusammenhang in der Form argumentiert, dass ein Stück Butter jetzt im Durchschnitt 6,50 DM kosten würde, da man auf ein Stück 4,00 DM Fahrgeld nach anderen Städten aufschlagen müsse.
Nachteilig auf die Verteilung der Butter nach Kundenlisten wirken sich die doppelten Eintragungen der Haushalte aus. So übertreffen im demokratischen Berlin die Eintragungen um 172 000 die dort bestehenden Haushalte. In Leipzig sind 50 000 Haushalte mehr angemeldet als dort vorhanden sind. Dadurch kann die Planmenge Butter mit 250 g pro Kopf in der Woche nicht mehr zur Verfügung gestellt werden. In Berlin sind es im Durchschnitt pro Woche 210 g je Person, in Karl-Marx-Stadt und Dresden örtlich 100 g und in Oranienburg/Potsdam 125 g, die ausgeliefert werden können.
Die unterschiedliche Auslieferung der Höchstmengen Butter wird neben der Doppeleintragung in Kundenlisten auch auf die Aufschlüsselung durch die bezirklichen und örtlichen Organe nach Schwerpunkten zurückgeführt. In falscher Auslegung der gegebenen Anweisungen durch die Räte der Kreise sind im Bezirk Dresden sogar innerhalb geschlossener Ortschaften Schwerpunkte gebildet worden, wonach die einzelnen Verkaufsstellen unterschiedliche Buttermengen zum Verkauf erhalten. Die Entscheidung über die unterschiedliche Kürzung in den einzelnen Versorgungsbereichen führte in Dresden zu Differenzen zwischen den Staatsorganen im Bezirk und in den Kreisen. Zu den der Bevölkerung bekannten Auslieferungszeiten von Molkereiprodukten bilden sich häufig Käuferschlangen vor den Geschäften (Dresden, Karl-Marx-Stadt, Cottbus).
Durch die ungenügende Bedarfsabdeckung bei Butter und die teilweise schlechte Qualität der Importbutter ist der Bedarf bei Margarine, besonders Sahna und Vita, über das normale Maß hinaus angestiegen. Obwohl die Margarineindustrie zusätzliche Lieferungen an den Großhandel vornimmt, reichen diese Mengen nicht mehr aus, und in einigen Kreisen kam es bereits zeitweise zum Ausverkauf (Neubrandenburg, Suhl, Dresden u. a.). In verschiedenen Bezirken sind in der Margarineproduktion infolge Rohstoffmangels Stockungen aufgetreten. Eine weitere Ursache für das mangelnde Angebot an Margarinen ist die ungenügende Ausrüstung mit Kühlanlagen u. a. Wiederholt ist es in mehreren Bezirken in der letzten Woche zu Hamstereinkäufen von Margarine gekommen (Dresden, Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Berlin).
Die Versorgung mit Milch ist nicht mehr in allen Kreisen gewährleistet. Vereinzelt wurden während der Pfingstfeiertage Vorgriffe auf das Kontingent der 3. Dekade Mai gewährt. Ende Mai konnte der Bedarf durch die notwendige Kürzung nicht mehr gedeckt werden. In Anklam/Neubrandenburg konnten z. B. in der vergangenen Woche die Kleinkinder nicht in der notwendigen Menge mit Milch versorgt werden. Aber auch aus anderen Bezirken wurde bekannt, dass die Milch bereits in den Vormittagsstunden, etwa bis gegen 10.00 Uhr, ausverkauft ist und berufstätige Frauen mit Kleinkindern z. B. häufig keine Milch mehr erhalten (Neubrandenburg, Schwerin, Karl-Marx-Stadt, Halle).
Im Bezirk Halle wird die Milchknappheit mit dadurch verursacht, dass häufig Hausfrauen in verschiedenen Verkaufsstellen Milch aufkaufen (bis zu 6 l pro Tag), um Käse oder Quark selbst herzustellen.
Meldungen, dass Bauern Milch zum Selbstbuttern einbehalten, mehren sich zzt. aus allen Bezirken. Diese Handlungsweise begründen sie mit der erfolgten Kürzung bei der Rücklieferung von Molkereiprodukten.
In Neustrelitz wurde von Hausfrauen mit Kleinstkindern wiederholt die Einführung von Bestell-Listen für Milch gefordert, um die Versorgung der Kleinstkinder zu gewährleisten.
Die Versorgung mit Quark und Käse ist in keinem Bezirk entsprechend dem Bedarf gewährleistet. An den Verkaufsstellen sind daher während der Anlieferungszeiten Schlangenbildungen keine Seltenheit.
Große Versorgungsschwierigkeiten bestehen gegenwärtig bei Fleisch, besonders bei Rindfleisch. Der Bedarf der Bevölkerung, besonders zum Wochenende, kann in keiner Weise gedeckt werden. In der gesamten DDR, einschließlich Berlin, kommt es häufig zu Schlangenbildungen vor den Fleischgeschäften, teilweise bereits ein bis zwei Stunden vor den Öffnungszeiten.
Das Wurstsortiment ist in den meisten Bezirken nicht ausreichend und musste beträchtlich reduziert werden. Infolge fehlenden Rindfleisches ist Dauer- und Hartwurst nur in geringen Mengen im Angebot im Gegensatz zu früheren Jahren, in denen die Produktion dieses Sortiments in Anbetracht der bevorstehenden wärmeren Jahreszeit erhöht wurde. Mehrfach konnten vorgeschriebene Rezepturen nicht eingehalten werden.
In Einzelfällen äußerten Inhaber privater Fleischereien, ihre Geschäfte täglich nur wenige Stunden offen zu halten, da sie sowieso ausverkauft seien (z. B. Karl-Marx-Stadt, Cottbus). Durch den Staatsapparat wurde dieses Ansinnen verhindert.
In Berlin, Leipzig, Frankfurt/O., Schwerin, Cottbus, Erfurt, Suhl und einigen anderen Bezirken tritt seit ca. 14 Tagen eine Brotknappheit auf, sodass es auch deswegen vor den Bäckergeschäften in den Morgenstunden jeweils zu Schlangenbildungen kam. Während dieser Missstand in Berlin beseitigt wurde, hält er in einigen Bezirken noch an.
Von Berlin, Schwerin u. a. Bezirken wird als Begründung für diese Lage angeführt, dass die Privatbäcker zum Wochenende aus rein finanziellen Erwägungen das Backen von Kuchen und Torten der Herstellung von Brot vorziehen würden. Die Mehrzahl der Bezirke begründet diese Situation mit der ungünstigen Arbeitskräfteentwicklung in diesem Beruf.
Bezeichnend für diese Entwicklung ist ein Schreiben des Obermeisters der Bäckerinnung Groß-Berlin, Klinner, das er am 4.5.1961 an die Bäcker der einzelnen Stadtbezirke sandte. Ohne sich über die Möglichkeiten der Großbäckereien vorher zu informieren, weist Klinner in diesem Schreiben darauf hin, dass die Bäcker vor den Feiertagen »in Notfällen« von den Großbäckereien Berlins (VEB »Aktivist« und Konsumbäckerei) Brot anfordern können. Tatsache war jedoch, dass die Großbäckereien infolge eigener Erhöhung der Produktion vor den Feiertagen (Vorbacken des Brotes, um ein Absinken des Ausstoßes durch die Feiertage zu verhindern) und infolge Arbeitskräftemangels nicht zur Übernahme weiterer Kapazitäten in der Lage waren. Obwohl dieses Schreiben sofort nach Bekanntwerden vom Wirtschaftsrat und Magistrat rückgängig gemacht wurde, ist es jedoch ein charakteristischer Ausdruck für das Bestreben der Berliner Bäcker, aus finanziellen Erwägungen vor den Feiertagen mehr Konditoreiwaren herzustellen und hat offensichtlich auch mit zu der Lage in der Brotversorgung geführt.
Im Stadtgebiet von Leipzig wurden seit Januar 1961 28 private Bäckereien infolge Krankheit und Alter der Inhaber geschlossen, ohne dass die Zahl der Arbeitskräfte in den Konsumbetrieben u. a. Bäckereien erhöht werden konnte. In Berlin zeichnet sich ebenfalls eine sehr ernste Entwicklung ab. Die fehlende Brotmenge wird gegenwärtig aus den Großbäckereien Pasewalk u. a. abgedeckt, da die Berliner Bäckereien nicht über den notwendigen Bäckernachwuchs verfügen. Im VEB »Aktivist« z. B. können nur 80 % der Planstellen besetzt werden. In den Produktionsspitzen, wie vor Feiertagen und vor den Wochenenden kann die Produktion nur noch durch Einbeziehung der Verwaltungsangestellten aufrechterhalten werden. Da Berlin zu 60 % von Privatbäckern mit Backwaren beliefert wird, wobei sich ihr Produktions- und Verkaufsnetz durch Alter u. a. Umstände ständig verringert, ist eine weitere Verschärfung der Situation abzusehen.
In den letzten 14 Tagen gab es teilweise Schwierigkeiten in der Kartoffelbelieferung der Bevölkerung, meistens zurückzuführen auf Auslieferungsrückstände, die durch Arbeitskräfte- und Fahrzeugmangel entstanden. In Berlin wurden diese Schwierigkeiten durch verstärkten Arbeitskräfteeinsatz inzwischen beseitigt. Sie bestehen jedoch weiterhin in den Bezirken Erfurt, Karl-Marx-Stadt und teilweise Cottbus, sodass sich auch beim Kartoffelverkauf Käuferschlangen bildeten. Besonders in Erfurt ist die Versorgung der Bevölkerung mit Kartoffeln nicht gewährleistet. Durch das verstärkte Angebot von Teigwaren wird versucht, einen Ausgleich herbeizuführen. In diesem Zusammenhang wird von einer Reihe von Bezirken berichtet, dass in der Kartoffelaussaat, vor allem von Frühkartoffeln, infolge Regenwetters große Rückstände aufgetreten sind, wodurch sich der Anschluss an die Kartoffelernte weiter verzögern wird.
In den Bezirken Rostock, Neubrandenburg, Potsdam, Halle und Cottbus sind in den letzten Wochen Mängel in der Versorgung mit bestimmten Nährmitteln, vor allem Grütze, Graupen, Haferflocken und Reis aufgetreten. In den Verkaufsstellen kam es dadurch teilweise zum Ausverkauf, ohne dass sofort Nachlieferung beschafft werden konnte. Auch in den übrigen Bezirken wurde ein erhöhter Abkauf dieser Sortimente festgestellt. Alle Bezirke schätzen ein, dass diese Nährmittel infolge von Futterknappheit zur Aufzucht von Küken u. a. Tieren Verwendung finden, ohne dafür konkrete Beispiele anführen zu können.
Die Stimmung der Bevölkerung zu der gegenwärtigen Versorgungslage ist nach den hier vorliegenden Berichten im Allgemeinen als sehr angespannt zu betrachten. In allen Bevölkerungsschichten werden in großem Umfange negative und teilweise auch feindliche Diskussionen zu diesem Problem geführt. Besonders in den Käuferschlangen vor den Geschäften werden von Hausfrauen oft in unsachlicher und teilweise provokatorischer Form die derzeitigen Unzulänglichkeiten kritisiert und sofortige Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation gefordert. Häufig werden Vergleiche zur Lebenslage in Westberlin und Westdeutschland gezogen, wobei die Bundesrepublik als vorbildlich in der Entwicklung des Lebensstandards und in der Versorgung der dortigen Bevölkerung bezeichnet wird.
In unsachlicher Weise werden mehrfach Verkäuferinnen bei Nichtvorhandensein bestimmter Waren beschimpft, sodass diese vereinzelt, um solchen Szenen aus dem Wege zu gehen, nur den Ausweg in der Kündigung sahen (z. B. Sebnitz und Großenhain/Dresden).
Häufig anzutreffende Argumente sind folgende:
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Westdeutschland hat einen hohen Lebensstandard. Den Wettbewerb mit der Bundesrepublik gewinnen wir niemals.
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Von der ökonomischen Hauptaufgabe wird in Anbetracht der Versorgungssituation nicht mehr gesprochen.
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An der schlechten Versorgungslage ist die verfrühte Umgestaltung der Landwirtschaft1 schuld. Als die Einzelbauern noch bestanden, kannten wir solche Schwierigkeiten nicht.
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Für solch einen Sozialismus können wir uns bedanken.
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Die Organisation und Planung im Handelsapparat ist nicht in Ordnung. Die Warenstreuung klappt nicht. An einem Tag ist genügend Ware vorhanden, am nächsten fehlt vieles. Wir wollen ausreichend zu essen und Männer und Kinder nicht mit Margarineschnitten aus dem Haus schicken.
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Was nutzt der Flug in den Kosmos, wenn es hier keine Butter gibt.
Die Einführung von Kundenlisten wird häufig als versteckte Rationierung bezeichnet. In diesem Zusammenhang wird zunehmend die Ausgabe von Lebensmittelkarten gefordert, mit der Begründung, dadurch eine gerechte Verteilung zu gewährleisten. So werden u. a. Beispiele angeführt, wo in der Versorgung kinderreicher Familien, Diabetiker oder Schwerstarbeiter (z. B. Gießereiarbeiter) nachteilige Auswirkungen aufgetreten sind.
Im VEB Schmiedewerke »Hermann Matern« Roßwein/Döbeln z. B. musste sich die BGL des Werkes für eine zusätzliche Butterlieferung an die Arbeiter der Gasgeneratorenanlage einsetzen, da diese ihr Arbeitsverhältnis lösen wollten. Sie brachten zum Ausdruck, dass sie früher die höchste Lebensmittelkartenzuteilung erhielten, heute aber bei Weitem nicht mehr diese Mengen zu kaufen bekämen; wir hätten in der Versorgung einen Tiefstand erreicht, der an die Zeit von vor 1950 erinnert.
Weit verbreitet ist auch die Erscheinung, dass sich Angehörige aller Bevölkerungskreise über die Erfolgsmeldungen aus der Landwirtschaft – teilweise auch aus der Industrie – belustigen und zum Ausdruck bringen, dass diese in krassem Widerspruch zur derzeitigen Versorgungssituation stehen. Besonders in den Bezirken (z. B. Halle und Magdeburg), in denen viele Agitationsmittel (Presse, Rundfunk usw.) und Versammlungen von der Übererfüllung der bezirklichen Landwirtschafspläne berichten, stößt das unbefriedigende Angebot in den Geschäften auf Unverständnis. Selbst leitende Genossen des Ministeriums für Handel und Versorgung bringen den wiederholten Erfolgsmeldungen kein Verständnis entgegen und fordern die sofortige Einstellung.
Starke Unzufriedenheit ist in Kreisen der Bauern über erfolgte Kürzungen bei der Rücklieferung von Butter seitens der Molkereien vorhanden. Planverluste entstehen als Folge dieser Maßnahme durch das Einbehalten von Milchbeständen und die Selbstverarbeitung dieser Mengen durch Bauern. Im Kreis Schwerin-Land z. B. sind seit dem Zeitpunkt, da den Bauern mitgeteilt wurde, dass sie monatlich nur 1 kg Butter pro Kopf erhalten, die Milchlieferungen um 4 bis 5 000 l pro Tag zurückgegangen. So wurde eine Reihe von Beispielen bekannt, wo offensichtlich als Reaktion auf diese Maßnahmen die Milchablieferung von einem Tag zum anderen erheblich gesenkt wurde. Der Bauer [Name] aus Langenbrütz z. B. hat an einem Tag 98 l Milch abgeliefert, am nächsten Tag 50 % weniger. Andere Bauern liefern nur noch zweitägig Milch ab, während sie früher täglich die gleiche Menge lieferten.
Unzufriedenheit ist weiterhin in Kreisen von Schiffern vorhanden, da angeblich eine ordnungsgemäße Versorgung dieser Personen infolge laufenden Wechsels der Einkaufsstätten nicht gewährleistet ist. Dadurch haben sie keine Möglichkeit, sich in Kundenlisten z. B. für den Buttereinkauf eintragen zu lassen. Die Verkaufsstelle für Schiffer in Wittenberg z. B. erhält wöchentlich 6 kg Butter. Durch zzt. herrschenden Durchgangsverkehr von Hamburg u. a. Städten wird der Bedarf nur zu ca. 25 % abgedeckt.
Entgegen der sonstigen Feststellungen, dass sich der überwiegende Teil der Angehörigen der Intelligenz zu den auftretenden Problemen neutral verhält und wenig äußert, ist auch unter diesen Kreisen eine starke negative Diskussion zu den Versorgungsfragen zu verzeichnen. Vergleiche zur Lage in Westdeutschland fallen dabei häufig zugunsten des Adenauer-Staates aus. (Z. B. im VEB Industrieprojektierung Berlin, wo einige Genossen sich angeblich nicht mehr getrauen, mit dem Parteiabzeichen zu erscheinen.)
An der Universität Greifswald tragen die Diskussionen von Wissenschaftlern zu Fragen der Versorgung nicht selten provokatorischen Charakter. Ein Arzt aus der dortigen Frauenklinik beschwerte sich in einem Brief an den Rat des Bezirkes über die gegenwärtigen Zustände in der Versorgung und schrieb u. a.: »… Wie ein Witz klingt bei diesen Zuständen die Parole, bis Ende 1961 die Pro-Kopf-Produktion in Westdeutschland zu überbieten. Durch Presse- und Rundfunkmeldungen über hervorragende Produktionsergebnisse lässt sich leider die wahre Lage nicht immer vertuschen … Berichten Sie mir bitte nicht von der beliebten Phrase der Bonner Störungsmanöver …« Diese Meinung wird als charakteristisch für die Haltung eines Teiles der Wissenschaftler der Universität Greifswald bezeichnet.
Ähnlich äußerten sich der Betriebsarzt des VEB »August-Bebel-Werk« Zella-Mehlis, Zuwanderer aus Westdeutschland sowie Angehörige der Intelligenz aus dem Chemiewerk Leuna.
In letzter Zeit nehmen auch die Beispiele zu, wo in Briefen nach Westdeutschland um die Zuteilung von Butter- und Wurstpaketen gebettelt wird und solche Pakete auch hier eintreffen.
Von westdeutschen Besuchern in der DDR wird die Lage zum Anlass von negativen Diskussionen und Forderungen genommen. In der VP-Meldestelle Doberan/Rostock erschienen nacheinander drei westdeutsche Besucher und wünschten die Bereitstellung von Buttermarken für die Dauer ihres Besuches. In Geschäften des Bezirkes Cottbus erkundigten sich Käufer wiederholt, ob bei Besuchen aus Westdeutschland zusätzlich Butter geliefert wird.
Die Bezirke Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Erfurt, Suhl, Halle, Gera, Cottbus, Karl-Marx-Stadt und Dresden weisen in Berichten auf bevorstehende Schwierigkeiten in der Urlauberversorgung hin. Gleiches trifft für die Randgebiete Berlins zu. In mehreren Bezirken treten bereits Hamstereinkäufe seitens der Urlauber auf (Butter, soweit noch keine Kundenlisten bestehen, Margarine, teilweise Zucker und Kaffee); andererseits gibt es eine Reihe von Kritiken an der Versorgung. In verschiedenen Ferienheimen in Rostock und Cottbus werden Margarinezuteilungen von den Urlaubern kategorisch zurückgewiesen. In Rostock ist außerdem die Brotversorgung für die Campingplätze infolge mangelnder Backkapazität nicht gesichert.
Fast alle Bezirke schätzen ein, dass sich die Fälle mehren, in denen Partei- und Wirtschaftsfunktionäre zwecks Erläuterung der Ursachen der jetzigen Versorgungslage angesprochen werden. Von den Funktionären selbst werden Äußerungen bekannt, dass ihnen zu dieser Lage die Argumente fehlen. Einige Genossen lassen sich von der unzufriedenen Stimmung verschiedener Personenkreise beeinflussen und werden selbst zum Sprachrohr negativer Argumente. (Beispiele aus Frankfurt/O.: Stadtrat, Parteisekretär eines kleinen VE-Betriebes, Berlin, Schwerin: Richter vom Kreisgericht, Karl-Marx-Stadt: Stadtbezirksabgeordneter)
Während eines Anleitungsseminars für Propagandisten in Bischofswerda/Dresden kam es zur regen Diskussion über Versorgungsfragen, wobei Propagandisten äußerten, dass ihnen selbst das Verständnis für die derzeitige Versorgungslage fehle und sie nicht in der Lage sind, diesbezüglich auf Anfragen Parteiloser zu antworten. Der Parteisekretär der Schlosserei des VEB Rafena/Radeberg bat den 1. Sekretär der BPO um Unterstützung in einer Diskussion mit den Arbeitern über Versorgungsprobleme. Der Sekretär lehnte jedoch ab, zu den Arbeitern zu sprechen, mit der Begründung, dass er hierzu noch nichts sagen könne.
Die Auswirkungen der unzufriedenen Stimmung der Bevölkerung zur Versorgungslage zeigen sich auch in verschiedenen Vorkommnissen, die sich in der Hauptsache auf die letzten zwei bis drei Wochen konzentrieren. Allgemein ist einzuschätzen, dass durch die erhebliche Verärgerung der Bevölkerung über die Versorgungslage die feindlichen Einflüsse zugenommen haben. Unmittelbar damit im Zusammenhang stehende Vorkommnisse sind jedoch Einzelerscheinungen.
Eine Auswirkung der Stimmung sind die Angsteinkäufe, die in der letzten Zeit zugenommen haben. Gekauft werden Margarine, Mehl, Zucker, Schmalz, Fleischkonserven und Reis. Die Mehreinkäufe machen sich besonders in den Bezirken Schwerin, Frankfurt/O., Suhl, Erfurt, Cottbus und Leipzig bemerkbar.
Durch Gerüchteverbreitung wird versucht, die Hamstereinkäufe noch zu unterstützen und zu mehren. Die Gerüchte, die in fast allen Bezirken verbreitet werden, beinhalten in der Hauptsache, dass
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ein Krieg bevorstünde und deshalb die Konservierung von Fleisch und Butter vorgenommen würde,
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verstärkt Lebensmittel im Rostocker Hafen für Kuba umgeschlagen würden,
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täglich große Mengen Bockwürste nach Moskau geliefert werden müssten,
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der Wassergehalt der Butter ansteige, um höhere Gewichte zu erzielen,
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in verschiedenen Städten bereits gestreikt würde (Gerücht in Gera über VEB in Bad Schandau) usw.
Durch das Verbreiten sogenannter politischer Witze wird versucht unsere sozialistischen Errungenschaften, unsere Parteifunktionäre oder die wissenschaftlichen Leistungen der Sowjetunion zu ignorieren und verächtlich zu machen. Besonders verbreitet sind solche »Witze« in den Bezirken Berlin, Cottbus, Erfurt, Dresden und Suhl. Äußerungen wie, »Gagarin befände sich auf der Milchstraße auf der Suche nach Butter« oder »Westdeutschland treibe den Straßenbau voran, damit wir endlich überholen könnten«, halten sich hartnäckig. Veröffentlichungen dieser Art sind aus der Westpresse und dem Westrundfunk bekannt.
In Halle und Dresden tritt in den letzten Tagen verstärkt die Tendenz auf, während der Arbeitszeit Einkäufe zu erledigen. Im VEB Abus Dresden traten z. B. am 19.5.1961 bei 500 Angestellten ca. 200 Ausfallstunden auf, da sich die Betreffenden in den Käuferschlangen an der HO aufhielten.
Im VEB Waggonbau Görlitz stellten sich am 19.5.1961, 12.30 Uhr, ca. 160 Belegschaftsmitglieder an der Betriebsverkaufsstelle an, die ab 14.00 Uhr Butter verkaufen sollte. Der Arbeitsdirektor, der im Auftrage des Werkleiters die Kollegen zum Arbeitsplatz zurückholen sollte, wurde vor der Verkaufsstelle ausgepfiffen.
In anderen Bezirken äußerten berufstätige Frauen, dass sie zum Wochenende nicht zur Arbeit erscheinen werden, da sie einkaufen müssten. (Cottbus, Dresden, Karl-Marx-Stadt)
In den Bezirken Cottbus und Rostock erfolgen schriftliche Beschwerden einzelner Personen an den Rat des Bezirkes und die Räte der Kreise über die Versorgungslage.
Einzelne Brigaden und Arbeiter der Bezirke Potsdam und Halle beabsichtigen, sich in gleicher Sache mit schriftlichen Beschwerden an den Staatsrat zu wenden. Derartigen Versuchen wurde bisher durch die einzelnen Parteileitungen entgegnet.
Im Bezirk Frankfurt/O. wurde in zwei Fällen von Hausfrauen die Absicht ausgesprochen, Delegationen zum Rat des Kreises zu entsenden. Durch Aussprache seitens des DFD-Kreisvorstandes wurde dem entgegengewirkt.
Wiederholt wurde in Betrieben die Forderung nach Aussprachen mit Funktionären erhoben. Z. B. forderten die Frauen des VEB Bergmann-Borsig/Fräserei eine Aussprache mit dem Parteisekretär zur Aufklärung über die Versorgungsschwierigkeiten. Sie verlangten eine Regelung, damit sie nach Feierabend auch Fleisch einkaufen können.
Während der derzeitigen BGL-Wahlen in den Betrieben und der Versammlungen über die »Neuen Ordnungen« werden vielfach die Versorgungsfragen angesprochen. In Cottbus und Neubrandenburg erklärte in zwei Fällen die Mehrzahl der Anwesenden der AGL, dass es keinen Zweck habe zu wählen, erst solle Fleisch und Butter rangeschafft werden. Im Stahl- und Walzwerk Riesa musste eine Wahlversammlung der Gewerkschaft ausfallen, da alle Frauen die HO-Verkaufsstelle aufgesucht hatten.
In Einzelfällen lehnen es Arbeiter ab, weiterhin Beiträge für die Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Organisationen zu zahlen. (z. B. in der Tuchfabrik Forst)
Es liegen auch Einzelbeispiele vor, in denen Arbeiter keine Solidaritätsmarken mehr abkaufen, mit dem Hinweis auf die Versorgungslage. (z. B. Finsterwalde/Cottbus)
Vereinzelt traten auch solche Erscheinungen auf, dass die Versorgungslage zum Gegenstand von anonymen Anrufen und Schreiben an die Räte der Kreise, Bürgermeister und andere Organe genommen wurde, dass Arbeiter sich dahingehend äußerten, in Anbetracht der Versorgungslage »langsamer zu arbeiten«, oder, dass in Diskussionen auf den 17. Juni Bezug genommen wurde, mit der Begründung, vermutlich wird sich die Versorgung erst nach einem zweiten »17. Juni« verbessern.
Insgesamt wurden bisher 13 Streikandrohungen im Zusammenhang mit der Versorgungslage bekannt. (Bezirke Schwerin, Gera, Cottbus, Rostock, Halle, Leipzig, Dresden), die zum größten Teil von Einzelpersonen und weniger von ganzen Brigaden kamen. In einem Fall erfolgte eine Arbeitsniederlegung (LPG Kolochau). Die Frauen erklärten sich mit der verkürzten Rücklieferung von der Molkerei nicht einverstanden.
Allgemein kann eingeschätzt werden, dass die im Zusammenhang mit der Versorgungslage aufgetretenen negativen Erscheinungen und Vorkommnisse, auf die im Bericht ausführlich eingegangen wird, zwar einen relativ breiten Umfang in den Diskussionen der Bevölkerung der DDR haben, jedoch der größere Teil der Bevölkerung eine positive Haltung einnimmt. Obwohl Versuche des Gegners vorliegen, die gegenwärtige Lage für seine Interessen auszunutzen, sind die feindlichen Vorkommnisse, die ebenfalls angeführt wurden, Einzelerscheinungen und werden vom Ministerium bearbeitet.
Vom MfS wurden die notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung sämtlicher Vorkommnisse eingeleitet. Der gesamte Komplex wird weiterhin unter operativer Kontrolle gehalten.