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Randale in Halle durch entlassene Grenzsoldaten

24. Oktober 1963
Einzelinformation Nr. 652/63 über ein Vorkommnis mit entlassenen Angehörigen der NVA/Grenze in Halle am 22. Oktober 1963

Am 22.10.1963, gegen 17.00 Uhr, traf in Halle, Hauptbahnhof, der aus Nordhausen kommende Zug E 205 mit ca. 400 entlassenen Angehörigen der NVA/Grenze1 ein.

Durch Mitarbeiter der Reichsbahn und Angehörige der Trapo wurde nach Einfahrt des Zuges festgestellt, dass sich ein großer Teil der ehemaligen Angehörigen der NVA/Grenze im angetrunkenen bzw. stark angetrunkenen Zustand befand.

Die entlassenen NVA-Angehörigen/Grenze hatten bereits während der Fahrt im Zug randaliert, dabei Sachbeschädigungen verursacht und Bierflaschen sowie andere Gegenstände aus dem fahrenden Zug auf die Strecke geworfen.

Unter anderem wurde gegen 16.35 Uhr bei Röblingen, [Bezirk] Halle, aus dem fahrenden Zug ein Gegenstand in das Gebäude des Schrankenpostens geworfen, dabei eine Fensterscheibe zerstört und das Reichsbahnpersonal gefährdet.

Aus dem Zug wurden weiterhin während der Fahrt sowie bei Ankunft auf dem Hauptbahnhof Halle zwei weiße Fahnen mit den Losungen »Wir sind im FDGB« und »Gruß von den Reservisten aus Ost-Sachsen«, versehen mit mehreren Unterschriften, herausgehalten.

Ferner trugen eine Anzahl der entlassenen NVA-Angehörigen/Grenze an ihrem Zivilanzug Schulterklappen der NVA mit Aufschriften wie »EK I« und »Heimgänger-Grenze«, leere Patronenhülsen und schwarz-rot-goldenes Band, wobei diese Gegenstände angeheftet oder mehrfach mit Stacheldraht befestigt waren.

In diesem Aufzug (auch mit den oben erwähnten Fahnen) begaben sich die entlassenen NVA-Angehörigen in die Mitropa-Gaststätte in Halle, nahmen weiterhin alkoholische Getränke zu sich und randalierten. Dabei belästigten sie die Reisenden, wiesen deren Aufforderungen zum anständigen Verhalten zurück und benahmen sich auf der Wache der Bahnhofshalle und der Trapo herausfordernd und provokatorisch. Einige ehemalige NVA-Angehörige erklärten, dass sie »die Schnauze voll hätten«.

Anweisungen der VP-Streife und von Angehörigen der NVA wurden von ihnen negiert.

Nachdem unter den entlassenen NVA-Angehörigen bekannt wurde, dass ein NVA-Angehöriger der Bahnhofswache Halle zugeführt worden war, da er im Verdacht stand, eine Fensterscheibe eines auf dem Hauptbahnhof abgestellten Zuges demoliert zu haben, begaben sich 15 NVA-Angehörige zur Wache, randalierten und forderten Entlassung des ehemaligen NVA-Angehörigen. Erst nach Einschreiten durch einen VP-Angehörigen entfernten sie sich wieder.

Infolge des provokatorischen Verhaltens wurden zunächst durch eine Einsatzgruppe der VP 40 entlassene NVA-Angehörige/Grenze festgenommen und dem NVA-Objekt Halle zugeführt, die vorwiegend volltrunken oder stark angetrunken waren. Weitere 17 NVA-Angehörige wurden der Revierwache der Transportpolizei Halle übergeben.

Von den im Hauptbahnhof Halle verbliebenen ehemaligen NVA-Angehörigen begaben sich einzelne Gruppen in Stärke von zehn bis 15 Personen in das Stadtgebiet von Halle, wo sie weitere Gaststätten aufsuchten.

Eine Gruppe von sieben ehemaligen NVA-Angehörigen führte dabei weiterhin eine weiße Fahne mit ca. 20 Unterschriften und der Aufschrift »Wir Reservisten aus Obersachswerfen« mit und entwendete vom Gebäude des Hauptpostamtes eine Fahne.

Inzwischen liegen Meldungen vor, dass vermutlich ebenfalls von entlassenen NVA-Angehörigen/Grenze im Stadtgebiet von Halle weitere Fahnen aus den Halterungen entwendet worden sind.

Nach Einsatz weiterer Streifen der NVA im Gebiet von Halle wurden diese sieben ehemaligen NVA-Angehörigen in Halle aufgegriffen und dem VPKA Halle zugeführt.

Fünf ehemalige NVA-Angehörige wurden dem Staatsanwalt übergeben, da sie in Verdacht standen, Fahnen in Halle heruntergerissen bzw. entwendet zu haben. Die fünf NVA-Angehörigen waren volltrunken. Der Verdacht der Fahnenabrisse hat sich bisher nicht bestätigt, ein Ermittlungsverfahren wurde nicht eingeleitet.

Bei der Ausfahrt des Zuges D 285 in Richtung Leipzig am Abend des 22.10.1963 sprangen auf dem Hauptbahnhof Halle ca. 15 ehemalige Angehörige der NVA/Grenze auf den anfahrenden Zug auf, wobei sie grölten, randalierten und mit Bierflaschen warfen.

Auf dem Hauptbahnhof Halle waren durch Maßnahmen der NVA, VP und Trapo gegen 2.00 Uhr Ordnung und Sicherheit wiederhergestellt.

Durch das MfS wurden Maßnahmen zur restlosen Klärung des Vorfalles eingeleitet.

Unseres Erachtens wäre es zur Vermeidung derartiger Vorkommnisse zweckmäßig, die Abschlussfeiern in den Einheiten der NVA nicht erst unmittelbar vor der Abfahrt der Züge durchzuführen, um zu verhindern, dass die entlassenen NVA-Angehörigen bereits in angetrunkenem Zustand die Fahrt antreten. Weiterhin wäre zu prüfen, ob nicht verantwortliche Offiziere benannt werden sollten, die die Sonderzüge bzw. starke Reisegruppen von entlassenen NVA-Angehörigen bis zum Endbahnhof begleiten und dafür sorgen, dass die ehemaligen NVA-Angehörigen ihre Erziehung in der NVA durch ein diszipliniertes Auftreten gegenüber der Bevölkerung durch die Vermeidung derartiger oder ähnlicher Vorkommnisse demonstrieren.

  1. Zum nächsten Dokument Beabsichtigtes Interview des »Spiegels« mit Alexander Abusch

    25. Oktober 1963
    Einzelinformation Nr. 655/63 über eine beabsichtigte Befragung des Genossen Abusch zum Kulturaustausch zwischen beiden deutschen Staaten

  2. Zum vorherigen Dokument Mängel in der Leitungstätigkeit des Ministeriums für Verkehrswesen

    22. Oktober 1963
    Einzelinformation Nr. 638/63 über mangelhafte Kollektivität in der Leitung des Ministeriums für Verkehrswesen (MfV) und über einige subjektive Faktoren, die sich ebenfalls hemmend auf die Leitungstätigkeit im MfV auswirken