Explosion eines von Schülern gebauten Sprengkörpers in Lübbenau
20. Mai 1963
Einzelinformation Nr. 319/63 über die Explosion eines selbstgefertigten Sprengkörpers an der HOG »Turbine« in Lübbenau am 10. April 1963
Am 10.4.1963 wurde gegen 22.20 Uhr auf dem Sims eines zum Umkleideraum des Personals der HOG »Turbine« in Lübbenau, Bezirk Cottbus, gehörenden Fensters ein Sprengkörper zur Explosion gebracht.
Der Druck der Explosion drückte das gesamte Fenster einschließlich der Füllung ein. Vor dem Fenster gelagertes Stroh wurde in Brand gesetzt und durch die alarmierte Feuerwehr gelöscht. Die ca. 400 Besucher einer gerade stattfindenden Tanzveranstaltung verließen panikartig die Gaststätte.
Durch den Einsatz der Feuerwehr waren eine erfolgreiche Spurensuche und -sicherung wesentlich erschwert.
Da in den letzten Monaten in Lübbenau mehrere Explosionen erfolgten und die VP trotz verschiedener Hinweise keine energischen Maßnahmen zur Aufklärung einleitete, weil diese Vorkommnisse als »Bagatellsachen« eingeschätzt wurden, hat das MfS entsprechende Untersuchungen geführt.
Die kriminal-technische Untersuchung der sichergestellten Reste des Sprengkörpers durch das MfS ergab, dass dieser selbstgefertigt und mithilfe einer Taschenlampenbatterie elektrisch gezündet worden war, wobei die Zündung mittels einer als Zeitzünder umgebauten Ruhla-Taschenuhr erfolgte.
In umfangreicher Ermittlungsarbeit wurde eine Gruppe 16-jähriger Schüler aus Lübbenau festgestellt, die bereits in der Vergangenheit des Öfteren selbstgefertigte Sprengkörper in Lübbenau zur Explosion gebracht hatte.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurden deshalb am 16.5.1963 folgende Jugendliche getrennt befragt:
1. [Name 1, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1946, wohnhaft Lübbenau, [Straße, Nr.], Sohn eines selbstständigen [Berufsbezeichnung], Schüler der Klasse 10 der 1. Polytechnischen Oberschule Lübbenau
2. [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1947, wohnhaft Lübbenau, [Straße, Nr.], Sohn eines selbstständigen [Berufsbezeichnung] (Familie streng religiös), Schüler der Klasse 10 der 1. Polytechnischen Oberschule Lübbenau
3. [Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1946, wohnhaft Lübbenau, [Straße, Nr.], Sohn eines Arbeiters, Internatsschüler der 10. Klasse der Erweiterten Oberschule Calau
4. [Name 4, Vorname], geb. [Tag, Monat]1948, wohnhaft Lübbenau, [Straße, Nr.], Sohn eines fortschrittlich eingestellten Arbeiters, Schüler der 9. Klasse der 1. Polytechnischen Oberschule Lübbenau.
Die Eltern der Schüler sowie die Direktoren der beiden Oberschulen wurden über diese Befragung unterrichtet.
Während der Befragung gaben die Schüler zu, im Zeitraum von Januar 1961 bis Januar 1963 ca. 35 selbstgefertigte Sprengkörper verschiedenster Art mit unterschiedlicher Wirkung hergestellt und zur Explosion gebracht zu haben.
Die teilweise sehr raffiniert hergestellten Sprengkörper (unter Verwendung von Kaliumpermanganat, Magnesiumpulver, Schwarzpulver und teilweise elektrischer Zündung (zehn Sprengkörper) nach Zeit mittels Auto-Akku, Vakuum, Blitzbirne und Taschenuhr) wurden im Garten von [Name 1], auf dem Marktplatz von Lübbenau, vor dem Kino Lübbenau, vor der Volksbank und auf dem »Roten Platz« hinter dem »Kaufhaus des Friedens« in Neustadt-Lübbenau gezündet. Bis auf eine eingedrückte Fensterscheibe in der Volksbank entstand kein Sachschaden; bei den Explosionen Silvester 1962 auf dem Marktplatz und vor der Volksbank wurden mehrere Kinder gefährdet, die die Sprengkörper aufnehmen wollten. ([Name 1] hielt die hinzulaufenden Kinder jedoch zurück.)
Die Chemikalien für die Sprengkörper kauften die Jugendlichen in Drogerien und Apotheken in Lübbenau.
Der Schüler [Name 1] hat selbst in der Schule Experimente ähnlicher Art vorgeführt bzw. Hinweise für die Herstellung von Sprengkörpern gegeben und dadurch praktisch andere Schüler zu gleichen Handlungen angeregt. Inwieweit die Lehrkräfte beider Schulen davon informiert waren, wird gegenwärtig noch überprüft.
Bei der getrennten Befragung der Schüler wurde festgestellt, dass sie sich vorher offensichtlich über ihre Aussagen abgestimmt hatten, denn obwohl alle Anzeichen der Explosion an der HOG »Turbine« (gleicher Aufbau des Sprengkörpers usw.) auf ihre Täterschaft hinweisen, beharrten die Schüler auf ihrer Aussage, letztmalig im Januar 1963 derartige Sprengkörper entzündet zu haben.
Weitere Überprüfungen – auch hinsichtlich der Motive ihrer Handlungen – werden noch geführt.
Nach einer längeren Belehrung wurden die Schüler ihren Eltern übergeben; die betreffenden Schulen erhielten ebenfalls konkrete Hinweise über die Handlungen ihrer Schüler.
Weiterhin werden noch Untersuchungen darüber geführt, ob noch weitere Jugendliche an derartigen Vorkommnissen beteiligt waren.